Donnerstag, 20. Februar 2020

Frohes Schaffen


Karneval macht Freude, aber auch viel Arbeit. Das sieht und begreift man sofort, wenn man die etwa 30 Frauen und Männer aus der Karnevalsgesellschaft Blau Weiß dabei beobachtet wie sie den Saal des Altenhofes in einen karnevalistischen Veranstaltungsort verwandeln. Manche arbeiten stundenweise mit. Andere sind ganztägig im Einsatz. Manche kommen vor oder nach der Arbeit vorbei. Andere nehmen sich Urlaub. 


Da wird die Bühne und der Elferratstisch aufgebaut. Da werden 19 Kilometer Kabel verlegt, die Mischpulte für die Ton- und Lichttechnik installiert und die Traverse-Gerüste aufgestellt und mit Bühnenscheinwerfern und Lautsprechern bestückt. Lampions und blau-weiße Fahnentücher müssen unter die Saaldecke gezogen werden.


Wenn hoch hinaus geht, kommt ein etwa fünf Meter hohes Rollgerüst zum Einsatz, das die 250 Mitglieder starke Karnevalsgesellschaft, die 1947 aus der Kolpingfamilie Broich-Speldorf hervorgegangen ist, eigens für diesen Zweck angeschafft hat. Und auch so scheinbar simple Dinge wie die Tisch-Deko, das Wurfgut für den Kinderkarneval wollen herangeschafft und an Ort und Stelle drapiert und deponiert werden. Ein LKW pendelt als Transporter zwischen dem Lager der Karnevalsgesellschaft an der Sandstraße und dem Altenhof an der Kaiserstraße.


Im Altenhof, dem Haus der Evangelischen Kirche, werden an den Tollen Tagen die Altweiberparty, der Kinderkarneval, die Prunksitzung und der Rosenmontagsball über die Bühne gehen.


Blau-Weiß-Präsident Thomas Straßmann (57), der als Verbesserungsmanager in der Karnevalshochburg Düsseldorf für einen deutschen Automobilhersteller arbeitet, ist nur eines der Mitglieder seiner Gesellschaft, die sich zwischen 10- und 14 Tage Urlaub genommen haben, um vor und hinter den Kulissen ganztags ins Karnevalsgeschehen eingreifen zu können. „Früher war das für noch mehr Mitglieder unserer Gesellschaft selbstverständlich. Aber heute machen das viele Arbeitgeber nicht mehr mit. Und ich bin meinem Arbeitgeber dankbar dafür, dass er da mitzieht, weil er das karnevalistische Brauchtum zu schätzen weiß“, sagt Straßmann. Während sein Sohn Tim und er im Altenhof mit anfassen, managt Mutter und Ehefrau Birgit Straßmann im Homeoffice den Kartenverkauf für die Veranstaltungen der Blau-Weißen.


„Heute ist unser Jahresurlaub eng begrenzt. Aber im Vorstellungsgespräch habe ich meinem Arbeitgeber gesagt: Wenn ich Karneval nicht keinen Urlaub bekommen kann, fange ich erst gar nicht bei Ihnen an“, erzählt der Vorsitzende der KG Blau Weiß, Christian Hövelmann (30). Er verdient seinen Lebensunterhalt bei einem Nutzfahrzeughersteller investiert vor den Tollen Tagen täglich 5 bis 15 Stunden in die umfang- und facettenreiche Aufbauarbeit im Altenhof. „Wenn es eine Dusche gäbe, würde ich hier auch übernachten“, scherzt Hövelmann. 


Warum investiert man soviel Zeit, Arbeit und auch Geld in den Karneval? „Die Leute hier sind positiv verrückt und gehen mit Herzblut ans Werk“, sagt Thomas Straßmann. „Hier hilft einer dem anderen. Und wenn ich hier hinkomme, weiß ich, dass ich unter Freunden bin“, betont Christian Hövelmann. Jörg Heise (57), der als Posaunist im Musikzug BPM und als Tanz-Papi bei den blau-weißen „Muddis“ auch mit auf der Bühne steht, erklärt seine Motivation so: „Wir sind eine echte Karnevalsfamilie. Das ist kein Spruch. Das wird hier das ganze Jahr über gelebt.“ Für Wagen- und Bühnenbauer Dieter Kolkmann (43) und Christiane Heckeroth (43) von den „Muddis“ ist der Karneval „ein Familiehobby.“ Sie sind sich einig: „Es macht einfach viel Freude, wenn man gemeinsam etwas positives auf die Beine stellt und dafür sorgt, dass Menschen in einer Welt, in der es viel Unerfreuliches gibt, für ein paar frohe Stunden glücklich sind und die Sorgen ihres Alltags vergessen können.“ 

Dieser Text erschien am 19. Februar 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

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