Montag, 16. Juni 2025

Kleines ganz groß

 Sie sind echte Macher, die Männer und Frauen um Martin Menke, die mit ihrem Trägerverein, neues Leben in die Alte Dreherei des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes Speldorf gebracht haben, zuletzt mit einer Europäischen Straßenbahnmodellausstellung, die sich 2000 Besucherinnen und Besucher aus gutem Grund nicht entgehen ließen.

Eingeladen von der Verkehrshistorischen Arbeitsgemeinschaft VHAG, die auch in Essen und Mülheim, also bei der Ruhrbahn einen Ableger hat, präsentierten 45 Austeller aus fast ganz Europa ihr Miniatur-Straßenbahnwelt mit viel Liebe zum Detail. Da fehlte im Nachbau einer japanischen Straßenbahnlandschaft dann auch nicht die japanische Haltestellenansage: "Bitte, zurücktreten. Die Türen schließen. Die Bahn fährt ab."

"Großartig, was die hier auf die Gleise gezaubert haben", fanden nicht nur Duisburger Eisenbahnmodellbauer, die die etwas anderen Miniaturmodellbahnen nur zu gern unter die Lupe nahmen.

Wie man von den Trammodellbauern erfahren konnte, zaubern sie ihre Straßenbahn- und Landschaftsmodelle nicht nur mit Fingerspitzengefühl und Kleinstwerkzeugen, sondern auch mithilfe des Drei-D-Druckers auf ihre zwischen 1,5 und 9,5 Meter langen Panoramastrecken.

Der Wiener Modellstraßenbahnbauer Robert Neumann ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, bei der Messe mit den großartigen Kleinformaten einige seiner treuesten Kunden, die nicht nur aus Europa kommen, persönlich zu treffen und sich  dabei auch die eine oder andere Planskizze von Straßenbahnmodellen anzuschauen, die er noch nicht in seinem Sortiment hat, aber mithilfe der Vorarbeit der Straßenbahnmodellbauenthusiasten vielleicht bald haben wird. 

Auch die historischen Straßenbahnwagen kamen bei den Modellbauern nicht zu kurz. So war die 1900 von Kaiser Wilhelm II. eröffnete Wuppertaler Schwebebahn ebenso klein, aber fein zu entdecken, wie die erste Niederflurstraßenbahn aus dem Baujahr 1934. Und der neue Straßenbahnanschluss der Alten Dreherei machte es auch möglich Messegäste  in einer Tram aus dem Baujahr 1949 von Speldorf nach Dümpten und wieder zurück zu chauffieren. 

Wer so durch die Stadt fährt, auf der Holzbank und mit Haltestellenklingel, aber leider ohne die Schaffnerin oder den Schaffner, der Anno Dazumal das Schwarzfahren schlicht unmöglich machte, fühlt sich wie auf einer Zeitreise. "Die Holzaufbauten der alten Straßenbahnen haben einfach mehr Stil als unsere heutigen Straßenbahnen", meint ein Fahrgast nach dem Ausstieg an der Endstation Alte Dreherei. Recht hat er.

Das gilt auch für einen Straßenbahnwagen aus dem Baujahr 1921, der in seinem neuen alten Glanz vor der Alten Dreherei ausgestellt, aber leider nicht in Bewegung gesetzt werden konnte. Als dieses alte Schätzchen noch auf der Strecke unterwegs war, kannten und schätzten die alten Mülheimer ihre Tram als preiswertes und umweltfreundliches Transportmittel, das mit seiner E-Mobilität, schon lange, bevor das benzingetriebene Auto des Deutschen liebstes Kind wurde, seiner Zeit schon weit voraus war. Also doch?! Vorwärts und zurück in die Zukunft.

Mehr über die Alte Dreherei finden Sie hier und über die Verkehrshistorische Arbeitsgemeinschaft hier.

Freitag, 6. Juni 2025

Mut zur Lücke

 Als die Schlossstraße 1974 eine Fußgängerzone wurde, war das Wort Leerstand im Einzelhandel ein Fremdwort. Ein Geschäftslokal auf der zentralen Einkaufsstraße der Stadt zu unterhalten, gehörte für Einzelhändler und Dienstleister zum guten Ton. Doch damals kannte man auch noch keinen Online-Handel. 

