Dienstag, 5. Dezember 2017

Die Opfer dem Vergessen entrissen: Gerhard Bennertz, der heute 80 Jahre alt wird, hat in den letzten 40 Jahren die Schicksale der 270 Mülheimer Holocaust-Opfer recherchiert und aufgeschrieben

Gerhard Bennertz
„Vielleicht hätte ein alt eingeborener Mülheimer das, was ich gemacht habe, gar nicht so unbefangen tun können“, sagt Gerhard Bennertz. Der Religionspädagoge, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, kam in den 70er Jahren aus Siegburg nach Mülheim, um als Religionslehrer am Berufskolleg Stadtmitte zu unterrichten.

Im Rahmen seines Unterrichtes sprach Bennertz damals auch über die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten. Und plötzlich wollte ein Schüler von ihm wissen: „Wie war das eigentlich mit der Judenverfolgung in Mülheim?“ Da musste der Lehrer passen. Er versprach dem Schüler, sich schlau zu machen. Das war der Beginn einer Recherche, die ihn in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr los lassen und zu zahlreichen Publikationen über das Schicksal der jüdischen Mülheimer in der Zeit des sogenannten Dritten Reiches veranlassen sollte. „Mein Glück war, dass ich mit meiner Frau Ingrid im Mülheimer Singkreis aktiv war und so Mülheimer kannte, die als ehemalige Mitglieder der regimekritischen Bekennenden Kirche Kontakte zu ehemalige jüdische Mitbürgern hatten, die vor den Nazis ins damalige Palästina geflohen waren“, erinnert sich Bennertz an den Beginn seiner Nachforschungen, die mit einem zwölfstündigen Zeitzeugengespräch in Tel Aviv begannen. 

„Das wurde plötzlich ein riesiger Schneeball, der auf mich zu kam“, erinnert sich Bennertz. In den kommenden drei Jahrzehnten sollte er 38 Mal Israel besuchen und dabei mit rund 40 ehemaligen jüdischen Mülheimern sprechen, von denen einige später auch ihre alte Heimatstadt wiedersehen und neue Eindrücke vom demokratischen Nachkriegsdeutschland in ihre neue israelische Heimat mitnehmen konnten. Einen besonders engen Kontakt knüpfte Bennertz in Tel Aviv zu Siegfried, Karl und Miriam Brender. Sie waren als Kinder der jüdischen Geschäftsleute Betty und Immanuel Brender im Dichterviertel aufgewachsen, hatten die Luisenschule, das heutige Otto-Pankok- und das heutige Karl-Ziegler-Gymnasium besucht, ehe sie Mitte der 30er Jahre von ihren Eltern nach Palästina geschickt wurden.

„Die Eltern selbst glaubten: Uns kann nichts passieren, weil wir gestandene und unbescholtene Geschäftsleute sind“, berichtet Bennertz aus seinen Gesprächen mit den Brender-Geschwistern. Das Schicksal ihrer Eltern, die 1941 erfolgte Deportation  aus Mülheim ins jüdische Ghetto von Litzmannstadt und letztlich der Tod dort und im Konzentrationslager Auschwitz war nur eines von insgesamt 270 Mülheimer Holocaust-Opfer-Schicksalen, die Bennertz in seinen Gesprächen rekonstruieren und später in Zusammenarbeit mit der Historikerin Barbara Kaufhold publizistisch dokumentieren konnte.

„Auch wenn die Mülheimer, die die Verfolgung durch die Nationalsozialisten am eigenen Leib erlebt haben, bis auf eine Ausnahme, gestorben sind, ist es wichtig, dass Jugendliche heute nachlesen können, was diese Menschen erlitten haben. Das liegt jetzt fest. Dahinter kann niemand mehr zurück.“

Ein Leben für den christlich-jüdischen Dialog

1983 und 1999 veröffentlichte Gerhard Bennertz in der Zeitschrift des Mülheimer Geschichtsvereins einen umfassenden Beitrag zum Schicksal der Jüdischen Mülheimer in der Zeit des sogenannten Dritten Reiches.


Ab 1986 war er für zwei Jahrzehnte Vize-Vorsitzender der Gesellschaft für den christlich-jüdischen Dialog. 1993 gehörte er zu den Mitinitiatoren der Städtepartnerschaft mit dem israelischen Kfar Saba.

Dieser Text erschien am 5. Dezember 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung  


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