Donnerstag, 14. November 2019

Als Schwarz-Grün noch eine Sensation war

Dass CDU und Grüne mit der NRW-Gleichstellungsbeauftragten Diane Jägers als OB-Kandidatin 2020 in die Kommunalwahl ziehen, sehen der Christdemokrat Hans Georg Specht (79) und der Grüne Wilhelm Knabe (96) "wie ein Geschenk zum Silbernen Jubiläum der schwarz-grünen Ratsmehrheit, die Mülheim von 1994 bis 1999 regierte. Vor 25 Jahren wurden Specht und Knabe von dieser Mehrheit zum Oberbürgermeister und zum Bürgermeister gewählt.

"Damit machte Mülheim als erste deutsche Großstadt mit einer schwarz-grünen Ratsmehrheit Schlagzeilen und wir mussten Interviewanfragen der nationalen und internationalen Presse beantworten", erinnert sich Specht. "Ich war damals das größte Hindernis beim Zustandekommen der ungewöhnlichen Koalition, da ich vor allem bei den Frauen in der grünen Ratsfraktion als konservativer Law-and-order-Politiker galt", berichtet Specht. Deshalb enthielten sie sich auch bei seiner OB-Wahl im November 1994. In der Rückschau auf seine fünfjährige Amtszeit freut er sich darüber, dass mit den meisten seiner seinen grünen Kritikerinnen eine Aussöhnung möglich war. Als ich 1999 aus gesundheitlichen Gründen auf eine Kandidatur als hauptamtlicher Oberbürgermeister verzichtete, wurde das auch von einigen Frauen aus der grünen Ratsfraktion bedauert", sagt Specht.


"Wir hatten eine gemeinsame Leidensgeschichte unter der SPD gehabt, die bis 1994 mit absoluter Mehrheit regiert und vieles niedergestimmt hatte, was von uns im Rat beantragt worden war. Außerdem fanden wir in den Sondierungsgesprächen nach der Kommunalwahl vom 16. Oktober 1994 heraus, dass wir mit der CDU gemeinsame Themen einer politischen Zusammenarbeit formulieren konnten. während uns die SPD damals mit einem Dezernenten-Posten abspeisen, aber ansonsten ihre Politik wie gewohnt fortsetzen wollte", erklärt Wilhelm Knabe das Zustandekommen einer Koalition, die damals von einem Drittel der grünen Parteimitglieder abgelehnt wurde. Auch wenn Hans-Georg Specht keinen Hehl daraus macht, dass sich die CDU mit der Basisdemokratie der Grünen schwertat, ist er sich mit Wilhelm Knabe darin einig, dass es zwischen Schwarzen und Grünen einen wertkonservativen Konsens gab, der natürliche und historisch gewachsene Lebensräume erhalten wollte.


Erfolgsgeschichte Medl



Specht und Knabe sehen die die von Schwarz-Gün beschlossene Gründung der Mülheimer Energiedienstleistungsgesellschaft Medl als den größten und nachhaltigsten Erfolg des Bündnisses, das auch das Autonome Zentrum an der Auerstraße, das Kulturzentrum Ringlokschuppen und die später wieder abgewickelten kommunalen Eigenbetriebe für Kultur und Grünpflege aus der Taufe hoben. "Die Medl, deren erster Geschäftsführer Hans-Gerd Bachmann bis zum letzten Tag einen exzellenten Job gemacht hat, spült heute jedes Jahr drei bis fünf Millionen Euro in die Stadtkasse", sagt Specht nicht ohne Stolz. Dem Forstwissenschaftler Knabe war natürlich auch der gemeinsam beschlossene und auf Renaturierung setzende Waldentwicklungsplan, der vom damaligen Eigenbetriebsleiter Dietrich Pfaff vorangetrieben wurde, ein Herzensanliegen. Das galt auch für die Beibehaltung der städtischen Anteile an der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft und die Verpflichtung der RWW auf eine nachhaltige Wasserwirtschaft. Aber er räumt auch ein, dass die Idee einer Vergärungsanlage, die aus Müll Biogas und damit Energie produzieren sollte, in der Praxis floppte.

