Samstag, 15. August 2009

Die Demokratie der frühen Jahre - Als Mülheim den ersten Bundestag mitwählte

Otto Striebeck
Foto: Stadtarchiv Mülheim an der Rijr
Wen wählen? Die Frage stellt sich für die Mülheimer auch vor 60 Jahren. Am 14. August 1949 sind 102.000 Bürger der Stadt aufgerufen, den ersten Deutschen Bundestag zu wählen. Knapp 77 Prozent von ihnen machen am Ende von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Vier Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur, steckt die westdeutsche Demokratie noch in den Kinderschuhen.

Auch damals wird in der Lokalpresse diskutiert, wie viele Bürger den über haupt wählen gehen werden. Die politischen Kräfteverhältnisse sind noch nicht ganz klar. Während sich auf Bundesebene die Frage Adenauer oder Schumacher stellt, heißt es in Mülheim Striebeck oder Langner. Die SPD hat den Redaktionsleiter der Mülheimer NRZ, Otto Striebeck, aufgestellt, die CDU den Geschäftsführer der Inneren Mission, Heinz Langner. Die Kernfrage des Wahlkampfes lautet: Mit CDU und FDP für die Soziale Marktwirtschaft oder mit Schumacher und der SPD für eine Sozialisierung und staatliche Planung der Wirtschaft?

Doch da gibt es auch noch andere Parteien, die im August 1949 zur Wahl stehen. Auf der Linken macht die ebenfalls wiedergegründete KPD der SPD Konkurrenz. Im bürgerlichen Lager werben die neugegründete FDP, die wiederbegründete Zentrumspartei und die neue rechtsnationale Deutsche Reichspartei um Stimmen.

Die Endphase des Wahlkampfes verläuft hitzig. Die Lokalpresse berichtet über Kandidaten, die von einer Veranstaltung zur anderen eilen und von Plakatkleberkolonnen, die die Hauswände in bunte Flickenteppiche verwandeln und auch nicht davor zurückschrecken, die Plakate der politischen Konkurrenz zu überkleben. Auch von Handgreiflichkeiten in der Hitze des Wahlkampfgefechtes wird berichtet.

Derweil zimmern Handwerker an der Von-Bock-Straße 600 Wahlkabinen, damit die Wahl nicht nur frei und allgemein, sondern auch geheim über die Bühne gehen kann. Der Wahltag selbst verläuft ruhig. In 97 Wahllokalen machen die Mülheimer ihr Kreuz, nur eines. Denn eine Zweitstimme gibt es bei der ersten Bundestagswahl noch nicht. Am Wahlabend sieht es lange nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. In der Stadtkasse werden die telefonisch aus den Wahllokalen übermittelten Ergebnisse zusammengetragen. Um 22 Uhr steht fest: Der Sozialdemokrat Otto Striebeck hat 34,9 Prozent der Stimmen das Rennen gemacht und zieht als erster Mülheimer Abgeordneter in den Bundestag ein.

Mit 28,2 Prozent der Stimmen geht der Christdemokrat Heinz Langner als Zweiter durchs Ziel. Drittstärkste Kraft wird die FDP. Deren Kandidat, der Betriebswirt Wilhelm Dörnhaus,
erringt 13,1 Prozent. Der Betriebsratsvorsitzende des Eisenbahnausbesserungswerke, Friedrich Müllerstein, erringt für die KPD mit 10,1 Prozent. Der konservative Rechtsanwalt Günther Kujath holt für die rechtsnationale Deutsche Reichspartei 7,1 Prozent, während das kathoolische Zentrum mit seinem Kandidaten Josef Hanbück nur 3,2 Prozent erringen konnte. "Wähler entscheiden sich für die Demokratie - Radikale bleiben Splitterparteien", kommentiert die Lokalpresse am Tag danach das erste Mülheimer Bundestagswahlergebnis.

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