Folgt man der Bevölkerungsprognose der Stadtforschung, werden 2025 fast 54 Prozent der Mülheimer über 60 sein. Wenn dann ab 2030 das Rentenniveau auf 43 Prozent des letzten Monatsgehaltes abgesenkt werden und mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein werden, wird auch der Bedarf an bezahlbaren und barrierefreien Wohnungen deutlich ansteigen. Deshalb bescheinigte das Bochumer Institut für Wohnungswesen (Inwis) der Stadt bereits 2012 einen Nachholbedarf beim altersgerechten Wohnraum, mit einem Schwerpunkt im unteren und mittleren Mietsegment. Danach brauchen die Mülheimer Senioren ab 2025 verstärkt Wohnungen, die möglichst barrierefrei, nicht größer als 65 Quadratmeter und nicht teurer als 6 bis 9 Euro pro Quadratmeter sind. Bis 2025 braucht Mülheim, laut Inwis, 500 bis 600 neue altengerechte Wohnungen und 540 betreute Altenwohnungen.
Das sehen auch der Geschäftsführer der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft, Frank Esser und die Sprecherin der SWB, Christina Heine, so. 52 Prozent der MWB-Wohnungen sind nicht größer als 60 und 26,5 Prozent der SWB-Wohnungen nicht größer als 70 Quadratmeter. Beide Unternehmen arbeiten mit einer Durchschnittsmiete von rund 5 Euro pro Quadratmeter und bieten zusammen mit externen Kooperationspartnern älteren Mietern bei Bedarf Hilfestellungen für die Bewältigung des Alltags an.
„Wir haben die Herausforderung erkannt, die mit diesem sozialen und demografischen Wandel verbunden ist und wir sehen uns als örtliche Wohnungsbauunternehmen vor allem der Grundversorgung mit Wohnraum verpflichtet und wollen nicht um jeden Preis den maximalen Gewinn herausholen“, sagt Heine. Und Esser formuliert es so: „Als Genossenschaft verstehen wir uns als Vorteilsgemeinschaft, die sowohl ihren schwachen, wie ihren starken Mitgliedern ein Wohnraumangebot machen will.“
Grundsätzlich ist der MWB-Chef davon überzeugt, dass die Stadt und die lokalen Wohnungsunternehmen nur dann ihr soziales und finanzielles Gleichgewicht behalten können, wenn sie Wohnraumangebote für das preiswerte und für das gehobene Wohnsegment anbieten können. Er ist zuversichtlich, dass der Wohnungsmarkt des Ruhrgebietes auf absehbare Zeit entspannt bleiben wird und es, anders als in hochpreisigen Ballungszentren, wie Düsseldorf oder Köln, auch dann zu keinen sozialen Verwerfungen kommen wird, wenn die Zahl der Mieter mit kleinen Renten zunehmen wird.
Holger Förster von der Seniorenwohnberatung der Stadt ist nicht ganz so optimistisch. Er hat in seinen Beratungsgesprächen immer wieder den Eindruck, dass das Angebot bezahlbarer und barrierefreier Altenwohnungen eher rückläufig ist und die Nachfrage vor allem alleinstehender Senioren mit kleiner Rente steigt. „Wer Geld hat, wird sich seine Wohnung aussuchen können, wer nicht, wird Abstriche bei den Wohnstandards machen müssen“, prognostiziert Förster.
Mit Esser ist er sich einig, dass viele Neu- und Umbaumaßnahmen im Bereich des barrierefreien, bezahlbaren und altersgerechten Wohnens oft deshalb nicht realisiert werden, weil vorhandene Fördermittel nicht bekannt und deshalb nicht abgerufen werden. „Das Land stellt jährlich 900 Millionen Euro für die Wohnraumförderung bereit“, sagt Esser. „Ab 2015 fördert die Pflegeversicherung Umbaumaßnahmen, die sich als Bedarf aus einer Pflegestufe heraus ergeben mit bis zu 4000 Euro“, betont Förster.
„Viele wissen das nicht, obwohl wir natürlich auch in diese Richtung beraten“, räumt Thomas Wessel vom privaten Eigentümerverband Haus- und Grund ein. Der Verband vertritt in Mülheim 4000 Mitglieder. „Das Durchschnittsalter liegt bei 59 Jahren und viele denken über einen Verkauf nach, wenn ihre selbst genutzte Immobilie nicht barrierefrei ist“, weiß Wessel. Das größte Problem sieht er darin, dass es im vergleichsweise alten Mülheim „zu viele Häuser ohne Aufzug gibt.“
Deshalb konzentrieren sich MWB und SWB dort, wo es in ihrem Bestand keine Aufzüge gibt, darauf die Erdgeschosswohnungen barrierefrei oder barrierearm umzubauen.
Barrierearm oder barrierefrei. Diesen Status haben inzwischen 11 Prozent der 8570 SWB-Wohnungen und 12,6 Prozent der 4750 MWB-Wohnungen erreicht. Diese Umbauarbeiten leisten die Wohnungsbaugesellschaften auch im eignen Interesse. Denn schon heute sind rund 30 Prozent aller SWB- und rund 43 Prozent aller MWB-Mieter über 60.
Haus- und Grund-Mann Wessel weist darauf hin, dass die privaten Hauseigentümer im Gegensatz zu den großen Wohnungsgesellschaften, keinen großen Spielraum haben, um Umbaumaßnahmen oder geringere und damit sozial verträglichere Mieten finanzieren können.
„Wer als Bauherr Wohnraum schafft, will am Ende damit auch Geld verdienen“, weiß Seniorenwohnberater Förster.
