Noch zwei Monate bis zur Bundestagswahl. Die IG Metall hat von April bis Juni 451 000 Bürger, die zum größten Teil in der Metallbranche beschäftigt sind, dazu befragt, was sie sozial- und wirtschaftspolitisch vom nächsten Bundestag erwarten. An der bisher größten Umfrage einer deutschen Gewerkschaft, die Anfang Juli vorgestellt wurde, beteiligten sich allein in Mülheim 3122 Menschen. Mit einer Zustimmungsquote von jeweils deutlich über 70 und 80 Prozent wurden dabei folgende Forderungen an die Politik formuliert:
Rücknahme der Rente mit 67 Jahren, Einführung von Mindestlöhnen, Faire Regeln für Leiharbeit, Eine neue Rentenversicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen, Verbesserung der Kinderbetreuung, Mehr Personal und bessere Ausstattung für Kindergärten, Schulen und Hochschulen, Unternehmen sollen für die qualifizierte Ausbildung in die Pflicht genommen werden, Stärkung der Betriebsräte und der Arbeitnehmerrechte
Die IG-Metall wird ihre durch die Befragung untermauerten Forderungen allen Mitgliedern des Bundestages zusenden. Ich fragte bei den drei Mülheimer Bundestagsabgeordneten nach: Wie bewerten Sie diese Forderungen inhaltlich? Welches Gewicht hat diese Umfrage für Sie und werden Sie darauf reagieren?
Sozialdemokrat Anton Schaaf weist darauf hin, dass sich die Forderungen der Metaller-Umfrage bereits im Wahlprogramm der SPD wiederfinden. Die Rente ab 67 habe die SPD zwar mitgetragen, aber auch mit einem Überprüfungsvorbehalt versehen, der 2010 greifen werde. Als "Gewerkschafter mit Leib und Seele" sieht Verdi-Mitglied Schaaf, der vor seinem Einzug in den Bundestag Betriebsratschef der MEG war, als SPD-Abgeordneter die Forderungen der IG-Metall-Umfrage als "einen wichtigen Wahlprüfstein." Mit der Forderung nach einem Mindestlohn läuft die IG Metall bei Schaaf offene Türen ein. Ob er eingeführt werden kann, ist für ihn eine Frage der politischen Mehrheiten. Auch bei der fairen Entlohnung von Leiharbeitern muss der Bund, so Schaaf, "in der nächsten Wahlperiode als Gesetzgeber Maßstäbe setzen."
Ebenso, wie Schaaf, nehmen seine Kollegen Andreas Schmidt (CDU) und Ulrike Flach (FDP) die Metaller-Umfrage als Wahlprüfstein ernst und zeigen sich gesprächsbereit. "Hinter diese Umfrage stehen über 400 000 Leistungsträger", betont Schmidt.
Flach verweist dagegen auf ähnliche Umfragen von Unternehmerverbänden, die zu anderen Aussagen kommen. "Ich vertrete als Abgeordnete alle Deutschen und muss deshalb die verschiedenen Wahlprüfsteine vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Interessen gegeneinander abwägen", sagt Flach. Wie Schmidt lehnt sie einen gesetzlichen Mindestlohn ab. Dieser werde vor allem Kleinverdiener und Geringqualifizierte treffen und tausende von Arbeitsplätzen vernichten. Das will Schaaf mit Blick auf das wachsende Lohndumping in Deutschland und den funktionierenden Mindestlohnregelungen in Großbritannien und Frankreich nicht gelten lassen.
Statt für Mindestlohn plädieren Schmidt und Flach für Kombilohn und Bürgergeld, die das Einkommen von Geringverdienern aufstocken. "Das ist auf jeden Fall besser, als Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe", ist Schmidt überzeugt. Bei der Anhebung der unteren Lohngruppen sieht er die Gewerkschaften als Tarifpartner gefordert.
Ebenso wie die Mehrheit der von der IG Metall Befragten sehen Mülheims MdBs einen Nachholbedarf bei Investionen in Bildung, Ausbildung und bessere Kinderbetreuung. Schaaf verweist auf die milliardenschweren Finanzspritzen, die der Bund in der rot-grünen Regierungszeit den Ländern für die Betreuung der Unter-Drei-Jährigen und den Aufbau einer Ganztagsschulbetreuung gegeben habe. In NRW sieht er einen viel zu schleppenden Ausbau der Betreuungsangebote für Unter-Dreijährige. "Wir sind Schlusslicht in Europa", bedauert Schmidt mit Blick auf die Kinderbetreuung und wünscht sich vor allem mehr Betriebskindergärten. Ob Deutschland künftig genug Fachkräfte haben wird, hängt für den CDU-Abgeordneten vor allem davon ab, ob Unternehmen mehr als bisher in Ausbildung junger Leute und in Kinderbetreuung investieren, um damit die Familiengründung wieder zu erleichtern. Mehr Geld für Bildung und Forschung, mehr Tagesmütter und gebührenfreie Kindergärten wären für die Ulrike Flach gut angelegte Zukunftsinvestionen. Doch als Haushaltspolitikerin warnt sie auch vor einer Überschuldung und sagt: "Wir müssen genau überlegen, was wir uns leisten können."
Nicht nur bei den Themen Kinderbetreuung und Ausbildung glaubt Schmidt, dass die Gesetzgebung allein nicht zum Erfolg führen kann. "Nicht nur im Wahlkampf muss man den Dialog suchen, ohne dem anderen nach dem Mund zu reden, und Überzeugungsarbeit leisten", betont Andreas Schmidt Skeptisch sieht er allerdings die in der IG-Metall-Umfrage angemahnte Reform der Rentenversicherung: "Wenn mehr Menschen einzahlen, haben auch mehr Menschen Leistungsansprüche. Das könnte ein Nullsummenspiel werden. Neben der gesetzlichen Rente wird private Vorsorge immer wichtiger werden," glaubt er.
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