Architektur ist Ausdruck von Zeitgeist. Insofern stehen der Hans-Böckler-Platz und seine Hochhäuser für den ungebremsten Fortschrittsglauben der frühen 70er Jahre, als die Häuser noch in den Himmel wachsen durften. Vor 40 Jahren sieht sich Mülheim auf dem Weg zur 230 000 Einwohner-Metropole. Da soll zentraler Wohnraum mit guter Nahversorgungsinfrastruktur mehr Menschen nach Mülheim ziehen und seine im Osten erweiterte „Innenstadt zu einem echten Lebenszentrum machen, das dicht bewohnt ist und für den Verkehr erstklassig erschlossen ist.“
So sieht es Landesbauminister Hermann Kohlhase, als er am 3. Juni 1970 für den ersten Spatenstich am Hans-Böckler-Platz seine Jacke auszieht und anpackt. „Ein hervorragendes Beispiel moderner städtebaulicher Planung, das für manchen lehrreich sein kann“, nennt Kohlhase das Prestigeprojekt, dessen Investitionsvolumen damals auf 243 Millionen Mark prognostiziert wird. Oberbürgermeister Heinz Hager sieht den neuen Hans-Böckler-Platz als „klassisches Beispiel für die Stadtentwicklung der Zukunft.“ Hier sollen fünf Hochhäuser mit einem Parkhaus, einem Einkaufzentrum und einem großen Hertie-Kaufhaus entstehen, flankiert und abgerundet durch einen City-Nordring und einen Verkehrsknotenpunkt der Stadtbahn, an dem damals bereits gebaut wird.In der „Aufbaugemeinschaft“ für die „Stadtmitte II“ sind neben Stadt und Land auch die Iduna-Versicherung, die Düsseldorfer Treufinanz sowie private Anlieger und Grundstückseigentümer mit im Boot. Heute würde man das wohl Private Public Partnership (PPP) nennen.
Oberstadtdirektor Heinz Heiderhoff spricht 1970 von am Gemeinwohl interessierten Bürgern.Weißer RieseGeld verdient werden soll in der Stadtmitte II aber auch. Die Iduna-Versicherung investiert allein 45 Millionen Mark in das erste, 81 Meter hohe, Hochhaus, das heute Forum Tower heißt und das neue City-Center, das allein 150 Millionen Mark kosten soll und 1994 durch das heutige Forum ersetzt wird. Die NRZ spricht angesichts des Iduna-Hochhaus-Modells von einem „Weißen Riesen“ und glaubt: „Mit dem Projekt Böckler-Platz beginnt ein neuer Abschnitt der Stadtgeschichte.“
670 moderne Wohnungen, ein Parkhaus mit 1800 Stellplätzen, 35 Geschäfte und ein Warenhaus mit einer Gesamtverkaufsfläche von 16 000 Quadratmetern sollen das Wohn- und Einkaufspardies in der City perfekt machen. An die Grenzen von Wohlstand und Konsum kann und will man vor 40 Jahren nicht glauben. Dazu passt eine große Anzeige, die unter dem NRZ-Artikel über den ersten Spatenstich am Hans-Böckler-Platz prangt und die Leser auffordert: „Lassen Sie sich verwöhnen bei ihrem Einkauf in Mülheim, der sympathischen Stadt an der Ruhr.“ Der Kaufmann Kurt Remberg sagt in seiner Funktion als kommissarischer Vorsitzender der Aufbaugemeinschaft für die Stadtmitte II an diesem denkwürdigen 3. Juni 1970, an dem nach sechs Jahren Planung nun Taten folgen sollen: „Für die Bürger und für die Verwaltung ist das ein bedeutender Tag. Die Vorstellungen sahen zunächst anders aus, aber wir haben uns der Entwicklung angepasst. Das Ziel bleibt ein funktionierendes Einkaufszentrum zur Erweiterung der Innenstadt. Ohne die einmalige Bürgerinitiative wäre dieses Projekt nicht entstanden.“
Ob man die Hochhäuser aus städtebaulicher Sicht und angesichts von nur noch knapp 170 000 Mülheimern heute noch einmal bauen würde? Wohl kaum. Doch nur kein später Spott. Wer weiß, was künftige Generationen über Prestige- und PPP-Projekte wie Ruhrbania oder das Medienhaus am Synagogenplatz sagen werden?
Dieser Text erschien am 3. Juni 2010 in der NRZ
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