Dieser Text erschien am 9. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Donnerstag, 30. Oktober 2014
Montag, 27. Oktober 2014
Altersarmut ist für die Deutsche Rentenversicherung Rheinland eine Frage der Arbeitsmarktpolitik, die nur der Gesetzgeber beantworten kann
Die Rente ist sicher“, behauptete einst Bundesarbeitsminister Norbert Blüm. Doch wie bekommt man eigentlich Rentenansprüche und wie sicher sind sie, wenn der demografische Wandel dazu führen wird, dass die Zahl der Rentner zunehmen und die Zahl der Beitragszahler abnehmen wird. Dazu befragte ich für die NRZ den Sprecher der Deutschen Rentenversicherung Rheinland (DRV), Jochen Müller, der Rentenrecht studiert und viele Jahre als Berater der DRV gearbeitet hat.
Frage: Ist Altersarmut in Ihren Beratungsgesprächen ein Thema?
Antwort: Eigentlich nur vereinzelt. Denn die meisten Anfragen, die wir zurzeit in unseren Beratungsstellen bearbeiten, kommen von rentennahen Jahrgängen aus der Generation 50 plus. Sie drehen sich vor allem um die Fragen: Kann ich mit 63 in Rente gehen? und: Bekomme ich eine Mütterrente? Wir werden natürlich auch mit der Frage konfrontiert, wie sich Zeiten der Arbeitslosigkeit auf die persönlichen Rentenansprüche auswirken.
Frage: Werden Zeiten der Arbeitslosigkeit denn auf den Rentenanspruch angerechnet?
Antwort: Das gilt nur für kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit. Wenn jemand nur ein Jahr arbeitslos ist und Arbeitslosengeld I bezieht, werden weiterhin 18,9 Prozent seines Arbeitslosengeldes in die Rentenversicherung eingezahlt. Aber wenn jemand länger als ein Jahr arbeitslos ist und ins Arbeitslosengeld II abrutscht, werden dafür keine Rentenbeiträge mehr eingezahlt.
Frage: Wie sicher wird die Rente in Zukunft sein, wenn sich der demografische Wandel verschärft?
Antwort: Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland wird 2015 125 Jahre bestehen. Sie hat auch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 unbeschadet überstanden. Deshalb halten wir auch weiterhin am Generationenvertrag und an der Umlagefinanzierung der Renten fest. Ich gebe aber zu, dass eine Alterssicherung, die nur auf die gesetzliche Rente baut, schwierig wird, wenn sie nicht um die beiden anderen Säulen, die privaten Altersvorsorge und die Betriebsrenten, ergänzt wird. Der Gesetzgeber hat einen Nachhaltigkeitsfaktor eingebaut, der das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent des letzten Arbeitseinkommens absenkt, um zu verhindern, dass der Rentenversicherungsbeitrag auf über 22 Prozent des Bruttolohnes steigt.
Frage: Ist dieser Nachhaltigkeitsfaktor verbunden mit dem zunehmenden Anteil der Menschen, die über längere Zeiten ihres Arbeitslebens arbeitslos, prekär beschäftigt oder schlecht bezahlt waren, nicht sozial ungerecht, weil so Altersarmut programmiert wird?
Antwort: Das ist keine Frage der Rentenversicherung, sondern der Arbeitmarktpolitik. Dieses Problem kann nicht von der Rentenversicherung, sondern nur vom Gesetzgeber gelöst werden.
Frage: Wie kommt man zu Rentenansprüchen und welche Zeiten werden angerechnet?
Antwort: Wer mindestens fünf Jahre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, kann eine gesetzliche Rente bekommen. Das aktuelle Renteneintrittsalter liegt derzeit bei 65 Jahren und drei Monaten und wird bis 2030 auf 67 Jahre angehoben. Wer später oder früher in Rente geht, muss mit individuellen Ab- oder Aufschlägen rechnen. Grundsätzlich gilt: Wer als Auszubildender oder als Angestellter gemeinsam mit seinem Arbeitgeber aktuell 18,9 Prozent seines Bruttolohns in die Rentenversicherung einzahlt, bekommt dafür sogenannte Entgeltpunkte auf seinem Rentenkonto gut geschrieben, die jeweils einkommensabhängig sind. Am Ende des Berufslebens wird die Gesamtzahl der Entgeltpunkte mit dem Rentenwert, der von der Bundesregierung (aktuell auf 28,61 Euro) festgelegt ist, multipliziert. Neben Erwerbszeiten werden aber auch Ausbildungs- und Erziehungszeiten auf den Rentenanspruch angerechnet. Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, können pro Kind 24 Monate als Erziehungszeit geltend gemacht werden. Bei Kindern, die nach 1992 geboren wurden, können insgesamt 36 Monate als Erziehungszeiten angerechnet werden. Als Ausbildungszeiten werden seit 1992 nur noch drei berufsvorbereitende Ausbildungsjahre anerkannt, die nach dem vollendeten 17. Lebensjahr begonnen haben.
Frage: Kann man auch freiwillig in die Rentenversicherung einzahlen, um seine Rentenansprüche zu erhöhen?
Antwort: Ja, man kann monatlich zwischen 85,05 und 1124,55 Euro freiwillig einzahlen. Das macht in der Regel aber nur dann Sinn, wenn man damit Rentenlücken von wenigen Monaten schließen kann. Ansonsten macht eine private Altersvorsorge mehr Sinn.
Dieser Text erschien am 15. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Frage: Ist Altersarmut in Ihren Beratungsgesprächen ein Thema?
Antwort: Eigentlich nur vereinzelt. Denn die meisten Anfragen, die wir zurzeit in unseren Beratungsstellen bearbeiten, kommen von rentennahen Jahrgängen aus der Generation 50 plus. Sie drehen sich vor allem um die Fragen: Kann ich mit 63 in Rente gehen? und: Bekomme ich eine Mütterrente? Wir werden natürlich auch mit der Frage konfrontiert, wie sich Zeiten der Arbeitslosigkeit auf die persönlichen Rentenansprüche auswirken.
