Montag, 23. Dezember 2019

Mehr Ökumene wagen

Weihnachten verbindet Christen über alle Konfessionen hinweg als das Fest der Geburt Jesu, das im christlichen Glauben für den Beginn der Frohen Botschaft von einem neuen heilsgeschichtlichen Bund zwischen Gott und den Menschen steht. Stadtdechant Michael Janßen und Superintendent Gerald Hillebrand äußern sich am Vorabend des christlichen Hochfestes über die Perspektiven für die Ökumene in Mülheim.

Warum haben die beiden christlichen Stadtkirchen am 2. Dezember erstmals zum Ökumenischen Neujahrsempfang in den Altenhof eingeladen?

Hillebrand: Weil der Advent, mit dem das neue Kirchenjahr beginnt, uns als Festzeit des kommenden Gottes uns als evangelische und katholische Christen in gleichweise betrifft und bewegt. Deshalb machte ein ökumenischer Neujahrsempfang auch Sinn.

Janßen: Und er ist als ein starkes Zeichen der Ökumene in der Öffentlichkeit auch wahrgenommen und begrüßt worden. Ein solcher Empfang und die Tatsache, dass eine Oberkirchenrätin und ein Generalvikar eine Dialog-Predigt halten, wäre vor 60 Jahren noch undenkbar gewesen.

Wo und wie wird Ökumene in Mülheim gelebt?

Hillebrand: Ich denke da zum Beispiel an die ökumenischen Schulgottesdienste und an die Vereinbarung über ökumenisch-konfessionell-kooperativen Religionsunterricht an Schulen, an denen es keine ausreichend großen katholischen und evangelischen Schülergruppen für einen konfessionellen Religionsunterricht gibt. Auf dem Kirchenhügel und am Steigerweg werden ökumenische Kirchenfeste gefeiert. Links der Ruhr gibt es eine ökumenische Trauerbegleitung und die Tradition eines ökumenischen Gottesdienstes am 4. Advent und am Pfingstmontag. Viele Kirchenchöre sind heute ökumenisch zusammengesetzt und in der vom evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr organisierten Notfallseelsorge engagieren sich seit 2014 katholische und evangelische Gemeindemitglieder als ehrenamtliche Mitarbeiter. Die Telefonseelsorge ist ebenso ökumenisch organisiert wie die Gottesdienste für Demenzkranke und ihre Angehörigen auf dem Kirchenhügel.

Janßen: Mir gefällt besonders gut der ökumenische Beginn der Osternacht auf dem Kirchenhügel. Dort gibt es auch ein ökumenisches Familienzentrum. Auch in der Krankenhausseelsorge wird eine gute ökumenische Zusammenarbeit gepflegt. Wir haben ein ökumenisches Friedensgebet, ein gemeinsames Pogromgedenken und viele ökumenische Gesprächsgruppen uns Bibelkreise.

Aber wir haben immer noch eine katholische und eine evangelische Ladenkirche.

Janßen: Das hat aber keine theologischen, sondern rein praktische und finanzielle Gründe. Grundsätzlich wäre auch eine ökumenische Ladenkirche für mich denkbar.

Hillebrand: Während die katholische Ladenkirche am Kohlenkamp rein mit ehrenamtlichen Mitarbeitern organisiert wird, arbeiten wir in unserer Ladenkirche, die auch Kircheneintrittsstelle ist, zusätzlich auch mit hauptamtlich Mitarbeitenden.

Was ist in Sachen Ökumene mit Blick in die Zukunft denk- und machbar?

Hillebrand: Eine gemeinsame Nutzung von Kirchen und Gemeindezentren ist denkbar. Hier betreten wir aber noch Neuland und die Entscheidung liegt in jedem Fall bei den Gemeinden, die Eigentümer der Gebäude sind.

Janßen: Der Altenberger Dom ist ein Beispiel, dass Kirchen auch ökumenisch genutzt werden können. Wenn der demografische Wandel und die Säkularisierung unserer Gesellschaft die Zahl der Christen weiter schrumpfen lassen sollte, könnten wir mit einer ökumenischen „Haus- und Wohngemeinschaft“ dafür sorgen, dass in jedem Stadtteil zumindest eine christliche Kirche verbleibt, die dann auch nicht nur als Gottesdienstraum, sondern auch als Gemeindezentrum gemeinsam genutzt werden kann. Ich will auch künftig in jedem Stadtteil einen Kirchturm sehen.

Werden wir in absehbarer Zeit so etwas wie gemeinsame ökumenische christliche Kirche erleben?

