Samstag, 31. Juli 2010

Das Senioren-Theater Spätlese bringt seit 20 Jahren reife Schauspielkunst auf die Bühne


Reife Schauspielkunst. Dafür steht das Theater Spätlese. Wie hat sich das Theater der spätberufenen Schauspieler seit seiner Gründung entwickelt? Was und wen will es mit seinen Stücken erreichen? Darüber sprach ich für die NRZ mit dem Theaterleiter Eckhard Friedl (51) und den Ensemblemitgliedern Marlies Lönne (68) und Hans-Joachim Peters (74)


Wie kam es zur Gründung des Theaters?

Friedl: Der Gründungsimpuls ging vom damaligen Kulturamtsleiter Hans Georg Küppers aus, der bei der Leonhard-Stinnes-Stiftung Mittel für Seniorenkultur beantragt hatte. Und dann fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, das Projekt zu starten.


Hatten Sie Erfahrungen in diesem Bereich?

Friedl: Mit Seniorenarbeit hatte ich damals keine Erfahrung. Ich hatte zuvor in Bonn und Oberhausen Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen gemacht.


Gab es für Sie damals eine Hemmschwelle, die es zu überwinden galt?

Friedl: Ich hatte zunächst schon Bedenken. Ausgehend von meinem damaligen Altenbild glaubte ich, dass man mit alten Menschen kaum zu brauchbaren theatralen Ergebnissen kommen kann. Glücklicherweise konnte ich damals an einer Fachtagung über Seniorentheater teilnehmen, die mich eines Besseren belehrt und mir Mut gemacht hat, zu sagen: Okay. Ich probiere es.


Wie hat sich das Ensemble formiert?

Friedl: Ich habe damals in Altentagesstätten, mit Handzetteln und in der Lokalpresse dafür geworben und ältere Leute gesucht, die Lust hatten, auf die Bühne zu gehen. Am 20. September 1990 fand ein erstes Informationstreffen mit 40 Teilnehmern im Kloster Saarn statt. Davon machten 21 weiter mit, mit denen wir in drei Projektgruppen gearbeitet haben. Und im Laufe der Zeit kamen dann immer wieder neue Schauspieler dazu.


Hat das Theater Spätlese seine gesellschaftskritischen Stücke von Anfang an selbst geschrieben?

Friedl: Schon beim ersten Treffen im Kloster Saarn habe ich diese Konzeption vorgestellt. Vom ersten Tag an haben wir uns immer wieder ein Thema gesucht, zu dem wir dann gemeinsam ein Stück entwickeln. Das war so erfolgreich, dass wir, abgesehen von einigen Ausflügen, bei denen wir mal was anderes ausprobiert haben, daran bis heute nichts geändert haben.Frage: Warum ist dieser Ansatz so erfolgreich?Antwort: Friedl: Wenn ich Seniorentheater als eine Form verstehe, in der die Sicht der älteren Generation zum Ausdruck kommen soll, muss man auch eine Form finden, in der sich diese Sicht formuliert. Und das ist bei der gemeinsamen Entwicklung der Stücke natürlich ganz gut gegeben.


Wie sind Sie als Schauspielerin zum Theater Spätlese gekommen?

Lönne: Ich wollte schon nach der Schule eine Schauspielausbildung machen und zum Theater. Doch in unserer Familie lernte man nur etwas „Anständiges“. So war das eben vor 50 Jahren. Doch nachdem ich mit 58 als Industriekauffrau in den Vorruhestand gegangen war und das Theater Spätlese auch schon über die Presse verfolgt hatte, schaute ich mir eine Vorstellung an, nach der man hinter den Kulissen auch mit den Schauspielern ins Gespräch kommen konnte. Bei dieser Gelegenheit sprach mich Eckhard Friedl an: Hätten Sie nicht Lust mitzuspielen? Ich habe noch ein Plätzchen frei. Und so habe ich an meinem ersten Theaterworkshop teilgenommen, ohne genau zu wissen, was auf mich zu kam. Gleich bei meinem ersten Auftritt musste ich einen langen Text sprechen.