Frage: Werden Zeiten der Arbeitslosigkeit denn auf den Rentenanspruch angerechnet?
Antwort: Das gilt nur für kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit. Wenn jemand nur ein Jahr arbeitslos ist und Arbeitslosengeld I bezieht, werden weiterhin 18,9 Prozent seines Arbeitslosengeldes in die Rentenversicherung eingezahlt. Aber wenn jemand länger als ein Jahr arbeitslos ist und ins Arbeitslosengeld II abrutscht, werden dafür keine Rentenbeiträge mehr eingezahlt.
Frage: Wie sicher wird die Rente in Zukunft sein, wenn sich der demografische Wandel verschärft?
Antwort: Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland wird 2015 125 Jahre bestehen. Sie hat auch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 unbeschadet überstanden. Deshalb halten wir auch weiterhin am Generationenvertrag und an der Umlagefinanzierung der Renten fest. Ich gebe aber zu, dass eine Alterssicherung, die nur auf die gesetzliche Rente baut, schwierig wird, wenn sie nicht um die beiden anderen Säulen, die privaten Altersvorsorge und die Betriebsrenten, ergänzt wird. Der Gesetzgeber hat einen Nachhaltigkeitsfaktor eingebaut, der das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent des letzten Arbeitseinkommens absenkt, um zu verhindern, dass der Rentenversicherungsbeitrag auf über 22 Prozent des Bruttolohnes steigt.
Frage: Ist dieser Nachhaltigkeitsfaktor verbunden mit dem zunehmenden Anteil der Menschen, die über längere Zeiten ihres Arbeitslebens arbeitslos, prekär beschäftigt oder schlecht bezahlt waren, nicht sozial ungerecht, weil so Altersarmut programmiert wird?
Antwort: Das ist keine Frage der Rentenversicherung, sondern der Arbeitmarktpolitik. Dieses Problem kann nicht von der Rentenversicherung, sondern nur vom Gesetzgeber gelöst werden.
Frage: Wie kommt man zu Rentenansprüchen und welche Zeiten werden angerechnet?
Antwort: Wer mindestens fünf Jahre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, kann eine gesetzliche Rente bekommen. Das aktuelle Renteneintrittsalter liegt derzeit bei 65 Jahren und drei Monaten und wird bis 2030 auf 67 Jahre angehoben. Wer später oder früher in Rente geht, muss mit individuellen Ab- oder Aufschlägen rechnen. Grundsätzlich gilt: Wer als Auszubildender oder als Angestellter gemeinsam mit seinem Arbeitgeber aktuell 18,9 Prozent seines Bruttolohns in die Rentenversicherung einzahlt, bekommt dafür sogenannte Entgeltpunkte auf seinem Rentenkonto gut geschrieben, die jeweils einkommensabhängig sind. Am Ende des Berufslebens wird die Gesamtzahl der Entgeltpunkte mit dem Rentenwert, der von der Bundesregierung (aktuell auf 28,61 Euro) festgelegt ist, multipliziert. Neben Erwerbszeiten werden aber auch Ausbildungs- und Erziehungszeiten auf den Rentenanspruch angerechnet. Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, können pro Kind 24 Monate als Erziehungszeit geltend gemacht werden. Bei Kindern, die nach 1992 geboren wurden, können insgesamt 36 Monate als Erziehungszeiten angerechnet werden. Als Ausbildungszeiten werden seit 1992 nur noch drei berufsvorbereitende Ausbildungsjahre anerkannt, die nach dem vollendeten 17. Lebensjahr begonnen haben.
Frage: Kann man auch freiwillig in die Rentenversicherung einzahlen, um seine Rentenansprüche zu erhöhen?
Antwort: Ja, man kann monatlich zwischen 85,05 und 1124,55 Euro freiwillig einzahlen. Das macht in der Regel aber nur dann Sinn, wenn man damit Rentenlücken von wenigen Monaten schließen kann. Ansonsten macht eine private Altersvorsorge mehr Sinn.
Dieser Text erschien am 15. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Sonntag, 26. Oktober 2014
Preiswert oder Luxus? Was bedeutet zunehmende Altersarmut für den Einzelhandel?
Ich kauf mir was. Kaufen macht so viel Spaß“, sang einst Herbert Grönemeyer. Doch der Spaß am Kaufen könnte künftig immer mehr Menschen vergehen, wenn mehr als ein Drittel der Rentner im dann mehrheitlich „alten“ Mülheim auf eine Grundsicherung im Alter angewiesen sein sollten, weil das Rentenniveau dann auf 43 Prozent des letzten Arbeitseinkommens absinkt.
Schon jetzt hat die Bundesregierung, von der auch die oben genannte Prognose aus dem Jahr 2012 stammt, festgestellt, dass die Rentner in den letzten 14 Jahren 20 Prozent ihrer Kaufkraft verloren haben. Wenn 2030 immer mehr der heute prekär Beschäftigten, zu prekär lebenden Ruheständlern werden, wird das Thema Altersarmut nicht nur ein soziales, sondern auch ein wirtschaftliches Thema sein. Denn in Mülheim hängt aktuell fast jeder neunte sozialversicherte Arbeitsplatz und fast jeder fünfte Minijob am Einzelhandel.
