Mittwoch, 14. Juli 2010

Ihr sollt kein katholisches Ghetto sein: Ein Gespräch über 50 Jahre Katholische Akademie Die Wolfsburg


Seit 50 Jahren ist die Katholische Akademie Die Wolfsburg eine wichtige Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft. Dazu passte die prominente Gratulantin. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach im März 2010 im Rahmen einer Feierstunde zum Jubiläum in der Wolfsburg über Solidarität und soziale Sicherheit. Der Akademiedirektor Michael Schlagheck äußert sich in diesem Interview darüber, wie die Wolfsburg entstanden ist, wie sie sich weiterentwickelt hat und was sie heute und morgen leisten kann.


Wie kommt die Katholische Akademie zu ihrem ungewöhnlichen Namen Wolfsburg?
Das bereits 1906 errichtete Gebäude der Akademie war früher ein Hotel mit gleichem Namen, der sich darauf bezog, dass es noch bis ins 19. Jahrhundert in den umliegenden Wäldern Wölfe gab. Als der erste Ruhrbischof Franz Hengsbach nach der Bistumsgründung 1958 Örtlichkeiten für eine katholische Akademie suchte, hat er zunächst das Schloss Broich im Blick, hörte aber dann von dem hiesigen Hotel, das damals verkauft werden sollte. Hengsbach wurde sich mit dem Hotelbesitzer handelseinig und behielt den eingebürgerten Namen einfach bei.


Warum braucht das Ruhrbistum eine katholische Akademie?
Hengsbach wollte hier einen Ort schaffen, an dem vieles aus Kirche, Theologie, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Gewerkschaften zusammengeführt. Er selbst hat den Mitarbeitern der Wolfsburg mit auf den Weg gegeben: "Ihr sollt kein katholisches Ghetto sein." Es ging ihm ganz im Geiste des 1962 begonnenen II. Vatikanischen Konzils um eine Öffnung der katholischen Kirche und eine Spurensuche Gottes in den verschiedenen gesellschaftlichen Wirklichkeiten, deren Vertreter hier miteinander und mit Glauben und Kirche ins Gespräch gebracht werden sollten. Das ist bis heute aktuell.


Wie hat sich der Akademiebetrieb verändert?
Unsere Gesellschaft ist heute deutlich pluraler als früher. Das heißt für uns. Es ist heute schwer sich mit Allgemeinwissen in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen. Heute müssen wir uns ganz gezielt auf bestimmte konzentrieren und Kooperationspartner suchen, mit denen wir dann gemeinsame Projekte entwickeln können. Wurde früher auch schon mal bei einer offenen Akademie über kontroverse Themen, wie etwa das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaften diskutiert, so suchen wir uns heute Kooperationspartner, mit denen wir dann bestimmte Themenbereiche bearbeiten. Dann bieten wir zusammen mit türkischen und islamischen Vereinen eine Tagung zu Migration und Integration an, begleiten in Zusammenarbeit mit Krankenhäuser Ärzte in ihrer medizinethischen Ausbildung oder führen in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) drei sportethische Studientage an, die jeder absolvieren muss, der beim DOSB eine Trainerlizenz erwerben möchte.


Greift die Akademie auch aktuelle und umstrittene Fragen auf?
Auf jeden Fall. Daran können wir nicht vorbeigehen. So haben wir im Juni bei einer Tagung mit Theologen, Psychologen und Medizinern das Thema Pädophilie und sexueller Missbrauch sowohl aus der Täter- wie aus der Opferperspektive beleuchten, um die Ursachen dieses Problems zu verstehen. Auch das Thema Homosexualität wird die Akademie demnächst aufgreifen.
 
Ist die Wolfsburg eine Denkfabrik?
Ich würde das selbst über uns nicht sagen. Aber wenn das andere sagen, freue ich mich darüber. Die katholische Akademie ist ein Ort, an dem weitergedacht wird. Wir sind nah an den Themen der Zeit und wollen die Wirkung von Glauben diskutieren und auch den Mut aufbringen, Dinge infrage zu stellen und wenn nötig aus dem Glauben heraus auch ungleichzeitig und sperrig zu sein.

Welche Rolle spielen Sie im Rahem der Kulturhauptstadt Ruhr 2010?
Als katholische Akademie haben wir die Federführung für alle kirchlichen Aktivitäten im Rahmen von Ruhr 2010 übernommen. Wir haben kulturelle Initiativen entwickelt und zusammengeführt. Wir laden zum Beispiel zu Tagungen, Ausstellungen, Konzerten und Lesungen ein. Zusammen mit der Essener Philharmonie und der Folkwanguniversität beleuchten wir mit einer Tagung und Konzerten die Entdeckung und Entwicklung der Mehrstimmigkeit. Außerdem laden wir im Herbst zu einem Symposium über die Umnutzung von nicht mehr gebrauchten Kirchen ein, eine Frage, die im Bistum Essen bereits beantwortet werden muss und für andere Bistümer auch noch aktuell werden dürfte.


Wie wird der Akademiebetrieb finanziert?
Ein Drittel unserer Mittel kommen aus dem Haushalt des Bistums. Fünf Prozent unseres Budgets wird mit Landeszuschüssen im Rahmen des Weiterbildungsgesetztes finanziert. Und den Rest müssen wir durch Tagungsbeiträge oder durch eine Projektfinanzierung bestreiten, die sich zum Beispiel aus der Kooperation mit Stiftungen, Unternehmen und Verbänden ergibt. Darüber hinaus gibt es einen Förderverein, der die Arbeit finanziell unterstützt.


Können Sie Zahlen nennen?
Das möchte ich nicht tun. Aber in einer Zeit knapper werdender kirchlicher Mittel ist klar, dass man wirtschaftlicher als früher denken und eigene Mittel erbringen muss.

Hat die Katholische Akademie angesichts dieser strukturellen Veränderungen, die praktisch eine nicht nur finanzielle Verschlechterung der Rahmenbedingungen mit sich bringen werden Zukunft?
Ich habe die Gewissheit, dass die katholische Akademie eine gute Perspektive hat, weil die Aufgabe, Kirche und Gesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen, nicht überholt ist. Sie wird in einer radikal pluralen Gesellschaft , die nach gemeinsamen Werten und Grundsätzen suchen muss, wenn sie nicht auseinanderfliegen will, immer wichtiger. Das zeigt auch die Diskussion über die ethischen Konsequenzen, die aus der Finanzkrise zu ziehen sind, wenn diese sich nicht wiederholen soll.

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