Donnerstag, 23. Oktober 2014

Altersarmut: Soziale Netzwerke werden immer wichtiger: Ein Gespräch mit dem kommunalen Sozialplaner Jörg Marx

Wenn Mülheim aus demografischen und sozialen Gründen (wie berichtet) immer mehr alte Bürger haben wird, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein werden, wird das Konsequenzen für die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur haben. Für die NRZ fragte ich Jörg Marx, der beim Sozialamt für die Sozialplanung zuständig ist, wie sich die Stadt auf diese Herausforderung einstellen und reagieren kann.

Frage: Wie kann die Stadt Altersarmut verhindern oder bewältigen?

Antwort: Bei den strukturellen Ursachen der Altersarmut, wie Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlte Beschäftigung, haben wir als Kommune keinen Einfluss und können aufgrund unserer Zahlen nur lediglich feststellen, wer in zehn oder 20 Jahren auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird.

Frage: Ist die finanzielle Überforderung der Kommunen durch wachsende Altersarmut nicht programmiert?

Antwort: Bei den finanziellen Folgen von Altersarmut geht es um eine gesamtgesellschaftliche Frage, nämlich um die Verteilungsgerechtigkeit. Und hier werden die Städte verstärkt darum kämpfen müssen, dass Bund und Länder ihre finanzielle und soziale Verantwortung wahrnehmen. Dass der Bund die Kosten der Grundsicherung übernimmt und die Kommunen damit entlastet, geht schon in die richtige Richtung.

Frage: Kann die Stadt also nur auf Bund und Land hoffen?

Antwort: Nein. Sie muss agieren und darf den Folgen der Altersarmut nicht nur hinterherlaufen. Natürlich muss auch die Stadt angesichts knapper Finanzen ihre Prioritätensetzung überdenken. Für das Sozialamt hat alles Priorität, was in die Lebensqualität und das soziale Zusammenleben der Menschen investiert wird. Wir sollten nicht in Panik verfallen, sondern die Stärken unserer Stadt nutzen, um die Folgen von Altersarmut abzumildern.

Frage: An welche Stärken denken Sie?

Antwort: Ich denke daran, dass es in Mülheim nicht nur arme, sondern auch viele nicht nur im materiellen Sinne vermögende Menschen gibt, die bereit sind, ihr Vermögen weiterzugeben, einzusetzen und mit Menschen zu teilen, die Hilfe brauchen.

Frage: Eine Solidaritätsabgabe für reiche Mülheimer?

Antwort: Nein. Ich denke dabei an soziale Netzwerkarbeit, die wir in den Stadtteilen bereits mit Erfolg begonnen haben. Denn bei Altersarmut geht es nicht nur um Geld, sondern um Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe. Wir müssen verhindern, dass sich arme Alte aus der Öffentlichkeit zurückziehen und sozial isolieren.

Frage: Wie kann Netzwerkarbeit da helfen?

Antwort: Indem wir etwa durch Quartierswerkstätten Menschen gewinnen und zusammenbringen. Die zum Beispiel bereit sind, als lokale Netzwerker, Bürger- oder Seniorenlotsen kostenlose Freizeitaktivitäten zu organisieren oder Freikarten für Kulturveranstaltungen einzuwerben. Vor Ort ansprechbar sein, um Betroffnen Wege zu Hilfeleistungen zu zeigen oder auch selbst konkrete Nachbarschaftshilfe vom kostenlosen Fahrdienst bis zum Einkauf zu leisten.

Frage: Reicht das Vertrauen auf bürgerschaftliches Engagement, um die Stadt von den Folgen der Altersarmut zu entlasten?

Antwort: Nein. Parallel stärken wir natürlich auch die bereits vorhandenen und wohlwollend zusammenarbeitenden hauptamtlichen Netzwerke aus Wohlfahrtverbänden, Pflegediensten, Pflegestützpunkten und Seniorentagesstätten, die als lokale Anlaufstellen und Ankerpunkte künftig noch wichtiger werden, als sie heute schon sind. Darüber hinaus sind wir natürlich auch mit den Wohnungsbaugesellschaften im Gespräch.

Antwort: Etwa wenn es um den absehbaren Mehrbedarf an barrierefreien und bezahlbaren Wohnungen geht. Übrigens nicht nur für alte Menschen.

Sozialplaner Jörg Marx glaubt, dass die Stadt keinen Einfluss auf die strukturellen Ursachen von Altersarmut hat, sie aber im Alltagsleben vor Ort zumindest abmildern und Betroffenen mehr Teilhabe verschaffen kann

Dieser Text erschien am 7. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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