Inzwischen sind selbst stationäre Einzelhändler auf den Internethandel angewiesen, um den Bewusstsein ihres Umsatzes online zu erwirtschaften. Was für die einen zum Fluch wurde, war für den Galeristen Gerold Harmé ein Segen. Schon in den frühen 2000er Jahren beschäftigte sich, der 1966 in Düsseldorf geborene Kunsthistoriker, Archäologe und Musiker, dem ein Asthma-Leiden, seinen eigentlichen Berufswunsch Sänger verwehrte, mit den Möglichkeiten des Internets im Rahmen des Kunsthandels. Damit gehörte er zu den Pionieren in seinem heutigen Metier. Der Liebe wegen, seine Frau ist Musikpädagogin, kam der Rheinländer vor 20 Jahren an die Ruhr und eröffnete zunächst an der Wall- und dann an der Schlossstraße 29 seine Galerie. Klein, aber fein, gehen hier Ausstellungen und andere  Kulturveranstaltungen, wie Konzerte und Lesungen, über die Bühne. "Wir brauchen nicht nur Geld, sondern auch Kreativität", sagt der Galerist mit Blick auf eine mögliche Renaissance der Schlossstraße. 

Harmé sieht seine Galerie als Kulturnische und macht keinen Hehl daraus, "dass die Art und Weise wie ich mit Kunst arbeite und handle, genau für diesen Ort und nicht für das und nicht für das mondänere Düsseldorf geeignet ist." Seine Kunden, die ihn zuweilen auch in der Galerie an der Schlossstraße besuchen, kennen die Situation der Innenstädter die kein originär Mülheimer Problem ist. "Sie sind froh wenn sie hier in der Nähe eine Kleinigkeit essen oder trinken können und es dann nicht weit bis zum Hauptbahnhof haben", weiß Harmé. 

Seine zunehmend multikulturelle Nachbarschaft, sieht der Galerist nicht als Standort-Nachteil, sehr wohl aber "das Säuferparadies an der unteren Schlossstraße." Erleichtert wäre er, wenn sich die sozialer Brennpunkt mithilfe der Polizei, des Ordnungsamt und der lokalen Sozialarbeit in Wohlgefallen auflösen könnte

Mehr über die Galerie Harmé erfahren Sie hier.


Dienstag, 3. Juni 2025

Ihrer Zeit weit voraus

Das die vermeintlich guten alten Zeiten gar nicht so gut waren, kann man in den Erinnerungen der ersten deutschen Polizeiassistentin Henriette Arendt anno 1910 anschaulich nachlesen. 

Dort berichtet sie über verwahrloste Kinder, die von ihrem abwesenden und überforderten Eltern allein gelassen und so dem sicheren Tod preisgegeben werden. Sie berichtet von Dienstmädchen, die von ihrer Herrschaft geschwängert, auf die Straße gesetzt worden sind und in ihrer ausweglosen Not auch schon mal ihr neugeborenes Kind in einen Brunnen werfen, um es ertrinken zu lassen oder im besseren Fall es bei der Polizei abzugeben und sich aus dem Staub zu machen. 

Arendt, die 1903 als Krankenpflegern zur Stuttgarter Polizei kommt, berichtet auch von einem kleinen betrunkenen Mädchen, das ganz begeistert von seinem regelmäßig betrunkenen Vater erzählt. Er nehme es mit in die Kneipe und gebe ihn dort reichlich zu trinken gibt, um es anschließend unter dem Tisch schlafen zu lassen. 

Henriette Arendt, eine selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, die 1874 in eine ostpreußische Kaufmannsfamilie hineingeboren wird, entscheidet sich gegen eine Tätigkeit als Buchhalterin und für den sozialen Beruf der Krankenpflegerin. 

