Das im Februar 2016 eröffnete Petrikirchenhaus |
Über
den Ursprung des Namens Mausefalle gibt es viele Legenden, die aber
historisch nicht belegbar sind. Eine von ihnen besagt, dass die Wirte
an der Petrikirche früher Mausefallen aufstellen mussten, um einer
Mäuseplage Herr zu werden. Eine weitere Legende besagt, dass schon
um 1600 spanische Soldaten, die im Zuge des Spanisch-Niederländischen
Krieges durch Mülheim zogen, in eine Schankwirtschaft am Fuße der
Petrikirche eingekehrt sein sollen. Der Mülheimer Heimatforscher
Andreas ten Brink geht aufgrund seiner Urkundenrecherche davon aus,
dass die Ursprünge des Hauses, in dem bis 1943 die Gaststätte
Mausefalle ansässig war, ins 14. Jahrhundert zurückreichen.
Laut
ten Brink, existierte am Standort des neuen Petrikirchenhaues bereits
im 14. Jahrhundert eine Bebauung, die sich im Privateigentum befand.
Als Haus- und Grundeigentümer führt er auf: Die Eheleute Kerckhoff
(1512), die Eheleute Thiel (1584), Adam von Loh (1634). Auf das Jahr
1555, als die aus dem 13. Jahrhundert stammende Petrikirche bereits
protestantisch geworden war, datiert er einen Neubau auf dem
Mauerwerk des Kirchhofes. Auf den Hauseigentümer Adam von Loh folgte
sein Sohn Gerhard, der vermutlich in Gerhard Tersteegens Geburtsjahr
1697 gestorben ist. Ihm folgte bis etwa 1731 der Schuhmachermeister
Adam von Loh. Auf ihn folgte (nachweisbar ab 1743) der in den 1730er
Jahren aus Wuppertal-Elberfeld zugewanderte und 1794 gestorbene
Kaufmann Hans-Peter Schmitz. Nach seinem Tod traten die Geschwister
Hermann, Johann, Katharina und Anna Maria Schmitz sein Erbe auf dem
Kirchenhügel an. Sie verkauften das Haus an den Tuchhändler
Friedrich Wilhelm Höfken. Nach seinem Tode wurde das Haus zwischen
Bogenstraße und Kirchplatz 1845 zwangsversteigert und vom
Kolonialwarenhändler Eduard Hofius für 1900 Taler erworben. Aus
dessen Besitz ging es 1865 für 4000 Taler in den Besitz des
Kolonialwarenhändlers Heinrich Liebe (1837-1874) über.
Über
die Geschichte der Gaststätte Mausefalle schreibt Andreas ten Brink
unter anderem in dem 2009 herausgegebenen Buch „Mülheimer
Ansichtssachen“:
„Der
Kaufmann Heinrich Liebe hatte die Gaststätte Mausefalle in August
1871 eröffnet, offenbar auch mit Fremdenbeherbergung. Den
Hoteldienst quittierte er aber alsbald und annoncierte in der Rhein-
und Ruhrzeitung vom 11. Mai 1872 die Schankwirtschaft Zur Mausefalle
am 22. Mai ebenda zu verkaufen. Die Rhein- und Ruhrzeitung macht am
12. November 1872 bekannt, der Frachtschiffer Wilhelm van Meteren
(1836-1899) führt die Schankwirtschaft seit gestern. In der Tat
hatte er sie für 4800 Taler erworben. Sein Nachfolger an Haus und
Hahn war der Fuselbrenner Heinrich Bergop, der laut Mülheimer
Zeitung vom 7. Juni 1904 das Gasthaus für 60.000 Mark an Friedrich
Volkenborn aus Oberhausen verkaufte. Derselbe übertrug, gemäß der
erwähnten Zeitung vom 15. Mai 1907, die Zapfstelle an den gelandeten
Ruhrschiffer Karl Ulff (1866-1926) aus Holthausen. Seit 1915 hieß
der Schankwirt und Eigentümer Heinrich Schoeler. Ab dem 1. Februar
1927 ließ er dort für fünf Jahre seinen Pächter Wilhelm Paßmann
ein- und ausschenken. Der letzte Besitzer, Heinrich Schoeler, ließ
die Mausefalle 1939 restaurieren, den geteerten Bruchsteinsockel
freilegen und den Oberstock verschiefern. Damaliger Pächter Schölers
und letzter Wirt in der Chronik der Mausefalle war Philipp Lock. “
Noch
vor der Gaststätten-Übernahme durch den Kolonialwarenhändler
Heinrich Liebe hatte sich um 1870 in der alten Gaststätte die bis
heute existierende Bürger- und Stammtischgesellschaft Mausefalle
gegründet. Nachdem die alte Kettenbrücke (1844-1909) abgerissen und
durch die erste Schloßbrücke ersetzt worden war, ließen sich die
honorigen, geselligen, diskussionsfreudigen und das mölmsche
Brauchtum pflegenden Stammtischbrüder der Bürgergesellschaft aus
einer ihrer Bohlen ihren neuen Stammtisch bauen.
