Montag, 30. März 2020

Wiedersehen macht Freude

Wiedersehen macht Freude. Dieses spontane Gefühl überkam mich, als ich am Samstag in unserer Zeitung den Bericht über die pensionierten Feuerwehrleute und Ärzte las und dabei „alte Bekannte“ wiedersah, die sich jetzt für den Corona-Krisenstab der Stadt und für das Diagnosezentrum an der Mintarder Straße aus dem Ruhestand holen und reaktivieren ließen. Ihr löbliches und wertvolles Engagement entlarvt alle Protagonisten des Jugendwahns, die zum Beispiel in ihrer Medien- und Konsumforschung alle Menschen unter 14 und über 49 links liegen lassen, als falsche Propheten. Diese falschen Fünfziger, die sich auch im reifen Lebensalter noch wie halbstarke Teenager gebärden und die Jugend oder das, was sie dafür halten, zum Maßstab aller Dinge erklären und damit ihre Zeitgenossen traktieren oder sie gar auf den Holzweg führen. Diese Berufsjugendlichen werden jetzt nicht zum ersten Mal eines Besseren belehrt. Sie und wir dürfen jetzt erleben, dass in Krisenzeiten die Lebenserfahrung der alten Schule gefragt ist und gebraucht wird. Für die Älteren unter uns ist es keine neue Erfahrung. Denn sie können sich noch an den Alten erinnern, der als erster Bundeskanzler mit viel schlitzohriger Lebenserfahrung und mit einem klaren Kompass unser Land aus der moralischen und materiellen Krise der Kriegs- und Nachkriegsjahre herausführte. Konrad Adenauer, der als Kanzler mit 73 antrat und mit 85 Jahren zurücktrat, ermutigt bis heute alle Spätberufenen, niemals damit aufzuhören, immer wieder neu anzufangen. 

Dieser Text erschien am 30. März 2020 in der Neuen Ruhrzeitung

Sonntag, 29. März 2020

So arbeiten die Sozialverbände in der Corona-Krise


„Die exakten finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise kann ich noch nicht abschätzen. Aber wir können mit unseren öffentlichen Geldgebern (Bund, Land und Sozialfonds der Europäischen Union weiter Fachstunden abrechnen, die wir jetzt zum Teil von Präsenz- auf Telefonberatung umstellen mussten. Dass eingeplante Mittel weiter fließen, ist ein positives Signal und lässt uns hoffen, dass wir unsere Angebote, die von 120 Mitarbeitern bewerkstelligt werden, langfristig fortführen und nicht einstellen müssen“, sagt die Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt, Michaela Rosenbaum. „Die berechtigten Anforderungen der Gesundheitsvorsorge zwingen uns zu einem schwierigen Spagat“, betont die Awo-Chefin. Auch in Corona-Zeiten kommt Sozialarbeit nicht ganz ohne soziale Kontakte aus. So ist das Café Light derzeit geschlossen. Dennoch vereinbaren Mitarbeiter der Awo-Drogenhilfe mit ihren Klienten vor Ort an der Gerichtsstraße Einzeltermin, damit zum Beispiel Spritzen getauscht und Wäsche zu waschen. Auch die aufsuchende Familienhilfe geht in begründeten Einzelfällen unter verschärften Sicherheits- und Hygieneregeln im persönlichen Kontakt weiter, wenn es darum geht, eine mögliche Gefährdung von Kindeswohl abzuwenden. Auch die Betreuungsarbeit in den beiden jetzt durch eine Besuchssperre abgeschirmten Awo-Wohnhäusern für psychisch kranke Menschen wird im persönlichen Kontakt, aber unter verschärften Sicherheits- und Hygieneregeln fortgesetzt.


„Die Corona-Krise stellt für uns eine finanzielle und organisatorische Herausforderung dar und wird uns zu Anpassungen zwingen“, sagt die Geschäftsführerin des Deutschen Roten Kreuzes, Natalia Thoma. Erste-Hilfe-Kurse fallen corona-bedingt ebenso aus wie die Fahrdienste für die geschlossenen ambulanten Tagespflegestationen. Das sorgt für Einnahmeausfälle und trifft das DRK mit seinen 77 hauptamtlichen Mitarbeitern hart. Die Finanzierung der Rot-Kreuz-Kita „Rettungszwerge“, in der 17 Mitarbeiterinnen beschäftigt sind, sieht Thoma durch Landesmittel im Wesentlichen gesichert. Dort sorgen die Mitarbeitenden im rotierenden Schichtdienst für eine Kinder-Notfallbetreuung für Eltern, die als Schlüsselpersonen beruflich unabkömmlich sind. Der DRK-Bürgertreff in Broich und die Geschäftsstelle an der Aktienstraße sind geschlossen, letztere ist aber telefonisch erreichbar und personell besetzt. Im Menüservice werden die Kunden mithilfe von Tiefkühlfrischekost in Wochenkartons kontaktfrei beliefert. Auch beim Hausnotrufdienst gelten besondere Schutz- und Abstandregeln, um die Mitarbeiter und Kunden zu schützen.


„Die wichtigste Nachricht ist, dass das Diakonische Werk weiter geöffnet hat. Wir haben den direkten und persönlichen Publikumsverkehr gemäß den gesetzlichen Erlassen zwar seit dem 18. März 2020 eingestellt, sind aber mit allen Arbeitsbereichen und Abteilungen weiter im Dienst“, betont die stellvertretende DW-Geschäftsführerin Birgit Hirsch-Palepu. Ratsuchende können sich mit ihren Anliegen an die Fachkräfte der Diakonie wenden. Beratungstermine werden derzeit eher telefonisch und per E-Mail gemacht. Bei Bedarf stehen die Mitarbeiter der Diakonie auch für persönliche Beratungstermine unter den vorgegebenen gesicherten Bedingungen zur Verfügung. Derzeit ist die Diakonie dabei, Beratungs-Kontakte mit modernen technischen Möglichkeiten einzurichten, damit man auch Beratungsgespräche per Video führen kann. Geschlossen hat derzeit die Integrationsfachschule, die Durchführung dieser Kurse ist zunächst bis zum 19. April 2020 ausgesetzt. Auch hier wird der Kontakt zu den Schülern weiter aufrechterhalten, weil gerade jetzt in persönlichen Dingen Beratungsbedarf besteht. Wichtig ist für alle Wohlfahrtsverbände, aus der Sicht Hirsch-Palepus, dass das Bundeskabinett am 23. März beschlossen hat, auch die Wohlfahrtsverbände unter den nationalen Rettungsschirm zu nehmen.

Dieser Text erschien am 28. März 2020 in NRZ & WAZ

Samstag, 28. März 2020

Die Caritas hilft auch in Corona-Zeiten

„Der Mensch im Mittelpunkt.“ Dieses Motto hat sich die vor 100 Jahren von Pastor Konrad Jakobs ins Leben gerufene Caritas gegeben. „Diesem Grundsatz wollen wir auch in Zeiten der Corona-Krise treu bleiben, in dem wir die Grundregel der Sozialarbeit beherzigen: ‚So viel menschliche Nähe wie möglich und so viel Distanz wie nötig‘“, sagt Caritas-Vorstand Martina Pattberg.
Um seine 240 hauptamtlich Mitarbeitenden und seine Klienten vor dem Corona-Virus zu schützen, hat der katholische Sozialverband alle seine Beratungsstellen und Begegnungsstätten für den Publikumsverkehr geschlossen. Alle Beratungsgespräche werden verschoben oder telefonisch oder per Chat erledigt. „Wie kann ich meinem Kind erklären, dass es sich jetzt nicht draußen mit Freunden zum Spielen verabreden kann? Wie und wo können wir Hilfeleistungen beantragen, wenn die Arbeits- und Sozialagenturen geschlossen sind? Wie soll es mit uns weitergehen, wenn die Lebensmittelpreise so teuer sind und weiter steigen?“, zitiert Pattberg einige Anfragen.

