Samstag, 15. März 2014

Papier ist geduldiger als die Wähler: Sie wollen lieber Taten als Worte sehen


Sie kosten viel Arbeit, Zeit, Papier und Druckerschwärze: die Wahlprogramme. Die SPD hat gerade erst ihren Mülheim-Plan vorgestellt, mit dem sie am 25. Mai in die Kommunalwahl und anschließend in die neue Ratsperiode gehen will. Doch lohnt sich die programmatische Mühe überhaupt? Ich habe nachgefragt, auf der Straße und am Telefon.

Gerade mal eine von 18 Befragten konnte mit dem Begriff Mülheim-Plan etwas anfangen. Ein Mülheimer Amtsleiter, immerhin Parteimitglied, der aber namentlich nicht zitiert werden möchte, kam erst im zweiten Anlauf darauf: „Ach ja, das ist doch das Wahlprogramm der SPD“ und zwei oder drei Befragte spekulierten, ob es sich beim Mülheim-Plan um einen Plan zur Belebung der Innenstadt oder um das Mülheimer Leitbild handele. Alles in allem drängt sich im Gespräch mit Bürgern der Eindruck auf, dass Wahlprogramme keine Bestseller sind, obwohl sie kostenlos unter die Wähler gebracht werden.

„Ich wähle lieber Menschen als Programme. Denn bei Menschen kann man sich auf seinen Instinkt und seine Lebenserfahrung verlassen, dass am Ende zumindest die Tendenz stimmt“, sagt Künstler Peter Torsten Schulz und fügt hinzu: „Wenn mir ein Wahlprogramm mal in die Hände fällt, schaue ich auch hinein, ansonsten lese ich nur meine Zeitung von vorne bis hinten durch. Denn es wäre ja etwas Neues, wenn das, was in einem Wahlprogramm geschrieben steht am Ende auch 1:1 eingehalten würde.“

Der Pastor von St. Engelbert in Eppinghofen Michael Clemens meint: „Ich lese keine Wahlprogramme, weil ich den Parteien nicht über den Weg traue. Denn das was drin steht und das was raus kommt, stimmt oft nicht miteinander überein. Ich schaue mir lieber an, was in der Wirklichkeit passiert und spreche mit den Menschen in meinem Stadtteil, die die Folgen von Politik zu spüren bekommen. Und wenn ich da auf die Entscheidung über die Max-Kölges-Schule sehe, werde ich zum Beispiel aus der inkonsequenten Haltung der SPD bei der Kommunalwahl auch meine Konsequenzen ziehen.“

Sein evangelischer Amtskollege, Michael Manz , aus Styrum glaubt: „Wahlprogramme sind viel vergebliche Arbeit und Liebesmühe. Denn in ihnen steht meistens alles und nichts drin und wenn wir ehrlich sind, wird höchstens die Hälfte ihrer Forderungen eingelöst.“ Für den Pfarrer der Immanuelkirche steht fest: „Politiker müssen die Bürger nicht mit Papier überzeugen, sondern ihre Politik vorleben. Und deshalb wähle ich auch nicht Programme, sondern Personen, deren Haltung mir nachvollziehbar scheint und lese vielleicht in der Zeitung die Synopsen aus den Wahlprogrammen nach.“

Auch der 50-jährige Sozialversicherungsfachangestellte Martin van Dorp , liest, schaut und hört lieber in den Medien nach, wofür Parteien und Politiker stehen als ihre Wahlprogramme zu lesen. „Sowohl bei Bundestags- und Landtagswahlen als auch bei Kommunalwahlen kann ich mich über die verschiedenen Medien sehr gut informieren. Wenn ich das nicht tute, kann ich nicht meckern, sondern muss mir den Schuh selbst anziehen“, betont van Dorp.

Die Sozialpädagogin Elfriede Majer (56) weiß zwar, was der Mülheim-Plan ist, achtet aber weniger auf Programme als auf Personen und darauf, „wie sich Parteien in der politischen Praxis bisher positioniert haben.“ Die Ehrenvorsitzende des Kolpingwerkes, Marlies Schröder, schaut zwar auch schon mal in ein Wahlprogramm. „Noch mehr sehe ich mir mit Blick auf die Kommunalwahl an, was in den letzten fünf Jahren passiert ist und sehe, dass es in Mülheim so lange dauert, gute Ideen umzusetzen, was der Stadt nicht gut tut.“

Bankkaufmann Matthias Böhler (42) gibt zu, dass es auch mit seiner eigenen Bequemlichkeit zu tun hat, wenn er sich mit Blick auf die Kommunalwahl doch lieber in der Zeitung als in den gemeinhin recht dicken Wahlprogrammen informiert. Außerdem setzt er auch auf das Gespräch mit Kommunalpolitikern. „Sie müssten eigentlich das ganze Jahr und nicht nur drei Monate vor der Wahl in der Öffentlichkeit präsent sein und den Bürgern deutlich machen, dass sie die Ergebnisse von Kommunalwahlen vielleicht viel mehr betreffen, als die von Landtags- und Bundestagswahlen“, findet Böhler.

Auch wenn die Bibliothekarin Helga Steinwender „die Wahlprogramme nur sehr grob liest“, hält sie diese doch für unverzichtbar, „weil man in ihnen etwas über das Profil und die Positionierung einer Partei erfährt.“ Und vor dieser Wahl am 25. Mai 2014 möchte sie von den Parteien und Kommunalpolitikern vor allem erfahren, was sie für die Kultur und dagegen tun wollen, „dass die Innenstadt immer mehr verkümmert und immer mehr Kneipen sterben.“

Auch dem 49-jährigen Stefan Goede liegt vor allem die Innenstadt am Herzen. Mit diesem Anliegen liest er „die Wahlprogramme nicht, wie das Evangelium, von der ersten bis zur letzten Seite und vergleicht das Papier mit der Praxis.“ Sein Resümee: „Viele Menschen setzten sich für die Innenstadt ein, aber es wird trotzdem immer schlimmer.“

„Wahlprogramme kommen zu wenig auf den Punkt“, glaubt der beruflich in der Werbebranche und ehrenamtlich bei der Verkehrswacht engagierte Carsten Kuhlmann . Im Rahmen seines Ehrenamtes bereitet der 52-Jährige eine Podiumsdiskussion mit den kommunalen Spitzenpolitikern vor und liest deshalb zurzeit in den Wahlprogrammen nach, was dort zum Thema Verkehr und Sicherheit im Straßenverkehr steht. Doch privat zieht er einen prägnanten Zeitungsartikel einem dicken Wahlprogramm vor, wenn es um seine politische Meinungs- und Willensbildung geht.

 Dieser Text erschien am 12. März 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 1929 als Gasbehälter errichtet, dient der 117 Meter hohe Gasometer in Oberhausen seit 30 Jahren als extravaganter Ausstellungsraum. Dieser ...