Sonntag, 24. Dezember 2017

Ansichten eines Christkindes



Die meisten Menschen, die an mir vorbei laufen, lassen mich links liegen. Denn ich liege in einer Krippe im Stall auf dem Synagogenplatz. Die Adresse gefällt mir. Auch wenn man mich heute gerne als Christkind verkauft, bin ich ja seinerzeit als jüdisches Kind in einem Stall in Betlehem geboren worden. Auch wenn mir meine irdischen Eltern Maria und Josef im Stall am Synagogenplatz Gesellschaftleisten, finde ich es schade, dass sich nur wenige Menschen die Zeit nehmen, um bei mir vorbeizuschauen und einen Moment innezuhalten. Die Meisten hetzten in die Geschäfte, um etwas zu kaufen, von dem sie glauben, dass sie ohne es meinen Geburtstag nicht feiern könnten. Auch ich habe zum Geburtstag Weihrauch, Gold und Myrrhe geschenkt bekommen, aber deshalb muss man sich heute doch keinen Konsummarathon antun und darüber vergessen, worum es an meinem Geburtstag wirklich geht, nämlich um Unbezahlbares: Um Liebe, Hoffnung, Glaube, Zeit und Zuwendung. 

Dieser Text erschien am 23. Dezember 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

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