Außerdem gelang es dem OB nicht, das neue jüdische Gemeindezentrum in Mülheim anzusiedeln, da die Stadt Duisburg nur ein Baugrundstück im Innenhafen in das Gemeinschaftsprojekt der Städte Mülheim, Duisburg und Oberhausen einbringen konnte.

Mit Blick auf Ruhrbania und das Hafenbecken an der Ruhrpromenade sieht Specht die von Schwarz-Grün beschlossene Schließung des als Alten Stadtbades (1998) heute als Fehler an. "Mit einem modernisierten Stadtbad hätte man die Innenstadt beleben und sich das Geld für ein überflüssiges Hafenbecken ersparen können." Erspart hätte sich Specht aus heutiger Sicht auch seine Zustimmung zum 1998 eröffneten Ruhrbahntunnel, durch den heute die Straßenbahnlinien 102 und 901 fahren. "Wäre das damals geplante, dann aber vom Land aufgegebene Stadtbahnnetz Rhein-Ruhr verwirklicht worden, hätte diese Mülheimer Teilstrecke Sinn gemacht und dem Ruhrgebiet einen Teil seiner heutigen Verkehrs- und Umweltprobleme genommen", ist Specht überzeugt.


Umdenken und umsteigen



Ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr ist auch für den Grünen Wilhelm Knabe ein Herzensanliegen, das aus seiner Sicht nicht nur ökologisch, sondern auch demografisch Sinn macht. Vor allem die Streichung der Buslinie 132 (Heißen-Mintard) sieht er als einen Sündenfall. Er sieht aber auch die Eigenverantwortung der Bürger, "die in ausreichender Zahl vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen müssen, wenn wir einen funktionierenden und bezahlbaren Öffentlichen Personennahverkehr haben wollen." Specht, der sich als passionierter Radfahrer auch für den Ausbau des Radwegenetzes stark macht und den Ruhrradschnellweg als Schritt in die richtige Richtung lobt, plädiert für eine regionale Verkehrsgesellschaft im Ruhrgebiet, die wirtschaftlicher agieren könne, in dem sie teure Parallelverkehre abschafft und stattdessen gezielt Lücken im Nahverkehrsmetz schließt. Verkehrstechnisch und ökologisch katastrophal haben sich nach Spechts Ansicht die "Herausnahme der Ruhrstraße und der Abriss des Overflys im Bereich Aktienstraße/Friedrich-Ebert-Straße ausgewirkt." Mit Sorge sehen Knabe und Specht die finanzielle Entwicklung, die Verdrängung der hausgemachten Anteile am Mülheimer Schuldenberg. Dieser Schuldenberg, so Specht, sei seit 1997 in den letzten 25 Jahren von 542,8 Millionen D-Mark (277,53 Millionen Euro) auf heute über zwei Milliarden Euro angestiegen. Auch daran erinnern sich Knabe und Specht, dass Schwarz-Grün vor gut 20 Jahren eine Beigeordnetenstelle einsparte und die Zahl der Ratsmitglieder um vier auf heute 55 reduzierte, aber dann an der Personalie des MST-Geschäftsführers Stefan Zowislo zerbrach.

Gute Ratschläge wollen die beiden Mülheimer Elder Statesmen den heute politisch aktiven Kommunalpolitikern nicht aus dem Ruhestand mit auf den Weg geben. Ganz grundsätzlich wünschen sich Wilhelm Knabe und Hans-Georg Specht aber eine aktive Bürgergesellschaft, eine von gegenseitigem Respekt getragene politische Kultur und eine Politik, die sich an ihre eigenen Versprechen hält.


Dieser Text erschien am 12. November 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

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