Dienstag, 16. Juli 2019

Hast du Töne?

Mit Musik geht alles besser. So sagt man. Als Schüler machte ich meine Hausaufgaben auch gerne unter den entspannenden Klängen klassischer Musik, wenn meine Motivation und geistige Spannkraft nachzulassen drohten. Im Fach Mathematik konnte mich aber auch die schönste Symphonie nicht in die Leichtigkeit des Seins versetzen und meinen Geist auf das hohe C bringen. Mathematik, ob daheim oder in der Schule, war für mich stets ein Trauermarsch oder bestenfalls ein Kriminaltango. Heute lassen es Schüler bei der musikalischen Begleitung nicht mehr mit Musik in den eigenen 4 wänden bewenden. Sie lassen sich via Smartphone und Kopfhörer auch unterwegs, zu Fuß, auf dem Fahrrad oder in der Straßenbahn beschallen. Den Höhepunkt der musikalischen Ausgelassenheit erlebte ich jetzt in einem Mülheimer Fachmarkt für Unterhaltungselektronik. Dort nutzten Schüler ihre Schulferienfreizeit dafür, um sich die Neuheiten auf dem Audio- und Hifi-Markt nicht nur anzuschauen, sondern die Probe aufs Exempel zu machen. Sie drehten eine Musikanlage gleich soweit auf, das allen Verkäufer und Kunden das Hören und Sehen verging und legten passend zum Sound ihrer Wahl zwischen den Regalen eine kesse Sohle aufs Parkett.

Auch ihre sehenswerte Tanzeinlage, die zweifellos Unterhaltungswert hatte, konnte einen erstaunlich dynamisch aus der Tiefe des Raumes heranspurtenden Verkäufer nicht daran hindern, ihr lautstarkes Gastspiel mit einem Platzverweis und einigen schroffen Missklängen zu einem Finale Infernale zu bringen.

Die so gescholtenen Schüler zogen sich denn auch piano zurück und mussten auch in den Schulferien eine Lektion lernen, die da heißt: Ohne Moos ist nichts los. Und wo du nicht bist Herr Jesus Christ, da schweigen alle Flöten, ganz zu schweigen von der Unterhaltungselektronik, die nur den unterhält und zum Tanzen bringt, der vorher die Kassen hat klingeln lassen. Der Rest ist Schweigen.

Dieser Text erschien am 16. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung

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