Samstag, 7. Juni 2014

Der Wind hat sich gedreht: Hoffnungen und Sorgen am Mülheimer Siemens-Standort: Ein Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden Pietro Bazzoli

Gefragt nach der zukünftigen Entwicklung des Siemens-Standortes Mülheim hat auch Betriebsratschef Pietro Bazzoli derzeit mehr Fragen als Antworten. Die Siemens-Betriebsräte und die IG-Metall haben ihre Fragen am 23. Mai 2014 mit einer großen Kundgebung in Krefeld öffentlichkeitswirksam an die Konzernleitung herantragen.

„Was wir vermissen, ist eine konkrete Mülheim- und Deutschland-Strategie. Aber auch die Politik muss klare Rahmenbedingungen schaffen“, sagt der Mülheimer Betriebsratsvorsitzende Pietro Bazzoli mit Blick auf den geplanten Konzernumbau im Besonderen und die Energiewende im Allgemeinen.

Dass sich beides auf den Mülheimer Standort auswirken wird, der mit 4835 Mitarbeitern der größte Siemens-Standort in NRW ist, steht für ihn außer Frage. Das gilt aus seiner Sicht auch für die Übernahme des französischen Energie- und Zugtechnikkonzerns Alstom, unabhängig davon, ob am Ende Siemens oder Konkurrent General Electric das Rennen machen wird.

Ob Siemens in Mülheim, wo mit Gas- und Dampfturbinen und Generatoren, also mit konventioneller Kraftwerkstechnologie, Geld verdient wird, in Zeiten der Energiewende künftig weniger Menschen Arbeit finden, will der nachdenklich, aber nicht ängstlich wirkende Bazzoli weder mit Ja noch Nein beantworten. Festzustehen scheint für ihn nur, „dass Siemens hier nicht mehr größer wird als es jetzt ist.“ In den vergangenen Jahren waren die Mitarbeiterzahlen kontinuierlich gestiegen, nach dem sie um die Jahrtausendwende zwischenzeitlich auf 2500 gesunken waren.

Der Betriebsrat macht sich jedenfalls selbst Mut. Er ist davon überzeugt, dass die hochqualifizierten Mitarbeiter des Standortes Mülheim genug „Innovations- und Anpassungsfähigkeit mitbringen“, wenn im Zuge der fortschreitenden Energiewende neue Kraftwerkstechnologie entwickeln und vermarkten müssten, „die man schnell hoch und wieder herunterfahren kann, um damit in die Energieversorgungslücken zu stoßen, die bei den erneuerbaren Energieträgern zwangläufig entstehen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.“

Die Voraussetzung dafür sieht er darin, dass die Shell-Managerin Lisa Davis, die ab August als neuer Energie-Vorstand von Siemens mit Sitz in Orlando/Florida für die Division Power & Gas und damit auch für den Standort in Mülheim verantwortlich sein wird, diesen gut kennen lernen und langfristig mit ausreichenden Investitionen in Forschung, Entwicklung und Ausbildung stärken wird. Als Betriebsrat interessiert ihn natürlich auch ihre Einstellung zur betrieblichen Mitbestimmung. Noch jedenfalls stimmen die Investitionen in die Zukunft, sagt der IG Metaller und verweist auf die 250 Auszubildenden am Standort. Derzeit beginnen, laut Bazzoli, pro Jahr 70 bis 80 junge Leute ihre Ausbildung. Ein aktueller Großauftrag der Stadtwerke Düsseldorf, aber auch die Tatsache, „dass sich etwa 90 Prozent unseres Absatzmarktes außerhalb Deutschlands befindet“, machen den Betriebsratschef zuversichtlich, dass auch jenseits des „für uns wichtigen deutschen Referenzmarktes“ konventionelle Kraftwerkstechnik, made in Mülheim, auch künftig gefragt sein wird, „weil es in den verschiedenen Regionen der Welt auch ganz unterschiedliche Konzepte der Energieversorgung gibt.“ Eine Umschreibung auch dafür, dass das Marktumfeld schwieriger und der Wettbewerb über den Preis geführt werden wird. In der Wirtschaftspresse wurde zuletzt aber auch darauf hingewiesen, dass der Siemens-Vorstand Michael Süß, der seinen Platz für Davis räumt, ein ausgesprochener Förderer der einst gewinnbringenden Gaskraftwerke gewesen sei, deren Absatz in Europa aber schrumpft.


Dieser Text erschien am 22. Mai 2014 in der Neuen  Ruhr Zeitung

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