Seine alte Schule lässt ihn nicht los. Obwohl Hartmut aus dem Siepen (Foto) seit vier Jahren den Vorruhestand genießt, verbringt der 64-Jährige fast jeden Tag an der Otto-Pankok-Schule. Hier hat er bis zu seiner Pensionierung Sport und Erdkunde unterrichtet. Doch das ist Vergangenheit. Seine Gegenwart ist die Arbeit mit der Vergangenheit seiner Schule, die er von 1955 bis 1965 auch aus der Perspektive des Schülers und später, 1968, auch als Lehramtsanwärter kennen gelernt hat.
Aus dem Siepen kümmert sich zusammen mit seinem Kollegen Bernd Simmerok nicht nur um die Geschichte seiner Schule. Er ist selbst ein Stück ihrer Geschichte. Gerade erst hat er in ungezählten Stunden die handschriftlichen Jahresberichte der 1852 gegründeten Schule abgetippt und so in einer gedruckten und leicht lesbaren Form für die Nachwelt erhalten. "Ich möchte nicht, dass das alles verloren geht", erklärt er sein ehrenamtliches Engagement. Dabei hat er vor allem den alten Lehrer Kurt Unbehau vor Augen, der das Schularchiv in den 50er Jahren aufgebaut hat und es auch noch nach seiner Pensionierung liebevoll und akribisch betreute, als er bereits von den Folgen eines Schlaganfalls gezeichnet war.
Schon die Eingangstür zum Schularchiv macht den Wandel der Zeit deutlich. Dort sind die verschiedenen Namen aufgeführt, unter denen die heutige Otto-Pankok-Schule seit ihrer Gründung firmiert hat: Höhere Bürgerschule, Städtische Realschule, Städtisches Realgymnasium, Königliches Gymnasium, Staatliches Gymnasium, Staatliche Langemarck-Schule (während der NS-Zeit), dann wieder Staatliches Gymnasium und seit 1975 Otto-Pankok-Schule. Obwohl auch der Namensgeber hier vor dem Ersten Weltkrieg sein Abitur bestand, ist der 1893 in Saarn geborene Maler und Grafiker doch so berühmt, dass sein Abiturzeugnis nicht im Schul,- sondern im Stadtarchiv liegt.
Der älteste Ordner in aus dem Siepens Reich stammt aus Pankoks Abiturzeit, anno 1911. Der Fundus, den aus dem Siepen und Simmerok von ihrem Vorgänger Unbehau übernommen und durch die gezielte Sammlung diverser Druckerzeugnisse aufgestockt haben, lässt Regale und Schränke fast aus allen Nähten platzen. Alte Klassenfotos und bei Sportfesten errungene Trophäen finden sich da ebenso, wie alte Klassenbücher, Abiturzeugnisse und Aufsätze oder zum Beispiel das Manuskript einer Rede, die der damalige Schulleiter Adolf Stamm anno 1919, also ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der deutschen Monarchie zum Geburtstag des Ex-Kaisers Wilhelm II am 27. Januar vor der Schülerschaft hielt.
Wenn sich der pensionierte Lehrer aus dem Siepen an seine eigene Schulzeit erinnert und in alte Klassenbücher schaut weiß er, dass auch frühere Schülergenerationen ihre disziplinarischen Probleme hatten. "Damals war oft von Saufen und Rauchen oder unerledigten Hausaufgaben die Rede", erinnert sich aus dem Siepen an die 60er Jahre. "Doch damals wussten die Schüler, dass sie eine Regel missachtet hatten und mit Konsequenzen rechnen mussten. Das wissen manche Schüler heute nicht mehr und es ist erheblich schwerer, sie zu disziplinieren." Wo früher auch schon mal eine Ohrfeige fällig war, müssen heute Worte ausreichen, die auch schon mal verletzen können, um die Ordnung im Klassenzimmer wiederherzustellen.
Ein Stück Schulgeschichte, die er als Schüler im Oktober 1959 selbst miterlebt hat, holt aus dem Siepen in Form von angegilbten Zeitungaauschnitten aus seinen prall gefüllten Archivordnern. Vom Besuch des Theologen, Musikwissenschaftlers, Urwaldarztes und Friedensnobelpreisträgers Albert Schweitzer ist da die Rede. In seiner Ansprache, die Schweitzer damals vor der versammelten Schulgemeinde des Staatlichen Gymnasiums hielt, würdigte Schweitzer vor dem Hintergrund der jüngsten deutschen Geschichte den Wert des humanistischen Bildungsideals und appellierte an die Schüler, im Sinne dieses Ideals zu "Kulturmenschen" zu werden: "und in unserer Zeit die Kultur wieder zur Geltung zu bringen." Der prominente Gast, der damals in Mülheim seinen Freund, den Industriellen Hugo Stinnes junior besuchte, zeigte sich zuversichtlich: "dass Europa seine Bestimmung in der Welt erfüllen wird, wenn es eine Kultur auf dem alten Fundament aufbaut und weiter baut und größer baut, eine Kultur, die etwas für die Welt bedeutet. Denn ohne ein Kulturideal, dass die Menschen und Völker in die Zucht und in die Führung nehmen wird, gehen wir in der Irre in die Geschichte ein und man weiß nicht, was aus uns werden soll."
Schweitzer, der sein Tropenhospital in Lambaréné unter anderem mit Orgelkonzerten und Vortragsreisen finanzierte, schaute sich damals auch die neue Schulorgel mit 1102 Pfeifen, 18 Registern und zwei Manualen an. "Das entsprach wohl dem christlich-humanistischen Ideal", mutmaßt die stellvertretende Schulleiterin Ursula Welker über die Motive, die das Land NRW, Industrielle sowie Eltern und ehemalige Schüler 1959 zur Finanzierung einer Schulorgel motivierte, die die Lokalpresse damals als "wertvolles Schmuckstück" , als "Konzertorgel von kammermusikalischem Charakter" und als "Tönenden Schmuck der Aula" würdigte. 50 Jahre danach ertönt die Schulorgel nicht mehr, führt hinter dem Bühnenvorhang des Schulforums ein Schattendasein, weil ihre Reparatur heute zu teuer wäre. Geblieben ist die Erinnerung an den Besuch Albert Schweitzers, die mit einer Fotoecke im Schulfoyer bis heute wachgehalten wird.
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