Samstag, 5. November 2011

Eine Politikerin mit Weitsicht: Die Mülheimer Bundestagsabgeordnete Helga Wex starb vor 25 Jahren






Elterngeld bei Vätern immer beliebter." So titelte kürzlich die NRZ. Die Idee, Eltern finanziell zu unterstützen, damit sie Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können, ist nicht neu.Bereits 1973 beantragte eine Mülheimerin im Deutschen Bundestag, ein Erziehungsgeld einzuführen und Erziehungszeiten auf die gesetzliche Rente anzurechnen. Helga Wex hieß sie. Sie war damals als stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende der Union eine der prominentesten Bundespolitikerinnen.










Als Bundesvorsitzende der damals 160?000 Mitglieder zählenden Frauenvereinigung in der CDU, die heute Frauenunion heißt, gehörte sie in den 70er und 80er Jahren zu den exponiertesten Frauen- und Familienpolitikerinnen.Viele Ideen und Forderungen, die sie damals in Positionspapieren und Programmen formulierte, klingen auch 25 Jahre nach ihrem Tod immer noch aktuell: Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etwa durch Teilzeitarbeit und Job-Sharing, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, mehr Frauen in politische Führungsverantwortung, Partnerrente und Erziehungsgeld. Mit letzterem konnte sich Wex 1973 nicht durchsetzen, weil ihr Anliegen auf finanzpolitische Vorbehalte stieß. Auch das klingt uns heute vertraut."Einige ihrer Forderungen waren für einige in ihrer Partei damals fast revolutionär", erinnert sich ihr damaliger Mitarbeiter Jochen Hartmann. Bis heute bewundert er ihre Intensität und Leidenschaft, mit der sie für ihre Überzeugungen kämpfte. Woher diese unermüdliche Motivation kam erfuhr er in einem Gespräch, in dem sie von ihrem sozialdemokratischen Vater erzählte, der von den Nazis in Handschellen durch die Straßen von Buxtehude geführt wurde, wo Wex als Helga Schimke 1924 geboren wurde und heute ein Platz ihren Namen trägt.










"Damit so etwas in Deutschland nicht noch einmal vorkommen kann", wollte die promovierte Literaturwissenschaftlerin nach ihrem Studium in die Politik gehen.Nach einem Intermezzo als Mitarbeiterin einer Literaturzeitschrift und einem Auslandstudium in Brügge und Den Haag machte Wex als Ministerialreferentin in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Bonn ab 1953 ihre ersten politischen Erfahrungen. In der damaligen Bundeshauptstadt lernte sie auch ihren Mann, den Juristen Günther Wex kennen, mit dem sie nach Mülheim ging, wo später zwei Töchter zur Welt kamen. Hier stieg Helga Wex 1961 als CDU-Ratsfrau mit den Themenschwerpunkten Weiterbildung und Kultur in die Kommunalpolitik ein.Doch schon bald bahnte sich der Wechsel in die Bundespolitik an.










1965 kandidierte sie erstmals für den Bundestag. Erfolglos. Ausgerechnet der Tod des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer sorgte im April 1967 dafür, dass die Stadträtin über die Landesliste ihrer Partei in den Bundestag einzog. Dort machte sie sich nicht nur im Ausschuss für Bildung Wissenschaft einen Namen, der dafür sorgte, dass Wex auch in der Bundespolitik blieb, als sie 1969 den Wiedereinzug in den Bundestag verpasste. 1969 wurde sie deshalb zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden ihrer Partei gewählt, um mit dem Themenschwerpunkten Frauen und Familie weibliche Wähler für die gerade abgewählte Union zurückzugewinnen. Ein Jahr vor ihrem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag übernahm Wex 1971 den Vorsitz der CDU-Frauenvereinigung, mit der sie 1975 ein modernes frauen- und familienpolitisches Programm durchsetzte, das sich zum Prinzip Partnerschaft in Familie und Beruf und zur Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit bekannte.










"Wir sind Mitstreiter für eine freie Gesellschaft, in der die Stellung der Frau auf gleicher Verantwortung, gleichen Pflichten und gleichen Rechten beruht," betonte sie damals in ihrer Parteitagsrede.Das mag heute, da wir von einer Kanzlerin und einer Ministerpräsidentin regiert werden, fast banal klingen, hört sich aber ganz anders an, wenn man weiß, dass Frauen erst 1977 das Recht erhielten, ohne Zustimmung ihres Ehemannes berufstätig zu werden. Mit Erfolg kämpfte Wex in den 70ern für die Einrichtung einer Bundestags-Kommission und eines Forschungsinstitutes, die ebenso, wie die 1985 von ihr initiierten CDU-Leitsätze "für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau" Antworten auf ihre Lebensfrage gaben: Wie wird Gleichberechtigung Wirklichkeit?










Obwohl sie während der Bundestagswahlkämpfe 1972, 1976 und 1980 in den Schattenkabinetten der jeweiligen Unions-Kanzlerkandidaten als Familienministerin vorgesehen war, wurde sie nach dem Regierungswechsel 1982 unter dem CDU-Kanzler Helmut Kohl keine Familienministerin. Sie blieb Fraktionsvize und wurde Koordinatorin für die deutsch-französischen Beziehungen. Auch ihr Vorschlag eines Familienkabinetts, das alle Regierungsentscheidungen auf Familienfreundlichkeit überprüfen sollte, wurde nicht aufgegriffen. Warum? Der Spiegel mutmaßte in einem Nachruf auf die 1986 an einem Krebsleiden verstorbene Helga Wex, Kohl habe die "elegante und unbequeme Dame aus Mülheim nicht leiden" können. Der Spiegel selbst würdigte sie als "christliche Frauen-Streiterin" und als "Farbtupfer in dem vom grauen Männer-Zwirn beherrschten" Bundestag.










Dieser Beitrag erschien am 10. Seotember 2011 in der NRZ

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