Mit ihrer Vorstandskollegin Regine Arntz hat Pattberg einen Schichtdienstplan aufgestellt, der dafür sorgt, dass sich keiner der hauptamtlich Mitarbeitenden mehr mit einem Kollegen ein Büro teilen muss, so dass der Sicherheitsabstand gewahrt bleibt. Außerdem werden die Arbeitszeiten so organisiert, dass Kollegen mit kleinen Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen Betreuungszeiten einschieben können. Ein Teil der 130 in der Offenen Ganztagsschule eingesetzten Caritas-Mitarbeitenden hält jetzt die Notfallbetreuung in Kindertagesstätten und Grundschulen aufrecht, die von Eltern in Anspruch genommen wird, die an ihren „systemrelevanten“ Arbeitsplätzen unabkömmlich sind. Andere OGS-Kollegen arbeiten an pädagogischen Freizeittipps für die daheim von ihren Eltern betreuten OGS-Kinder. Ihre Handreichungen sollen in Kürze auf die Internetseite der Caritas gestellt werden.

„Der Betrieb unserer Wohngemeinschaft für psychisch erkrankte Menschen im Josefhaus an der Gracht muss natürlich aufrechterhalten werden. Hier kommt uns zugute, dass die meisten Mitarbeitenden in diesem Bereich keine kleinen Kinder mehr haben. Wie für Pflegeheime, gilt auch für das Josefhaus corona-bedingt derzeit ein Besuchsverbot“, erklärt Martina Pattberg. Da auch die tagesambulanten Beratungs- und Betreuungsdienste für psychisch erkrankte Menschen derzeit geschlossen bleiben müssen, halten die in diesem Bereich tätigen Caritas-Kollegen telefonischen Kontakt mit ihren Klienten und deren gesetzlichen Betreuern.

„Aus dem Kreis unserer ehrenamtlich Mitarbeitenden, das sind für den Stadtverband insgesamt rund 100 Personen, habe ich auch schon Signale der Hilfsbereitschaft empfangen“, sagt die für die ehrenamtlichen Caritas-Kollegen und die Gemeinde-Caritas zuständige Stabsleiterin Monika Schick-Jöres. „Zurzeit sind alle Hilfebedarfe, etwa beim Einkaufsdienst für Senioren, abgedeckt. Aber wir stehen mit der Stadt, dem Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE) und mit den anderen Sozialverbänden in einem stetigen Informationsaustausch und können personelle Ressourcen mobilisieren, sobald sich neue Hilfebedarfe auftun“, erklärt Schick-Jöres. (T.E.)

Hintergrund

Die Caritas-Zentrale im Zentrum St. Raphael an der Hingbergstraße ist unter der Rufnummer: 0208-300080 derzeit montags bis donnerstags (8.30 Uhr bis 14.30 Uhr) und freitags von 8.30 Uhr bis 14 Uhr erreichbar. Der dort für den 25. April geplante Historische Jahrmarkt zum 100. Geburtstag der Mülheimer Caritas, die Beratungs- und Hilfsangebote in den Bereichen: Ehe, Familie, Kinder, Senioren, Erziehung, psychisch Erkrankte, Sucht-Erkrankte, Schwangere, Obdachlose und Flüchtlinge bereithält, muss aufgrund der aktuellen Lage abgesagt werden. Auch die Senioren-Begegnungsstätten, die die Caritas an der Aktien- und an der Hügelstraße betreibt, müssen corona-bedingt derzeit geschlossen bleiben. Weitere und fortlaufende Informationen finden sich auf der Internetseite: www.caritas-muelheim.de

Dieser Text erschien am 28. März 2020 in NRZ/WAZ

Freitag, 27. März 2020

Heilsamer Humor

Gut maskiert und mit Einweghandschuhen bekleidet erledige ich in der Innenstadt meine Tageseinkäufe. Zuweilen gleicht der Gang durch die vertraute und doch plötzlich so befremdlich wirkende Stadt in diesen Corona-Tagen schon manchmal einem Slalomlauf. Sobald mehrere Mitmenschen auf mich zukommen, suche ich instinktiv einen Ausweg, um sicherheitshalber Abstand zu gewinnen. Der normale Alltag nimmt jetzt zuweilen doch skurrile Züge an. Manchmal fühle ich mich mit meiner Corona-Maskerade in meiner Heimatstadt jetzt wie ein Außerirdischer. Doch bevor ich meiner melancholischen Befindlichkeit zu sehr nachgebe und am Ende noch den nächsten Corona-Sicherheits-Slalom verpasse, sehe ich in einigen Metern Entfernung plötzlich einen mir bekannten und ebenfalls maskierten Mülheimer. „Alles Gute und schön, dass ich noch soviel von ihrem Gesicht sehe, um Sie wiederzuerkennen“, ruft er mir der Stadt- und Schicksalsgenosse zu. Da müssen wir beiden maskierten Mölmschen dann doch spontan lachen und wir spüren wohl beide: Humor hilft und heilt gerade in diesen Tagen, in denen wir so wenig zu lachen haben.


Dieser Text erschien am 27. März 2020 in der NRZ

Dienstag, 24. März 2020

Gefragter denn je

Die Corona-Krise stellt für viele Menschen eine extreme seelische Belastung dar. Was bedeutet das für die ökumenische Telefonseelsorge, bei der Menschen aus Mülheim, Duisburg und Oberhausen unter den gebührenfreien Rufnummern: 0800-1110111 und: 0800-1110222 anonym, kostenfrei und rund um die Uhr Rat, Hilfe und ein offenes Ohr finden. Ein Gespräch mit dem Diplom-Theologen und Diplom-Psychologen Olaf Meier, der die Telefonseelsorge seit 1996 hauptamtlich leitet.
Ist die Zahl der Anrufe, die die Telefonseelsorge erreichen mit dem Beginn der Corona-Krise gestiegen?
Meier: Seit die NRW-Landesregierung am 13. März die corona-bedingte Schließung der Schulen bekanntgegeben hat, hat sich die Zahl der Anrufe, die uns erreichen um rund 20 Prozent erhöht. Davor hatten wir täglich 40 bis 50 Anrufe. Wenn Menschen fragen: „Muss ich etwas dafür bezahlen? Ist das wirklich anonym? Sind Sie auch zur Verschwiegenheit verpflichtet?“ merken wir, dass es sich um Erstanrufer handelt, die die Telefonseelsorge bisher noch nicht kennen.
Was bewegt die Anrufer?
Meier: In den Gesprächen geht es oft um Einsamkeit und soziale Isolation. Die Tatsache, dass die Menschen aufgrund der Kontakteinschränkungen nicht in der Lage sind, mit Nachbarn auf der Straße oder beim Bäcker ganz spontan über die Folgen der Krise zu sprechen, verschärft die psychisch belastende Situation. Viele Anrufer haben auch massive Existenzängste und fragen sich: „Fall ich jetzt hinten rüber?“ Andere leiden massiv darunter, dass sie ihre pflegebedürftigen Angehörigen, die in Altenheimen leben, aufgrund der corona-bedingten Kontaktsperre nicht mehr besuchen und sehen können. Die Ausnahmesituation der Corona-Krise trifft vor allem die Menschen doppelt hart, die schon vorher unter Ängsten gelitten haben. Anrufer mit Psychiatrieerfahrung, die zum Teil unter gesetzlicher Betreuung stehen, leider darunter, dass ihr gesetzlichen Betreuer sie jetzt nicht mehr besuchen, sondern nur noch anrufen können. Oft bekommen wir zu hören: „Die Corona-Krise macht mutterseelen allein!“

Wer führt die Gespräche?