„Das wird verheerende Auswirkungen auf den Einzelhandel in den Ortszentren haben, weil dann immer mehr Menschen nach dem Motto: Geiz ist geil unter anderem auch im Internet einkaufen werden“, fürchtet die Saarner Buchhändlerin Brigitta Lange. Für sie gibt es nur ein Mittel, um Altersarmut abzuwenden. „Wir müssen neue und gut bezahlte Arbeitsplätze in die Stadt holen und Wohnquartiere schaffen, in denen man auch gerne alt werden möchte.“
Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier von Mülheim & Business sieht Mülheim angesichts seines sozialen Nord-Süd-Gefälles schon heute als „geteilte Stadt.“ Gerade im Mittelstand erkennt er die zunehmende Angst, „im Alter sozial abzurutschen“, weil das 45-jährige Arbeitsleben mit Vollzeitstelle immer mehr zur Ausnahme und die brüchige Berufsbiografie „ohne Luft für private Altersvorsorge“ immer mehr zur Regel wird. Der Wirtschaftsförderer geht davon aus, dass sich die soziale Schere zwischen den gut situierten und den bedürftigen Rentner weiter öffnen und der Trend zum Discounter und zu Billig-Dienstleistern vom Einkauf über den Friseur bis zum Hotel fortsetzen wird. Wie kann man diesen sozialen und demografischen Wandel meistern? „Wir brauchen ein kluges Quartiersmanagement und mehr ehrenamtliches Engagement“, unterstreicht Schnitzmeier.
Die Einzelhändler Falk Paschmann (25) und Klaus Dieter John (62) erleben in ihren Edeka- und Rewe-Märkten schon heute die soziale Spreizung einer zunehmend älteren Kundschaft, die sich einerseits problemlos auch hochpreisige Produkte leisten kann und andererseits beim Einkauf auf jeden Euro achten muss. Beide Händler stellen sich schon heute mit preiswerten Eigenmarken und Bringservice auf die Bedürfnisse auch jener älteren Kunden mit kleinem Portemonnaie ein. „Das wird ein Spagat und eine Herausforderung, auf die wir uns als Unternehmer einstellen müssen, wenn künftige Rentner-Generationen nicht mehr so viel von der Rente sehen werden, wie das heute noch der Fall ist“, meint Paschmann. Wie er geht auch sein Styrumer Kollege John davon aus, „dass wir unsere Sortimente auf veränderte Nachfrage immer wieder neu ausrichten und flexibler werden müssen.“ Die beiden Einzelhändler versuchen auf ihre Weise der Altersarmut vorzubeugen. Paschmann, der für eine umfassende Rentenversicherung plädiert, in die alle Berufstätigen ohne Einkommensdeckelung einzahlen, bietet seinen Mitarbeitern eine betriebliche Altersvorsorge an. Und John beschäftigt in seinem Markt keine Mini-Jobber, sondern ausschließlich sozialversicherte Arbeitnehmer.
Bettina Heikamp, die das Styrumer Sozialkaufhaus Help leitet, in dem man für kleines Geld und bei Bedarf auch auf Raten einkaufen kann, stellt fest: „Das soziale Spektrum meiner Kunden wird immer breiter, weil der Mittelstand immer kleiner wird.“ Sie macht sich keine Illusionen darüber, dass die zunehmende Altersarmut im vergleichsweise alten Mülheim langfristig massive Auswirkungen auf den Handel haben und ihn zu einer Strategie „preiswert statt Luxus“ zwingen wird. „Schon heute haben wir viele ältere Kunden, die mit ihrer Rente kaum auskommen und deshalb erst mal nur Kartoffeln, Eier, Zwiebeln und Wirsing statt Ananas, Mango oder Weintrauben kaufen“, berichtet Wochenmarkthändler Martin Hellinghaus.
Und was machen Menschen, die gar nicht mehr oder nur noch ganz selten einkaufen können. Sie kommen zur Tafel des Diakoniewerks an der Georgstraße, die schon heute täglich 1000 Kunden kostenfrei versorgt. Ebenso wie das Sozialkaufhaus, ist auch die Tafel auf Spenden angewiesen. „Die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, wird noch weiter zunehmen“, glaubt der Betriebsleiter des Diakoniewerkes, Michael Farrenberg. Der 54-Jährige sieht nur einen Ausweg aus der Armutsfalle. „Wenn wir mehr Menschen haben wollen, die ihr Geld in den Wirtschaftskreislauf geben, brauchen wir angemessene Löhne und Arbeit bis zur Rente. Das wird aber nur dann passieren, wenn Unternehmen und Arbeitgeber nachhaltiger handeln und nicht nur den kurzfristigen Profit im Blick haben.“
Dieser Text erschien am 10. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Schon jetzt hat die Bundesregierung, von der auch die oben genannte Prognose aus dem Jahr 2012 stammt, festgestellt, dass die Rentner in den letzten 14 Jahren 20 Prozent ihrer Kaufkraft verloren haben. Wenn 2030 immer mehr der heute prekär Beschäftigten, zu prekär lebenden Ruheständlern werden, wird das Thema Altersarmut nicht nur ein soziales, sondern auch ein wirtschaftliches Thema sein. Denn in Mülheim hängt aktuell fast jeder neunte sozialversicherte Arbeitsplatz und fast jeder fünfte Minijob am Einzelhandel.
