Im Rahmen einer Deutschlandreise
zum Beginn der aktuellen Adveniat-Kampagne besuchte Kardinal Gregorio Rosa
Chavez aus El Salvador im Advent die Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt, um sich
beim Weihbischof Franz Grave, der dort zum Patoralteam gehört, für seinen langjährigen
Einsatz als Vorsitzender des bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat
zu danken. In diesem Interview spiegeln sich die Fragen und Antworten eines Gesprächs,
das der Kardinal vor Weihnachten mit interessierten Gemeindemitgliedern geführt
hat.
??? Die aktuelle Diskussion über
einen Mauerbau an der Südgrenze der USA zeigt legt die Probleme in Mittelamerika
und seine angespannten Beziehungen zu den USA auf. Was sagen Sie dazu?
!!! Es gibt viele Interessen, aber
keine Freunde. Es gilt: Heute bin ich Freund, morgen bin ich Feind. Es gibt
keine echte Solidarität. Der Krieg in Zentralamerika war während des Kalten
Krieges ein Krieg zwischen dem von Kuba und Russland angeführten Ostblock und
dem nordamerikanischen Block. Wir sind ein Puzzlestück im Puzzle der
geostrategischen Interessen. Es ist schlimm, das sagen zu müssen. Aber es ist
die Wahrheit.
??? Wie kommen die Regierungen in
El Salvador zustande? Haben Sie demokratische Wahlen?
!!! 50 Jahre lang gab es in El
Salvador nur Militärdiktaturen. 1984 kam dann die erste demokratische
Zivilregierung unter der Führung des Christ-sozialen Demokraten Napoleon Duarte
an die Macht, die echte Werte vertreten und verfolgt hat. Doch dann kam die Arena-Partei
an die Regierung, die das neoliberale Modell verfolgt hat. Es gibt freie und
demokratische Wahlen, deren Ergebnisse akzeptiert werden. Und wir haben starke unabhängige
Institutionen. Aber es gibt Krebs-Formen, von denen eine die Korruption ist.
Ein Präsident ist zurzeit im Gefängnis. Er hat einfach zu viel geklaut. Und das
ist ein sehr schwerwiegendes Problem. Wir erleben leider eine starke
Polarisierung und nur unzureichende Versuche, das Beste für unser Land herauszuholen.
Es ist nicht leicht, gute Wege zu finden. Aber es ist nicht unmöglich.
??? Wie frei ist die katholische
Kirche in El Salvador und was kann sie für das Land und seine Menschen tun?
!!! Der 1980 ermordete und jetzt
von Papst Franziskus heiliggesprochene Erzbischof von San Salvador, Oscar
Romero, hat uns eine sehr freie Kirche hinterlassen. Denn er hat nie Allianzen
mit der politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Macht geschlossen und
er hat immer die Wahrheit gesagt. Diese Lektion haben wir in El Salvador nicht
vergessen. Wir sind eine freie Kirche und die Leute wissen, dass wir auf ihrer Seite
stehen. Und das macht uns glaubwürdig. Das ist unser Kapital. Aber wir haben
noch nicht Romeros Größe erreicht. Und die Leute reklamieren: Was würde Romero
jetzt sagen und machen? Das ist gut so, dass uns die Leute anstoßen, so
glaubwürdig zu sein, wie Oscar Romero. Romero sagte einmal: „Mit diesem Volk
fällt es nicht schwer, ein guter Hirte zu sein, weil die Leute uns dazu
anstoßen, dem Volk zu dienen. Und das stimmt auch heute noch. Die Menschen
wollen auch heute Bischöfe, die an der Seite der Armen stehen. Und in diesem
Sinne ist Oscar Romero auch heute noch sehr präsent in El Salvador.
??? Wie viel staatlichen Druck
spüren die katholischen Schulen in El Salvador?
