Die jüngsten Hochwasser- und Waldbrandkatastrophen haben uns gezeigt: Der Klimawandel kommt nicht. Er ist schon da. Deshalb moderierten Dr. Bernhard Leidinger und Dr. Jürgen Zentgraf von der Mülheimer Klimaschutzinitiative am 22. August im Festsaal der Stadthalle eine Podiumsdiskussion, in der die Mülheimer Bundestagskandidaten Farbe bekennen mussten, wie sie es mit dem Klimaschutz halten und was sie als Bundestagsabgeordnete für den Klima- und Umweltschutz tun würden.
Angesichts von 40 Zuhörern im Saal und 60 Livestream-Zuschauern zeigte sich Bernhard Leidinger als Vorsitzender der örtlichen Klimaschutzinitiative mit dem Publikumszuspruch zufrieden. „Wir hatten Corona-bedingt mit weniger Interessenten gerechnet“, sagte Leidinger nach der zweistündigen Veranstaltung. Er lobte, „dass alle Kandidaten, vor allem bei der Frage, was sie ganz persönlich für den Klimaschutz tun, auf den Punkt geantwortet haben und nicht ausgewichen sind oder versucht haben mit anderen Themen zu punkten.“
„Auch wenn ich grün sozialisiert und in Stoffwindeln gewickelt worden bin, bin ich keine Vertreterin der reinen Lehre und kaufe auch schon mal in Folie eingepackte Champignons beim Discounter“, räumte die Kandidatin der Grünen, Dr. Franziska-Krummwiede-Steiner ein. Aber sie ließ keinen Zweifel daran, dass Kurzstreckenflüge und Kreuzfahrten für sie klimapolitische No-Gos seien. Im Sinne der Müllvermeidung kaufe sie gerne im Unverpacktladen am Löhberg ein. Sie sei bevorzugt mit Bussen und Bahnen oder mit dem E-Bike unterwegs. Wie ihr SPD-Mit-Bewerber Sebastian Fiedler sprach sich Krumwiede-Steiner dafür aus, im Laufe der kommenden Wahlperiode aus dem einen Mülheimer Windrad im Styrumer Ruhrbogen stadtweit 20 Windkraftanlagen werden zu lassen, um den „Lippenbekenntnissen zum Klimaschutz, konkrete Maßnahmen folgen zu lassen“, wenn es darum gehe, die Versorgung mit erneuerbarer Energie auch in unserer Stadt sicherzustellen. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung der Grünen stellte Krumwiede-Steiner umfassende Fördermaßnahmen für den Ausbau der erneuerbaren Energieversorgungsinfrastruktur und massive Investitionen in die Mobilitätswende zugunsten von Rad- und Fußwegen sowie zugunsten des Öffentlichen Personennahverkehrs in Aussicht. Eine Klimaschutzministerium und eine Klimaschutz-Taskforce werde dafür sorgen, dass alle Ressorts, die Forderungen des Pariser Klimaschutzabkommens erfüllten. Darüber hinaus plädierte die Grüne für einen Kohleausstieg bis 2030.
„Ich verzichte auf Plastiktüten und kaufe stattdessen mit Stoffbeuteln ein. Ich praktiziere eine konsequente Mülltrennung und habe mich von meinem Ehemann von einer gemüsereichen und fleischarmen Ernährung überzeugen lassen“, gab CDU-Kandidatin Astrid Timmermann-Fechter zum persönlichen Klimaprotokoll. Die als Referentin bei der ihrer Landespartei arbeitende Christdemokratin bekannte sich zu den CO2-Reduktionszielen der Bundesregierung, die Deutschland bis 2045 klimaneutral machen sollen. Darüber hinaus machte sie klar, „dass wir einen breiten Energiemix brauchen, unter Einbeziehung des modernen Kohlekraftwerks Datteln IV, um die Versorgungssicherheit und die Netzstabilität des Wirtschaftsstandortes Deutschland langfristig zu sichern.“ In diesem Zusammenhang wies Timmermann-Fechter darauf hin, dass man zurzeit 3000 Windräder benötige, um einen stillgelegten Hochofen zu ersetzen. Die Christdemokratin erinnerte daran, dass die Klimaschutzmaßnahmen auch sozial und wirtschaftlich ausgewogen und die damit einhergehenden Kosten gerecht verteilt werden müssten. Mit ihrer Grünen Mitbewerberin war sich sich darin einig, dass mehr Frei- und Schwammflächen geschaffen werden müssen, die in der Lage seien auch Starkregenniederschläge aufnehmen und ablaufen zu lassen.
