Dienstag, 14. Juli 2009

Schön, wenn man es hat, das Abitur - Drei Generationen sprechen über den Wert der Reifeprüfung



Der Mensch fängt nicht beim Abiturienten an. Doch wer es geschaffft hat, wie Christin Porte (18), ihre Mutter Dagmar (45) und deren Vater Klaus Möllmathe (74) freut sich. Wie fühlt es sich an, wenn man das Abitur in der Tasche hat und was ist das Abiturzeugnis wert? Ich sprach mit drei Abi-Generationen einer Mülheimer Familie.
Was für ein Gefühl hatten Sie, als Sie Ihr Abiturzeugnis un Händen hielten? Auf diese Frage antworten Dagmar Porte (Abitur-Jahrgang 1983) und ihre Tochter, frischgebackene Abiturienten des Karl-Ziegler-Schuljahrgangs 2009 spontan und wortgleich: "Endlich frei, nie wieder Schule." Klaus Möllmathe, der 1955 sein "Zeugnis der Reife" erhielt, erinnert sich anders. Der pensionierte Studiendirektor lässt keinen Zwifel daran, dass er gerne zur Schule ging. Das tat er 13 Jahre bis zu seinem Abitur an der Otto-Pankok-Schule, die damals noch Staatliches Gymnasium hieß, und später noch einmal 47 Jahre lang als Lehrer am Oberhausener Heinrich-Heine-Gymnasium. Dort traf er einige seiner ehemaligen Lehrer als Kollegen wieder: "Ich habe sie weiter gesiezt und sie haben mich weiter gedutzt", erzählt Möllmathe. Die Nähe zur Schule wurde ihm in die Wiege gelegt. Sein Vater war Volksschullehrer und Rektor. Klaus wuchs in den Heißener Dienstwohnungen seines Vaters am Humboldtring und am Priesters Hof auf. Als er dann 1955 sein Abiturzeugnis, das die Unterschrift des Oberstudiendirektors und Kunstvereinsgründers Heinrich Monzel trägt, ausgehändigt bekam, war das für ihn "kein weltbewegendes Ereignis." Die Gefühlslage des Abiturienten mit dem Berufswunsch Sportlehrer war nach seiner Erinnerung: "Schön, dass man es hat."
Sein Berufswunsch sollte sich nach einem Studium erfüllen, was ihn bis heute mit Genugtuung und Stolz erfüllt. Er unterrichtete nicht nur Sport, sondern auch Deutsch und Latein, obwohl er in letzterem Fach nur ein "ausreichend" auf dem Abiturzeugnis stehen hatte. Der Lehrermangel machte es möglich und nötig, ebenso wie seine Dienstzeitverlängerung über die Pensionsgrenze hinaus. Möllmathe möchte im Rückblick kein Schuljahr missen. "Wir wurden damals händeringend gebraucht und konnten uns die Schule aussuchen", schwärmt Möllmathe über die Berufsaussichten in den 50er und frühen 60er Jahren.
Seine Tochter Dagmar hatte nach ihrem Abitur 1983 keine Lust mehr auf Schulzeitverlängerung, sondern "das gute Gefühl, dass ich mit dem Abitur die Grundlage dafür geschaffen zu haben, theoretisch alles machen zu können, was ich wollte." Theoretisch Ja. Praktisch Nein. Denn der Nummerus Clausus verhinderte den Beginn eines Medizinstudiums. "Ich wollte Chirurgin werden", erzählt Porte. Doch die Trauer um den verwehrten Studienplatz hielt bei der Abiturientin nicht lange an: "Denn damals konnte man als Abiturientin noch jeden Ausbildungsplatz bekommen, den man haben wollte." Dagmar Porte wollte auf jeden Fall eine medizinische Berufsausbildung und lernte als Arzthelferin, ehe sie später als Verwaltungsfachansgestellte ins St. Marien-Hospital wechselte, wo sie heute im Bereich der Ambulanten Krankenpflege und Betreuung tätig ist. Ob solcher Erinnerungen ihres Großvaters und ihrer Mutter kann Christin Porte nur staunen. Sie kennt Jahrgangskollegen, die auch nach der 100. Bewerbung noch keine Ausbildungsstelle gefunden haben, die ihren Wünschen und Neigungen entspräche, und sich deshalb für die Warteschleife eines Studiums entschieden haben. Christin, die Hotelfachfrau werden möchte, hatte mehr Glück und fand nach der fünften Bewerbung einen Ausbildungsplatz im Seeparkhotel Geldern. "Das ist ein Vier-Sterne-Hotel", betont sie und lässt keinen Zweifel an ihren ehrgeizigen Ambitionen. "Mit dem Abitur in der Tasche, hat man die Chance, auch höhere
