Mittwoch, 16. Oktober 2019

Was bringt das Bundesteilhabegesetz?

Weil am 1. Januar 2020 die dritte Stufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft tritt, haben Cordula Driessen und ihre Mitarbeitenden im Sozialamt derzeit viel zu tun. Denn sie müssen rund 500 personenbezogene Datensätze in die Datenbank des Sozialamtes einpflegen. Weitere Datensätze könnten noch dazu kommen. Es sind Daten von Menschen, die aufgrund einer Behinderung in einer beschützenden Einrichtung wie der Theodor-Fliedner-Stiftung, im Haus der Lebenshilfe, im Josefshaus der Caritas, im Haus Regenbogen am Worringer Reitweg, im Seppl-Kuschka-Haus und im Fritz-Driskes-Haus der Arbeiterwohlfahrt leben. , laut Sozialamt, derzeit insgesamt rund 440 Menschen.
Die Daten kommen vom Landschaftsverband Rheinland, der mithilfe der Umlage seiner Mitgliedsstädte unter anderem die stationäre Pflege von Menschen mit Behinderung finanziert. Es sind zum größten Teil Menschen, die ihre Rechtsgeschäfte nicht selbstständig ausführen können und deshalb durch gesetzliche Betreuer erledigen lassen müssen.
Gesetzliche Vertreter sind in der Regel Angehörige von Menschen mit Behinderung. Es können aber auch gesetzliche Betreuer sein, die die Rechtsgeschäfte der betroffenen Personen mit Handicap hauptamtlich ausführen und dafür vom Amtsgericht bestellt werden. Alte Eltern, die sich vom bürokratischen Aufwand der gesetzlichen Betreuung ihrer behinderten Kinder entlasten möchten, können diese Aufgabe an einen jüngeren Familienangehörigen oder auf einen hauptamtlichen Betreuer übertragen. Weniger zeitaufwendig als die Bestellung eines neuen gesetzlichen Betreuers ist es, sich die Betreuungsaufgaben mit einem beim Amtsgericht einzutragenden stellvertretenden gesetzlichen Betreuer, der zum Beispiel aus der eigenen Familie kommen kann, zu teilen.
Die Größenordnung von etwa 500 personenbezogenen Datensätzen, die derzeit beim Mülheimer Sozialamt verarbeitet werden müssen, zeigt, dass es auch gesetzlich betreute Menschen mit einer Behinderung gibt, die in einer beschützenden Einrichtung außerhalb Mülheims leben und arbeiten. Das gilt insbesondere für ältere Menschen mit Behinderung, die zu einem Zeitpunkt ihr betreutes Berufs- und Wohnleben begannen, als es in Mülheim die entsprechenden Einrichtungen bis in die 1980er und 1990er Jahre hinein, noch nicht gab.
„Bei der Eingliederungshilfe, also den Kosten, die entstehen, weil Menschen mit Behinderung in beschützenden Werkstätten und Wohngruppen betreut und angeleitet werden müssen und weil sie auch in ihrer Freizeit auf Alltagsassistenz angewiesen sind, ändert sich nichts. Diese Kosten werden weiterhin vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) getragen. Doch infolge der 2008 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention und dem daraus resultierenden vom Bundestag 2016 beschlossenen Bundesteilhabegesetz (BTHG), müssen Menschen mit Behinderung und ihre gesetzlichen Betreuer, wie alle anderen Menschen, die nicht in der Lage sind ihren Lebensunterhalt aus ihrem eigenen Einkommen zu decken, jetzt bei den Sozialämtern einen Antrag auf Grundsicherung stellen“, erklärt Cordula Driessen als zuständige Abteilungsleiterin des Mülheimer Sozialamtes die rechtliche Ausgangslage.
Konkret bedeutet das für Menschen mit Behinderung und ihre gesetzlichen Betreuer, dass sie jetzt kurzfristig ein eigenes Girokonto einrichten müssen, das bisher automatisch von den Trägern der stationären Einrichtungen geführt wurde. Außerdem erhalten die Betroffenen vom Landschaftsverband Rheinland die Unterlagen für einen Kurzantrag auf Grundsicherung, den sie an die zuständige Abteilung 50-4 des Mülheimer Sozialamtes  an der Ruhrstraße 1 senden müssen.
„Diesem Antrag sollten die Kopien des Personalausweises und des Schwerbehindertenausweises, der Bestallungsurkunde des gesetzlichen Betreuers  sowie ein Beleg über die neue Bankverbindung des Eigengeldkontos und ein Einkommens- und Vermögensnachweis beiliegen“, unterstreicht Cordula Driessen.
Ausdrücklich weist die zuständige Abteilungsleiterin des Sozialamtes darauf hin, dass alle betreuten Personen, die aufgrund ihres in der Regel sehr geringen Einkommens schon seit Jahrzehnten Sozialhilfe beziehen, die bisher direkt an den Landschaftsverband überwiesen wurde, mit keinem Vermögenseinsatz rechnen müssen, wenn ihr Vermögen die Grenze von 5000 Euro nicht überschreitet. „Hier reicht uns der Kurzantrag auf Grundsicherung“, betont Driessen.
Im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung können die Betreuten und ihre Betreuer auch Wohngeld beantragen. Der entsprechende Antrag muss an das Mülheimer Wohngeldamt gerichtet werden. Wohnt aber eine betreute Person aus Mülheim in einer beschützenden Einrichtung außerhalb Mülheims, muss der Antrag bei den dortigen Wohngeldämtern eingereicht werden. Denn anders als bei der Grundsicherung, ist beim Wohngeld nicht die Behörde des ursprünglichen, sondern des aktuellen Wohnortes zuständig.
Hintergrund:
Bei der Antragstellung werden betreute Personen und ihre gesetzlichen Betreuer von den Mitarbeitern der Einrichtungen unterstützt, mit denen im Zuge der gesetzlichen Neuregelung jetzt auch Mietverträge abgeschlossen werden. Diese Mietverträge und auch Bescheinigungen über die Teilnahme an einem Werkstattessen, dessen Kosten im Falle eines Anspruchs auf Grundsicherung wie alle Unterkunfts- und Verpflegungskosten der stationären Wohn- und Arbeitsstätten vom Sozialamt bezahlt werden, können, wenn sie den Betroffenen jetzt noch nicht vorliegen, problemlos an die zuständige Sozialamtsabteilung 50-4 nachgereicht werden. Ab sofort werden mit Anke Castor (0208/455-5065), Susanne Ruhnke (0208-455-5082), Kyra Sontacki (0208/455-5087) und Teamleiterin Marion Perkuhn (0208-455-5037) im Mülheimer Sozialamt an der Ruhrstraße 1 eigens dafür erfahrene Mitarbeitende der Stadt Menschen mit Behinderung und ihre gesetzlichen Betreuer zu existenzsicherende Leistungen beraten. Außerdem wird ein Mitarbeiter des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) im Sozialamt an der Ruhrstraße 1 als Teilhabeberater ansässig sein, um Betreute und gesetzliche Betreuer in allen Frage zu beraten, die sich jenseits der Grundsicherung, auf Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe durch Alltagsassistenzleistungen beziehen.



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