Sonntag, 20. Juli 2014

Widerstand; Eine Frage der Haltung - Axel Smend erinnert sich an seinen Vater Günther Smend, der zu den Männern des 20. Juli 1944 gehörte


„Ich habe keine Erinnerung an meinen Vater. Trotzdem hat er meinem Leben Richtung und Kontur gegeben“, sagt der am 9. Mai 1944 geborene Axel Smend. Sein  Vater war der in Mülheim aufgewachsene und zur Schule gegangene Günther Smend, der zu den Männern des 20. Juli gehörte und deshalb am 8. September 1944 in Berlin-Plötzensee gehängt wurde.

„Was ich von meinem Vater gelernt habe, obwohl ich ihn nie kennen gelernt habe, ist, dass man dort, wo man im Leben steht, Verantwortung übernehmen und zu dem stehen muss, was man selbst als richtig erkannt hat“, sagt der heute in Berlin lebende und arbeitende Rechtsanwalt.

Verantwortung hat der Vater von vier Kindern nicht nur privat, sondern auch gesellschaftlich übernommen, in dem er sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Vorstand und im Kuratorium der Stiftung 20. Juli engagiert. „Die Stiftung wurde bereits 1947 unter der Federführung von Fabian von Schlabrendorff gegründet, der als Adjutant des Generalmajors Henning von Tresckows, selbst zu den Männern des 20. Juli gehört hatte. Ziel der Stiftung war es, den Überlebenden und Hinterbliebenen des 20. Juli ein Forum und eine Anlaufstelle zu bieten. Hier und da wurde auch in finanzieller Not geholfen. Heute versuchen wir mit Hilfe einer Wanderausstellung und in Gesprächen mit Schülern im In- und Ausland den deutschen Widerstand gegen Hitler zu thematisieren und so in Erinnerung zu halten. Deshalb werden wir am 20. Juli auf den Spuren des Widerstandes in Berlin auch eine Stadtrallye für Jugendliche veranstalten“, berichtet Smend.

Gerade in seinen zahlreichen Gesprächen mit Schülern erlebt der 70-jährige immer wieder, „dass Jugendliche neben ihren Detailfragen zum Attentat auf Hitler (Warum konnte man ihn nicht einfach erschießen?) auch den Bogen in die Gegenwart schlagen, wenn sie erkennen, dass auch wir heute in unserem Alltag immer wieder gefordert sind, Widerstandskraft, Initiative und Verantwortung zu übernehmen, um jeder Form von Rechtsextremismus, Rassismus, Intoleranz und Ungerechtigkeit rechtzeitig entgegenzutreten.“

Der menschliche Zwiespalt zwischen „mutigem und vorangehenden Engagement und der Tendenz, sich im Ernstfall lieber weg zu ducken“ bleibt für Smend zeitlos aktuell.  Auch wenn es für den Sohn eines 1944 hingerichteten Widerstandskämpfers „eine große Enttäuschung ist“, dass die Mordtaten des nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) so lange unentdeckt und ungesühnt geblieben sind, glaubt er, dass auch sein Vater mit dem heutigen Deutschland zufrieden wäre. „Denn wenn wir heute im internationalen Vergleich nach rechts und links schauen, haben wir doch eine gut funktionierende Demokratie, die mit den Idioten, die immer noch den falschen Idealen des Nationalsozialismus nachlaufen fertig werden kann und fertig werden muss.“

Dass der bewusste und sensible Umgang mit der NS-Vergangenheit und das Lernen aus ihr nicht immer selbstverständlich waren, weiß Axel Smend aus seiner eigenen Biografie. „Während meine Mutter mit meiner 1940 geborenen Schwester Henriette, mit meinem 1941 geborenen Bruder Rolf und mit mir sehr offen über die Geschichte meines Vaters sprach und uns damit half, die Motive seines Handelns zu verstehen und nachzuvollziehen, war der 20. Juli 1944 in meiner Schulzeit kein Thema. Noch in den frühen 50er Jahren gab es Gerichtsurteile, in denen die Männer um Claus Schenck Graf von Stauffenberg als Verräter bezeichnet wurden“, erinnert sich Smend.