In
ihrer Ausgabe vom 7. September 1912 schrieben die Vaterstädtischen
Blätter über das Gasthaus vor der Petrikirche:
„Zu
den ältesten Häusern Mülheims und zugleich zu den ältesten
Wirtschaften ist die Mausefalle am Aufgang zur Petrikirche am Bogen
zu zählen. Es bietet einen malerischen Anblick und erinnert noch an
die alten Zeiten Mülheims. Besonders malerisch ist der
Treppenaufgang zum Kirchplatz. Die früheren beiden gut erhaltenen
Pfarrhäuser der reformierten Gemeinde sind mit dem Kirchplatz über
die tieferliegende Bogenstraße hinweg durch Steinbrücken verbunden
und bilden im Verein mit der ganzen Kirchenanlage ein äußerst
anziehendes Bild. Die alte Wirtschaft Mausefalle ist unstreitig eines
der interessantesten aus der Zeit der alten Bauweise stammenden
Häuser.“
Und
in einem Zeitungsbericht aus dem Jahr 1930 wird eine Mauernische im
damaligen Bierkeller der Gaststätte Mausefalle beschrieben. Sie sei,
so heißt es in diesem Bericht, in vorreformatorischen Zeiten Teil
der Mauer an der Bogenstraße gewesen, die den damaligen Kirchhof an
der Petrikirche begrenzt habe. Damals führten alle Leichenzüge an
dieser Nische vorbei, in der ein Heiligenbild zur Andacht animiert
haben solle. Der Bericht unterstreicht, dass das Haus der Mausefalle
aus zwei Gebäudeteilen bestehe und auf die Kirchhofmauer gebaut
worden sei. Die meisten Fachwerkhäuser des alten Stadtkerns
entstanden danach erst im 17. Jahrhundert und bildeten einen
Häuserkranz rund um die Petrikirche.
Doch
mit dem britischen Luftangriff, der Mülheim in der Nacht vom 22. auf
den 23. Juni 1943 traf, veränderte sich das Bild des historischen
Stadtkerns grundlegend. Der Häuserkranz rund um die Petrikirche
versank im Bombenhagel. „In
der Nacht zum 23. Juni 1943“,
so schreibt Andreas ten Brink: „ging
die 600-jährige Hausgeschichte (der Mausefalle zwischen Bogenstraße
und Kirchplatz) zu Ende.“
Anders,
als die 1958 wieder eingeweihte Petrikirche und der 2006 wieder
aufgestellte Jobs-Brunnen an der Petrikirche, wurde die Häuser am
Fuße der Petrikirche nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder
aufgebaut. Bei Kriegsende lagen 800.000 Kubikmeter Trümmerschutt auf
Mülheims Straßen und 44 Prozent der Wohnbebauung auf dem
Kirchenhügel war zerstört.
Zu
den Häusern, die nach 1945 an der nur etwa 25 Meter langen
Bogenstraße nicht wieder aufgebaut wurden, gehörten neben der
Mausefalle an der Bogenstraße 1 auch das Nachbarhaus an der
Bogenstraße 2. In diesem Nachbarhaus war bis 1943 die Gaststätte
„Zum Ührchen“ ansässig. In seinem Untergeschoss befand sich
zeitweise ein Ladenlokal, in dem Hüte und Schirme an den Mann und
die Frau gebracht wurden. Ihren Namen verdankte die Gaststätte den
vielen Uhren, die an ihren Wänden und Balken hingen. So wie es heute
eine neue Mausefalle an der Bogenstraße 8 gibt, zu der auch das
angrenzende Gebäude an der Teinerstraße 2 gehört, setzt eine
gleichnamige Gaststätte an der Teinerstraße 26 die Tradition des
alten „Ührchens“ fort. Während die alte Gaststätte Zum Ührchen
sowohl von der Bogenstraße 2, als auch vom Kirchplatz 2 aus
zugänglich war, ließ sich die alte Mausefalle an der Bogenstraße 1
nur über einen schmalen Durchgang zwischen Bogenstraße und
Kirchplatz erreichen, da hinter der Mausefalle früher die Häuser
Kirchplatz 3 und 4 gestanden hatten.
Zu
den benachbarten und nach Kriegsende nicht wieder aufgebauten Häusern
gehörte auch das Haus an der Bogenstraße 10/Ecke Kettwiger Straße.