Meier: Wir haben 120 ehrenamtliche Mitarbeiter aus ganz unterschiedlichen Berufen und Lebenssituationen. Lehrerinnen, Handwerker, Familienmanagerinnen oder auch Rentner. Rund 80 Prozent der ehrenamtlich Mitarbeitenden, die jeden Monat drei Vier-Stunden-Schichten absolvieren, sind Frauen. Es sind lebenserfahrene und seelisch stabile Menschen zwischen 30 und 75, die wir in psychologischer Gesprächsführung geschult haben. Viele von ihnen erklären ihre persönliche Motivation so: „Mir geht es gut und ich bin in meinem Leben Gott sei Dank von größeren Krisen verschont geblieben. Deshalb möchte ich etwas zurückgeben und Menschen helfen, denen es nicht so gut geht.“
Wie kann Telefonseelsorge helfen?
Meier: Sie kann keine existenziellen Probleme lösen, aber sie kann Menschen zuhören, Anteil an ihrem Leben nehmen und ihnen den Rücken stärken. Sie kann mit den Anrufern gemeinsam überlegen, wie sie es besser mit sich selbst aushalten, wie sie ihren Alltag sinnvoll gestalten und welche persönlichen Ressourcen und Kontakte sie nutzen können. Natürlich weisen wir Anrufer auch auf professionelle Beratungsdienste hin, die ihnen in ihrer Lebenssituation helfen können.
Wie hat die Corona-Krise den Arbeitsalltag der Telefonseelsorge verändert?
Meier: Auch wenn einige Mitarbeiter aufgrund von Vorerkrankungen zu den Risikogruppen für eine mögliche Corona-Infektion gehören und deshalb derzeit keine Schichten absolvieren, haben wir bisher Gott sei Dank keine größeren krankheitsbedingten Ausfälle, so dass wir unseren 24-Stunden-Dienst aufrechterhalten können. Natürlich kommt es aufgrund des erhöhten Anrufer-Aufkommens jetzt öfter zu Wartezeiten, ehe die Leitung wieder frei ist. Die Mitarbeiterinnen im Telefondienst sitzen in getrennten Büros, so dass der in Corona-Zeiten geboten Sicherheitsabstand immer gegeben ist. Deshalb gibt es für die ehrenamtlich Mitarbeitenden der Telefonseelsorge zurzeit auch keine Gruppen-Supervision, sondern nur einzelne 1:1-Beratungsgespräche, die meine hauptamtliche Leitungs-Kollegin, die Diplom-Sozialpädagogin und Gestaltungstherapeutin Rosemarie Schettler und ich natürlich mit dem gebotenen Sicherheitsabstand führen. Es ist gerade jetzt besonders wichtig, dass wir die ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter der Telefonseelsorge psychologisch stärken, mit ihnen ihre Erfahrungen reflektieren und sie so auch entlasten. Leider mussten wir corona-bedingt jetzt einen Informationsabend absagen, mit dem wir Menschen erreichen wollten, die an einer ehrenamtlichen Mitarbeit an der aus Kirchensteuermitteln der katholischen und evangelischen Kirche finanzierten Telefonseelsorge interessiert sind. Dennoch soll im August ein neuer Ausbildungskurs beginnen. Denn wir brauchen immer wieder neue Mitarbeiter, da jedes Jahr etwa zehn Prozent unseres ehrenamtlichen Teams gesundheits- oder altersbedingt ausscheidet. Interessenten sollten uns auf jeden Fall unter den Rufnummern: 0203/29513331 oder: 0203/22657 oder per E-Mail an: buero@telefonseelsorge-duisburg.de kontaktieren. Weitere Informationen bietet unsere Internetseite: www.telefonseelsorge-muelheim.de. 

Sonntag, 22. März 2020

Harte Schule

Noch vor nicht allzu langer Zeit hetzte ich zur Haltestelle, um dort die abfahrbereite Straßenbahn zu erreichen. Ich drückte alle Knöpfe und klopfte gegen das Bahnfenster. Doch keine Tür tat sich mir auf. Ich wollte schon in Wut über die vermeintliche Ignoranz des Straßenbahnfahrers geraten. Doch dann sah ich beim Blick auf den Zielanzeiger der Tram, dass ich selbst ignoriert hatte, was dort stand: „Fahrschule“.


Als ich jetzt an einem der letzten Sonnentage auf dem Weg zur Haltestelle eine Straßenbahn ankommen sah, ließ ich es ruhiger angehen. Nur keine falsche Eile. Dicht an dicht in der Bahn stehen oder sitzen ist in Corona-Zeiten keine verlockende Aussicht. Ich nahm mir also die Zeit, schön langsam noch etwas durch die frische Luft zu gehen und den Sonnenschein zu genießen. Ich dachte: „Was soll’s? Zu Fuß erreiche ich mein Ziel vielleicht etwas später, aber dafür entspannter und angenehmer, Sicherheitsabstand inklusive.

So bringt einen die Fahr-Schule und der Fahrplan der Krise auf eine neue Spur. Sie bringen uns ab von der ansonsten bevorzugten Überholspur und zwingen uns zur Entschleunigung oder gar zum Stillstand. Brauchen wir Menschen auf unserer Lebensreise eigentlich immer eine Krise, um etwas dazuzulernen, was uns am Ende vielleicht weiter und zu neuen Zielen bringt? Wie dem auch sei. Ich freue mich schon jetzt auf den Tag, an dem ich wieder bedenkenlos in eine überfüllte Straßenbahn einsteigen kann und dann ist es mir garantiert auch ganz egal, ob sie mich pünktlich oder verspätet an mein Ziel bringen wird.

Dieser Text erschien am 21.03.2020 in der Neuen Ruhrzeitung

Samstag, 21. März 2020

Ganz schön bescheiden

Was würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen? Ich weiß: In Corona-Zeiten soll man sich jeden Urlaub sparen, damit man nicht auf Steuerzahlerkosten aus der Ferne in die Heimat zurückgeholt werden muss. Doch der Corona-Virus sorgt dafür, dass wir bald alle reif für die Insel sind. Und wer weiß? Vielleicht werden auch hierzulande demnächst Ausgangssperren verhängt. Schon jetzt sorgt die durch das Virus verursachte soziale Distanzierung dafür, dass wir uns immer mehr auf die Insel unserer eigenen vier Wände zurückziehen. Unter Leute gehen und Spaß haben. Es war einmal. Also, was nehmen wir mit auf unser heimisches St. Helena? Wie gestern zu lesen, hamstern wir Deutsche in der Corona-Krise Toilettenpapier und Desinfektionsmittel. Unsere französischen Nachbarn wissen dagegen das Leben auch in der größten Krise zu genießen und setzen mit Rotwein und Kondomen eindeutige Prioritäten. Tatsächlich ist es auch in Mülheim derzeit gar nicht so einfach so etwas profanes wie Klopapier zu kaufen. Offensichtlich gibt es Mitbürger, die schon morgens die Hosen voll haben und deshalb gleich nach der Marktöffnung massenhaft Klopapier kaufen. Wird man mit einer Packung Toilettenpapier angetroffen, wird man gleich gefragt: „Wo haben Sie die her?“ Dabei steht fest: Das Corona-Virus verursacht keine Durchfallerkrankung. Aber wir müssen in unserer bescheidenen Lage wohl doch langsam aufpassen, uns nicht mit einem mentalen Dünnpfiff zu infizieren. Es kann doch nicht das Ende vom Lied sein, dass das einstige Volk der Dichter und Denker Papier und Feder fallen lässt und das Klopapier zu seinem neuen Wertpapier macht, während alle anderen Aktien in den Keller rauschen. Ein bisschen mehr französische Lebensart würde uns Deutschen da sicher guttun. Liebe und Genuss stärken allemal mehr unsere Abwehrkräfte, als die Angst, die unsere Seelen frisst und etwas für den…Sie wissen schon, ist. Erinnern wir uns gerade in schweren Zeiten lieber an Martin Luther und seine Lebensweisheit, „dass aus einem verzagten Hintern kein fröhlicher Furz kommen kann.“ 

Dieser Text erschien am 19. März 2020 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 20. März 2020

Ein bisschen Spaß muss sein

Nach Party ist einem an diesen Corona-Krisen-Tagen, an denen trotz Sonnenschein ein oft nebulöser Trübsinn herrscht, ja eigentlich so gar nicht zumute. Aber vielleicht ist ja gerade jetzt ein bisschen Partystimmung, die das Gemüt für einige Stunden aufhellt, genau das, was wir dringend brauchen. Denn Lebensfreude stärkt das Immunsystem. Das wurde mir gestern klar, als mich unser Ex-Stadtprinz Dennis Weiler anrief, um mir von einem ungewöhnlichen Projekt zu berichten. Weil der DJ und Veranstaltungsmanager gerade eine in Frankys Güterbahnhof geplante Schlagerparty an das Corona-Virus verloren hat, lässt er die Schlagerparty jetzt online unter: www.livestreamparty.de im Online-Videokanal Youtube steigen. So kann er am kommenden Samstag ab 21 Uhr in der verwaisten Party-Location an der Sandstraße mit seinen beiden DJ-Kollegen Sascha Vogt und Stefan Falkenberg auflegen und sein notgedrungen daheimgebliebenes Publikum via Internet im Wohnzimmer erreichen. Das muss dann eben mit ein bisschen Fantasie zum Club werden. So macht man aus der Not eine Tugend. Aber bitte, lieber Herr Weiler, werden Sie bloß nicht übermütig und legen am Ende noch einen Schmuseblues auf. Denn Sie wissen ja: In ansteckenden Zeiten wie diesen dürfen wir uns ja nicht zu nahekommen. Den guten alten Klammer-Blues und andere Freudentänze können wir erst wieder aufführen, wenn die Party steigt, mit der wir die flächendeckende Verfügbarkeit und Wirksamkeit eines Impfstoffes gegen den Corona-Virus feiern. 

