Sonntag, 17. April 2016

Begleiterin in schwerer Zeit: Die NRZ erscheint seit 70 Jahren

Auch Stadtarchiv-Nutzer Martin Müller
schaut regelmäßig in die alten Ausgaben der
Mülheimer NRZ
„Es war der Tag, an dem man endlich wieder sagen und schreiben konnte, was wahr ist“, hat Elfriede Rosorius einmal in einem Gespräch mit der NRZ gesagt. Sie meinte damit den Tag, an dem zum ersten Mal in Mülheim eine Lokalausgabe der NRZ erschien, der 13. Juli 1946. Die 2013 verstorbene Elfriede Rosorius war die Tochter des ersten Mülheimer Redaktionsleiters, Otto Striebeck. Sie lief vor 70 Jahren von Haus zu Haus, um die ersten Abonnenten für die Neue Ruhr Zeitung zu werben.

Das Abonnement kostete damals 1,50 Reichsmark pro Monat. Aufgrund des akuten Papiermangels erschien die von der britischen Militärregierung als SPD-nahe Tagezeitung lizenzierte NRZ, nur mittwochs und samstags. Die erste Lokalausgabe war mit einer Zeitungsseite sehr überschaubar.

Striebeck und seine freien Mitarbeiter berichteten in der ersten Lokalausgabe zum Beispiel über ein Rettungsschwimm- und Boxtraining, das 45 Polizeibeamte am Entenfang absolviert hatten. Außerdem liest man in der ersten Mülheimer NRZ-Ausgabe über die Lebensmittelhilfe, die das Schwedische Rote Kreuz in Mülheim leistet.

Bei einer Dankveranstaltung im Hotel Handelshof sagt der damalige Oberbürgermeister Wilhelm Diederichs mit Blick auf die schwedischen Helfer: „Ihr unermüdlicher und mit großen Opfern verbundener Einsatz hat zur Verständigung und zu neuem Vertrauen zwischen den europäischen Nationen geführt und er hat viele Freunde unter uns gewonnen. Er hat manchen Familien ein großes Glück beschert und geholfen, eine Hungerkatastrophe von uns fernzuhalten.“

Auch andere Berichte zeigen, wie stark der Mülheimer Alltag 1946 von den Kriegsfolgen geprägt wird. So liest man zum Beispiel von einer Gehschule für beinamputierte Kriegsversehrte, die in der katholischen Volksschule an der Eduardstraße (der heutigen Martin-von-Tours-Schule) von der städtischen Kriegsbeschädigten-Fürsorge angeboten wird. Ihr Ziel: Die Kriegsversehrten sollen möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess integriert werden.

Dass der große Luftangriff, der weite Teile Mülheims am 22. und 23. Juni 1943 in Schutt und Asche gelegt hat, erst drei Jahre und das Ende des NS-Regimes erst gut ein Jahr zurückliegen, zeigt ein Bericht über den Mangel an unzerstörten Schulräumen und politisch unbelasteten Lehrern. Deshalb müssen sich damals 70 Mülheimer Schüler eine Lehrkraft teilen.

Otto Striebeck (1894-1972) war der erste Mülheimer Redaktionsleiter der NRZ in Mülheim. Der gelernte Bergmann war aktiver Gewerkschafter und Sozialdemokrat. Ab 1929 arbeitete er als Redakteur für eine sozialdemokratische Zeitung in Moers. Nach der Machtübernahme Hitlers konnte er zwischen 1933 und 1945 seinen Beruf nicht mehr ausüben und wurde von den Nazis immer wieder verfolgt und verhaftet. Nach dem Kriegsende 1945 wurde er als Vorsitzender der Mülheimer SPD von der britischen Militärregierung in den Bürgerausschuss und in die anschließende Stadtvertretung berufen. Ab 13. Juli 1946 leitete er die NRZ in Mülheim und arbeitet als Ratsmitglied am Wiederaufbau der Stadt mit. 1949 wurde er als Kandidat der SPD in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. Bei der Bundestagswahl 1953 verlor er sein Mandat an die Christdemokratin Gisela Prätorius. 1958 konnte Striebeck allerdings über die Landesliste seiner Partei erneut in den Bundestag einziehen, dem er bis 1965 angehören sollte.

Dieser Text erschien am 5. April 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung

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