Am 25. September hat sich die evangelische Lukaskirchengemeinde von ihrer Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski verabschiedet. Dann wird die 63-jährige Theologin vom Superintendent Gerald Hillebrand als seine Stellvertreterin und als Pfarrerin entpflichtet. 42 Jahre hat sich Tietsch-Lipski, erst als Vikarin und dann als Pfarrerin in die Pflicht nehmen lassen. Ihren Dienst im Auftrag der Evangelischen Kirche trat die am Niederrhein geborene und aufgewachsene Theologin zunächst in der Luther Gemeinde Oberhausen an, ehe sie 1986 vom Presbyterium der damals noch eigenständigen Johanniskirchengemeinde zur Pfarrerin gewählt wurde. Seit 2010 ist ihre Gemeinde ein Pfarrbezirk der Lukas-Kirchengemeinde, zu der heute rund 9000 evangelische Christen aus Eppinghofen, Styrum und Dümpten gehören. „Als ich 1986 hier meine Arbeit aufnahm, hatte die Johanniskirchengemeinde noch rund 10.000 Mitglieder“, erinnert sich Tietsch-Lipski an ihre ersten Jahre in Eppinghofen.
Obwohl sie nach ihrem Abitur auch mit der Schauspielerei und mit den
Naturwissenschaften liebäugelte, entschied sich Dagmar Tietsch-Lipski 1977 für
ein Studium der evangelischen Theologie, „weil ich ein kommunikativer Mensch
bin, der gerne mit anderen Menschen zu tun hat.“.
Erst 1973 waren evangelische Pfarrerinnen mit ihren männlichen Kollegen
gleichgestellt worden. „Bis dahin mussten Pfarrerinnen ihr Amt aufgeben, sobald
sie heirateten. Und ich erinnere mich noch an einen alten Presbyter, der mir
mal sagte: ‚Wenn ihr Mann erst mal genug verdient, hören Sie ja wohl auf, als
Pfarrerin zu arbeiten!‘“, berichtet Tietsch-Lipski
aus dem selbst erlebten gesellschaftlichen Wandel. Die Mutter von zwei
inzwischen erwachsenen Söhnen, die ihren Mann während des Theologiestudiums
kennengelernt hat, hätte, so sagt sie, „unter den früheren Rahmenbedingungen
niemals das Pfarramt angestrebt, auch wenn Familiengründung damals noch kein
Thema für mich war.“
Vor 50 Jahren gehörten noch 88 Prozent der Mülheimer einer christlichen
Kirche an. Heute sind es nur noch 50 Prozent. Diesen gesellschaftlichen und
demografischen Wandel hat auch Dagmar Tietsch-Lipski schmerzlich zu spüren
bekommen. „Als Pfarrerin war die Seelsorge in Form des persönlichen Gesprächs
immer mein Kerngeschäft. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass immer weniger
Eltern ihre Kinder taufen lassen und auch immer weniger Gemeindemitglieder Wert
auf einen Haus- oder Krankenbesuch der Pfarrerin legen“, stellt die Theologin
fest. „Wir müssen ganz dringend an unserem Gemeinschaftsleben arbeiten. Die
Menschen müssen Gemeinden wieder als Gemeinschaften erleben, die sie durchs
Leben tragen, weil sie eben nicht nur reine Zweckverbände sind. Deshalb müssen wir
unsere Frohe Botschaft, die Menschen Trost, Hoffnung und Freiheit gibt, besser
verkaufen“, sagt die Theologin mit Blick auf die Zukunft der schrumpfenden
christlichen Gemeinden. Auf die beiden vergangenen Corona-Jahre schaut die Pfarrerin
in diesem Zusammenhang zwiespältig zurück: „Einerseits hat uns die Pandemie
einen Digitalisierungsschub mit Videokonferenzen und geistlichen Videobotschaften
gebracht, den es ohne die Pandemie so nicht gegeben hätte. Andererseits hat die
Pandemie unserem Gemeindeleben geschadet, in dem sie die Zahl unserer sonntäglichen
Gottesdienstbesucher noch einmal halbiert hat“, bilanziert sie,
Auch wenn sich Dagmar Tietsch-Lipski als Pfarrerin in Eppinghofen und als stellvertretende
Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises An der Ruhr gerne in die
Pflicht nehmen ließ, freut sie sich jetzt doch auch auf ihre Entpflichtung. „Ich
werde jetzt mehr Zeit für Dinge, haben, die in den vergangenen Jahren viel zu
oft liegen geblieben sind oder zurückstehen mussten: Lesen, Reisen und Freunde
treffen. Doch auch nach meiner Entpflichtung und meinem Umzug nach Saarn, werde
ich Mitglied der Johanniskirchengemeinde bleiben und weiterhin ehrenamtlich in
den Arbeitsgemeinschaften für Klimaneutralität und Fairen Handel mitarbeiten“,
schaut Dagmar Tietsch-Lipski auf ihre neue Lebensphase, in der sie als
Pfarrerin weiterhin seelsorgerisch arbeiten kann, es aber nicht mehr muss.
Zum Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr
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