Dieser Text erschien am 18. März 2020 in der Neuen Ruhrzeitung

Donnerstag, 19. März 2020

Schule in Zeiten von Corona

Auch wenn die Schulen vorerst bis zum 19. April geschlossen sind, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen, muss der Schulunterricht irgendwie weitergehen. Das gilt auch für die 709 Schüler und 56 Lehrer der Realschule Stadtmitte. "Wir wollen Kontakt halten und unsere Schüler und ihre Eltern zuhause nicht alleine lassen", sind sich Rektorin Sabine Dilbat und der didaktische Leiter der Realschule, Jan Hansen, einig.
Mitte der vergangenen Woche wurden die beiden Pädagogen aktiv, als bereits öffentlich über mögliche Schulschließungen spekuliert wurde, ehe am Freitagnachmittag die Entscheidung der Landesregierung kam. Auf der Internet-Plattform des Messenger-Dienstes Schulmanager-Online.de richteten sie ein digitales Klassenzimmer für ihre vom Corona-Virus ausgebremste Schulgemeinschaft ein.
"Wir sind dem Betreiber des Dienstes dankbar dafür, dass wir diese Plattform, so wie insgesamt 300 Schulen in Deutschland, bis zum 19. April kostenlos nutzen können, da uns eine vergleichbare digitale Lernplattform, an der das Land arbeitet, noch nicht zur Verfügung steht",
erklärt Hansen.

Auch Binnendifferenzierung ist möglich

Via Smartphone, Computer, Smart-TV, Tablet-PC oder Notebook können die Schüler daheim mithilfe eines Login-Codes die digitale Lernplattform betreten, um dort mit ihren Lehrern zu kommunizieren, Nachfragen zu stellen, die von ihnen eingestellten Aufgaben zu bearbeiten und auch gleich eine Resonanz auf ihre Arbeitsergebnisse zu bekommen. Wie im analogen Schulleben, bilden die Klassengemeinschaften auf der digitalen Lernplattform Lerngruppen und auch pädagogisch binnendifferenzierte Untergruppen.

Online diskutieren möglich

Online-Diskussionen oder die Bearbeitung von Inhalten, die mithilfe einer Film- oder Audiodatei in den Unterricht einfließen, sind im digitalen Klassenzimmer ebenso möglich, wie das klassische Herunterladen von Arbeitsblättern und Tests. "Das wir den Übergang ins digitale Lernen ohne große Vorerfahrungen geschafft haben, ist der Tatsache zu verdanken, dass wir ein sehr aktives und engagiertes Kollegium haben", betont Schulleiterin Sabine Dilbat. Der didaktische Leiter Jan Hansen findet es bemerkenswert, "dass die Schüler zurzeit täglich mehr Aufgaben bearbeiten, als vorher im Präsenzunterricht." Dass die Schüler-Lehrer-Kommunikation und die Vermittlung von Lerninhalten auch online funktioniert, führt Hansen auch darauf zurück, "dass sich auch die Kollegen, die nur eine halbe Stelle haben, derzeit fast Vollzeit in das Projekt einbringen, um den Lernfluss aufrechtzuerhalten."
Doch der aus Nordfriesland stammende Pädagoge, der jetzt an der Ruhr unterrichtet, lässt keinen Zweifel daran, dass die Online-Schule mit all ihren Möglichkeiten mit dem 1:1-Unterricht in der analogen Schulwirklichkeit nicht zu vergleichen ist.
"Schule bedeutet im richtigen Leben nicht nur, Lernstoff zu vermitteln, abzufragen und zu vermitteln. Hier geht es immer auch um Kommunikation, soziale Beziehungen und Interaktion",
unterstreicht Hansen. Konkret bedeutet das für ihn, "dass wir zurzeit nur bestehende Unterrichtsinhalte vertiefen, aber keine neuen Unterrichtsinhalte einführen können."

Sehr hilfreich, aber keine Ideallösung

Auch Sabine Dilbat weiß:
"Wenn wir den regulären Schulbetrieb wieder aufnehmen können, müssen wir vor allem mit Blick auf die zentralen Abschlussprüfungen der Zehntklässler intensiv und gezielt nacharbeiten."
Eigentlich sollen die zentralen Abschlussprüfungen in der ersten Mai-Hälfte stattfinden. Doch die Pädagogen der Realschule Stadtmitte gehen derzeit davon aus, dass es wie bei den Abiturprüfungen zu einer Verschiebung kommen wird.
Auch wenn das digitale Klassenzimmer keine pädagogische Ideallösung sein kann, lässt der Schulpflegschaftsvorsitzende, Andreas Wildoer, dessen Tochter die siebte Klasse der Realschule Stadtmitte besucht, keinen Zweifel daran, "dass die Eltern sehr dankbar dafür sind, dass unsere Kinder auf diesem Weg weiter unterrichtet werden und so eine sinnvolle Tagesstruktur bekommen können." Befürchtungen  vieler Eltern, dass ihr Nachwuchs nach der Schließung des Schulbetriebs: "zuhause die Bude auf links drehen und vor allem mit der Playstation arbeiten" werde, haben sich schon nach den ersten Tagen des Online-Unterrichts zerschlagen. Überhaupt hat Wildoer mit Blick auf das Home-School-Office seiner Tochter das Gefühl, "dass sie keineswegs froh über den Schulausfall, sondern angesichts der Corona-Krise sehr nachdenklich und dankbar dafür ist, dass sie mithilfe des Online-Schulmanagers mit ihren Mitschülern und Lehrern chatten und Aufgaben herunterladen und bearbeiten kann."
Jan Hansen zitiert Rückmeldungen über die Erfahrungen, die Schüler, Lehrer und Eltern mit dem Online-Manager gemacht haben:
"Die Tools der digitalen Plattform sind einfach und intuitiv zu handhaben. Toll ist auch die Möglichkeit, dass die Arbeitsergebnisse der gestellten Aufgaben sofort zurückgespielt werden können."
Besonders verblüfft und gefreut hat den Pädagogen eine an einem der letzten Online-Schultage um 8.02 Uhr über Schulmanager Online eingegangene Klassen-Nachricht: "Können wir schon mal Aufgaben erledigen. Uns ist langweilig." Dafür, dass bei den daheim lernen Schülern keine Langeweile aufkommt, sorgen auch die Mitarbeiter des offenen Ganztagsschulbetriebs. Sie stellen täglich Tipps für eine sinnvolle Freizeitgestaltung auf die digitale Lernplattform.
Dieser Text erschien am 18. März 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Mittwoch, 18. März 2020

Was uns Frau Stinnes zu sagen hat

Sie war eine Mülheimerin, die auf vier Rädern Geschichte geschrieben hat. Der Historiker Horst A. Wessel, vormals Leiter des Mannesmann-Archivs, nahm seine Zuhörer im Haus der Stadtgeschichte jetzt mit auf eine Zeitreise, in der er die Lebensreise der Mülheimer Industriellentochter Clärenore Stinnes erzählte. Sie fuhr in 25 Monaten mit ihrem Auto um die Welt.


Den Vortrag, den Wessel zum Auftakt der Reihe zur Mülheimer Geschichte hielt, war, wie es der Gastgeber und kommissarische Leiter des Stadtarchivs, Jens Roepstorff, zurecht formulierte: „ein tolles Kopfkino“ und ein „guter Nachschlag zum Weltfrauentag am 8. März.“ Wessel machte deutlich, dass die am 21. Januar 1901 als Tochter des Industriellen Hugo Stinnes in Mülheim geborene Clärenore Stinnes finanziell privilegiert war und dennoch als Frau ihrer Zeit an Grenzen stieß, die sie als erfolgreiche Rennfahrerin und Weltreisende in ihrem Adler  Standard 6 zu überfahren suchte. Wessel erinnerte daran, dass Frauen, trotz ihrer verfassungsrechtlichen Gleichstellung in Deutschland noch bis 1976 auf die Zustimmung ihres Ehemanns angewiesen waren, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben oder ein Bankkonto eröffnen wollten.