Fällt Ihnen das Text lernen schwer?

Lönne: Wenn man längere Texte solo sprechen muss ist das schon erblich schwerer, als wenn man kurze Text zusammen mit anderen spricht. Es gibt viele Unwägbarkeiten. Wenn man eine Szene mit drei oder vier Leuten spielt, ist man ja auch auf das Stichwort angewiesen, um richtig einzusetzen. Und wenn das dann nicht kommt, weiß man oft gar nicht mehr, wie man heißt. Ich habe da aber inzwischen die Theaterweisheit verinnerlicht: Egal, was auf der Bühne passiert. Nur nicht aus der Rolle fallen. Und viele Versprecher werden von den Zuschauern ja gar nicht bemerkt.


Und wie sieht es mit dem Lampenfieber aus?

Lönne: Ich habe auch heute noch vor jeder Aufführung Lampenfieber. Aber man merkt es mir nicht mehr an.


Welche Rolle spielen Sie beim Theater Spätlese, Herr Peters?

Ich spiele eigentlich gar nicht. Ich kam als Seiteneinsteiger zur Spätlese, als Eckhard Friedl jemanden suchte, der die Bühnenscheinwerfer bedient, habe ich einmal zu viel aufgezeigt.


Standen Sie also selbst nie im Rampenlicht?

Peters: Doch einmal hat mich Friedel zu einer kleinen Rolle überredet, bei der ich einen Requisiteur spielte, der auf der Bühne Umbauarbeiten macht und ein Geschenk überreicht.


Warum trauen sich weniger Männer als Frauen auf die Bühne?

Peters: Am Textlernen kann es nicht liegen. Vielleicht sind Frauen freier als Männer, wenn es darum geht, auf der Bühne zu agieren und aus sich herauszugehen. Ich selbst weiß nicht, ob ich ohne die Technik zum Theater Spätlese gekommen wäre. Aber es gibt auch Männer, die schauspielerische Ambitionen haben und aus eigenem Entschluss zum Theater kamen, ohne dafür geworben worden zu sein.


Warum ist das Theater Spätlese zur Erfolgsgeschichte geworden?

Peters: Weil wir die Leute auch zum Nachdenken anregen. Die sitzen hier nicht, um sich berieseln zu lassen. Viele Zuschauer haben ein echtes Interesse daran, was hinter den Stücken steckt, die wir auf die Bühne bringen. Da sind auch welche dabei, die nach dem Stück darüber nachdenken und ihre Eindrücke in ihr persönliches Umfeld hineintragen.

Lönne: Nach unseren Aufführungen geht man nicht einfach nach Hause und sagt: Das war ja schön. Unsere gesellschaftskritischen Stücke bieten zwar keine Lösungen, liefern aber Anstöße, in dem sie Probleme bewusst machen und dafür genug Munition liefern, um darüber zu diskutieren.


Hat das Theater Spätlese das Altenbild in unserer Stadt verändert?

Lönne: Ich erlebe oft, dass jüngere Menschen mit einer völlig falschen Vorstellung in unsere Aufführungen kommen und denken: Da wird Klamauk gemacht. Doch nach der Aufführung sind sie von der Themenviefalt und von der Art unserer Inszenierung überrascht und sagen: Das war ja toll. Das hätte ich nicht gedacht.

Friedl: Das ist genau der Punkt. Wenn die Leute, die vorher sagen ‘Geh du mal ins Seniorentheater. Das wird schon nichts Gescheites sein’, wenn die nachher begeistert sind und mit strahlenden Gesichtern herausgehen, dann tragen die das auch in ihr Umfeld hinein und begegnen Vorurteilen, in dem sie aus ihrer Erfahrung heraus sagen können: Ich war im Seniorentheater und das war echt klasse. Und dann schlagen wir hier die ganz große Welle.


Dieses Gespräch erschien am 28. Juli 2010 in der NRZ

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Trüber November

 Für den Evangelischen Kirchenkreis an der Ruhr und seine sechs Gemeinden ist der November nicht nur klimatisch trübe. Superintendent Michae...