Donnerstag, 16. Juli 2009

Rückblick auf den Besuch eines Europäers


Vor wenigen Tagen endete die Amtszeit von Hans-Gert Pöttering. Aus diesem Anlass veröffentliche hier noch einmal ein Interview, dass ich mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments bei seinem Mülheim-Besuch am 2. März 2009 führen konnte. Damals war der in der Sparkasse am Berliner Platz Gastredner einer euuuuupapolitschen Veranstaltung des Mülheimer Kolpingwerkes. Vorab enige Informionen Zur Person vn Hans-Gert Pöttering:
Er war seit 2007 Präsident des Europäischen Parlaments. Zuvor führte der 63-jährige Christdemokrat aus Niedersachsen von 1999 bis 2007 die christdemokratische Fraktion der Europäischen Volkspartei. Dem Europäischen Parlament gehört der studierte Jurist, Politikwissenschaftler und Historiker bereits seit dessen erster Direktwahl 1979 an. Pöttering ist Vater von zwei Söhnen. Sein politisches Engagement wurde nicht zuletzt vor dem persönlichen Hintergrund geprägt, dass sein eigener Vater in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges als Soldat fiel.



Was haben wir als Bürger eigentlich von der Europäischen Union?

Vor allem, dass wir in Frieden und in Freiheit leben können. Das ist nicht selbstverständlich. Wenn wir heute Konflikte innerhalb der Europäischen Union haben, tragen wir sie als Partner aus. Das ist keineswegs selbstverständlich. Das haben mir meine jüngsten Besuche im Gaza-Streifen oder bei einer weißrussischen Exil-Universität gezeigt. Dort bekam ich immer wieder zu hören: Wir möchten auch so leben, wie ihr.


Hat die EU für den größten Netto-Zahler Deutschland auch wirtschaftliche Vorteile?

Auf jeden Fall. Als exportorientiertes Land profitieren wir gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise von der gemeinsamen europäischen Währung und dem europäischen Binnenmarkt, die am ehesten dazu beitragen, dass niemand in der EU der Gefahr des nationalen Protektionismus erliegt. Gäbe es Euro und Binnenmarkt nicht, wären wir jetzt in erheblich stärkeren Turbulenzen.


Ist der Fortschritt in der Europäischen Union eine Schnecke?

Ja, mir geht es auch manchmal zu langsam voran. Aber in den 30 Jahren meiner Zugehörigkeit zum Europäischen Parlament habe ich gelernt, dass man hier Leidenschaft mit Geduld miteinander verbinden muss und nicht immer gleich mit dem Kopf durch die Wand gehen sollte, wenn man etwas erreichen möchte. Außerdem erinnere ich daran: Wer hätte etwa vor 30 Jahren darauf zu hoffen gewagt, dass der Europäischen Union heute auch Länder des ehemaligen kommunistischen Ostblocks angehören?

Warum brauchen wir den Lissabon-Vertrag?

Weil es ohne diesen neuen Grundlagenvertrag keine effektiven Strukturen für die Zusammenarbeit in einer größer gewordenen EU geben kann, geschweige denn eine Grundlage für weitere EU-Beitritte. Ich erinnere daran, dass im Lissabonvertrag, wie im Grundgesetz, die Grund- und Menschenrechte festgeschrieben worden sind. Auch wenn wir für einen Gottesbezug, wie es ihn in der Präambel unserer Verfassung gibt, auf europäischer Ebene keine Mehrheit finden konnten, zeigt das, dass sich die Grundwerte unseres christlichen Menschenbildes doch durchgesetzt haben. Auch die kommunale Selbstverwaltung oder ein nationales Klagerrecht im Rahmen der europäischen Gesetzgebung werden in diesem Vertrag ebenso festgeschrieben, wie die Möglichkeit eines Volksbegehrens.


Ist die EU mit derzeit 27 Mitgliedsstaaten nicht an ihre Grenzen gelangt?

Mit Blick auf die aktuellen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stelle ich fest, dass sich im Europäischen Parlament eine Mehrheit für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei abzeichnen würde, sollte das Land die umfassenden Beitritts- und Anpassungsbedingungen erfüllen. Ich selbst glaube aber, dass die EU mit einem Beitritt der Türkei derzeit politisch, wirtschaftlich und kulturell überfordert wäre. Das bedeutet aber nicht, dass man der Türkei die Tür vor der Nase zuschlagen muss. Es muss auch andere Formen einer Zusammenarbeit, als eine Vollmitgliedschaft, geben können, zum Beispiel eine privilegierte Partnerschaft der Türkei.

Sehen Sie auch Aufgaben außerhalb ihrer Grenzen?

Natürlich muss sich die EU weltweit dort stark machen, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Ich denke da zum Beispiel an die bedrängten Christen im Sudan, auf Kuba oder in Saudi-Arabien. Ich habe aber auch im Oman selbst erleben dürfen, wie tolerant man auch in einem islamischen Land mit einer christlichen Minderheit umgehen kann. Generell muss gelten: Toleranz ist keine Einbahnstraße.


Warum sollten wir am 7. Juni zur Europa-Wahl gehen, wenn das Europäische Parlament am Ende doch nur bedingt bestimmen kann, wohin die EU steuert?

Viele Menschen glauben immer noch, das Europäische Parlament sei politisch machtlos. Dieser Irrglaube ist in der Vergangenheit begründet. Als ich 1979 mit gerade mal 29 Jahren erstmals ins Europäische Parlament einzog, gab es den Slogan: "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa." Damals hatten wir tatsächlich keine eigene Gesetzgebungskompetenz. Doch heute beschließen und bestimmen wir in 75 Prozent aller Gesetzgebungsbereiche gleichberechtigt mit dem Europäischen Rat und der Kommission. Das gilt für das Umweltrecht ebenso, wie für den Bereich Dienstleistung. Nur in den Bereichen innere Sicherheit und Agrarpolitik haben wir als Parlament noch Nachohholdarf.

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