Donnerstag, 11. August 2011

Vergebung um jeden Preis? Wa dem Pastor und sechsfachen Vater Ekkehart Vetter zum Fall Mirco einfällt, der derzeit vor Gericht verhandelt wird



Es ist wohl das Schlimmste, das Eltern widerfahren kann, ihr Kind, wie im Fall Mirco, durch die Hand eines Mörders zu verlieren. Deshalb mag es manchen wundern, wenn Mircos Eltern als freikirchlich engagierte Christen Verständnis für den Täter zeigen und trotz ihrer Tragödie vom Glauben sprechen, der sie stärkt, ihnen Hoffnung gibt und sie nicht verzweifeln lässt. Vor diesem Hintergrund sprach ich bereits vor einigen Monaten für die NRZ mit Pastor Ekkehart Vetter von der freikirchlichen Christusgemeinde über Glauben, Gemeinschaft, Schuld, Sühne, Vergeltung und Vergebung.




Können Sie die Haltung von Mircos Eltern nachvollziehen?



Das ist eine Extremsituation, in die man sich nicht theoretisch hineindenken kann. Ich selbst würde für mich nicht die Hand ins Feuer legen, wie ich in einer vergleichbaren Situation reagieren würde. Natürlich kann man auch für einen Täter Verständnis entwickeln, auch, wenn man seine Tat verabscheut. Jeder Mensch hat Gründe, warum er so handelt, wie er handelt. Es geht nicht um Verständnis im Sinne von Relativierung oder Verharmlosung eines Verbrechens, sondern in dem Sinne, zu verstehen, dass es sich vielleicht um einen belasteten Menschen handelt, der aus einer bestimmten Situation dieses dramatische Verbrechen begangen hat.



Vergebung ist eine christliche Tugend. Aber ist es nicht auch natürlich, den Mörder seines Kindes zu hassen?



So verständlich Hass in so einer Situation ist, Hass macht einen am Ende selbst kaputt. So wie ich Mircos Eltern verstehe, sagen sie: Wir wissen, wohin wir mit unserer Trauer und unserem Bestürztsein hingehen können und dass sie dieses Verbrechen in ihrem Glauben, durch die Gemeinschaft und die Gespräche mit Christen verarbeiten können.



Mircos Eltern sprechen von der Unterstützung durch ihre freikirchliche Gemeinde und von ihrem Glauben, der ihnen Halt gibt. Können Menschen, die glauben und von einer Gemeinschaft getragen werden, solche Schicksalschläge besser verkraften?






Das ist keine Frage von Freikirche, Landeskirche oder Konfession. Das ist eine Frage gelebter Gemeinde und Gemeinschaft. Gerade in Angesicht eines schweren Schicksalschlages brauche ich etwas, an dem ich mich festhalten kann und das mich trägt. Und da ist der Glaube sicher sehr hilfreich und wertvoll. Ich würde mich aber nicht in eine Situation hineinmanövrieren, in der ich sage: "Die Verarbeitung eines solchen Unglücks gelingt einem gläubigen Menschen auf jeden Fall besser als jemanden, der vielleicht nicht glauben kann."







Wie gehen Sie in ihrer 260 Mitglieder zählenden Gemeinde mit Menschen um, die einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften haben?






Natürlich bemühen wir uns darum, dass die Gemeinde sich wahrnimmt. Wir bilden in unserer Gemeinde kleine, überschaubare Gruppen, etwa in Form von Hausbibelkreisen, zu denen jeweils acht bis zehn Personen gehören, die sich regelmäßig treffen und die dabei nicht nur über theologische Fragen, sondern auch über persönliche Probleme sprechen. Die Menschen spüren so, dass sie mit ihren Nöten nicht alleingelassen werden.






Brauchen wir mehr Mitmenschlichkeit und können Gemeinden, wie die Ihre dafür ein Vorbild sein?






Wo immer Menschen von solchen Schicksalsschlägen getroffen werden, ist die Gemeinschaft von Christen, die ihnen zur Seite stehen, extrem wertvoll. Man braucht in so einer Situation keine Menschen, die eine schnelle Antwort haben, warum etwas passiert ist, sondern die einfach da sind, um mit den Betroffenen zu trauern, zu weinen, zu sprechen und vielleicht auch zu beten.






Ist es in einer solchen Situation nicht auch unmenschlich, Wut und Trauer durch das christliche Gebot von Vergebung und Nächstenliebe zu übertünchen?






Vergebung, Wut und Trauer sind kein Gegensatz. Man muss natürlich Gefühle zu lassen und darf sie nicht verdrängen. Man darf nichts unter den Teppich kehren. Man muss authentisch und ehrlich zu sich selbst sein und darf nichts mit einer frommen Soße zudecken wollen. Vergebung ist aber auch nichts, was von heute auf morgen entsteht, wie ein Klick im Gehirn. Das ist immer ein langer Prozess. Das ist ein langer Weg, auf dem Menschen auch vielleicht durch Therapie begleitet werden müssen, damit sie das vielleicht irgendwann können, damit sie sich mit der Last, die sie tragen oder auch jemanden hinterhertragen, am Ende nicht selbst kaputt machen. Vergebung ist in so einer Situation natürlich kein Muss. Aber es wäre Betroffenen zu wünschen, dass sie irgendwann erkennen, dass Vergebung für Sie am hilfreichsten ist.



Und was ist mit Schuld und Sühne?






Was würden Sie einem Täter sagen, der sich mit seiner Schuld an Sie als Seelsorger wendet?
Ich würde diesen Menschen zunächst dazu ermutigen, zu seiner Schuld zu stehen und es nicht bei der Vertrautheit des seelsorgerischen Gesprächs zu belassen. Ich würde ihm sagen: Stell dich deiner Tat und übernimm Verantwortung. Überlege, wie du an dem Menschen, an dem du schuldig geworden bist, etwas wieder gutmachen kannst. Das Unrecht ist im Fall Mirco natürlich nicht korrigierbar. Hier brauchen Opfer und Täter ganz viel Hilfe und Therapie. Aus der Missbrauchstherapie weiß man, dass Täter in ihrem Leben immer auch Opfer waren und oft selbst Gewalt- und Missbrauchserfahrungen gemacht haben, was ihre Tat natürlich in keiner Weise rechtfertigt.






Dieser Beitrag erschien im März 2011 in der NRZ

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