Bis heute kann er es kaum fassen, dass die Witwe des bei einem Luftangriff am 3. Februar 1945 getöteten Volksgerichtshof-Präsidenten Roland Freisler vom ersten Tag an eine Witwenrente bekam, während seine Mutter bis zum Ende der 50er Jahre darauf warten musste, eine Witwenrente für sich und eine Halbwaisenrente für ihre Kinder zu bekommen. „Bis dahin bekamen wir nur von der Stiftung 20. Juli finanzielle Unterstützung, so dass uns unsere Mutter mit einer Stelle als Bürokraft durchbringen musste“, erinnert sich Smend. Darüber hinaus wurden seine Geschwister und er bereits 1947 von dem Schweizer Arzt Albrecht von Erlach zu einem für die Halbwaisen der deutschen Widerstandskämpfer organisierten Erholungsurlaub in die Schweiz eingeladen. „Das war für uns, die wir aus dem hungernden Deutschland kamen, wie das Paradies, in dem Milch und Honig flossen“, schwärmt Smend.

In der Rückschau bleibt für ihn der Eindruck, dass sich in Deutschland erst während der 60er Jahre die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Widerstand, den sein Vater und viele andere Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen Hitler entgegengesetzt haben, „dafür gesorgt hat, dass wir Deutschen nach 1945 zumindest ein gewisse moralische Grundlage hatten, auf die wir aufbauen konnten.“ Die neue Sicht auf den Widerstand gegen Hitler im Allgemeinen und auf die Männer des 20. Juli wurde in Smends Augen vor allem durch die Ermittlungen des jüdischen Frankfurter Staatsanwaltes Fritz Bauer im Prozess gegen Otto Ernst Remer (1953) und durch die 68er Bewegung befördert. Remer hatte als Offizier den Aufstand des 20. Juli 1944 niedergeschlagen und nach 1945 als rechtsextremer Politiker den Widerstand gegen Hitler als Verrat verleumdet. Und die rebellierende Jugend fragte ihre Eltern 1968: „Was habt ihr gewusst und was habt ihr getan?“


Für sich selbst hat Smend im Rückblick auf das Leben und Sterben seines Vaters die Einsicht mitgenommen, „dass ich mit meinen Alltagsproblemen relativ souverän umgehen kann, weil sie sich angesichts der der existenziellen Nöte und Ängste, die mein Vater zwischen seiner Verhaftung und seiner Hinrichtung durchleben musste, doch sehr stark relativieren.


Günther Smend  wurde am 29. November 1912 in Trier geboren und kam mit seiner Familie 1924 nach Mülheim. Hier lebte er mit seinen Eltern und seinen jüngeren Geschwistern Rolf und Hella im Haus Luisenthal 11, wo seit 2007 ein „Stolperstein“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig an den Mann aus dem militärischen Widerstand erinnert. Während seiner Schulzeit am heutigen Otto-Pankok-Gymnasium, wo er 1932 das Abitur bestand, war Smend als Ruderer und Läufer sehr erfolgreich und errang 1930 die Stadtmeisterschaft im 5000-Meter-Lauf. Nach dem Abitur verließ er Mülheim in Richtung Detmold, um wie sein Vater Julius, in einem Infanterieregiment Offizier zu werden. Als Offiziersanwärter lernte er während seiner Zeit in Detmold auch seine spätere Frau Renate von Cossel (1916-2005) kennen. Das Paar heiratete im März 1939. Nach Kriegsbeginn kämpfte Smend unter anderem in Frankreich und Russland, ehe er 1943 zum Besuch der Kriegsakademie nach Berlin abkommandiert und im April 1943 zum Generalstab des Heeres befördert wurde. Ab Juli 1943 arbeitete er dort als Adjutant für den Generalstabschef des Heeres, Kurt Zeitzler. Da Zeitzlers kritische Haltung zu Hitlers Kriegsführung bekannt war, wurde Smend  von Oberst Claus Schenck Graf von Stauffenberg gebeten, Zeitzler zur Teilnahme am Staatsstreich gegen Hitler zu bewegen. Der Versuch scheiterte und machte Smend in den Augen der Nazis zum Mitwisser des gescheiterten Attentates. Am 1. August 1944 verhaftet, wurde er am 30. August 1944 vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt und am 8. September 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt. Seine Frau und ihre drei Kinder, die damals in Lüneburg lebten, mussten ihre Wohnung verlassen und in eine kleinere Wohnung umziehen. Alle Briefe und Hinterlassenschaften ihres Mannes wurden ihr abgenommen. Elf Jahre später besuchte Axel Smend mit seiner Mutter zum ersten Mal den Ort, an dem sein Vater von den Nazis ermordet worden war. 2007 nahm er mit seinen Geschwistern und seiner Tante Hella im Luisenthal an der Verlegung des Stolpersteines teil, der dort bis heute an seinen Vater erinnert.
 
Dieser Text erschien am 19. Juli 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung   

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