Brian ist ganz ehrlich. Wenn er jetzt zu Hause wäre, würde er bestimmt kein Buch lesen, sondern lieber mit seiner Playstation spielen. Doch der Drittklässler ist nicht zu Hause, sondern in der Volkshochschule. Dort nehmen er und 15 seiner Jahrgangskollegen von der Erich-Kästner-Grundschule in den ersten beiden Ferienwochen an einem Sprachcamp teil, das vom städtischen Kulturbetrieb organisiert und von der Leonhard-Stinnes-Stiftung finanziert wird.
Sprachcamp. Das ist das, wonach es sich anhört: Ein bisschen Arbeit, ein bisschen Spaß und ein bisschen Abenteuer. Morgens wird gelernt und nachmittags Theater gespielt. "Wir lesen gemeinsam und mit verteilten Rollen den Roman Die Schatzinsel. Und damit lässt sich ganz nebenbei auch etwas über Nomen, Verben und Rechtschreibung lernen", berichtet die Sprachlehrerin Sibylle Wellfonder. Was ist der Unterschied zwischen dem Lernen in der Schule und im Sprachcamp?
"Die Gruppe wird vormittags von zwei bis drei Pädagogen betreut", erklärt Wellfonder den Hauptunterschied zum frontalen Schulunterricht, bei dem es Lehrer in der Regel als Einzelkämpfer mit einer Klasse von 30 Schülern zu tun haben. "Schulen sind mit ihrem Fächerraster natürlich ganz anders getaktet. Hier lernen Schüler in einem bewertungsfreien Raum und arbeiten an einem gemeinsamen Projekt", unterstreicht Kulturbetriebsleiter Dirk Schneider den pädagogischen Mehrwert, des nach einem Bremer Vorbild entwickelten Mülheimer Sprachcamps. "Die Lehrer bestätigen uns, dass die Schüler, wie verwandelt aus den Ferien zurückkommen und hier in Sachen Sprach- und Sozialkomptenz mehr gelernt haben, als sonst in einem ganzen Schuljahr", beschreibt er die Resonanz auf die bisher drei Sprachcamps, die jeweils in den längeren Schulferien mit einer überschaubaren Gruppe aus einer Schule über die Bühne gegangen sind.
Über die Bühne gehen ist durchaus wörtlich zu nehmen. Denn das gemeinsame Projekt, bei dem die Kinder spielerisch lernen, nicht nur mit der Sprache, sondern auch mit ihren Klassenkameraden achtsam umzugehen, ist ein von der gemeinsamen Schatzinsel-Lektüre inspiriertes Theaterstück, das am 18. Juli im Forum der Volkshochschule aufgeführt wurde und darüber hinaus auch einige Schulaufführungen erleben soll. Und so probieren die Mädchen und Jungen zum Beispiel mit den Theaterpädagogen Nina Leyendecker und Frieder Saar aus, wie sich ein Pirat in einer Kneipe bewegt, wie ein Einsiedler spricht und fühlt, der seit 50 Jahren keinen Menschen gesehen hat, wie man die "Waffen einer Frau" (in Form einer Teigrolle) benutzt und einen Schwertkampf in Zeitlupe ausficht, ohne sich zu verletzen. Das ist für die Kinder alles ganz vergnüglich.
Dabei erstaunt aber, dass 16 Grundschulkinder nach fast acht gemeinsam verbrachten Stunden an einem sonnigen Sommernachmittag ausgesprochen ruhig und konzentriert ein selbst entwickeltes Theaterstück einstudieren. "Das war nicht von Anfang an so. Daran mussten wir erst arbeiten. Aber nach drei Tagen war die Gruppe gut eingespielt", lässt Pädagogin Nina Zirnstein den Entwicklungsprozess der Gruppe Revue passieren.
Mit Schneider und Wellfonder ist sie sich einig, dass die Drittklässler hier vor allem deshalb so große Fortschritte machen und an Selbstbewusstsein gewinnen, weil sie hier in einer kleinen Gruppe mit mehr Pädagogen individueller gefördert werden können als im Schulbetrieb. Den sähe der Kulturbetriebsleiter gerne finanziell und personell besser ausgestattet, um die kulturelle Bildungs- und Basisarbeiten leisten zu können, die notwendig ist, damit die Kinder von heute auch als Erwachsene von morgen sich noch etwas zu sagen haben.
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