"Ihr habt heute die Chance, alles zu fragen, was ihr wissen wollt", motiviert Geschichtslehrerin Dr. Beate Schulte die rund 150 Zehntklässler der Luisenschule, die sich an diesem Dienstag um 7.50 Uhr in der Aula versammelt haben, um der aus Baden-Württemberg stammenden und heute in Berlin lebenden Politikwissenschaftlerin, Katrin Himmler, 45 Minuten lang zuzuhören und dann mit ihr ins Gespräch zu kommen.
Himmler erzählt zunächst die Biografie ihres Großonkels Heinrich Himmler, der als Chef der deutschen Polizei und als Reichsinnenminister der zweitmächtigste Mann des NS-Regimes war und federführend an dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt war.
"Die Brüder Himmler
Die Autorin des 2005 erschienen Buches "Die Brüder Himmler", die regelmäßig in Schulen über ihre Familiengeschichte im Besonderen und über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus im Allgemeinen spricht, berichtet auch über Heinrichs Brüder Gebhard und Ernst, ihren Großvater. Sie schildert, wie alle drei Brüder, Kinder aus einem katholischen, monarchistischen und bildungsbürgerlichen Elternhaus, schon lange vor 1933 zu aktiven Nationalsozialisten wurden und nach 1933, von ihrem Bruder Heinrich gefördert, als Ingenieur und Erziehungswissenschaftler in der NSDAP und in der SS Karriere machten.
Katrin Himmler macht deutlich, dass die historische Bürde des Nationalsozialismus auch nach 1945 geprägt habe. Sie erzählt von ihren Eltern, die mit dem Nationalsozialismus brachen und ihre Kinder auf der Basis demokratischer Grundwerte erzogen, aber auch von einer 2018 verstorbenen Tante, die bis zu ihrem Tod eine glühende Nationalsozialistin blieb, verurteilte Kriegsverbrecher unterstützte und auch ihre Kinder in einer rechtsextremen Jugendorganisation aufwachsen ließ.
Wie sie mit der Geschichte ihrer Familie umgegangen sei und diese aufgearbeitet haben, wollen die Schülerinnen und Schüler in der anschließenden Diskussion erfahren. Als Elfjährige, so berichtet Himmler, habe sie im Fernsehen eine Serie über den Holocaust gesehen und begriffen, für welche Verbrechen ihr Großonkel maßgeblich mitverantwortlich gewesen sei. Danach habe sie sich in Bibliotheken über den Nationalsozialismus schlau gemacht.
Kluge Fragen
Wie sei ihre Familie mit ihrem NS-Erbe umgegangen, wollen die Jugendlichen wissen. Die meisten Familienmitglieder, sagt Himmler, hätten sich "von den Monster Heinrich" distanziert, hätten aber lange nicht wahrhaben wollen, dass sich auch dessen Brüder Ernst und Gebhard in einer Mischung aus Fanatismus und Ehrgeiz in nationalsozialistische Verbrechen verstrickt hätten.
"Warum haben Sie ihren Familiennamen nicht abgelegt?", fragt eine Schülerin. "Als 5-Jährige hatte ich einen Klos im Hals, als mich Klassenkameraden fragten, ob ich mit dem Himmler verwandt sei und ich diese Frage bejahen musste, und meine Geschichtslehrerin das damals nicht aufgegriffen, sondern einfach übergangen hat."
Doch je intensiver sie sich mit der NS-Geschichte und ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt und damit das in der Familie weitverbreitete Schweigen durchbrochen habe, desto mehr habe sie begriffen, so Himmler, dass ihr Familienname nicht nur eine Bürde, sondern auch eine Verantwortung und eine Verpflichtung mit sich bringe, aktiv für die Werte unserer freiheitlichen Demokratie einzutreten und über die Narrative und Fake News der heutigen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten aufzuklären.
Geschichte und Gegenwart
In diesem Zusammenhang zitiert sie AFD-Politiker mit ihrer Einschätzung, "dass die zwölf Jahre Nationalsozialismus nur ein Vogelschiss in einer ansonsten erfolgreichen über 1000-jährigen deutschen Geschichte" seien und das das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "ein Denkmal der Schande" anzusehen sei als eine politisch gewollte Verharmlosung des Nationalsozialismus, die das Ziel habe, unsere Demokratie zu untergraben und langfristig abzuschaffen. Unzitiert lässt Himmler die ebenfalls von einem führenden AFD-Politiker geäußerte Ansicht, "dass wir eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" bräuchten.
Ob sie in die Politik gehen wolle und welche Partei sie unterstütze? Die Frage nach ihrer parteipolitischen Präferenz lässt die Politikwissenschaftlerin, Buchautorin und Vortragsrednerin unbeantwortet. Die Frage nach ihrem politischen Engagement beantwortet sie mit dem Hinweis: "In die Politik zu gehen, wäre nicht mein Weg. Aber ich engagiere mich auf meine Weise politisch, in dem ich Menschen über historische und politische Fakten informiere und ihnen so politische Bildung vermittle."
Politik geht alle an
Den Jugendlichen, die noch nicht wahlberechtigt sind, macht sie Mut, sich politisch zu informieren und zu engagieren. "Das kann man auch auch über sein Wahlrecht hinaus tun, in dem man zum Beispiel in einem Bürgerrat mitarbeitet, der auf der Basis von Lebenserfahrung und von Fachleuten vermittelten Wissen politische Handlungsvorschläge macht", nennt Himmler ein noch junges Instrument der direkten Demokratie, dass unsere Parlamente ergänzen und ihre Entscheidungen bürgernäher machen soll. Wichtig ist der Politikwissenschaftlerin, "dass in unserer Demokratie jede Stimme gehört wird und jeder Mensch zählt und wichtig ist."
Ob sie von Rechtsextremisten angefeindet werden, fragt ein Schüler: "Ja, ich bekomme Hassmails. Aber ich bin ganz bewusst nicht in Social-Media-Kanälen unterwegs, so dass ich nur manchmal von anderen höre, was dort über mich geschrieben wird." Die politische Verblendung, der ihr Großvater und ihre Großonkel nach dem Ersten Weltkrieg verfallen seien, vergleicht Himmler indirekt mit den verschwörungstheoretischen Fake-News-Debatten, wenn sie über die Brüder Gebhard, Heinrich und Ernst Himmler sagt: "Auch sie haben
damals in einer Bubble gelebt und wollten deshalb nichts hören und sehen, was ihrer Ideologie, das deutsche Volk sei besser und mehr Wert als andere Völker, widersprach.
In diesem Zusammenhang ermutigt Himmler die Jugendlichen, sich zu informieren und sich Hilfe zu holen, wenn es darum gehe rechtsextremen Sprüchen entgegenzutreten statt sie schweigend hinzunehmen
Den Luisenschülerinnen und Schülern rät Himmler mit Blick auf deren Familiengeschichte, "zu Hause auch mal bei Eltern und Großeltern nachzufragen, welche NS-Geschichte eure Familie hat." Vor dem Hintergrund rät sie den in diesem Punkt besonders stark interessierten Jugendlichen auch vor der Recherche in Bundes- Landes- und Stadtarchiven nicht zurückzuschrecken.
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