Samstag, 30. Mai 2015

Erst in den Tunnel, dann aufs Feld: Erdbeerernte in Dümpten

Andreas Bolten reicht seiner Frau Christiane Bolten-In der Beeck eine frisch gepflückte Erdbeere. Sie schmeckt süß. Bisher kamen die Erbeeren noch nicht vom freien Feld, sondern aus zwei sogenannten Erdbeertunneln. Die gut 100 Meter langen und zehn Meter breiten Tunnel, die in 1000 Arbeitsstunden mit einem Stahlgerüst und durchsichtigen Plastikfolien errichtet worden sind, erinnern an riesige Gewächshäuser. Sie beschirmen lange und wiederum in Folien warm gehaltene und mit kilometerlangen Schläuchen bewässerte Erddämme, in denen auf jedem laufenden Meter acht Erdbeerpflanzen sprießen. „So können wir schon seit gut 14 Tagen Erdbeeren verkaufen, obwohl man die Erdbeeren auf dem freien Feld erst ab heute ernten kann“, erklärt Bolten.

Ob aus dem „Tunnel“ oder auf dem freien Feld: Gepflückt werden die Erdbeeren von Justina und ihren derzeit fünf Kolleginnen. Sie alle sind Hausfrauen oder Schülerinnen und kommen aus Ostrów Mazowiecka im Osten Polens, 90 Kilometer östlich von Warschau entfernt. Dort hat die 37-jährige Justina ihren Ehemann und eine 16-jährige Tochter zurückgelassen, um im Mai und Juni bei der Erdbeerernte auf dem Dümptener Bauernhof an der Bonnemannstraße zu helfen.

Sie könnte das auch in ihrer Heimat tun. Doch dann würde sie nicht 8,50 Euro, sondern höchstens vier oder fünf Euro pro Stunde verdienen. Auch wenn sie in den ersten Tagen zeitweise Rückenschmerzen bekam, weil es in der Natur der Sache liegt, dass man Erdbeeren nur hockend oder kniend und vor allem nur mit viel Vorsicht und Fingerspitzengefühl pflücken kann, macht Justina einen zufriedenen Eindruck. „Hier ist es schön und friedlich. Und die Leute sind gut“, sagt sie über ihren ersten Ernteeinsatz in Deutschland. Besonders glücklich ist sie darüber, dass sie während ihrer Zeit in Dümpten in einer Unterkunft wohnen kann, die sie fast an ein Hotel erinnert.

Das Mitarbeiter-Quartier auf dem Hof ließen Bolten und In der Beeck vor zwei Jahren errichten, ihr bestehendes Mitarbeiterhaus war zu klein geworden. Es gibt eine kleine Küche, in der sich die Erntehelferinnen selbst versorgen können, Duschen, Toiletten sowie einen Raum mit Waschmaschine. Die Zimmer, jeweils ausgestattet mit Bett, Tisch, Stuhl, Sessel, Schrank und Fernsehgerät sind knapp 15 Quadratmeter groß.

„Mobile Wohncontainer kamen für uns nicht in Frage. Denn wir haben uns gefragt: Was würden wir von unseren Arbeitgebern erwarten, wenn wir als Erntehelfer in einem anderen Land arbeiten würden“, erklärt das Landwirtsehepaar aus dem Mülheimer Norden seine Motivation zur Bauinvestition.

Auch mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde haben Bolten und In der Beeck kein finanzielles Problem: „Bei uns gilt: Guter Lohn für gute Arbeit“, betonen sie. Wie in den Vorjahren setzen die Dümptener Landwirte auch in dieser Erbeer- und Himbeer-Saison sechs Erntehelferinnen aus dem Osten Polens ein.

In Spitzenzeiten können es auch schon mal zehn sein. Allerdings würde sich Christiane In der Beeck, die für jede Erntehelferin eine eigene Personalakte zur Dokumentation von Arbeitszeiten, Entlohnung, Sozialabgaben und Krankenversicherungsschutz führen muss, wünschen, dass der Einsatz der Erntehelfer aus dem östlichen EU-Nachbarland mit weniger Bürokratie verbunden wäre. „Mama, musst du schon wieder ins Büro? Kannst du nicht noch etwas mit uns spielen“, bekommt sie abends immer von Tochter Marlene (4) und Söhnchen Clemens (zweieinhalb Jahre) zu hören.

Und warum kommen die Erntehelfer aus dem fernen Ost-Polen und nicht aus Mülheim und dem westlichen Ruhrgebiet? Bei dieser Frage verdreht Andreas Bolten die Augen. „Wir haben es früher immer mal wieder über die Agentur für Arbeit versucht, aber nicht geschafft, jemanden als Erntehelfer oder als fest angestellte landwirtschaftliche Hilfskraft zu bekommen, weil das ein körperlich anstrengender Job ist, den man nicht zwischen 8 und 16 Uhr erledigen kann. Viele fallen schon hinten über, wenn man ihnen sagt, dass sie um 5.15 Uhr auf dem Feld sein müssen“, berichtet Bolten.

Und so kommen auch die beiden festangestellten Mitarbeiter des Dümptener Bauernhofes, die einen Brutto-Lohn von rund zwölf Euro pro Stunde verdienen nicht aus Deutschland, sondern aus Polen. Eine von ihnen ist der 62-jährige Marian Brzostek, der früher in einem Schlachthof gearbeitet hat und seit fast drei Jahren für Bolten und In der Beeck so etwas, wie ihre rechte Hand ist. Marian, der aus Ostrów Mazowiecka kommt, holt auch jedes Jahr Erntehelferinnen aus seiner Heimat nach Dümpten. Er bringt es auf den Punkt: „Arbeit ist Arbeit, ob in Polen oder in Deutschland. Du darfst nur keine zwei linken Hände haben und musst mitdenken und mit anfassen können“.


Dieser Text erschien am 20. Mai 2015 on der Neuen Ruhr Zeitung

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