Der noch zur Schule gehende und aus der Fridays-for-Future-Bewegung kommende Bewerber der Linken Eliseo Maugeri bekannte sich zur „klimafreundlichen veganen Ernährung und zur Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs, der ausgebaut werden muss.“ Wie seine Mitbewerber, aber deutlich akzentuierter, sprach sich Maugeri dafür aus, „dass der Klimaschutz mit seinen steigenden Energiekosten sozial abgefedert werden muss und keine Verlierer produzieren darf.“ Der Kandidat der Linken machte deutlich, „dass reiche Menschen den Klimawandel durch ihre Lebensweise erheblich mehr beschleunigen, als arme Menschen, die viel härter von den ökologischen und ökonomischen Folgen des Klimawandels getroffen werden.“ Der Linke forderte, den Ausstoß der Treibhausgase bis 2035 um 80 Prozent zu reduzieren und bis 2030 vollständig aus der Braunkohleverstromung auszusteigen. Außerdem plädierte er für eine massive Förderung des Öffentlichen Personennahverkehrs und eine Reduzierung des Flugverkehrs.
FDP-Kandidat Joachim vom Berg outete sich als Freizeit-Landwirt, der in seinem Garten Kartoffel und Gemüse anbaut, „um meiner kleinen Tochter von Anfang an zu zeigen, dass wir von der Natur leben und deshalb sparsam und verantwortungsvoll umgehen müssen.“ Außerdem wies er darauf hin, dass er im Wahlkampf keine Kunststoffplakate, sondern nur recycelbare Altpapierplakate aufhängen lasse. Grundsätzlich bekannte sich der FDP-Stadtrat, der als einziger Kandidat ohne umweltpolitischen Copiloten auf dem Podium saß, zur gezielten Förderung klimafreundlicher Energietechnik und klimafreundlicher Treibstoffe. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen lehnte er als nicht zielführend ab. Von Berg sprach sich für die Renaturierung von Mooren aus, die CO2-Emissionen aus der Atmosphäre ziehen könnten. Er warnte davor, den Klimaschutz zu einem für Unternehmen und Bürger unbezahlbaren Unterfangen zu machen, das den Wirtschaftsstandort Deutschland destabilisiere. Der FDP-Kandidat begrüßte die Einführung eines marktwirtschaftlich funktionierenden Handels mit Verschmutzungszertifikaten und Investitionen in Aufforstungsprogramme.
SPD-Kandidat Sebastian Fiedler, seines Zeichens Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, bekannte sich persönlich zu einer fleischarmen Ernährung. Auch er outete sich als Freizeitlandwirt mit Gemüseanbau und eigenen Hühnern. Außerdem verwies Fiedler auf sein Engagement für den Tierschutz. Als „grotesk“ bezeichnete er es, „dass in der Heimaterde Bürger gegen Denkmalschutzauflagen der Stadt klagen müssen, um auf eigene Kosten Photovoltaikanlagen auf ihren Hausdächern montieren zu können und damit aktiven Klimaschutz zu betreiben. „Hier brauchen wir gesetzliche Veränderungen“, betonte Fiedler. Er wies außerdem auf die Wechselwirkungen zwischen Arten- und Klimaschutz hin und forderte vor diesem Hintergrund „eine verstärkte und international abgestimmte Bekämpfung der Umweltkriminalität, die sich unter anderem in der illegalen Abholzung von Wäldern“ zeige. Der Sozialdemokrat kann sich mit einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen anfreunden, um den CO2-Ausstoß zu vermindern. Außerdem plädiert er für eine sozial gerechte Lastenverteilung der Klimaschutzfolgekosten und tritt dafür ein, nicht nur Versorgungs,- sondern auch die Stromspeicherinfrastruktur schneller als bisher auszubauen. Nur so seine Energie- und Klimawende realistischerweise erreichbar.
Hintergrund
Die Mülheimer Klimaschutzinitiative hatte den Bundestagskandidaten der AFD, Alexander von Wrese nicht eingeladen, da seine Partei nach ihrer Einschätzung die Notwendigkeit von aktivem Klimaschutz und des menschengemachten Klimawandels bestreite. Im Sinne der fachlich qualifizierten Diskussion wurde jedem Kandidaten ein Tandempartner zugestanden. Nach Angaben der Mülheimer Klimaschutzinitiative (www.klimaschutz-mh.de) konnte der klimaschädliche CO2-Ausstoß in Deutschland seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 um ein Drittel auf etwas weniger als 800.000 Tonnen gesenkt werden. Der CO2-Ausstoß sei zu etwa 90 Prozent für das Entstehen klimaschädlicher Treibhausgase verantwortlich. Einer der Haupttreiber des CO2-Ausstoßes ist der motorisierte Individualverkehr. Die jährlich in Deutschland gefahrenen Kilometer gibt die Klimaschutzinitiative mit 635,13 Millionen an. Dabei würden pro Jahr 47.000 Millionen Liter Benzin und Diesel verbrannt. Ihr nächstes Klimaforum veranstaltet die per Mail an: info@klimaschutz-mh.de erreichbare Initiative am 21. Oktober um 16 Uhr in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg am Falkenweg 6
NRZ/WAZ, 23.08.2021
Was Mülheimer Bundestagskandidaten fürs Klima tun wollen - nrz.de