Sonntag, 6. Juli 2014

Brot und Spiele: Warum schafft der Fußball, was Politik und Kirche oft nicht gelingt, nämlich die Menschen zusammenzubringen und zu begeistern? Ein Gespräch mit dem Styrumer Pfarrer und Fußballfan Michael Manz


Wer zurzeit durch die Stadt geht, sieht an allen Ecken und Enden Schwarz-Rot-Gold. Die Fußball-Weltmeisterschaft macht es möglich. Warum können sich so viel mehr Menschen mit hoch bezahlten Profifußballern identifizieren als zum Beispiel mit Kirchen und Parteien, die mit ihren Pfarrern und Politikern qua Amt für soziale Identität und gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen sollten? Liegt es nur am Unterhaltungswert? Ein Gespräch mit dem evangelischen Pfarrer und Fußballfan Michael Manz, der seit vielen Jahren und auch bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft zum Public Viewing ins Gemeindehaus einlädt.

Frage: Warum begeistert und vereint die Fußball-WM so viele Menschen aus unterschiedlichen Schichten?

Antwort: Das ist das Prinzip Brot und Spiele. Die Menschen erleben die Fußball-WM als eine befreiende und reinigende Ablenkung vom harten Alltag.

Frage: Wovon geht diese befreiende und reinigende Wirkung aus?

Antwort: Bei einer Fußball-WM kann man vor dem Fernsehen, im Stadion oder beim Public Viewing gemeinsam schreien, lachen, weinen und jubeln, ohne das einen jemand schräg anguckt.

Frage: Warum können hoch bezahlte Fußballer mehr Menschen hinter sich vereinen als Politiker, Pfarrer oder Verbandsfunktionäre?

Antwort: Weil sie als „unsere Jungs“ in einem Stellvertreterkampf für uns alle gewinnen oder verlieren und damit ein großes Gefühl der Verbundenheit schaffen, das Menschen die Siege und Niederlagen der Fußballer als persönlichen Erfolg oder Misserfolg erleben lässt. Als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, waren wir plötzlich Papst und wenn die deutsche Mannschaft das WM-Turnier gewinnt, werden wir Weltmeister sein.

Frage: Liefert die Fußball-WM den Menschen also die Erfolgs- und Gemeinschaftserlebnisse, die sie im Alltag vermissen?

Antwort: Richtig. Wenn ich zum Public Viewing einlade, kommen schon mal 120 Leute. Beim Gottesdienst sind es höchstens die Hälfte. Obwohl Fußballspiele und Gottesdienste viele Gemeinsamkeiten haben. Man singt gemeinsam. Man steht in bestimmten Momenten kollektiv auf oder setzt sich wieder und ein Mann in Schwarz, entweder der Schiedsrichter oder der Pfarrer, leitet das Spiel. Ich stelle beim Public Viewing immer wieder fest, dass man schneller das Eis brechen und mit den Menschen ins Gespräch kommen kann, weil sie fröhlich und gelöst sind und auch Leute, die alleine kommen, tauchen plötzlich ins Wir ein.

Frage: Warum finden die Menschen dieses Wir nicht auch in Kirchen, Parteien und Verbänden?

Antwort: Eine Fußball-WM ist etwas außergewöhnliches. Politik und Kirche sind Alltag. Der Fußball lässt die Menschen Lebensfreude spüren. Da verzeihen sie einem Uli Hoeneß auch schon mal, dass er Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hat, während sie im Zweifel nicht nur aus der katholischen, sondern auch aus der evangelischen Kirche austreten, weil ein Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst Kirchensteuergeld verschwendet hat. Da wird vieles miteinander verrührt. Aber wir machen sicher nicht nur in der Kirche oft den Fehler, nur auf Sachthemen zu setzen und zu wenig die Gefühle anzusprechen. Deshalb lade ich auch zum Public Viewing ins Gemeindehaus der Immanuelkirche ein, um den Leuten zu zeigen, dass Kirche nicht nur eine verkopfte Veranstaltung ist.

Antwort: Aber wir müssen auch in unserem Alltag daran arbeiten, den Menschen mehr Lebensfreude zu vermitteln. Das sollte uns als Kirche mit der Frohen Botschaft eigentlich nicht allzu schwer fallen.

Dieser Text erschien am 2. Juli 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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