Im Angesicht der Loveparade-Katastrophe in Duisburg befragte ich für die NRZ den zuständigen Ordnungsdezernenten Frank Steinfort zum Mülheimer Sicherheits- und Krisenmanagement bei Großveranstaltungen und Katastrophen.
Wer sitzt mit am Tisch, wenn ein Sicherheits- oder Krisenbewältigungskonzept erarbeitet werden muss?
Bei Großveranstaltungen, wie dem Rosenmontagszug oder dem Reggae-Festival zeichnet der Führungsstab der Feuwehr für das Sicherheitskonzept verantwortlich. Geleitet wird dieser Führungsstab vom Feuerwehrchef Burkhard Klein oder seinem Stellvertreter Sven Werner. Neben der Feuerwehr sitzen dann auch andere Mülheimer Hilfsorganisationen, wie etwa die Johanniter Unfallhilfe, das Rote Kreuz, der Malteser Hilfsdienst oder das Technische Hilfswerk, die Polizei und das Ordnungsamt mit am Tisch.
Wie geht man mit möglichen Sicherheitsbedenken um?
Für alles, was sich im öffentlichen Raum abspielt, ist grundsätzlich das Ordnungsamt zuständig. Es muss nach Ortsbegehungen mit allen Beteiligten und in enger Abstimmung mit der Feuerwehr entscheiden, wo zum Beispiel welche Zufahrten für Feuerwehr und Rettungsdienste freizuhalten oder welche Absperrmaßnahmen vorzunehmen sind. Im Vorfeld des Reggae-Festivals gab es auch Einwände von einigen Einwohnern, die sich aber vor allem auf die Lärmbelastung bezogen. Grundsätzlich muss das Ordnungsamt zwischen den Belangen der Anwohner, der Veranstalter und dem öffentlichen Interesse an einer Veranstaltung abwägen. Macht es zum Beispiel Sinn, ein ganzes Wohnviertel abzusperren, um den Zufluss von Fremdparkern zu verhindern? Klar ist. Falschparker, die in Zufahrten für Feuerwehr und Rettungsdienste stehen, werden sofort abgeschleppt.
Musste in Mülheim auch schon mal ein Krisenstab gebildet werden?
Bei einer Großveranstaltung war das bisher noch nicht der Fall, aber bei der Vogelgrippe 2006, beim Orkan Kyrill im Januar 2007 und bei der Schweinegrippe 2009. Es geht bei der Bildung eines Krisenstabes ja nicht so sehr um die Zahl von Veranstaltungsteilnehmern, sondern um das zu erwartende Gefährdungspotenzial. Das wäre vielleicht bei einer großen Demonstration von Neo-Nazis gegeben, aber nicht beim Rosenmontagszug mit seinen bis zu 100 000 Besuchern. Dieses Risiko war aber sowohl bei den Verwüstungen durch Kyrill oder bei der Vogel- und Schweinegrippe gegeben, als wir fürchten mussten, dass der Erreger vom Tier auf den Menschen überspringt.
Wer gehört dem Krisenstab an?
Der Krisenstab wird von mir in meiner Funktion als Ordnungs- und Sicherheitsdezernent geleitet, damit die Oberbürgermeisterin im Krisenfall den Rücken frei hat, um Presseerklärungen abzugeben oder sich vor Ort ein Bild zu machen. Neben Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt, sitzen dann auch alle Fachbereiche mit am Tisch, die je nach Bedarf, involviert sind, zum Beispiel das Gesundheitsamt oder andere Dienste. Eine Schlüsselrolle spielt der ärztliche Leiter Rettungsdienst. Das ist für Mülheim der Arzt Thomas Franke, der jeweils zur Hälfte bei der Stadt beziehungsweise der Feuerwehr und beim Evangelischen Krankenhaus arbeitet. Mit am Tisch sitzt aber auch der für die Information der Öffentlichkeit verantwortliche Pressesprecher der Stadt.
Wie arbeitet der Krisenstab im Ernstfall?