„Das wird verheerende Auswirkungen auf den Einzelhandel in den Ortszentren haben, weil dann immer mehr Menschen nach dem Motto: Geiz ist geil unter anderem auch im Internet einkaufen werden“, fürchtet die Saarner Buchhändlerin Brigitta Lange. Für sie gibt es nur ein Mittel, um Altersarmut abzuwenden. „Wir müssen neue und gut bezahlte Arbeitsplätze in die Stadt holen und Wohnquartiere schaffen, in denen man auch gerne alt werden möchte.“
Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier von Mülheim & Business sieht Mülheim angesichts seines sozialen Nord-Süd-Gefälles schon heute als „geteilte Stadt.“ Gerade im Mittelstand erkennt er die zunehmende Angst, „im Alter sozial abzurutschen“, weil das 45-jährige Arbeitsleben mit Vollzeitstelle immer mehr zur Ausnahme und die brüchige Berufsbiografie „ohne Luft für private Altersvorsorge“ immer mehr zur Regel wird. Der Wirtschaftsförderer geht davon aus, dass sich die soziale Schere zwischen den gut situierten und den bedürftigen Rentner weiter öffnen und der Trend zum Discounter und zu Billig-Dienstleistern vom Einkauf über den Friseur bis zum Hotel fortsetzen wird. Wie kann man diesen sozialen und demografischen Wandel meistern? „Wir brauchen ein kluges Quartiersmanagement und mehr ehrenamtliches Engagement“, unterstreicht Schnitzmeier.
Die Einzelhändler Falk Paschmann (25) und Klaus Dieter John (62) erleben in ihren Edeka- und Rewe-Märkten schon heute die soziale Spreizung einer zunehmend älteren Kundschaft, die sich einerseits problemlos auch hochpreisige Produkte leisten kann und andererseits beim Einkauf auf jeden Euro achten muss. Beide Händler stellen sich schon heute mit preiswerten Eigenmarken und Bringservice auf die Bedürfnisse auch jener älteren Kunden mit kleinem Portemonnaie ein. „Das wird ein Spagat und eine Herausforderung, auf die wir uns als Unternehmer einstellen müssen, wenn künftige Rentner-Generationen nicht mehr so viel von der Rente sehen werden, wie das heute noch der Fall ist“, meint Paschmann. Wie er geht auch sein Styrumer Kollege John davon aus, „dass wir unsere Sortimente auf veränderte Nachfrage immer wieder neu ausrichten und flexibler werden müssen.“ Die beiden Einzelhändler versuchen auf ihre Weise der Altersarmut vorzubeugen. Paschmann, der für eine umfassende Rentenversicherung plädiert, in die alle Berufstätigen ohne Einkommensdeckelung einzahlen, bietet seinen Mitarbeitern eine betriebliche Altersvorsorge an. Und John beschäftigt in seinem Markt keine Mini-Jobber, sondern ausschließlich sozialversicherte Arbeitnehmer.
Bettina Heikamp, die das Styrumer Sozialkaufhaus Help leitet, in dem man für kleines Geld und bei Bedarf auch auf Raten einkaufen kann, stellt fest: „Das soziale Spektrum meiner Kunden wird immer breiter, weil der Mittelstand immer kleiner wird.“ Sie macht sich keine Illusionen darüber, dass die zunehmende Altersarmut im vergleichsweise alten Mülheim langfristig massive Auswirkungen auf den Handel haben und ihn zu einer Strategie „preiswert statt Luxus“ zwingen wird. „Schon heute haben wir viele ältere Kunden, die mit ihrer Rente kaum auskommen und deshalb erst mal nur Kartoffeln, Eier, Zwiebeln und Wirsing statt Ananas, Mango oder Weintrauben kaufen“, berichtet Wochenmarkthändler Martin Hellinghaus.
Und was machen Menschen, die gar nicht mehr oder nur noch ganz selten einkaufen können. Sie kommen zur Tafel des Diakoniewerks an der Georgstraße, die schon heute täglich 1000 Kunden kostenfrei versorgt. Ebenso wie das Sozialkaufhaus, ist auch die Tafel auf Spenden angewiesen. „Die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, wird noch weiter zunehmen“, glaubt der Betriebsleiter des Diakoniewerkes, Michael Farrenberg. Der 54-Jährige sieht nur einen Ausweg aus der Armutsfalle. „Wenn wir mehr Menschen haben wollen, die ihr Geld in den Wirtschaftskreislauf geben, brauchen wir angemessene Löhne und Arbeit bis zur Rente. Das wird aber nur dann passieren, wenn Unternehmen und Arbeitgeber nachhaltiger handeln und nicht nur den kurzfristigen Profit im Blick haben.“
Dieser Text erschien am 10. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Samstag, 25. Oktober 2014
Was der Leiterin einer Seniorentagesstätte zum Thema Altersarmut einfällt
Altersarmut ist kein Thema von morgen. Altersarmut ist schon heute ein Thema, sagt Elke Domann-Jurkiewicz. Die 64-jährige Mutter eines erwachsenen Sohnes, die ihre vor kurzen verstorbene Mutter bis zu letzt in der Familie gepflegt hat, muss es wissen. Denn sie leitet seit mehr als 16 Jahren die Seniorentagesstätte der Arbeiterwohlfahrt.
Sie schätzt, das etwa ein Drittel ihrer Gäste Probleme hat mit ihrer Rente über den Monat zu kommen. Viele, die es könnten und müssten, beantragen keine Grundsicherung im Alter, weil ihre Scham zu groß ist und sie zu Unrecht befürchten, dass ihre Kinder für sie zahlen müssten.
Wie sieht Altersarmut in der Awo-Tagesstätte an der Bahnstraße aus?
Man merkt es daran, dass viele Gäste nicht mehr jeden Tag am Mittagstisch teilnehmen oder sich nachmittags Kaffee und Kuchen gönnen, weil sie sich ein Mittagessen mit Vor- Haupt- und Nachspeise für 4,90 Euro, eine Tasse Kaffe für einen Euro oder ein Stück Kuchen für 1,50 Euro nicht täglich leisten kann. Auch die Teilnahme an einem Tagesausflug für kleines Geld ist für viele der Senioren, die zu uns kommen, ein großer Luxus geworden. Früher haben unsere Gäste regelmäßig von ihrem Urlaub berichtet. Heute reicht es, wenn überhaupt, oft nur noch für eine alles andere, als altersgerechte Tagesreise mit dem Bus, erzählt die Leiterin der Seniorentagesstätte.
