Montag, 18. März 2019

Ein altes Haus kann viel erzählen

Foto aus der Sammlung
Buhrkard Otto Richter
Mit einem Foto aus der Sammlung des Mülheimers Burkhard Otto Richter schauen wir heute zurück ins Jahr 1930 und vom 27,5 Meter hohen Bismarckturm aus auf das 1913 errichtete Haus Urge, das seit 1988 unter Denkmalschutz steht. Es war die Lederfabrikantenfamilie Coupienne, die sich die Villa an der Bismarckstraße vom Architekten Franz Hagen als „Unseren Rittergutsersatz“ errichten ließ. Jean Baptiste Coupienne (1877-1922) und seine 1882 auf Haus Blegge in Paffrath bei Bergisch Gladbach geborene Frau Martha Schmidt-Leverkus baten den von ihnen beauftragten Architekten Franz Hagen (1871-1953), sich von der barocken Architektur von Marthas Elternhaus, inspirieren zu lassen. Zum Zeitpunkt der historischen Aufnahme war der 21 Jahre zuvor errichtete Bismarckturm für die Bürger der Stadt geschlossen. Bis 1929 hatten Ausflügler dort die besten Aussichten auf ihre Stadt genossen. Kinder hatten dafür 5- und Erwachsene 10 Pfennige bezahlt. Doch das Geld fehlte jetzt. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die mit dem New Yorker Börsenkrach im Herbst 1929 eingesetzt hatte, erreichten auch Mülheim. Zum Zeitpunkt der historischen Aufnahme war nicht mehr die Familie Coupienne, sondern die mit ihr verwandte Industriellenfamilie Stinnes Herr im Haus Urge. Die neuen Bewohner des Hauses erlebten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wie die die neue Staatspartei ab 1933 den Kahlenberg und den Bismarckturm nutzte, um ihre Ideologie propagandistisch in Szene zu setzen. Neun Jahre nach der historischen begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Im Keller des Hauses Urge wurde ein Bunker eingerichtet. Dort fanden bei Luftangriffen bis zu 3000 Schutzsuchende Platz. 1945 war der Krieg zu Ende. Jetzt zogen die Briten ins Haus Urge und in den nahen Bismarckturm ein. Das Haus wurde zum Militärkasino, der Turm zum Funkerturm. 1958 kehrte Familie Stinnes zurück ins Haus Urge. Dort hieß sie so prominente Zeitgenossen wie den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, Vizekanzler Erich Mende und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer willkommen. Ende der 50er Jahre wollte die Stadt neben dem Haus Urge Wohnraum für ganz viele Bürger schaffen. Das ließ den Bismarckturm wackeln. Doch empörte Bürger sorgten dafür, dass er stehen blieb. Seit 1998 ist der Bismarckturm wieder ein öffentlicher Ort, an dem Kunst entsteht und gezeigt wird sich Besucher auch ein Bild von der Stadt machen können. Dem Künstler Jochen Leyendecker sei Dank. Und wo bis 1971 die Familie Stinnes zu Hause war, wohnten zwischen 1972 und 2003 Gastwissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Kohleforschung, ehe 2004 die Wirtschaftsberater der Zenit GmbH in das Haus an der Bismarckstraße 28 einzogen. Das hätte sicher auch seinen früheren Bewohnern gefallen. 

Dieser Text erschien am 18. März 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

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