Der Krisenstab tagt in der Hauptfeuerwache, zurzeit noch unter beengten Verhältnissen an der Aktienstraße und demnächst in der neuen Feuerwache an der Duisburger Straße. Im Ernstfall bilden Mitarbeiter der Feuerwehr ein Sekretariat für den Krisenstab, in dem die Lageberichte von Polizei und Rettungsdiensten eingehen und sofort beurteilt und in Entscheidungen umgesetzt werden können. Im Fall von Kyrill standen wir zum Beispiel vor der Frage, woher bekommen wir zusätzliche Motorsägen, um umgestürzte Bäume zu beseitigen. Im Fall von Vogelgrippe und Schweinepest mussten wir etwa die Frage beantworten, wie viel Impfstoff wir brauchen, wer zuerst geimpft werden sollte und wie die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden könnte, wenn die Geschäfte wegen einer Epidemie geschlossen werden müssten. Bei einem massenhaften Anfall von Verletzten tritt ein Notfallplan in Kraft, der zurzeit überarbeitet wird. Die Rettungsdienste werden über eine Mobilfunkkette alarmiert. Der ärztliche Leiter Rettungsdienst muss sich vor Ort ein Bild machen, um zu entscheiden, wo ein Behandlungsplatz für Verletzte eingerichtet werden kann und wer wo mit welcher Priorität behandelt werden muss. Mit unseren eigenen Kräften vor Ort können wir bis zu 50 Verletzte versorgen. Käme es zu mehr Verletzten, müssen wir auswärtige Hilfe anfordern.
Wer hat im Ernstfall das letzte Wort und die Verantwortung?
Das bin ich in meiner Funktion als Leiter des Krisenstabs. Deshalb werden auch alle Entscheidungen des Krisenstabs protokolliert, damit sie im Falle einer Untersuchung nachzuvollziehen sind. Das bedeutet im Ernstfall, dass ich auch zum Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen werden könnte. Deshalb würde ich auch nie gegen einen begründeten Rat der Fachleute von Feuerwehr oder Polizei entscheiden. Dafür sind die Leute dort zu gut ausgebildet.
Kann man sich auf ein solches Krisenmanagement vorbereiten?
Wir haben alle zwei bis drei Jahre eine Übung des Krisenstabes, in der wir Krisenszenarien nachstellen. Einmal haben wir zum Beispiel den Absturz eines großen Passagierflugzeuges in der Stadtmitte simuliert. Da ging es ganz schön zur Sache.
Macht Sie diese Verantwortung für den Ernstfall manchmal schlaflos?
Nein. Dafür bin ich ausgebildet. Man muss damit umgehen können. Das ist eine Typfrage. Und ich weiß: Jeder kann immer nur sein Bestes tun.
Machen die Duisburger Ereignisse Sie nachdenklicher und skeptischer, wenn es darum geht, Großveranstaltungen nach Mülheim zu holen?
Ja. Sicher. Absolut.
Zur Person: Stadtdirektor Frank Steinfort (52) ist seit elf Jahren als Dezernent im Verwaltungsvorstand für die Bereiche Recht, Sicherheit, Ordnung, Personal und Organisation verantwortlich. Vor seiner Zeit in Mülheim war der gebürtige Duisburger zehn Jahre lang als Referent für die Bereiche kommunales Verfassungsrecht, Bauordnungs- und Planungsrecht beim Deutschen Städtetag in Köln tätig. Nach dem Abitur hatte Steinfort zunächst eine Banklehre bei der Dresdner Bank absolviert und anschließend an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert. Zwischen seinem ersten und zweiten Staatsexamen schrieb Steinfort eine Doktorarbeit über die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Veröffentlichungsfreiheit des Wissenschaftlers. Als Assistent an der Juristischen Fakultät Bonn und als Referendar beim Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft Duisburg, bei der Stadtverwaltung Linz am Rhein und in Rechtsanwaltspraxen in Düsseldorf und Köln sammelte der Jurist erste Berufserfahrungen.
Der seit 1986 verheiratete und inzwischen zweifache Familienvater Frank Steinfort ist Mitglied der CDU.
Dieser Text erschien am 27. Juli 2010 in der NRZ
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