Obwohl Clärenore Stinnes nach einem guten Abitur an der Luisenschule ihrem als Sekretärin und Vertraute in der Geschäftsführung seines aus 1900 Firmen mit 600.000 Beschäftigten bestehenden Weltkonzerns mit Freude und Erfolg zuarbeitete, und fließend Englisch, Französisch und Spanisch sprach, ließen ihre Mutter und ihre Brüder nach dem Tod des Vaters im Jahr 1924 ihren Einstieg in die Firmenleitung nicht zu. Diese Zurückweisung motivierte die begeisterte Automobilistin, die schon als Mädchen gerne mit Autos und Motorteilen spielte und bereits mit 18 Jahren ihren Führerschein machte, ihrer Familie und der Gesellschaft ihrer Generation, am Lenkrad und auf vier Rädern zu beweisen, was in ihr steckte. In den drei Jahren vor ihrer Weltumfahrung, die sie am 25. Mai 1927 in Frankfurt am Main startete, gewann Clärenore Stinnes 17 nationale und internationale Autorennen. Deshalb bezeichnete sie die Mülheimer Zeitung in einem Bericht als „unsere Amazone auf Gummi“.


Nach ihrem Sieg bei der Russland-Rallye (1925), so Wessel, habe sie den Plan einer Autoreise um die Welt gefasst. „Doch ihre Familie wollte ihr das Geld dafür nicht geben. Deshalb wandte sich Clärenore Stinnes an die Adler-Auto-Werke, an Bosch, Varta und Continental und gewann die Autohersteller und ihre Zulieferer als Sponsoren für ihr werbeträchtiges Abenteuer, das sie 49.000 Kilometer weit durch 32 Länder Europas, Asiens sowie Nord- und Südamerikas führen sollte“, erzählte Wessel. Und er berichtete auch, wie Clärenore Stinnes den schwedischen Fotografen und Filmemacher Axel Söderström als Reisebegleiter gewann. Obwohl er nur für die presse- und filmtechnische Dokumentation und Verwertung der Autoweltreise engagiert worden war, bewährte er sich während des zum Teil lebensgefährlichen automobilen Marathons auch als Mechaniker an der Seite von Clärenore Stinnes, die er nach seiner Scheidung im Dezember 1930 heiraten sollte.

Wessel würzte seinen kurzweiligen Vortrag mit Anekdoten wie der über die räuberischen Reiter in der Mongolei, die Clärenore Stinnes, mit ihrem Gewehr und 128 Schuss Munition auf Distanz hielt, während ihr Gefährte die Federung ihres Wagens reparierte. Clärenore Stinnes, die ihren Adler 6 Standard auch über das krachende Eis des zugefrorenen Baikalsees steuerte, wurde während ihrer abenteuerlichen und schlagzeilenträchtigen Auto-Weltreise auch von Stalin, Kemal Atatürk und US-Präsident Herbert Hoover empfangen. Ihre drei Ballkleider, die ebenso wie drei Pistolen, zu ihrem Reisegepäck gehörten, konnte Clärenore Stinnes bei den Bällen nutzen, die der damalige Bürgermeister von New York für sie gab.

Wer Clärenore Stinnes auf einem von Wessel gezeigten Foto, neben ihrem Hund Lord, am Steuer ihres Wagens sieht, versteht, was ein von Wessel zitierter Journalist ihrer Zeit meinte, als er über die Mülheimerin schrieb: „Wer ihr in die Augen schaut, der sieht sofort, dass sie keinen Widerspruch duldet und erreicht, was sie sich vorgenommen hat!“ Alles ist natürlich relativ. Denn eine Ironie der Geschichte ist die, dass die Frau, die auf spektakuläre Weise die Welt umfuhr, auf ihrem Abiturzeugnis ausgerechnet in Erdkunde eine Fünf stehen hatte. 


Hintergrund:


Die Auto-Weltreise der Clärenore Stinnes und ihres späteren Ehemanns Axel Söderström wurden in einem Foto-Tagebuch, das im Stadtarchiv an der Von-Graefe-Straße 37 einsehbar ist, und in einem Kinofilm 1931 dokumentiert. Filmdokumentationen rund um die Weltumfahrung der Clärenore Stinnes finden sich auch im Internet-Videokanal Youtube. Lesenswert ist auch der 2001 von Michael Winter bei Hoffmann und Campe erschiene biografische Roman: „Pferdestärken – Die Lebensliebe der Clärenore Stinnes. Clärenore Stinnes lebte mit ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern auf einem Gut ihres Vaters in Süd-Schweden. Dennoch besuchten beide regelmäßig Mülheim, wo Clärenores Mutter Cläre bis 1973 im Haus Rott lebte. Auch zu ihrem 80. Geburtstag kam Clärenore Stinnes 1981 nach Mülheim und sagte damals, auf dem Höhepunkt, des Rüstungswettlaufes der Supermächte: „Ich würde noch einmal um die Welt fahren, wenn ich damit Amerikaner und Sowjets an einen Tisch bringen und zum Frieden bewegen könnte. Am 7. September 1990 ist Clärenore Stinnes in ihrer schwedischen Wahlheimat gestorben.


Montag, 16. März 2020

Theorie und Praxis

Heute geht alles schneller. Die Digitalisierung macht es möglich. In diesem Bewusstsein ging ich gestern zur Bank meines Vertrauens, um mal eben am Selbstbedienungsterminal einige Überweisungen auszuführen. Eigentlich ist das eine bequeme und schnelle Sache. Man gibt via Tatstatur und Computerbildschirm die Überweisungsdaten ein und schickt sie mit der digitalen Unterschrift der eigenen vierstelligen PIN-Nummer an den Empfänger, der den fälligen Betrag sofort auf seinem Konto hat, während man sich selbst schnell noch einen Überweisungsbeleg für die eignen Unterlagen ausdrucken kann. So einfach und schön ist der technische Fortschritt. Doch die Praxis sah gestern leider anders aus. Denn an den beiden Selbstbedienungsterminals meiner Bank bildeten sich lange Warteschlangen, weil zu viele Kunden zum Monatsanfang die gleiche Idee zur gleichen Uhrzeit hatten. Jetzt weiß ich, was der Satz meint: „Zeit ist Geld!“ Diese Einsicht wurde mir noch einmal verdeutlicht, als ich endlich an der Reihe war und ausgerechnet mein Selbstbedienungsterminal nach den ersten beiden Überweisungen und Ausdrucken die weitere Selbstbedienung verweigerte und mit dem Bildschirm-Hinweis: „Dieses Gerät ist nicht mehr betriebsbereit und wird heruntergefahren“, seine Arbeit einstellte. Während ich mich notgedrungen in die jetzt noch längere Warteschlange hinter dem einzig dienstbereit verbliebenen Selbstbedienungsterminal einreihte, kam eine alte Bekannte vorbei, die ihre Überweisung ganz klassisch in der von einer freundlichen Bankmitarbeiterin ausgedruckten Papierform erledigt hatte. Wie gesagt: Die Digitalisierung macht vieles einfacher und schneller, zumindest meistens und in der Theorie. In der Praxis kann man aber manchmal heilfroh sein, wenn es noch eine analoge Alternative, etwa in Person einer freundlichen Bankmitarbeiterin gibt, die einem den notwendigen Überweisungsträger ausdruckt, den man dann eigenhändig in den dafür vorgesehenen Bankbriefkasten werfen kann.