Positionen zu erreichen und nicht nur als Servicekraft zu arbeiten", ist sie überzeugt. "Ich habe mir keinen Stress gemacht. Ein guter Notendurchschnitt war mir nicht so wichtig wie die Tatsache, dass ich am Ende das Abitur habe", erinnert sich Christin an die Abiturphase. Mit ihrem Großvater ist sie sich einig, dass das Zentralabitur, bei dem sich die Schüler nur bedingt auf die extern gestellten Prüfungsanforderungen vorbereiten können, nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.
Zentralabitur, Leistungs- und Grundkurse. Davon war noch keine Rede, als Klaus Möllmathe sein Abitur baute. Er wurde bis zum Schluss seiner Schullaufbahn im Klassenverband und in allen Fächern unterrichtet. "Natürlich hatten wir damals auch keine Fächer wie etwa Informatik", beschreibt Möllmathe das gewandelte Anforderungsprofil für Abiturienten. "Wir haben damals immer von der deformierten statt von der differenzierten Oberstufe gesprochen", erinnert sich Dagmar Porte an ihren Weg zum Abitur, der damals schon vom Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei der Wahl der Leistungskurskombinationen geprägt war. Wie ihre Mutter, musste auch Christin Porte auf dem Weg zum Abi die Erfahrung machen, dass der Lehrer- oder Schülermangel nicht alle Leistungskurswünsche wahr werden ließ.
Mehr Allgemeinbildung
Dagmar Porte und ihr Vater sind sich darin einig, dass zu ihren Abiturzeiten noch mehr Wert auf Allgemeinbildung und weniger Wert auf Spezialwissen gelegt wurde. "In einigen Leistungskursen werden ja heute halbe Professoren herangezogen und Wissen vermittelt, das eigentlich an die Universität gehört", scherzt Möllmathe. Und seine Tochter glaubt, dass man den Wert des Abiturs nur dann wieder steigern kann, wenn mehr Wert auf Allgemeinbildung und zentrale Fächer wie etwa Deutsch oder Mathematik gelegt wird, die bis zum Schluss in jeden Abiturkanon gehörten und nicht abgewählt werden dürften.
Ganz erstaunt war Dagmar Porte darüber, als sie jetzt davon las, dass an der Universität Hannover eine Männerquote eingeführt worden sei. "Zu unseren Zeiten hat man nur über Frauenquoten gesprochen", erinnert sie sich an ihren Abiturjahrgang und findet, dass die jungen Abiturientinnen heute oft viel selbstbewusster sind als die Abiturienten. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen ihrer Tochter Christin. Die drei Besten ihres Jahrgangs waren Frauen. Als Ursache für diesen Trend sieht sie vor allem die weibliche Sprachkompetenz und eine andere Einstellung zum Lernen. "Viele Jungs denken lieber an Party und Autos als an die Schule."
Während Christin sich darüber wundert, dass Ohrfeigen vom Lehrer in den Schülerzeiten ihres Großvaters ganz normal waren und nicht zu einer dienstrechtlichen Maßregelung des Pädagogen führten, wäre es ihrem Großvater seinerzeit nie eingefallen, einen noch so vertrauten Lehrer zu dutzen. In Sachen Stil und Umgangsformen hat sich Klaus Möllmathe aber darüber gefreut, dass der gute, alte Abiturball in Anzug und Abendkleid bei den Abiturienten 2009 ganz groß in Mode ist. Die Zeiten, "in denen das Abiturzeugnis auch schon mal ganz formlos beim Hausmeister abgeholt wurde", gehören aus seiner Sicht Gott sei Dank seit mehr als 30 Jahren der Vergangenheit an.

1 Kommentar:

  1. Ein interessanter Rückblick. Gute Arbeit Herr Dr. Emons.

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