Freitag, 9. November 2012

Tradition mit Zukunft oder Auslaufmodell? Ein Mülheimer Marktbummel

Mittwochs ist Markttag in Saarn. Wer aus der Innenstadt dort hinfährt, kommt zwangsläufig an diversen Discount- und Supermärkten vorbei, ehe er in die Düsseldorfer Straße einbiegt und dann linkerhand auf den mit 13 Markthändler besetzten Pastor-Luhr stößt. Das Bild hat Symbolkraft und wirft die Frage auf: Haben traditionelle Wochenmärkte, wie es sie (siehe Kasten) in Stadtmitte, Heißen und Saarn noch gibt, eine Zukunft in Zeiten, in denen Geiz geil sein soll oder auch aus der Not geboren wird?


Für die NRZ sprach ich darüber mit Markthändlern und ihren Kunden.

Wenn es nach der Saarnerin Heike Brandt geht, hat der Wochenmarkt ihres Stadtteils auf jeden Fall Zukunft. „Das ist eine feste Institution. Das hat Flair und man bekommt hier alles was man braucht“, sagt die Stammkundin. Sie verpasst keinen Markttag, weil sie hier vor allem beim Obst- und Gemüseeinkauf den Eindruck hat, „dass ich hier heimische und frische Produkte bekomme, bei denen ich ein besseres Gefühl habe, wenn ich die meinen Kindern zu essen gebe.“

Kein gutes Gefühl hat der 30-jährige Nico Tümp, der als Eiermann auf dem Saarner Markt steht, während seine Eltern dort, in Heißen und auf der Schloßstraße Fleisch und Wurst vom Geflügel verkaufen, wenn er in seine Zukunft als Markthändler schaut. „Gegen die Discounter können wir nicht anstinken“, sagt Tümp und sieht mit Sorge, dass die Märkte zwar viele alte, aber nur wenige oder gar keine jungen Stammkunden haben. Viele junge Kunden seien heute daran gewöhnt billig in einem Supermarkt einzukaufen, mit einem Dach über dem Kopf und einem Parkplatz vor der Tür. Außerdem wünscht er sich von Seiten der Stadt und der Presse mehr Hinweise auf- und Werbung für die Wochenmärkte.

Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass es aus seiner Sicht „eine Schande und ein Kulturverlust wäre, wenn die Wochenmärkte zugrunde gehen würden.“ Er selbst schätzt die lockere Atmosphäre und das Gespräch mit den Marktkunden. „Hier sitzt man nicht nur stupide an der Kasse“, betont Tümp. Auch wenn sie dem Markt „die Treue halten will und für meine nicht nur alten Stammkunden dankbar ist“, teilt Nicos Mutter Renate Tümp den Pessimismus ihres Sohnes. Auch wenn die Umsätze in Saarn noch deutlich über denen in Stadtmitte lägen, verzeichnet sie „rapide Rückgänge, weil heute nur noch billig, billig, billig gilt und die Tiere dabei auf der Strecke bleiben.“ Mit Blick auf den Wochenmarkt an der Schloßstraße wünscht sie sich vor allem ein Ende der „Herumschubserei“ Als der Wochenmarkt an der Schloßstraße erst kürzlich wieder Platz für den Umweltmarkt machen und auf den Berliner Platz ausweichen musste, seien wesentlich weniger Kunden gekommen, weil die Innenstadtkreuzung gerade für ältere Marktkunden eine echte Barriere sei. Mit Blick auf die Händlerschaft glaubt Tümp: „Die Jungen gehen nicht mehr auf den Markt und die Großen werden uns eines Tages erledigen.“

Tatsächlich fällt es nicht nur auf dem Saarner Wochenmarkt auf, dass man dort vor allem ältere und mittlere Jahrgänge sieht.

