Montag, 27. Dezember 2010

Vom Ausflugslokal zur Jugendherberge: Vor 120 Jahren wurde das Haus am Kahlenberg eröffnet, das die Stadt jetzt an einen privaten Investor verkaufte

Das ist ein Haus der Mülheimer Bürger“, sagt Herbergsvater Eugen Meyer über seinen Wohn- und Arbeitsplatz, den er Ende des Jahres zusammen mit seiner Frau Angelika in Richtung Ruhestand verlassen wird.Mehr als zwei Jahrzehnte lang haben die Meyers am Kahlenberg Menschen beherbergt und beköstigt. In ihrer fürsorglichen Obhut waren hier Kindergartengruppen und Schulklassen, Theater- und Musikensemble, kirchliche Gruppen oder etwa die Teilnehmerinnen des Mädchenkulturfestivals und der Internationalen Jugendbegegnungen zu Gast.

„Da geht einem das Herz auf. Da weiß man, wofür man arbeitet“, erinnert er sich an die Tage an denen seine Frau und er volles Haus hatten. Noch heute muss er lachen, wenn er sich an die Steppkes erinnert, die ihn mit: „Du, Herr Meyer“ oder: „Herr Hausherbert“ ansprachen, weil ihnen das Wort Herbergsvater nicht über die Lippen kommen wollte. Meyer wünscht sich für die Jugendherberge am Kahlenberg eine öffentliche Nachnutzung. Mit dem Einzug eines Vereins für Kinder und Jugendarbeit könnte er gut leben, mit der Vermarktung als Wohneigentum, wie ihn die Ratsmehrheit jetzt beschlossen hat, nicht.Meyers Arbeitsplatz, der vielleicht den schönsten Ruhrblick der Stadt bietet, wurde vor 120 Jahren im November 1890 als Ausflugslokal eröffnet. Bis zu 4000 Gäste fanden im Innenraum und auf der Terrasse Platz.

Ab 1897 brachte die elektrische Straßenbahn die Ausflügler zum Kahlenberg, den der Mülheimer Verschönerungsverein mit Hilfe der Stadt in den 1880er Jahren von einem Steinbruch in eine grüne Oase verwandelt hatte. Aber auch Mülheims Wassersportler wussten den Bierkeller des Kahlenberg-Restaurants als Treffpunkt zu schätzen.Der Ausflug zum Kahlenberg lohnte sich. Denn ab 1909 stand dort auch der Bismarckturm. Und bis 1957 konnte man von dort aus mit einer Fähre auf die andere Ruhrseite nach Saarn übersetzen. Außerdem gab es dort zwischen 1902 und 1924, als Mülheim noch Garnisonsstadt war, eine Militärbadeanstalt, die aber auch von den Mülheimer Zivilisten genutzt werden konnte.Doch als sich 1944 die Wehrmacht am Kahlenberg einquartierte, war Schluss mit Lustig und Lecker an der Ruhr.

Der Wehrmacht folgte 1945 die britische Rheinarmee, die ihr Quartier am Kahlenberg ab 1946 zumindest teilweise und am Wochenende als Ausflugslokal für die Mülheimer freigab. Doch der Betrieb rechnete sich nicht und wurde 1951 eingestellt.Damals gab es in der Bauverwaltung Überlegungen, das alte Haus am Kahlenberg abzureißen, ehe sich der damalige Jugenddezernent und spätere Oberstadtdirektor Bernhard Witthaus 1952 damit durchsetzen konnte, dort eine Jugendherberge einzurichten. Dass seine Idee gut ankam, zeigten die 65 000 Gäste aus 50 Ländern, die sich bis 1962 am Kahlenberg beherbergen ließen. Doch nicht nur die Gäste, sondern auch die Handwerker gingen in der alten Jugendherberge ein und aus. 1986 mussten Stadt und Land 1,8 Millionen Mark in die Modernisierung der Jugendherberge investieren.

Auch wenn die Jugendherberge mit 70 Betten in 16 Räumen jetzt auch eine Bar und eine Bauernstube, zwei große Tagesräume, einen Grillplatz, eine Dachterrasse und einen offenen Kamin hatte, konnte die schöne Herberge in den letzten Jahren nicht mehr mit den modernen Komfortstandards mithalten. Die Gästezahl sank von 8674 im Jahre 2004 auf 6119 im vergangenen Jahr. Genau das war auch der Anstoß für die Stadt, an den Verkauf der Jugendherberge zu denken und deren Betriebskosten von jährlich rund 132 000 Euro im Rahmen der Haushaltskonsolidierung einzusparen.Dabei hat der Abschied von der Jugendherberge am Kahlenberg viele Gesichter. Eines davon war die letzte Kindertheateraufführung, die dort am 28. November mit „Weihnachten im Mäuseland“ und den selbstgebackenen Plätzchen der Meyers über die Bühne ging.

Dieser Text erschien am 20. November 2010 in der NRZ

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihre Wiege stand in Mülheim

  Der Mülheimer Heimatforscher Dirk von Eicken liebt Geschichte(n), die nicht jeder kennt. Eine dieser Geschichten hat er für die  Internets...