Dieser Text erschien am 3. März 2020 in der NRZ

Samstag, 14. März 2020

Blick in den Rückspiegel

Schulnoten sind relativ. Das wurde mir jetzt klar, als der Historiker Horst A. Wessel im Haus der Stadt-Geschichte über die in den 1920er Jahren vollbrachte Erdumfahrung der Mülheimer Industriellentochter Clärenore Stinnes berichtete. Bei seiner anekdotenreichen Reise durch die Zeit ließ Wessel seine Mitreisenden unter anderem auch wissen, dass ausgerechnet die Frau, die mit ihrem Auto und ihrem treuen und vielseitigen Gefährten Carl-Axel Söderström die halbe Welt bereiste, als Luisenschülerin im Fach Erdkunde eine Fünf gehabt hatte. Man sieht: Auch Lehrer sind Menschen und können sich irren, wenn sie versuchen, gleich eine ganz Schulklasse junger Leute auf ihrem Lebensweg in die richtige Richtung zu lenken. Also, liebe Schülerinnen und Schüler, die ihr am Montag in die Zwangsferien geschickt werdet, lasst euch von keiner 5 auf dem Zeugnis, davon abhalten, an euch zu glauben und immer wieder durchzustarten. Das Beispiel unserer flotten Mülheimer Vorfahrin Clärenore Stinnes zeigt uns allen, die wir täglich durch die Schule des Lebens gehen, dass man auch mit einer 5 in Erdkunde (oder in einem anderen Fach) wie eine 1 in der Welt bestehen kann. Dafür muss man seinem eignen inneren Kompass folgen und Copiloten an seiner Seite haben, die den manchmal leeren Tank mit neuem Selbstvertrauen und neuer Kraft auftanken. Und auch das schreibt uns das Beispiel der als Frau ihrer Zeit immer wieder ausgebremsten Clärenore Stinnes ins lebenslange Hausaufgabenheft. Wenn unsere Gesellschaft 1 und 1 nicht zusammenzählen kann und Menschen mit ihren Potenzialen links liegen lässt, haben wir uns alle verrechnet. Dann verfahren wir uns zwangsläufig in die nächste Sackgasse oder auf den nächsten Holzweg. Dabei hätten wir doch alle zusammen das Zeug zur Siegerstraße und zur Überholspur des Lebens. Wir müssten nur gemeinsam durchstarten. Dann kämen wir auch schneller an Ziel und würden nicht so oft gegen die Wand fahren. 


Dieser Text erschien am 14. März 2020 in der NRZ

Freitag, 13. März 2020

Als Mülheim zur Räterepublik wurde

13. März 1920: Vor 100 Jahren versucht der deutschnationale Politiker Wolfgang Kapp mithilfe der vom General Walther von Lüttwitz angeführten Marinebrigade Ehrhardt die gewählte Regierung der Weimarer Republik weg zu putschen. Auch in Mülheim kommt es daraufhin am 15. März zu einem Generalstreik. 2000 Arbeiter bewaffnen sich. Sie wollen den Umsturz stoppen. Doch auch nachdem die Putschisten am 17. März aufgeben, geht der Kampf der Roten Ruhrarmee weiter. 600 Mülheimer Arbeiter schließen sich den Rotgardisten an. Am 20. März übernimmt ein aus Kommunisten, Unabhängigen Sozialdemokraten und Sozialdemokraten gebildeter Aktionsausschuss die Macht und ruft vom Rathausbalkon die Räterepublik aus. Der Aktionsausschuss ruft Arbeiter aller Parteien und Konfessionen dazu auf „für Sozialismus und freies Menschentum“ sowie „für das Ende der Lohnknechtschaft zu kämpfen.“ Oberbürgermeister Paul Lembke wird entmachtet und die Polizei entwaffnet. Der Stadtkämmerer muss den mit 760 Gewehren, 68 Karabinern, 2050 Handgranaten und 21 Maschinengewehren bewaffneten Rotgardisten Wehrsold zahlen. An der Kaiserstraße kommt es zu Kämpfen zwischen den in der Kaserne stationierten Soldaten des Freikorps Schulz, das aufseiten Putschisten steht und mit der Reichswehr am 5. April die Räterepublik der Roten Ruhrarmee blutig beenden wird.


Nachdem es zu gewalttätigen Übergriffen, Plünderungen und vereinzelten Erschießungen gekommen ist, verlassen die Sozialdemokraten am 23. März den Aktionsausschuss. Am gleichen Tag verhandeln Vertreter der Roten Ruhrarmee in Bielefeld mit Vertretern der Reichsregierung ein Waffenstillstandsabkommen. Die Regierung sagt den Räterepublikanern von der Ruhr eine Amnestie für die Rotgardisten, eine Bestrafung der Kapp-Putschisten und die Sozialisierung der dafür geeigneten Industriebetriebe zu. Doch die Mülheimer Räterepublikaner fühlen sich an das Waffenstillstandsabkommen nicht gebunden. Sie haben an den Verhandlungen nicht teilgenommen und wollen ihre Waffen deshalb nicht niederlegen. So kommt es am 5. April zum Einmarsch der Reichswehr und des zwischenzeitlich nach Wesel abgezogenen Freikorps Schulz. Das besteht aus ehemaligen Soldaten des Mülheimer Infanterieregimentes 159. Tags darauf verkündet die Mülheimer Zeitung: „Das Ende der Kommunistenherrschaft.“ Den materiellen Schaden der März-Unruhen beziffert Oberbürgermeister Lembke in einem Bericht an den Regierungspräsidenten auf insgesamt drei Millionen Reichsmark. 

Dieser Text erschien am 13. März 2020 in NRZ & WAZ

Mittwoch, 11. März 2020

Lehrreiche Erfahrung

Reisen und Lesen bildet. Das erfuhr ich gestern. Weil ich bei meiner Dienstreise meinen Zug verpasst hatte und der nächste in Richtung Mülheim noch eine Stunde auf sich warten ließ, zog ich mich mit meiner Zeitung in ein bahnhofsnahes Café zurück. Dort machte ich es mir mit meiner aktuellen Lektüre so gemütlich, dass ich darüber die Zeit vergas und der nächste Zug mir vor der Nase wegfuhr. Der Cafébetreiber freute sich, mich wiederzusehen. Ich kurbelte in der kommenden Stunde seine Kneipenkonjunktur mit zwei Gläsern Wasser an und setzte meine interessante Zeitungslektüre fort, allerdings nicht, ohne mir vorher meinen Handywecker zu stellen. Denn auch wenn meine Zeitunglektüre lehrreich und mein Zufallsgastgeber sympathisch war, wollte ich nicht noch eine dritte Kaffeehausstunde erleben. Ich habe meine Lektion gelernt. Auch wenn eine Lektüre noch so spannend und ein Café noch so gemütlich ist, wäre es doch dumm, darüber den Anschluss an den Zug der Zeit zu verpassen. Vielleicht besorge ich mir vorbeugend als nächste Lektüre einen Ratgeber zum Thema Zeitmanagement, den ich dann am besten zuhause oder auf einer langen Zugfahrt lese, damit ich nicht wieder den Anschluss verpasse.

Dieser Text erschien am 11. März in der NRZ

Dienstag, 10. März 2020

Politische Nährwerte

Politische Parteien können einen durchaus positiv überraschen. Das stellte ich jetzt fest, als ich mich auf dem Kurt-Schumacher-Platz den Infoständen der langsam, aber sicher wahlkämpfenden Parteien näherte. Mit Programmbroschüren und gesprächsbereiten Kommunalpolitikern hatte ich gerechnet, nicht aber mit den Nährwerten, die mir parteiübergreifend in Form von Äpfeln gereicht wurden. Mit solchen Vitaminspritzen und Nährwerten, die man in grippalen Zeiten wie diesen gut gebrauchen kann, hatte ich in der politischen Arena nicht gerechnet. Die Strategie dahinter erkenne ich als Wähler wohl. Wess Apfel ich esse, dessen Argumente schmecken mir vielleicht etwas besser als jene, die mir mit Plastikkugelschreibern oder Einkaufschips garniert werden. Tatsächlich schmeckten mir die politisch mitgenommenen Äpfel wirklich gut und gaben mir einen echten Energiestoß für den weiteren Tag. Jetzt hoffe ich nur noch, dass die Früchtchen, denen wir bei der Kommunalwahl am 13. September unsere Stimme geben, selbst auch von dem einen oder anderen Apfel der Erkenntnis gekostet haben und unserer Stadt nicht nur bittere Pillen, sondern auch den einen oder anderen Vitaminstoß verabreichen, der Mülheim für den Marathon in Richtung Zukunft fit macht.