Mit den Tränen kämpfen musste Domann-Jurkiewicz, als ihr vor einiger Zeit ein alter Herr ganz stolz erzählte, dass er sich einen Stövchen für Teelichter so umgebaut hatte, dass er sich jetzt damit ohne Strom Einsatz den Tee oder eine Mahlzeit warm machen könne.
Wenn jemand dieses Land mit aufgebaut, gearbeitet und Kinder groß gezogen hatte, sollte Er oder Sie doch wohl das Recht haben, im Alter sorgenfrei leben zu können, findet Domann-Jurkiewicz. Doch wenn sie sich in der Generation ihres Sohnes umschaut und umhört, ahnt sie: Mit der Altersarmut wird es in der Zukunft prickelnder. Denn wer bekommt heute noch einen gut bezahlten und unbefristeten Job. Und wie viele Menschen müssen sich mit 450-Euro-Jobs über Wasser halten.
Angesichts der hohen Mieten und Nebenkosten für Strom und Heizung, die jetzt schon viele Senioren mit kleiner Rente überfordern und machen Rentern monatlich nur noch 200 Euro für den täglichen Bedarf übriglassen, ist ihr mit Blick in die Zukunft klar: Die Frage der Miete und des Wohnens ist das A und O. Kleine, barrierefreie und bezahlbare Wohnungen werden nach ihrer Ansicht künftig mehr den je vonnöten sein. Auch Seniorenhäuser, wie sie sie in den Niederlanden kennengelernt hat, sieht Domann-Jurkiewicz als gute Idee. Hier leben Senioren in kleinen Häusern zusammen, sind nicht allein und bekommen bei Bedarf im Alltag professionelle Hilfestellung von außen.
Große Altenheime, das weiß die Leiterin der Seniorentagesstätte aus Gesprächen, sind vielen alten Menschen ein Graus. So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben, ohne den Kindern zur
Last zu fallen. Das wollen die Meisten.
Das kann aus Domanns Perspektive nur dann klappen, wenn der Irrweg der Einkaufszentren auf der grünen Wiese beendet und die Nahversorgung wieder näher zu den alten und oft nicht mehr so beweglichen Menschen kommt. Wer soll die Einkaufszentren denn noch erreichen, zumal wenn das Geld für die Fahrkarte fehlt, weil die Rente schon nicht fürs tägliche Leben reicht, fragt sich die Altentagesstätte. Initiativen, wie den Styrumer Bürgerbus, den Fahrdienst des Styrumer Nachbarschaftsvereins oder das Sozialticket der Mülheimer Verkehrsgesellschaft sieht sie in diesem Zusammenhang als wegweisend, um Mobilität und damit auch Teilhabe am sozialen Leben einer Stadt im Alter zu garantieren.
Auch die Seniorentagesstätten müssen sich in Zukunft ganz neu positionieren. Ohne ehrenamtliche Mitarbeiter wird es nicht gehen. Aber wir brauchen auch mehr hauptamtliche Mitarbeiter, die dort auch sozial in allen alltagsrelevanten Fragen Senioren beraten und betreuen können, glaubt Domann-Jurkiewicz.
Ihre eigene Altentagesstätte sähe sie am liebsten nicht an der Bahnstraße, wo unsere Gäste auf einen Innenhof schauen, wenn sie aus dem Fenster gucken, sondern an einem noch zentraleren Ort, etwa an der Leineweber- oder an der Schloßstraße. Alte Menschen wollen nicht auf den Hof, sondern auf die Straße schauen, wo Menschen vorbeikommen und das Leben ist.
Deshalb könnte sie sich Seniorentagesstätten künftig auch als Stadtteilzentren vorstellen, in denen nicht nur Senioren, sondern Menschen aller Generationen ein und ausgehen, um sich dort zum Beispiel in einem Cafe zu treffen, eine Beratungsstelle aufzusuchen oder dort auch Arbeits- und Verantsaltungsräume zu nutzen.
Am liebsten würde ich im Lotto gewinnen, um zumindest hier, wo ich bin all das zu finanzieren, was alte Menschen brauchen und verdient haben, sagt Domann, die in ihrer Altentagesstätte zum Beispiel eine barrierefrei Toilette vermisst. Doch die rührige Awo-Frau, die sich an der Bahnstraße weit über das Maß hinaus engagiert, das ihre Arbeitsstelle erfordert, weiß, dass die Altersarmut mit einem noch so großen Lottogewinn nicht zu besiegen sein wird.
Wir brauchen eine Kultur der Wertschätzung, die die Lebensleistung alter Menschen auch mit einer auskömmlichen Rente anerkennt, betont Domann-Jurkewiecz und wünscht sich deshalb für die Renter von morgen gut bezahlte Arbeitsplätze und dann eine steuerfinanzierte Grundrente, die niemanden dazu zwingt, mit 70 noch putzen zu gehen.
Sie wünscht sich aber auch Politiker, die sich wirklich für die Alltagsbedürfnisse alter Menschen interessieren und sich nicht nur um Senioren kümmern, wenn eine Wahl ansteht und sie ihre Stimme haben wollen.
Dieser Text erschien am 11. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr
Freitag, 24. Oktober 2014
Altersarmut: Mehr Geld für die Pllege? Auch in Zukunft wird nicht jede helfende Hand zu bezahlen sein
2014 und 2015 rechnet die Stadt mit jeweils 14 Millionen Euro, die sie (s. Kasten) für Menschen aufwenden muss, die ihre Pflegekosten nicht mehr alleine tragen können. Diese Summe dürfte deutlich steigen, wenn ab 2030 das Rentenniveau von 51 auf 43 Prozent des letzten Monatsgehaltes absinken und, wie 2012 vom Bundesarbeitsministerium prognostiziert, mehr als jeder dritte Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein sollte.
