Montag, 1. Februar 2010

Ein Schicksal zwischen Hakenkreuz, Kreuz und David-Stern: Warum engagierte Christen an den Dichter Jochen Klepper und seine Familie erinnern



Wer in sein Gesangbuch schaut, wird unter den dort abgedruckten Liedern Namen und Jahreszahlen finden. Sie weisen auf die Autoren und ihre Zeit hin, in denen die Kirchenlieder geschrieben worden sind. So stieß der pensionierte Lehrer Norbert Schmitz auf den Namen Jochen Klepper. Er hat Kirchenlieder wie "Die Nacht ist vorgedrungen" und "Gott wohnt in einem Licht" geschrieben. Schmitz fragte sich: "Wer ist Jochen Klepper?" Bei seinen Nachforschungen stieß er auf eine bewegende Biografie aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Der 1903 in Beuthen an der Oder geborene christliche Journalist und Schriftsteller Klepper heiratet 1931 die jüdische Kaufmannswitwe Johanna Stein, die mit Brigitte und Renate zwei Töchter in die Ehe bringt. Sie wachsen zu einer Familie zusammen. Und der selbst kinderlose Klepper wird Johannas Töchtern zum Vater. Doch die Nazis wollen keine christlich-jüdischen Mischehen. Sie setzen dem erfolgreichen Journalisten und Romanautor immer wieder zu.
Doch trotz Berufsverbot und Entlassung aus der Wehrmacht hält Klepper an seiner jüdischen Familie fest. Während die Tochter Brigitte vor Kriegsbeginn nach Schweden fliehen kann, bleiben Klepper, seine Frau Johanna und deren Tochter Renate in Berlin zurück. 1942 spitzt sich die Situation zu. Es droht die Zwangsscheidung und damit die Deportation von Frau und Tochter. Doch Klepper will lieber mit ihnen in den Tod gehen als sich von seiner Familie zu trennen.


Auf der Basis von Kleppers 1957 veröffentlichten Tagebüchern hat Schmitz jetzt mit der (literarischen) Freiheit eines Christenmenschen das Schicksal der Familie in einem Lesestück nachgezeichnet, das er selbst als einen "Beitrag zur Erinnerungskultur" begreift. 20 evangelische uind katholische Christen aus Broich und Speldorf haben sich von Schmitz als Darsteller gewinnen lassen, um das Lebensbild Kleppers am 21. Februar in der Evangelischen Kirche an der Wilhelminenstarße und am 28. Februar in St. Michael an der Schumannstraße in Speldorf auf die Bühne oder besser gesagt in den Altarraum zu bringen. Die beiden eintrittsfreien Aufführungen beginnen jeweils um 16 Uhr. Dabei sollte der Begriff "Lesestück" nicht abschrecken.


Wer die Proben in St. Michael gesehen hat, ist beeindruckt von der Tiefe der Texte und der Authentizität und inneren Anteilnahme, mit der sie von den Ensemblemitgliedern vorgetragen werden. Beim Betrachten der kargen Szenerie mit Tisch und Stühlen unter dem Altarkreuz von St. Michael, denkt man unweigerlich an Kleppers letzten Tagebucheintrag im Dezember 1942: Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott. Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben." Und er hört Gina Koch in der Rolle von Johanna Kleppers Tochter Renate fragen: "Was haben wir Deutschland angetan? Wird uns Gott in seinem Reich ein Bleiberecht geben?" Auch Ginas Mutter Doris Koch und Michael Drüke verstehen es in ihren Dialogszenen als Johanna und Jochen Klepper deren Schwanken zwischen Verzweiflung, Trauer, Wut, Entschlossenheit und gläubiger Zuversicht zu verkörpern.


Dieser Text erschien am 22. Januar 2010 im Ruhrwort

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