Dieser Text erschien am 10. März 2020 in der NRZ

Montag, 9. März 2020

Weisheit auf dem Wochenmarkt


„Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Und lassen Sie es ordentlich krachen“, sagt der junge Markthändler zu seinem nicht mehr ganz jungen, aber auch noch nicht ganz alten Kunden. „Ach, wissen Sie sagt der so Angesprochene: „Ich bin in einem Alter, in dem ich froh sein darf, wenn es bei mir nicht kracht. Wenn ich abends auf die Piste gehe und es krachen lasse, sehe ich am anderen Morgen älter aus, als mir lieb ist und fühle mich auch so. Deshalb lasse ich es abends mit meiner besseren Hälfte gemütlich und ruhig angehen und freue mich, wenn es bei uns noch etwas knistert.“ Ich höre als Nebenmann ab Marktstand zu und muss dem lebenserfahrenen Mann aus vollem Herzen Recht geben. In einer Zeit, in der es an allen Ecken und Enden kracht und es oft abenteuerlicher zugeht, als es uns allen lieb ist, finden die wirklich schönen Abenteuer, die unsere Herzen höher schlagen lassen und unsere Seelen wärmen, nicht draußen auf der Party-Piste statt, sondern daheim im Kopf und mit unseren Liebsten. Ich gehe mit dem Gefühl weiter, dass der Wochenmarkt doch nicht nur Käse, Butter, Brot, Kartoffeln, Obst und Gemüse, sondern auch geistige Nährwerte zu bieten hat, und dass ganz unkompliziert und kostenlos im Vorbeigehen.

Dieser Text erschien am 9. März 2020 in der NRZ

Sonntag, 8. März 2020

Teure Häschen

Auf der Suche nach einem Generalreiniger für den Hausputz stieß ich gestern im Drogeriemarkt meines Vertrauens auf den Osterhasen. Sie wissen schon: Ich meine den in Goldpapier verpackten und aus Schokolade gemachten Osterhasen. Ist es schon wieder soweit? Sind wir nicht noch in der Fastenzeit? Doch fast hätte ich den Hinweis meines Lieblingspfarrers vergessen, der auch kein Kostverächter ist. Von ihm weiß ich: Immer wieder sonntags nimmt die Fastenzeit mit päpstlichem Segen eine Auszeit. Und wer wollte schon päpstlicher als der Papst sein. Gut zu wissen für den Fall, dass man in der Fastenzeit mal etwas vernaschen will. Es muss ja nicht unbedingt der Osterhase aus Schokolade sein. Denn so mancher Schoko-Hase im goldenen Papier kostet uns Naschkatzen am Ende nur deshalb mehr, weil er als Hase daherkommt und nicht als formal profane, aber inhaltlich und preistechnisch viel gehaltvollere Tafel Schokolade. Und das so manches Häschen, das auf den ersten Blick zum Anbeißen erscheint im Preis-Leistungs-Verhältnis des profanen Alltagslebens nicht hält, was es verspricht, das soll ja nicht nur in der Gattung der Schokoladenhasen vorkommen.

Dieser Text erschien am 6. März 2020 in der NRZ

Samstag, 7. März 2020

Preiswerter Wahlkampf

Die Grünen suchen einen „billigen“ Wahlkampfmanager „auf 450-Euro-Basis“. So war es gestern hier zu lesen. Ist den Grünen ihre Partei und deren Eintreten für faire Entlohnung und gegen Lohndumping nicht lieb und teuer? Mit 450 Euro pro Monat lockt man keinen Manager hinter dem Ofen hervor. 450 Euro pro Tag sind da schon realistischer. Doch ob solcher Summen würde den Grünen schwarz vor Augen, weil sie die roten Zahlen auf sich zukommen sähen. Sicher ärgern sie sich schwarz darüber, dass sie mit der Suche nach einem „Wahlkampfmanager“ den Mund zu voll genommen haben. Deshalb rechnet ihre Parteisprecherin den Wahlkampfmanager zum Wahlhelfer herunter. Es dürften auch eine Wahlkampfmanagerin oder eine Wahlhelferin sein, aber bitte recht billig und dafür ausgestattet mit unbezahlbaren Fähigkeiten. Hier trifft, wie oft in der Politik, großzügige Theorie auf sparsame Wirklichkeit. Wer sich wohl meldet? Vielleicht kann das Centrum für bürgerschaftliches Engagement mit einem  pensionierten und finanziell saturierten Manager mit grünem Lebensgefühl aushelfen, der auf seine Reaktivierung als Ehrenamtler wartet. Am preiswertesten  wäre es aber für alle Parteien, wenn die Wähler im Alltag den Mehrwert der politischen Arbeit erlebten und nicht erst vom Wahlkampfmanager mit billigen Parolen und teuren Wahlkampfgeschenken überzeugt werden müssten.

Dieser Text erschien am 7. März 2020 in der NRZ

Freitag, 6. März 2020

Styrumer Oase

Styrum gehört zu den buntesten und kinderreichsten Stadtteilen. Hier leben auch viele Familien, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Im Styrumer Süden schwankt der Anteil der auf Arbeitslosengeld II angewiesenen Haushalte, nach Angaben des Mülheimer Sozialatlas, zwischen 31 und 45 Prozent und im Styrumer Norden zwischen 20 und 30 Prozent. Mit dieser sozialen Gemengelage hat es auch die Wohnungsbaugesellschaft SWB in ihrem Wohnquartier an der Sedanstraße im Styrumer Süden zu tun. Hier sind rund 40 Familien zu Hause. Viele von ihnen kamen vor fünf Jahren als Flüchtlinge nach Mülheim. Jetzt hat sich die SWB die Caritas mit ins Boot geholt, um den Kindern des Wohnquartiers ein sinnvolles und vor allem kontinuierliches Freizeitangebot machen zu können. Das Bundesfamilienministerium und der Sozialfonds der Europäische Union fördern das Projekt. Außerdem wurden Fördermittel bei der Stadt beantragt, die aber noch vom Jugendhilfeausschuss beschlossen werden müssen. Die genauen Fördersummen können und möchten die Beteiligten nicht nennen.

„2015 hatten wir hier immer wieder Probleme mit Vandalismus und wilden Müllablagerungen. Doch das hat sich geändert, nach dem wir gemeinsam mit den Bewohnern das Umfeld mit Grünbeeten, Spielgeräten und viel Farbe schöner gestaltet haben und bei Nachbarschaftsfesten mit den Bewohnern ins Gespräch gekommen sind“, erklärt der zusammen mit seinen Kollegen Anna Schewerda und Husein Alhammoud, für das Quartiersmanagement der SWB zuständige Mitarbeiter Michael Moldenhauer.

Im Herbst 2019 hat die Gesellschaft, die in Mülheim aktuell mehr als 8300 Wohnungen in ihrem Bestand hat, im Haus an der Sedanstraße 20e eine Erdgeschosswohnung mit kleinem Gartengrundstück und Hofzugang in einen Quartierspunkt verwandelt. Die zuständige Projektleiterin der Caritas, Christiane Thöne, freut sich darüber, dass ihr Sozialverband mit Yasar Bilici im Styrumer Quartierspunkt einen Sozialarbeiter einsetzen kann. „Dienstags kommen zwischen 16 und 18 Uhr 15 bis 18 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 14 Jahren hier hin. Über 90 Prozent davon sind Mädchen. Und sie sind sehr dankbar dafür, dass sie hier einen Treffpunkt haben und jemanden finden, der sie wahrnimmt, der sich Zeit für sie nimmt, zusammen mit ihnen etwas macht und ihnen zuhört“, berichtet Bilici. „Wir können hier zusammen basteln, malen, Ball spielen, backen und kochen“, erzählen die Freundinnen Basma (8), Andorella und Malak (beide 10), warum sie den Quartierspunkt an der Sedanstraße „cool“ finden. Caritas-Projektleiterin Christiane Thöne formuliert es so: „Wir sehen in Styrum einen besonders großen sozialen Handlungs- und Erneuerungsbedarf und wollen unser Angebot deshalb hier ausweiten.“ In den Osterferien (6. Bis 18. April) soll es im Quartierspunkt an der Sedanstraße erstmals Ferienspiele geben. Zeitgleich soll der Freizeit-Treffpunkt an drei Tagen der Woche geöffnet werden. Mittelfristig sind auch ein mädchenspezifisches Angebot, Ausflüge und eine Hausaufgabenbetreuung geplant. „Niederschwellige und vor allem kostenfreie Freizeitangebote wie das unsere hier, sind für die Kinder, die hier hin kommen besonders wichtig, weil ihren kinderreichen Familien das Geld für einen Sportverein fehlt, so dass die Kinder dann zwangsläufig auf der Straße spielen“, erklärt Thönes für die Betreuungsdienste im Altersbereich der 10- bis 16-Jährigen zuständige Caritas-Kollege Sebastian Arntz. Und für SWB-Quartiersmanager Michael Moldenhauer steht fest, „dass Projekte wie dieses, Zuwanderern dabei helfen, in unserer Stadtgesellschaft anzukommen, indem ihre Kinder mit unserer gemeinsamen Hilfe Brücken in den Stadtteil schlagen und neue Freundschaften knüpfen können.“