„Derzeit gehen wir davon aus, dass die Kosten für Pflegewohngeld und Hilfe zur Pflege jährlich um ein bis zwei Prozent steigen werden. Wir versuchen mit einer Strategie ambulant vor stationär den Kostenanstieg zu bremsen“, sagt der Leiter des Sozialamtes, Klaus Konietzka.
Dahinter steht die Idee: Wer möglichst lange mit pflegerischen, sozial beratenden und alltagsassistierenden Hilfen zu Hause leben kann, kommt erst später oder gar nicht ins teure Altenheim.
„Wir brauchen in jedem Wohnquartier Unterstützungsstrukturen, die wir heute schon aufbauen. Aber auch preiswerte Dienstleistungen kosten Geld. Und wenn die Zahl der Menschen steigt, die sich diese Dienstleistungen nicht mehr leisten können, werden wir als Gesellschaft nicht darum herum kommen, diese Dienstleistungen auch aus Steuermitteln zu finanzieren“, glaubt Konietzka. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Stadt in diesem Punkt mehr denn je auf finanzielle Hilfe von Land und Bund angewiesen sein wird.
Deshalb ist es aus seiner Sicht konsequent, dass der Bund mit dem Pflegestärkungsgesetz ab 2015 den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent erhöhen und damit zusätzlich fünf Milliarden Euro in den Pflegebereich geben will.
Auch für die Geschäftsführerin des ambulanten Pflegedienstes „Pflegepartner“ Christel Schneider, steht fest: „Wir müssen mehr Geld ins System geben, wenn wir keine minimalistische, sondern eine ganzheitliche Versorgung alter Menschen haben wollen.“ Doch für sie hängt die Pflegequalität nicht nur am Geldbeutel. Viel wäre für sie schon dann gewonnen, wenn ambulante Pflegedienste und Pflegeheime von bürokratischen Dokumentationspflichten entlastet würden, „um mehr Zeit für die Menschen zu haben.“
Ihr Kollege Martin Behmenburg vom ambulanten Dienst „Pflege Zuhause“ ahnt, „dass noch nie dagewesene Belastungen“ auf die Gesellschaft zukommen, wenn immer weniger Pflegebedürftige aus eignen Mitteln für ihre Pflege bezahlen können. Er fürchtet, dass die Versorgung im Extremfall auf das Niveau „satt und sauber“ absinken könnte, wenn es nicht gelingen sollte, die professionelle Pflege durch den Ausbau nachbarschaftlicher und ehrenamtlicher Hilfsstrukturen zu unterstützen.
Gute Ansätze zu der von Behmenburg erhofften „Kultur des Helfens“, sieht Sozialamtschef Konietzka im stadtteilorientierten Netzwerk der Generationen oder in den Menschen, die sich schon heute ehrenamtlich als Bürger- oder Seniorenlotsen engagieren. Aber auch alternative Wohnformen von der Senioren-WG bis zum Mehrgenerationenhaus werden nach seiner Einschätzung ebenso an Bedeutung gewinnen,wie Alltagsdienstleistungen vom Concierge- und Liefer- über den Reparaturservice bis zum Pflegestützpunkt. Initiativen, wie die der großen Wohnungsgesellschaften MWB und SWB, der Stadt, der Paritätischen Initiative für Arbeit oder des Diakonischen Werkes hält er deshalb für wegweisend.
Der Pflegedienstleiter des Altenheims Ruhrgarten, Oskar Dierbach, ist sich mit Martin Behmenburg darin einig, dass Politik und Medien eine breite gesellschaftlich Debatte darüber anstoßen müssten, wie unsere Gesellschaft die sozialen und finanziellen Folgen des demografischen Wandels bewältigen soll.
„Wir müssen den Mut haben, das Tabuthema der Umverteilung anzusprechen. Und die Tatsache verdeutlichen, dass wir für die Pflege mehr bezahlen müssen und das diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf alle Schultern gerecht verteilt werden muss.“
Das kann aus seiner Sicht nur dann funktionieren, wenn die Bemessungsgrundlage, auf deren Basis die Pflege finanziert wird, nicht nur Löhne, sondern alle Einkommen, also auch Mieten und Kapitalerträge mit einbezieht. Das jetzige System der Pflegeversicherung mit ihren Pflegestufen empfindet Dierbach als „viel zu bürokratisch und zutiefst ungerecht.“ Er ist er davon überzeugt, dass die Lebensqualität der Betroffenen gesteigert und die Kosten gesenkt werden könnten, wenn man auf allen Ebenen die rehabilitative Pflege stärken und zugunsten der reinen Defizitdiagnose ausbauen würde.
Dieser Text erschien am 14. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
„Derzeit gehen wir davon aus, dass die Kosten für Pflegewohngeld und Hilfe zur Pflege jährlich um ein bis zwei Prozent steigen werden. Wir versuchen mit einer Strategie ambulant vor stationär den Kostenanstieg zu bremsen“, sagt der Leiter des Sozialamtes, Klaus Konietzka.
Dahinter steht die Idee: Wer möglichst lange mit pflegerischen, sozial beratenden und alltagsassistierenden Hilfen zu Hause leben kann, kommt erst später oder gar nicht ins teure Altenheim.