!!! Es gibt private und öffentliche
Schulen für die man Gebühren zahlen muss. Aber ich betreibe eine Pfarreischule,
die für die Armen da ist. Wir haben als Bischofskonferenz einen
Erziehungsvorschlag gemacht. Erziehung darf kein Geschäft sein. Und deshalb
stecken wir immer in den roten Zahlen. Wir werden niemanden ausschließen, nur
weil das Schulgeld nicht bezahlt ist. Denn Erziehung und Bildung sind der
Schlüssel zur Zukunft. Wir brauchen eine ganzheitliche Bildung, die nicht nur
akademische, sondern auch menschliche und spirituelle Werte vermittelt. Wir
sagen unseren Schülern: „Wir wollen euch nicht als Führungspersönlichkeiten,
die korrupt sind. Und wenn ihr doch korrupt werden solltet, sagt nie, dass ihr
bei uns studiert habt. Mit Ihrer Hilfe gibt uns Adveniat 90 Studienförderungen
für junge Menschen aus armen Elternhäusern, die sich sonst keine Ausbildung
leisten könnte. Und die Ergebnisse sprechen für sich. Man muss diese jungen
Leute nur anstoßen und ihnen Chancen geben. Den Rest machen sie selbst. Sie
werden selbst zu Protagonisten, in dem
wir ihnen helfen, sich selbst helfen zu können. Das ist unsere Philosophie. Die
Leute wissen, dass wir kein Geld verdienen, sondern ihnen die besten
Rahmenbedingungen geben wollen. Das ist pastorale Arbeit, die Vorsorge betreibt.
??? Warum ist Oscar Romero erst 38
Jahre nach seiner Ermordung heilig gesprochen worden?
!!! Viele hatten Angst, dass es
eine gefährliche Heiligsprechung sein könnte. Es gab die Angst, das Bild eines Menschen
heilig zu sprechen, dass mit der wirklichen Persönlichkeit Romeros gar nichts
zu tun hätte. Romero war eben kein Mensch, der nur gebetet und sonst nichts
getan hat. Und deshalb wollten wir abwarten bis der wahre Oscar Romero heiliggesprochen
wird. Papst Franziskus hat das verstanden. Und er hat den Heiligen heiliggesprochen
wie er wirklich war. Und er hat genau das auch bei den Bischöfen in El Salvador
reklamiert. Der Papst hat uns gesagt: „Oscar Romero ist zweimal ermordet
worden. Das erste Mal am 24. März 1980. Und das zweite Mal wurde er getötet, indem
er nach seinem Tod verleumdet wurde. Doch jetzt reicht es. Er ist ein echter Märtyrer.
Er ist ein echter Heiliger, der alle religiösen, politischen und ideologischen Grenzen
überschreitet und wirklich alle Menschen inspiriert, die sich nach einer
besseren Welt sehnen. Deshalb haben die Vereinten Nationen den Tag der
Ermordung Romeros, den 24. März, zum Tag der Wahrheit erklärt. Auch Papst Franziskus
evangelisiert die Menschen durch sein eigenes Lebenszeugnis. Auch in Deutschland
gibt es viele weise Menschen, Akademien und Fakultäten. Und doch fehlt es oft nicht
nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt an Menschen, die durch ihr
Leben Jesus bezeugen und es anderen Menschen durch ihr Zeugnis ermöglichen, ihm
zu begegnen. Hier geht es um Worte und Taten, die zusammenpassen. Für was gibt
es die Kirche und die Menschen, die in ihr arbeiten? Es gibt sie, damit
Menschen in ihnen Jesus Christus begegnen können. Das ist die Botschaft der
lateinamerikanischen Kirche. Die Kirche, von der Papst Franziskus träumt ist
eine Kirche, die vor allem außerhalb der Kirche funktioniert.
Der 1942 geborene Gregorio Rosa Chavez wurde
1970 zum Priester geweiht. Er hat Theologie, Philosophie und
Kommunikationswissenschaften studiert. Der Weihbischof und Kardinal arbeitet auch
als Geistlicher und Theologe in der Gemeindeseelsorge. Darüber hinaus leitet er
als Präsident die lateinamerikanische Caritas und als Generalvikar die
Verwaltung des Erzbistums von San Salvador. Gregorio Rosa Chavez gilt als Erbe
und Sachwalter seines Mentors Oscar Romero, der als Erzbischof von San Salvador
bis zu seiner Ermordung 1980 als einer der prominentesten Befreiungstheologen
galt.