Für den Evangelischen Kirchenkreis an der Ruhr und seine sechs Gemeinden ist der November nicht nur klimatisch trübe. Superintendent Michael Manz musste den Synodalen im Altenhof mit seinem Rechenschaftsbericht ein Haushaltsloch von 850.000 Euro präsentieren. Die berechtigte Frage: "Wie konnte das passieren!" beantworteten Manz, seine Stellvertreterin Gundula Zühlke und der Geschäftsführer des Kirchenkreises, Christoph Niklasch, nach bestem Wissen und Gewissen, aber deshalb nicht weniger ernüchternd, frei nach Martin Luther: "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders."
Den Kern des Problems bilden die 4000 Menschen, die seit 2019 als Mitglieder der Evangelichen Kirche verstorben oder aus ihr ausgetreten sind. Auch Taufen und Neuaufnahmen können den Mitglieder- und damit auch den Kirchensteuerschwund der Evangelischen Stadtkirche nicht annähernd auffangen. Zum Vergleich: Vor 50 Jahren gab es 105.000 evangelische Kirchenmitglieder in Mülheim, 1998 waren es noch 64.000, 2019 noch 42.000 und jetzt (2024) eben besagte 38.000. Noch stehen der Evangelischen Stadtkirche damit Kirchensteuereinnahmen von mehr als acht Millionen Euro zur Verfügung. Doch der weitere Abwärtstrend, der gleichermaßen demografisch und gesellschaftlich begründet ist, ist absehbar.
"Wir müssen über die Aufgabe ganzer Arbeitsbereiche nachdenken", brachte ein Kirchmeister die traurige Wahrheit auf den Punkt. Dieser schwierigen Aufgabe müssen sich jetzt sieben Mitglieder einer Kommission stellen, die die Kreissynode einstimmig eingerichtet hat. Nicht ganz einstimmig konnten sich die Synodalen darauf einigen, die Umlage der sechs Mülheimer Kirchengemeinden um satte 400.000 Euro anzuheben, um den Kirchenkreis bis zur Frühjahrssynode 2026 handlungsfähig zu halten. Denn dann soll die jetzt eingesetzte Kommission, mithilfe externer Begleiter, konkrete Struktur- und Sparbeschlüsse auf den Tisch der 50 Kirchenparlamentarier legen, von denen bei der Herbstsynode 38 anwesend waren.
Eine Synodalin geht davon aus, dass es künftig nur noch eine Evangelische Kirchengemeinde in Mülheim geben und diese mit dem benachbarten Kirchenkreis Oberhausen (45,000 Kirchenmitglieder) fusionieren wird. Mit dem Hinweis auf die Freiburger Kirchenstudie weist Superintendent, Michael Manz, darauf hin. dass die Evangelische Kirche in Deutschland bereits 2045 nur noch halb so viele Mitglieder haben wird, wie heute. Weil auch die katholische Kirche keinen anderen Megatrend aufzuweisen hat, als ihre Schwesterkirche, bekommt die Ökumene künftig noch eine viel größere Bedeutung, als dies heute schon der Fall ist, da die beiden Stadtkirchen zu einem Ökumenischen Neujahrsempfang in den Altenhof einladen, der 1930 als Haus der Evangelischen Kirche eröffnet worden ist. Doch auch eine Ökumenische Kirche in Deutschland wird angesichts der zunehmenden Individualisierung und Entsolidarisierung Austrittswellen, wie wir sie derzeit erleben, weder finanziell noch inhaltlich und strukturell verkraften, ohne erheblich an ihrer gesellschaftlichen Relevanz und Prägekraft zu verlieren. Ob das im Sinne der Kirchenflüchtlinge ist und ob sie wissen, welcher Gesellschaft sie mit ihrem Kirchenaustritt den Weg ebenen, kann getrost bezweifelt werden. Es spricht in diesem Zusammenhang für sich, dass auch die Evangelische Kirche, die nicht mit einem Pflichtzölibat beladen ist, nicht nur bei der Bindung und Gewinnung neuer Mitglieder. sondern auch bei der theologischen Nachwuchsgewinnung massive Probleme hat.
Letzteres kann nicht verwundern, wenn man an das klassische Verständnis vom Pfarramt die neuen Maßstäbe der Work-Life-Balance anlegt. Doch darüber hinaus ist es eben der Abbruch christlicher Sozialisationsstränge, die mit den aktuellen Austrittswellen noch verschärft werden, die unser klassisches Bild von der Gemeinde mit der Kirche im Dorf und einer omnipräsenten Pfarrperson, zunehmend zur Illusion werden lässt, die platzt, wie eine Seifenblase.
Vielleicht machen die christlichen Kirchen, die schon jetzt keine Volkskirchen mehr sind, ja aus der Not eine Tugend und werden kleiner, aktiver, demokratischer, ökumenischer, persönlicher, glaubwürdiger und damit auch wieder attraktiver, glaubwürdiger und anziehender, wenn sie es wieder schafft, die Frohe Botschaft Jesu, nicht nur zur predigen, sondern auch im Alltag zu leben. Das ist zweifellos eine Aufgabe, die alle Christenmenschen fordert, ob sie nun geweihte Theologen sind oder nicht.
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