Zu den alten Saarner Marktkunden gehört auch der 84-jährige Alfred Lehm, der sich an diesem Markttag auf dem Luhrplatz mit Kartoffeln eindeckt: „Hier kann man auch mal ein Schwätzken halten. Im Supermarkt rennen doch nur alle planlos durch die Gegend“, beschreibt er den sozialen und kommunikativen Mehrwert des Wochenmarktes. Ihn sieht er als adäquaten Ersatz für die kleinen Lebensmittelläden, die früher die Nahversorgung sichergestellt hätten, ehe sie von den großen Discountern kaputt gemacht worden seien. „Die Discounter sind doch meistens nur mit dem Auto erreichbar und für viele Senioren, die nicht mehr mobil sind, viel zu weit weg“, findet Lehm, der die Wochenmärkte auf keinen Fall missen möchte.

In diesem Sinne setzt auch Norbert Noack , der den Verband der zwölf Markthändler auf der Schloßstraße führt, auf den demografischen Wandel als Verbündeten der Wochenmärkte. „Die Altersstruktur wird uns in Zukunft zum Positiven gereichen. Denn alte Menschen fahren nicht mehr gerne mit dem Auto. Die lassen entweder einkaufen oder machen einen kleinen Spaziergang, um einzukaufen und sich zu unterhalten. Dafür ist der Markt da. Bei den Jungen glaube ich weniger, dass sie sagen: Heute muss ich auf den Markt“, schaut Noack in die Zukunft der Wochenmärkte.

Die sieht Christa Terjung , die seit 19 Jahren auf dem Saarner Wochenmarkt Kartoffeln und Gemüse aus eigenem und regionalen Anbau verkauft, gar nicht so pessimistisch. „So schnell sterben die Stadtteilmärkte nicht weg, auch wenn es hier Discounter gibt, weil die Kunden unsere Produkte, die persönliche Beratung, die Unterhaltung und auch die Nähe des Marktes schätzen“, betont Terjung, die heute eher mehr als weniger Kunden hat, auch wenn der Kundenstrom zeitweilig schon mal stagniere.

„Ich schätze den Markt sehr und glaube grundsätzlich, dass er Zukunft hat. Meine Frau und ich kaufen gerne hier ein, weil wir beim Einkauf im Supermarkt schon oft schlechte Erfahrungen mit der Qualität gemacht haben“, sagt der 71-jährige Manfred Oelsner beim Obst- und Gemüseeinkauf auf dem Wochenmarkt an der Schloßstraße . Dem wünscht er mit Blick auf seinen Standort „vor allem mehr Kontinuität, weil ein Markt mit seiner Kontinuität steht und fällt.“

Martin Henninghaus , der auf dem Innenstadtmarkt Obst und Gemüse verkauft, lebt zu 80 Prozent von seiner Stammkundschaft, zu der er auch jüngere Kunden zählt. „Die können wir aber nur mit der Qualität überzeugen. Denn mit den Preisen der Discounter können wir nicht mithalten.“ Als noch junger Händler sieht er sich aber zunehmend als Exot. „Der Nachwuchs fehlt überall. Keiner geht mehr auf den Markt, weil das zu viel Arbeit ist“, sagt Henninghaus und fügt hinzu: „Wir stehen schon um drei Uhr morgens auf und sind hier erst um 16 oder 17 Uhr fertig. Bis wir dann zu Hause sind, ist es 18 oder 19 Uhr. Ich habe eine 70 Stundenwoche und bekomme manchmal Tränen in den Augen, wenn ich meinen Verdienst auf Arbeitsstunden umrechne.“ Gerd ter Elst , der auf dem Heißener Markt Käse verkauft, kennt mehrere Märkte in der Region, die alle Probleme haben, „weil die Kunden durch die Discounter versaut worden sind.“ Die Preispolitik und das Konsumverhalten nach dem Motto: Billig, aber viel und immer frisch kann nach seiner Ansicht auf Dauer nicht gut gehen. Deshalb glaubt, er, dass die Märkte ihre Renaissance erleben werden, „wenn die Discounter sich zu Tode konkurriert haben und wir zwangsläufig wieder zum Tante-Emma-Prinzip zurückkehren werden.“

Dieser Text erschien am 6. November 2012 in der NEUEN RUHR ZEITUNG


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