Samstag, 14. Dezember 2019

Der schöne Schein

Als tägliche Zeitungsleserin ist Mutter des sooft bitteren Ernstes der Nachrichtenlage überdrüssig. Dann blättert sie um und wird bei den bunten Meldungen auf der Globus-Seite der NRZ fündig. Jetzt kreuzte sie mir in unserer Zeitung eine anschaulich illustrierte und geschriebene Meldung über einen „Mann zum Mieten“ an. Held der kleinen Geschichte am Seitenrand war ein offensichtlich gut gebauter Stripper, der die betagten Damen eines ostenglischen Altenheims begeisterte und ihr Kopfkino in Gang setzte. Mutters Kommentar: „So einen Mann könnte ich auch gebrauchen, aber nur wenn er im Haushalt mithilft und den Müll runterbringt.“ Ein Frauentraum! Aber von letzterem war in der Meldung nicht die Rede. Doch wer weiß. Zuzutrauen wäre es unseren britischen Nachbarn, die ja gerne, siehe Brexit und Boris, manchmal auf die irrwitzigsten Ideen kommen, deren Sinn sich uns nüchternen Kontinentaleuropäern nicht immer gleich erschließt. Leider sorgt nicht jeder Mann, der sich in Szene zu setzen weiß für den Lustgewinn eines ehrlich und hart arbeitenden Strippers. So mancher Polit-Protz profiliert sich .nicht nur in Downing Street und Westminster auf Kosten seiner Mitbürger, die am Ende die Zeche für seine Show zahlen müssen, weil sie dem schönen Schein erlegen sind. Denn so mancher scheinbar glänzende Vorturner steht am Ende wie in Hans-Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neuen Kleider“ nackt da. Und wenn es so weit ist, stimuliert das beim zahlenden Publikum keine Glücks,- sondern Stresshormone frei.


Dieser Text erschien am 14. Dezember 2019 in der NRZ

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