"Eigentlich hättest du in einem Knzentrationslager ums Leben kommen müssen. Mein liebes Kind, dort wo ich gestanden habe, habe ich größeres Übel verhindert und die Reste unseres Kultur- und Rechtsstaates gerettet."
Dieser vom Archivpädagogen und Historiker, Patrick Böhm, zitierte Wortwechsel ereignete sich im Jahr 1956 zwischen dem ehemaligen Oberbürgermeister Edwin Hasenjäger und seiner Tochter Margarete. Er veranschaulicht die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Diktatur und den daraus erwachsenen Generationenkonflikt in der Nachkriegszeit.
1956 lag die Amtszeit Edwin Hasenjägers als Mülheimer Oberbürgermeister (1936-1946) schon ein Jahrzehnt zurück.
Der 1888 in Pommern geborene Juristen und Verwaltungsfachmann Edwin Hasenjäger hatte, um ein Wortbild des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl zu bemühen, die Ungnade der späten Geburt. Hasenjäger gehörte zur Generation, die im monarchischen Obrigkeitsstaat des Deutschen Kaiserreiches sozialisiert und in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus Verantwortung zu tragen hatte.
Patrick Böhm beleuchtete mit seinem Vortrag im Haus der Stadtgeschichte die ambivalente Persönlichkeit Hasenjägers auf der Grundlage der Quellen, die das Stadtarchiv und das Landesarchiv hergeben. Überraschend stellte er fest, dass es keine, sonst übliche, Zusammenfassung des Entnazifizierungsverfahrens Hasenjägers gebe. Hasenjäger war bis 1933 Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei und ab Mitglied 1937 der NSDAP. Ein Jahr zuvor war er als Oberbürgermeister von Rheydt nach Mülheim an der Ruhr gewechselt, um dort den städtischen Haushalt zu sanieren, den sein nationalsozialistischer Vorgänger, der Reichsbahnbeamte, Wilhelm März ruiniert hatte.
Vor allem in dem Künstler Otto Pankok fand Hasenjäger nach dem Krieg einen Fürsprecher. Denn als Oberbürgermeister hatte er Pankoks Werke für das städtische Kunstmuseum angekauft, als der 1893 in Saarn geborene Maler, Grafiker und Bildhauer den Nationalsozialisten als "entarteter" Künstler galt, nachdem er in seiner Passion vom NS-Regime verfolgte Künstler in der Person des gekreuzigten Jesu dargestellt hatte. Auch wenn er im November 1938 die Brandschatzung der Synagoge am damaligen Viktoriaplatz nicht verhindern konnte, fällt doch auf, dass er in seiner Zeit als Oberbürgermeister im pommerschen Stolp zwangspensioniert worden war, nachdem er gegen den nationalsozialistischen Kaufboykott gegen jüdische Geschäftsinhaber vorgegangen war.
Den Mülheimern bleibt Hasenjäger vor allem deshalb in guter Erinnerung, weil die Versorgungslage im Mülheim der Kriegsjahre unter seiner Führung vergleichsweise gut war.
Konsequenterweise ließ der Oberbürgermeister kurz vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen am 11 April 1945 die von der Stadt gehorteten Lebensmittel an die Bevölkerung verteilen. Und obwohl er nach dem Einmarsch der US-Truppen, der für Mülheim das Ende des Zweiten Weltkrieges und der NS-Herrschaft brachte, seines Amtes enthoben und in Frankreich interniert wurde, zeigt seine Reaktivierung als Oberbürgermeister durch die britische Besatzungsmacht am 11. Oktober 1945, das Hasenjäger auch in den Augen der britischen Militärregierung kein lupenreiner Nationalsozialist gewesen ist.
Dennoch holte ihn die Tatsache ein, dass er als Oberbürgermeister an der Spitze der von der Staatspartei NSDAP gleichgeschalteten Stadtverwaltung gestanden hatte. Eine Ratsmehrheit aus Sozialdemokraten und Kommunisten zwang Hasenjäger am 30. April 1946 zum Rücktritt. Dabei war die Kontroverse um die Wiedereinführung der konfessionellen Volksschulen, die von den Nationalsozialisten zugunsten einer Gemeinschaftsschule abgeschaft worden waren, nur ein äußerer Anlass. Obwohl Hasenjäger noch bis zu seinem Tod, im Jahr 1972, in seiner wahlheimat Mülheim an der Ruhr lebte, strebte er nach seinem Rücktritt kein kommunalpolitisches Comeback an. Stattdessen war er als Wirtschaftsberater und in verschiedenen Aufsichtsräten tätig.
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