Vermittelt von der Vorsitzenden ihres Berufsverbandes, kommt sie 1903 zur Stuttgarter Polizei. Dort wird sie eingestellt, um ihren männlichen Kollegen bei Vernehmungen und ärztlichen Untersuchungen junger und weiblicher Strafgefangener zu assistieren. Schnell erkennt sie die sozialen Ursachen, die Frauen dazu treiben, sich zu prostituieren, zu trinken, ihre Kinder verwahrlosen zu lassen oder sie zu töten.

Arendt setzt sich nach Kräften für ihre vom Leben gebeutelten Schützlinge ein. Doch in einer Gesellschaft, die Frauen nur ein Leben unter den Vorzeichen der 3 Ks: Kinder, Küche gestattet wird, und in der sie selbst als eine von bald 65 deutschen Polizeiassistentinnen schlechte Karten. Denn ihren männlichen Kollegen darf sie nur zuarbeiten und ihren Anweisungen muss sie folgen. Immer wieder berichtet sie von "bürokratischer Engherzigkeit", von der sie ihrer Fürsorge für gefallene Frauen und Mädchen ausgebremst wird.

Ihr größter Fehler ist in den Augen ihrer männlichen Vorgesetzten, dass sie ihre An- und Einsichten zur realexistierenden Doppelmoral einer bürgerlichen Klassengesellschaft in Vorträgen, Zeitungsartikeln und Büchern öffentlich macht und damit die vermeintlich gute Gesellschaft schlechtmacht. Ihre Vorgesetzten sprechen von "Sensationsjournalismus" und weisen darauf hin, dass auch Arendts männliche Kollegen diesen betreiben könnten, es aber nicht täten, "weil sie dienstlich zu gut erzogen sind."

Trotz ihrer demütigenden Erfahrungen lässt sie sich in ihrem Tatendrang nicht entmutigen weil sie davon überzeugt ist, dass sich meine Arbeit schon gelohnt hat, "wenn ich auch nur einen Menschen gerettet und auf den rechten Pfad zurückgebracht habe".  Außerdem glaubt sie daran, dass in jedem Menschen, auch in dem Verkommensten, ein göttlicher Funke ist. 

Gar nicht gut an kommt auch ihre Kritik an den gutbürgerlichen Gesellschaft. Während die Herren der Schöpfung ihre Dienstmädchen schwängerten und sie mit ihren ungewollten Kindern dem Elend überließen, blieben sie selbst unbehelligte und gut angesehene Mitglieder der Gesellschaft, lautet ihr Vorwurf.

In ihren Vorträgen und Publikationen fordert sie eine zeitgemäße Fortsetzung der bismarckschen Sozialpolitik. "Es darf nicht sein, dass wir in unserem Staat nur Gesetze haben, mit denen wir sterben können", sagt sie mit Blick auf die von Bismarck nach 1880 eingeführten Kranken- Renten- und Invalidenrentenversicherung. In ihren Augen "brauchen wir auch Gesetze, mit denen wir leben und etwas aus uns machen können."
 
Auch wenn der deutsche Sozialstaat heute bei weitem mehr ausgebaut ist als zu Arendts Zeiten, bleibt das Lebensbeispiel die ersten deutschen Polizisten, die 1922 unverheiratete und kinderlos stirbt auch für die heutige Generation eine Mahnung, dass Sozialstaat und Solidarität in einer Gesellschaft mit Leben gefüllt werden müssen, indem jeder und jede ihren Platz in unserer Gemeinschaft finden und seine Talente entfalten kann und nicht einfach abgehängt und links liegen gelassen wird.

Denn auch heute sind Verwahrlosung und Kindstötungen leider kein Thema von Gestern. Auch die Tatsache, dass 60 Jahre nach Arendts Tod die ersten gleichberechtigten Polizeibeamtinnen in NRW eingestellt wurden und mit der Juristin Dr. Gisela Röttger-Husemann 90 Jahre nach der Einstellung der ersten deutschen Polizeiassistentin Mülheim ihr Amt als erste Polizeipräsidentin angetreten hat, haben daran nichts ändern können.

muss.

Kleines ganz groß

  Sie sind echte Macher, die Männer und Frauen um Martin Menke, die mit ihrem Trägerverein, neues Leben in die Alte Dreherei des ehemaligen ...