Mittwoch, 19. Dezember 2012

Wie feiert man in Mülheimer Altenheimen Weihnachten? Eine vorweihnachtliche Stimmungsaufnahme

Weihnachten. Das ist für die meisten Menschen ein Familienfest. Im Wohnzimmer steht ein geschmückter Christbaum. Es gibt gutes Essen und Geschenke. Wenn es gut geht, gibt es keinen Krach, sondern Gedichte, Lieder und die Weihnachtsgeschichte. Und nach der Bescherung geht die Familie vielleicht noch in die Christmette. So oder so ähnlich erleben wir die Festtage oder haben sie erlebt. Doch wie erleben Menschen das frohe Fest, die nicht daheim, sondern im Altenheim feiern müssen. Die NRZ fragte in diesen Tagen vor Weihnachten in einigen Seniorenheimen nach.


Im Engelbertusstift, im Wohnstift Dichterviertel und im Wohnstift Raadt wird der heilige Abend bereits am Nachmittag des 24. Dezember mit einem Gottesdienst eingeläutet. Matthias Hess aus dem Wohnstift Raadt freut sich vor allem darüber, dass der Gottesdienst in seinem Hause seit vielen Jahren von einem privaten Chor musikalisch begleitet und von der Predikantin Luise Hegel liturgisch gestaltet wird. Der Leiter des Wohnstiftes Dichterviertel, Harald Schaal, kann beim Weihnachtsgottesdienst sogar einen Bewohnerchor zum Einsatz bringen, der beim Singen der klassischen Weihnachtslieder im Zweifel kein Notenblatt braucht, um den Text abzulesen.

Im Ruhrgarten, im Franziskushaus und im Haus auf dem Bruch steht der Weihnachtsgottesdienst erst am ersten Feiertag auf dem Programm. Im großen Saal des Franziskushauses kann man dabei sogar musikalisch auf eine Orgel bauen. Dort bekommen die Bewohner an den Weihnachtsfeiertagen auch musikalischen Besuch von Wilhelm Kästner, der ihnen auf seiner Zitter immer wieder gern gehörte Ohrwürmer spielt. Sozialdienstleiter Christoph Happe aus dem Ruhrgarten und Pflegedienstleiter Christian Krämer aus dem Engelbertusstift sind sich einig, dass man insbesondere mit Weihnachtsliedern und Gedichten, aber auch mit weihnachtlichen Klängen und Düften auch demenzkranke Bewohner, die in allen Altenheimen inzwischen die deutliche Mehrheit stellen, „emotional gut erreichen kann, weil man damit eine Brücke in ihre Kindheit schlägt.“

Ansonsten bestimmen in allen befragten Einrichtungen das festliche Kaffeetrinken und das anschließend Abendessen den Tagesablauf am heiligen Abend im Heim. Im Wohnstift Raadt, im Engelbertusstift, im Franziskushaus und im Wohnstift Dichterviertel setzt man kulinarisch auf die rheinischen Heiligabendklassiker Kartoffelsalat und Würstchen. Sonst bestimmen mehrgängige Festtagsmenüs mit Braten und Co. die Speisepläne. Auch Fischplatten und Frankfurter Kranz sind bei den Senioren sehr gefragt.

Im Franziskushaus, wo die eigentliche Weihnachtsfeier mit Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeitern bereits vor dem 24. Dezember gefeiert wird, kredenzt man den Bewohnern und ihren Besuchern in der weihnachtlich eingedeckten Cafeteria diverse Festtagstorten. „Wir haben früher auch am 24. Dezember zu unserer großen Weihnachtsfeier eingeladen, aber das ist bei den Angehörigen, die an den Festtagen in ihren Familien stark beschäftigt sind, nur auf geringe Resonanz gestoßen“, berichtet Katja Grün aus dem Franziskushaus.

Sie schätzt, dass etwa ein Drittel der Bewohner von ihren Angehörigen Weihnachten nach Hause geholt werden.

Christbaum, Krippe, und Weihnachtsschmuck bestimmen offensichtlich in allen Altenheimen an den Festtagen das Ambiente. In der Regel wird nicht zentral, sondern in den jeweiligen Wohngruppen mit Bewohnern, Angehörigen und ehrenamtlichen Helfern gefeiert, um eine möglichst familiäre Atmosphäre zu schaffen.

„Wir versuchen ein möglichst familiäres Umfeld zu schaffen und wo es möglich ist, auch mit Bewohnern selbst Plätzchen zu backen“, betont Christoph Happe vom Ruhrgarten. Weil alle Mitarbeiter an den Festtagen im Einsatz sind und ehrenamtliche Helferinnen dazu kommen, schätzt Happe, „dass 98 Prozent unserer Bewohner“ an der gemeinsamen Weihnachtsfeier teilnehmen können. Auch in anderen Altenheimen werden bettlägerige Patienten an den Feiertagen mobilisiert oder sie haben einen Mitarbeiter an ihrem Bett, der sie individuell betreut, ihre Hand hält, ihnen zuhört, sie anlächelt oder streichelt.

In allen Altenheimen berichtet von einer deutlich erhöhten Besucherzahl und auch davon, dass es hier, anders, als bei manchen Familien, die nicht im Heim, sondern daheim feiern, keine Weihnachtsfeier ohne die klassischen Weihnachtslieder und Weihnachtsgedichte gibt.

Die Bescherung fällt im Altenheim eher bescheiden aus, kommt aber doch von Herzen. In allen befragten Pflegeheimen sorgen Mitarbeiter dafür, dass auch die Bewohner ohne Angehörigenbesuch einen Ansprechpartner finden und ein kleines Geschenk bekommen. Die finanziellen Möglichkeiten reichen von der Wolldecke über Rasierwasser und Parfüm bis zum Duschgel oder einer Schirmmütze. Im Franziskushaus setzt man sogar ganz klassisch, wenn auch nicht ohne Risiko auf selbst gebastelte Geschenke zum Fest.

In den Gesprächen mit Altenheim-Mitarbeitern wird immer wieder deutlich, dass Weihnachten im Altenheim nicht nur ein frohes, sondern auch ein trauriges Fest ist. „Da wird zum Beispiel über den Familienzusammenhalt gesprochen, den man früher hatte und den man heute vielleicht nicht mehr hat, weil manche Kinder sogar im Ausland leben“, weiß Matthias Hess.

Auch Yvonne Fragemann, die das Haus Auf dem Bruch leitet, erkennt an den Bewohnern, die auch an den Festtagen nur wenig oder gar keinen Besuch bekommen und auf die Ersatzfamilie ihrer Mitbewohner und Betreuer angewiesen sind, „dass wir heute in einer Gesellschaft leben, die immer älter wird und in der es immer mehr Single-Haushalte und immer weniger Großfamilien gibt.“ Harald Schaal vom Wohnstift Dichterviertel sieht gerade an den Weihnachtstagen immer wieder depressive Bewohner, die Verlusten und verpassten Lebenschancen nachtrauern. Er formuliert es so: „Im Altenheim geht die individuelle Lebensgeschichte weiter.“ Damit meint er, dass bei Zeiten geknüpfte Sozialkontakte und Familienbande ebenso nachwirken wie Einsamkeit, soziale Isolation oder zerrüttete Familienverhältnisse.

Dieser Text erschien am 18. Dezember 2012 in der NEUEN RUHR ZEITUNG

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