Hillebrand: Ich bin jetzt 63. Ich werde das nicht mehr erleben. Da müsste sich schon ganz viel ganz schnell tun. Aber wir können weitere Fortschritte in Richtung Ökumene machen. Ich denke dabei an eine gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft der christlichen Konfessionen beim Abendmahl und bei der Kommunion. Wir müssen unsere unterschiedlichen Traditionen nicht zwingend aufgeben, wenn wir sie unter einem gemeinsamen Dach und auf der Basis gleichberechtigter Akzeptanz leben.

Janßen: Auch wenn es nach wie vor konfessionelle Unterschiede im Kirchenverständnis gibt, kann genau das funktionieren, wenn wir dem Leitbild einer christlichen Einheit in Vielfalt und einer christlichen Vielfalt in der Einheit folgen, die von einer versöhnten Verschiedenheit ausgeht.

Warum braucht auch eine zunehmend multikulturelle, pluralistische und säkularisierte Stadtgesellschaft christliche Stadtkirchen und deren ökumenische Zusammenarbeit?

Hillebrand: Weil wir als Kirchen christliche Werte wie Nächstenliebe, Solidarität, Menschenwürde und Gerechtigkeit vertreten, die unsere Gesellschaft prägen, auch wenn nicht alle ihre Mitglieder Christen sind. Als christliche Kirchen müssen wir auch jenen eine Stimme geben, die in unserer Gesellschaft am Rand stehen, und deshalb oft nicht gehört werden. Und auch heute schätzen viele Eltern Kindertagesstätten, in denen noch christliche Feste gefeiert werden, ohne dass sie dabei nach der Konfession fragen.

Janßen: Gerade in einer zunehmend säkularen und multikulturellen Stadtgesellschaft werden wir als christliche Kirchen nur noch gemeinsam gehört. Und das erwarten die Menschen auch von uns, dass wir im Geiste der Frohen Botschaft, die aktueller denn je ist, Stellung gegen Rassismus, Antisemitismus, Ausgrenzung, Ausbeutung und Diskriminierung beziehen. Auch heute suchen Menschen nach einem Sinn in ihrem Leben. Und da kann die christliche Botschaft wichtige Antworten geben, weshalb sich christliche Schulen auch in Zeiten von Kirchenaustritten großer Beliebtheit erfreuen. 

Hintergrund:

Mitte des 16. Jahrhunderts wurde St. Peter auf dem Kirchenhügel zur reformierten Petrikirche. Bis dahin hatte es nur eine christlich-katholische Konfession gegeben. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts kehrte mit den Jesuiten katholisches Leben auf den Kirchenhügel zurück. 1786 wurde dort die erste Marienkirche errichtet, der 1872 und 1929 zwei weitere, jeweils größere Marienkirchen folgten. Bis dahin blieben allein das Kloster Saarn und das Schloss Styrum katholische Enklaven im protestantischen Mülheim. Allerdings kritisierte schon der 1769 in Mülheim gestorbene pietistische Mystiker, Dichter und Menschenfreund Gerhard Tersteegen den amtskirchlichen Konfessionalismus seiner Zeit als Widerspruch Frohen Botschaft Jesu Christi. Erst durch die Industrialisierung und die mit ihr verbundene Zuwanderung von Arbeitskräften wuchs der katholische Bevölkerungsanteil der Stadt. In den 1920er Jahren waren bereits ein Drittel der Mülheimer katholisch. In den 1970er Jahren waren etwa gleich viele, jeweils gut 60.000 Mülheimer, katholisch und evangelisch. 1973 erreichte Mülheim mit 193.000 Einwohnern seinen höchsten Bevölkerungsstand. Heute leben etwa 172.000 Menschen in der Stadt. Der evangelischen und katholischen Stadtkirche gehören inzwischen jeweils weniger als 50.000 Mülheimer an. Kirchenaustritte und Überalterung lassen die Zahl der christlichen Kirchenmitglieder und damit auch die Finanzkraft der Stadtkirchen tendenziell weiter schrumpfen, auch wenn die aktuelle vergleichsweise gute Beschäftigungslage die Kirchensteuern auf einem immer noch hohen Niveau hält, müssen sich die beiden christlichen Stadtkirchen auf massive Finanzkraftverluste einstellen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente gehen. Beide Stadtkirchen versuchen sich bereits seit einigen Jahren mit Gemeindefusionen, kostensparende Strukturreformen und mit der Aufgabe oder Umwidmung von Kirchengebäuden auf die absehbare Entwicklung einzustellen.

Dieser Text erschien am 22.12.2019 in NRZ & WAZ

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