In diesem Haus wohnten bis 1846 Gerhard Tersteegens 1735 verstorbene
Bruder Johann, seine Frau Christina Dümptermann, zeitweise auch
Gerhard Tersteegen selbst, und später die Nachfahren seines Bruders
und seiner Schwägerin. Bis 1757 war hier auch die Engel-Apotheke der
Familie Kortum ansässig. 1846 wurde das Haus von den Brüdern
Heckhoff gekauft. Sie betrieben dort eine Bäckerei.
Anders,
als die Häuser an der Bogenstraße 1,2 und 10 überstanden nicht nur
die Häuser der heutigen Mausefalle an der Bogenstraße 8 und an der
Teinerstraße 2, sondern auch das dort anschließende Tersteegenhaus
die Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges. Das Tersteegenhaus, in dem
der Dichter, Prediger und Menschenfreund Gerhard Tersteegen von 1743
bis zu seinem Tod 1769 lebte und wirkte, war ursprünglich Teil des
Muhrenhofes der Grafen von Limburg-Styrum. Doch Mitte des 17.
Jahrhunderts verpfändeten die Grafen ihren Besitz auf dem
Kirchenhügel an die Familie von Eicken. Hermann Koch, Schwiegersohn
der von Eickens, erweitere den Muhrenhof 1674 um ein großes Haus,
das allerdings 1965 abgerissen werden sollte. Dagegen fand das von
den von Eickens 1647/48 neu erbaute Tersteegenhaus, das zu Gerhard
Tersteegens Lebzeiten, dem Ehemann seiner Nichte, Hermann von Eicken,
gehörte, nach seiner Wiederherstellung im Jahr 1949 als Heimatmuseum
ab 1950 eine neue Bestimmung. Bereits 15 Jahre zuvor hatte ein
Nachfahre der Tersteegens, Hermann Müschenborn, das Haus an die
Stadt Mülheim verkauft. Als neue Eigentümerin restaurierte die
Stadt das Tersteegenhaus 1938, ehe sie nach dem Krieg den Architekten
Bernhard Kersting mit dem Wiederaufbau des im oberen Stockwerk und am
Südgiebel beschädigten Hauses beauftragte.
Dennoch
war der Zeitgeist der 50er und 60er Jahre mehr vom Neuaufbau moderner
Bausubstanz, als vom Wiederaufbau historischer Bausubstanz geprägt.
Dass das Geburtshaus des Jobsiade-Dichters und Arztes Carl Arnold
Kortum an der Kettwiger Straße 1957 abgerissen und Anfang der 60er
Jahre durch einen modernen Neubau des CVJMs ersetzt wurde, war nur
ein Beispiel dafür. Erst in den späten 70er und in den 80er Jahren
drehte sich dieser Zeitgeist. Jetzt besann man sich bei Wettbewerben,
Ideenwerkstätten, Planungen und Ausschreibungen wieder der
Konsolidierung und Rettung vorhandener Baudenkmäler. So titelte die
Mülheimer WAZ vom 4. Februar 1984: „WAZ-Leser
wünschen sich die alte Bebauung zurück“ und
stellte fest: „Ein
großes Echo hat die Redaktion mit ihrer Frage gefunden, wie sie
darüber denken, rund um die Petrikirche die historische Bebauung
wiederherzustellen. Die Zustimmung zu einem solchen Projekt ist fast
einmütig.“ Stellvertretend
für viele Leser schrieb damals der Broicher Günter Fraßunke:
„Das
wäre ein sinnvoller Schritt, der 40 Jahre nach der Zerstörung der
Mülheimer Innenstadt längst hätte getan werden sollen, Dass andere
Bereiche der Innenstadt – Schloßstraße, Leineweberstraße,
Hans-Böckler-Platz, City Nord – bei der Nachkriegsplanung
vorrangig waren und der Kirchenhügel ins stadtplanerische Abseits
geriet, hat aber auch sein Gutes. Die Chancen sind nicht vertan, hier
planvoll und ohne die Hektik der Wirtschaftswunderjahre etwas
Vernünftiges zu schaffen.“
Auch
wenn der Häuserkranz rund um die Petrikirche nicht wieder
auferstand, zeigte die weitere Entwicklung mit Restaurierungen,
Instandsetzungen, Vereinsgründungen, Initiativen und Projekten zur
Aufwertung der Altstadt, dass die Mülheimer den Wert ihres
historischen Stadtkerns neu entdeckt haben und ihn bis heute zu
schätzen wissen. Insofern ist das neue Petrikirchenhaus an der
Bogenstraße ein weiterer Baustein, der die Identifikation der alten
und neuen Mülheimer mit ihrer Stadt stärken kann.
Dieser Text erschien am 28. Februar 2016 in der Festschrift zur Eröffnung des Petrikirchenhauses
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