Donnerstag, 5. März 2020

Zeitgemäßer Geldsegen


Die katholische Kirche kann mit der Zeit gehen, wenn sie will. Der digitale Klingelbeutel, den die Bank im Bistum Essen jetzt den Kirchengemeinden anbietet, zeigt es uns. Was kommerziellen Anbietern weltlicher Güter recht ist, der bargeldlose Zahlungsverkehr von Konto zu Konto, soll den geistlichen Anbietern des klassischen Dreierpacks Liebe, Glaube, Hoffnung billig sein. Wenn Sie demnächst im Gottesdienst bei der Kollekte Ihrer Gemeinde das schlechte Gewissen plagt, weil Ihnen das Bargeld fehlt, können Ihnen Ihre Kredit- oder Kontokarte und der digitale Klingelbeutel aus der Klemme helfen. Für Traditionalisten, die den manuellen Münzeinwurf nicht missen wollen, hängt unter dem Kartenlesegerät noch ein analoger Klingelbeutel. Wenn Sie demnächst vielleicht auch in Ihrer Kirche dem digitalen Klingelbeutel begegnen, wissen Sie, dass Ihre großherzige Spende, die Sie dann via Karte digital von Ihrem auf das Konto Ihrer Gemeinde überweisen, nicht nur auf den Segen des Herrn, sondern auch auf den Segen Ihres Finanzamtes rechnen darf. Denn mit der digitalen Überweisung ist auch ein Kontobeleg über ihre Spende verbunden, frei nach dem Motto: „Tu Gutes und sag es auch deinem Finanzamt weiter.“ So macht Nehmen und Geben selig, weil die Gemeinde sich über Ihre Spende freuen und gleichzeitig Sie steuerlich entlasten kann. Außerdem macht der digitale Klingelbeutel schwarzen Schäfchen einen Strich durch ihre Rechnung, die sich an den großen Scheinen im Klingelbeutel, bereichern wollen. Kriminell und katholisch. Das schließt sich, Gott sei es geklagt, nicht immer aus. Denken wir nur an den Ablasshandel des Dominikaner-Paters Johann Tetzel: „Der Taler im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Über den ärgerte sich nicht nur der Augustiner-Mönch Martin Luther kriminell. Und die folgende Kirchenspaltung kam viele Christenmenschen teuer zu stehen und kostete manche sogar ihr irdisches Leben. Auch heute muss sich nicht nur die katholische Kirche fragen, was sich für sie auszahlt und was sie teuer zu stehen kommt. Manche fromme Frau und mancher fromme Mann würden sich sicher freuen und noch lieber spenden, wenn ihre Kirche nicht nur beim Klingelbeutel, sondern auch bei der Ausgestaltung ihres Priesteramtes, mit der Zeit ginge.

Dieser Text erschien am 5. März 2020 in der NRZ

Mittwoch, 4. März 2020

Gutes tun und darüber reden

"Die katholische Kirche ist mehr, als die Diskussion über die Missbrauchsfälle im Priesteramt und die Kontroverse darüber, ob Frauen zum Priesteramt zugelassen werden sollen", sagt Christopher Frieling. Als neuer Referent der Stadtkirche will der 25-jährige Theologie- und Geschichtsstudent aus Velbert dafür sorgen, dass die Mülheimer mehr über die Aktivitäten der Stadtkirche erfahren.
Zurzeit ist er dabei, durch die Gemeinden zu touren, Kontakte zu knüpfen und die Stadtkirche selbst kennenzulernen. In seinem Büro, das sich in der ersten Etage des katholischen Stadthauses an der Althofstraße befindet, arbeitet er bereits an der Wiederbelebung der bereits vorhandenen, aber seit Jahren nicht mehr aktualisierten Internetseite: www.katholische-kirche-muelheim.de. "In einem ersten Schritt aktualisiere ich alle Informationen, Links und Ansprechpartner. Mittelfristig möchte ich eine tabellarische Übersicht aller Gottesdienste in Mülheim einstellen", berichtet Frieling. Außerdem hat er für das katholische Stadtdekanat Mülheim, zu dem drei Pfarrgemeinden mit insgesamt rund 48.000 Katholiken gehören, eine Online-Präsentation in den sozialen Medien Facebook und Instagram eingerichtet.

Kirche auf allen Kanälen

"Wir müssen alle Medienkanäle bedienen. Denn mit Zeitungen und Gemeindebriefen erreichen wir vor allem ältere Menschen. Aber mit den sozialen Medien, die vor allem kompakten Text-Informationen, Fotos und Videos arbeiten, erreichen wir sehr niederschwellig vor allem junge Menschen und vor allem auch jene unter ihnen, die bisher keinen persönlichen Kontakt zur Stadtkirche haben", erklärt Frieling.
So hat er zuletzt zum Beispiel gepostet, was es mit den christlichen Wurzeln des Valentinstages auf sich hat und wie Stadtdechant Michael Janßen als Mitfahrer den Rosenmontagszug erlebt hat. Perspektivisch kann sich Frieling auch vorstellen, den Stadtdechanten und andere Priester des Stadtdekanates einen Tag lang zu begleiten und dies in einer Online-Reportage zu dokumentieren, "damit mehr Menschen erfahren, wie die Arbeit eines Priesters eigentlich aussieht und was er den Tag über tut." Außerdem möchte Frieling, der sich in seiner Velberter Heimat-Pfarrei St. Michael- und Paulus als stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstandes und als Firmenkatechet engagiert, der Stadtkirche auf den alten und neuen Online-Kanälen ein Gesicht geben, in dem sich dort aktive Mülheimer Katholiken vorstellen und erklären, warum ihnen der christliche Glaube und die Mitarbeit in der katholischen Kirche wichtig sind.

Viele Fragen an das Leben

Aus seiner Arbeit als Firmenkatechet weiß Frieling, dass auch Jugendliche, die keine christliche Erziehung genossen haben, "viele Fragen an das Leben haben und spätestens dann für den christlichen Glauben aufgeschlossen sind, wenn sie sich fragen, woher wir kommen, wie die Welt entstanden ist und wer die Evolution angeschoben hat." Er selbst hat unter anderem als Messdiener erfahren, "dass der christliche Glaube und die Gemeinschaft der Gläubigen gerade in schwierigen Lebenssituationen Kraft, Hoffnung und Halt" geben kann.
Deshalb möchte er zusammen mit der Caritas die katholische Ladenkirche am Kohlenkamp auf eine breitere Basis stellen und damit der Tatsache Rechnung tragen, dass diese niedrigschwellige Einrichtung der Stadtkirche nicht mehr allein von Ehrenamtlichen aufrechterhalten werden kann.  Ausgehend von "der in Mülheim ausgesprochen gut funktionierenden Ökumene", möchte Frieling, der neben seiner 50-Prozent-Stelle bei der Mülheimer Stadtkirche auf sein Examen an der Universität Duisburg-Essen zusteuert, auch zur Wiederbelebung des Bündnisses der Religionen beitragen. Denn angesichts einer "zunehmenden Radikalität in unserer Gesellschaft" sieht Frieling nicht nur die Christen in der Pflicht, "Liebe und Toleranz zu leben" und so sozial konstruktiv gegenzusteuern. "Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm", zitiert Frieling seinen Lieblings-Bibelvers aus dem 1. Johannes-Brief.
Dieser Text erschien am 28. Februar 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Schöne Straße?!

  Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ...