Dienstag, 6. August 2013

Wenn Politik krank macht: Ein Gespräch mit dem Politik-Aussteiger Thomas Behrendt

Matthias Platzeck ist mir sympathisch, "weil er kein Stratege und Taktiker ist. Der Mann ist bodenständig und nah dran an den Menschen. Der weiß, was wirklich los ist," sagt Thomas Behrendt über den brandenburgischen Ministerpräsidenten.


Dass Platzeck jetzt aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklärt hat, bestätigt Behrendt in seiner Ansicht und macht ihm Platzeck noch vertraut. Denn so wie jetzt der Landes- und Bundespolitiker musste auch der Kommunalpolitiker im Mai 2010 die Reißleine ziehen, weil sein Körper und seine Seele gegen den Dauerstress als Fraktionschef der Grünen und als Personalratschef der Sparkasse rebellierten. Er gab alle seine Ämter auf, nahm eine mehrmonatige Auszeit und ging für einige Wochen in eine psychosomatische Rehaklinik, um wieder ins seelische und körperliche Gleichgewicht zu kommen.

Was für Platzeck zwei Hörstürze und ein leichter Schlaganfall waren, das waren für Behrendt Angstzustände, Herzrasen und depressive Verstimmungen. "So ticken wir Männer.Solange alles funktioniert, kümmern wir uns nicht um unsere Gesundheit," sagt der ehemalige Kommunalpolitiker, der sich heute ganz auf seine Arbeit im Vorstandsstab der Sparkasse konzentriert.

Auch wenn er sich mit einem Ministerpräsidenten nicht vergleichen will, "weil da einfach noch mehr dran hängt", sieht Behrendt viele Gemeinsamkeiten. "Ich habe damals viel zu spät reagiert.Obwohl ich mich immer für Psychologie interessiert habe, bin ich erst gar nicht auf die Idee gekommen, dass meine Probleme psychisch bedingt sein könnten. Stattdessen habe ich eine Ärzterallye gemacht und nach organischen Ursachen geforscht." Ein Jahr laborierte er an seinen Symptomen herum, ehe er sich eingestand, nicht körperlich, sondern seelisch krank und am Ende seiner Leistungsfähigkeit zu sein.

"Viele waren schockiert oder haben interessiert nachgefragt, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass ich solche Probleme hatte, nach dem ich früher selbst immer einen guten Rat für andere übrig hatte."

Auch wenn Behrendt im Gespräch einen sehr ruhigen und ausgeglichenen Eindruck macht, sagt er über sich selbst: "Ich bin ein sehr emotionaler Mensch." Deshalb gingen ihm auch viele Schicksale, mit denen er vor allem als Personalratschef der Sparkasse, aber auch als Fraktionschef mit mehreren Ausschuss- und Aufsichtsratsmandaten konfrontiert wurde, unter die Haut. "Ich habe viele Probleme mit nach Hause genommen," erinnert sich Behrendt an die menschliche Belastung, die sein damaliges Doppelmandat mit sich brachte. Auch meine Wochenenden waren durchgetaktet, erzählt der heute 52-jährige Ex-Politiker. Termine, Termine und das Studium der umfangreichen Ratsvorlagen bestimmten bald seinen Alltag. "Ich wollte als Kommunalpolitiker und Personalvertreter wissen wovon ich rede und worüber ich spreche, statt nur austauschbare Wortblasen abzusondern", beschreibt er seinen Anspruch an sich selbst.

Die Anerkennung, die er für sein fundiertes politisches Engagement auch parteiübergreifend erfuhr, taten dem gelernten Bankkaufmann, der darunter litt, anders, als seine älteren Brüder nicht studiert zu haben, ausgesprochen gut. Deshalb legte er sich auch immer wieder ins Zeug, gab sein Bestes, nahm sich viel Zeit fürs Aktenstudium und für Begegnungen und Gespräche mit Menschen, die von seinen politischen Entscheidungen betroffen waren. Dass er auch jenseits des politischen Raums immer wieder um Rat gefragt wurde, bestärkte ihn in seinem Eifer.

Dass er dabei zu viel Zeit für die Politik und zu wenig Zeit in sein Privatleben investierte, obwohl seine Frau sein politisches Engagement positiv begleitete und ihm immer dem Rücken freihielt, merkte Behrendt erst spät. "Das war ein schleichender Prozess", sagt er heute.

Was ihm damals fehlte, merkt er heute, wenn er abends nach der Arbeit bei der Sparkasse nach Hause kommt. "Das ist ein gute Gefühl, wenn man wirklich Feierabend hat und sagen kann: Ich heute nirgendwo hin", beschreibt er seinen Ist-Zustand. Vor allem das er heute mehr Zeit hat, um sich mit seiner Frau zu unterhalten, fördert seine Lebensfreude.

Aktive Politik ist für ihn kein Thema mehr, auch wenn er selbst sagt: "Man soll niemals nie sagen." und machmal von Parteifreunden hört: "Wir vermissen dich." Muss man also politisch abstinent bleiben, wenn man gesund bleiben will?

Für Behrendt ist zumindest in der Kommunalpolitik die Doppelbelastung zwischen Beruf und politischen Ehrenamt programmiert, "weil man von den Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgeldern als Kommunalpolitiker nicht leben kann, zumal man einen Teil davon an Partei- und Fraktion abführen muss." Deshalb gibt es für ihn nur einen Ausweg: "Wir brauchen eine Professionalisierung der Kommunalpolitik. Kommunale Politiker müssen wie Landtags- und Bundestagsabgeordnete bezahlt werden, damit ihre Doppelbelastung wegfällt", findet er. Das Ideal des ehrenamtlichen Feierabendpolitikers hält er angesichts immer komplexerer Entscheidungen nicht mehr für zeitgemäß, "wenn der Stadtrat kein totes Gremium werden soll, in dem immer weniger Menschen fachlichen Entscheidungen folgen können und wissen, was Sache ist."

Auch fürchtet Behrendt aus demokratischen und demografischen Gründen, dass der politische Nachwuchs langfristig ausbleiben könnte, wenn nur noch engagierte Rentner genug Zeit für ein kommunalpolitisches Ehrenamt hätten. "Politik kostet immer Geld", sagt Behrendt ohne der Geldverschwendung das Wort zu reden. Seine kommunalpolitische Zukunftsvision wäre die eines kleineren, aber dafür kompetenteren und finanziell unabhängigen Rates, in dem qualifizierte und professionelle Ratsmitglieder für eine bestimmte Zeit hauptamtlich Kommunalpolitik betreiben. Aus Sicht der politisch Handelnden plädiert er auch für längere Legislaturperioden: "Sechs Jahre fände ich gut, weil man als Mandatsträger dann mehr Zeit hat, sich in Themen einzuarbeiten und fachlich fundierte Entscheidungen zu treffen."

Unter der Voraussetzung, dass auch in einem kleineren Rat der demokratische Proporz gewahrt bleibt, könnte sich Behrendt, der Politik heute nur noch als Zeitungsleser verfolgt auch Stadträte mit politischer Ressortverantwortung vorstellen.

Dieser Text erschien am 3. August 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung

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