„Wir brauchen in jedem Wohnquartier Unterstützungsstrukturen, die wir heute schon aufbauen. Aber auch preiswerte Dienstleistungen kosten Geld. Und wenn die Zahl der Menschen steigt, die sich diese Dienstleistungen nicht mehr leisten können, werden wir als Gesellschaft nicht darum herum kommen, diese Dienstleistungen auch aus Steuermitteln zu finanzieren“, glaubt Konietzka. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Stadt in diesem Punkt mehr denn je auf finanzielle Hilfe von Land und Bund angewiesen sein wird.
Deshalb ist es aus seiner Sicht konsequent, dass der Bund mit dem Pflegestärkungsgesetz ab 2015 den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent erhöhen und damit zusätzlich fünf Milliarden Euro in den Pflegebereich geben will.
Auch für die Geschäftsführerin des ambulanten Pflegedienstes „Pflegepartner“ Christel Schneider, steht fest: „Wir müssen mehr Geld ins System geben, wenn wir keine minimalistische, sondern eine ganzheitliche Versorgung alter Menschen haben wollen.“ Doch für sie hängt die Pflegequalität nicht nur am Geldbeutel. Viel wäre für sie schon dann gewonnen, wenn ambulante Pflegedienste und Pflegeheime von bürokratischen Dokumentationspflichten entlastet würden, „um mehr Zeit für die Menschen zu haben.“
Ihr Kollege Martin Behmenburg vom ambulanten Dienst „Pflege Zuhause“ ahnt, „dass noch nie dagewesene Belastungen“ auf die Gesellschaft zukommen, wenn immer weniger Pflegebedürftige aus eignen Mitteln für ihre Pflege bezahlen können. Er fürchtet, dass die Versorgung im Extremfall auf das Niveau „satt und sauber“ absinken könnte, wenn es nicht gelingen sollte, die professionelle Pflege durch den Ausbau nachbarschaftlicher und ehrenamtlicher Hilfsstrukturen zu unterstützen.
Gute Ansätze zu der von Behmenburg erhofften „Kultur des Helfens“, sieht Sozialamtschef Konietzka im stadtteilorientierten Netzwerk der Generationen oder in den Menschen, die sich schon heute ehrenamtlich als Bürger- oder Seniorenlotsen engagieren. Aber auch alternative Wohnformen von der Senioren-WG bis zum Mehrgenerationenhaus werden nach seiner Einschätzung ebenso an Bedeutung gewinnen,wie Alltagsdienstleistungen vom Concierge- und Liefer- über den Reparaturservice bis zum Pflegestützpunkt. Initiativen, wie die der großen Wohnungsgesellschaften MWB und SWB, der Stadt, der Paritätischen Initiative für Arbeit oder des Diakonischen Werkes hält er deshalb für wegweisend.
Der Pflegedienstleiter des Altenheims Ruhrgarten, Oskar Dierbach, ist sich mit Martin Behmenburg darin einig, dass Politik und Medien eine breite gesellschaftlich Debatte darüber anstoßen müssten, wie unsere Gesellschaft die sozialen und finanziellen Folgen des demografischen Wandels bewältigen soll.
„Wir müssen den Mut haben, das Tabuthema der Umverteilung anzusprechen. Und die Tatsache verdeutlichen, dass wir für die Pflege mehr bezahlen müssen und das diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf alle Schultern gerecht verteilt werden muss.“
Das kann aus seiner Sicht nur dann funktionieren, wenn die Bemessungsgrundlage, auf deren Basis die Pflege finanziert wird, nicht nur Löhne, sondern alle Einkommen, also auch Mieten und Kapitalerträge mit einbezieht. Das jetzige System der Pflegeversicherung mit ihren Pflegestufen empfindet Dierbach als „viel zu bürokratisch und zutiefst ungerecht.“ Er ist er davon überzeugt, dass die Lebensqualität der Betroffenen gesteigert und die Kosten gesenkt werden könnten, wenn man auf allen Ebenen die rehabilitative Pflege stärken und zugunsten der reinen Defizitdiagnose ausbauen würde.
Dieser Text erschien am 14. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Donnerstag, 23. Oktober 2014
Altersarmut: Soziale Netzwerke werden immer wichtiger: Ein Gespräch mit dem kommunalen Sozialplaner Jörg Marx
Wenn Mülheim aus demografischen und sozialen Gründen (wie berichtet) immer mehr alte Bürger haben wird, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein werden, wird das Konsequenzen für die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur haben. Für die NRZ fragte ich Jörg Marx, der beim Sozialamt für die Sozialplanung zuständig ist, wie sich die Stadt auf diese Herausforderung einstellen und reagieren kann.
Frage: Wie kann die Stadt Altersarmut verhindern oder bewältigen?
Antwort: Bei den strukturellen Ursachen der Altersarmut, wie Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlte Beschäftigung, haben wir als Kommune keinen Einfluss und können aufgrund unserer Zahlen nur lediglich feststellen, wer in zehn oder 20 Jahren auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird.
Frage: Ist die finanzielle Überforderung der Kommunen durch wachsende Altersarmut nicht programmiert?
Antwort: Bei den finanziellen Folgen von Altersarmut geht es um eine gesamtgesellschaftliche Frage, nämlich um die Verteilungsgerechtigkeit. Und hier werden die Städte verstärkt darum kämpfen müssen, dass Bund und Länder ihre finanzielle und soziale Verantwortung wahrnehmen. Dass der Bund die Kosten der Grundsicherung übernimmt und die Kommunen damit entlastet, geht schon in die richtige Richtung.
Frage: Kann die Stadt also nur auf Bund und Land hoffen?
Antwort: Nein. Sie muss agieren und darf den Folgen der Altersarmut nicht nur hinterherlaufen. Natürlich muss auch die Stadt angesichts knapper Finanzen ihre Prioritätensetzung überdenken. Für das Sozialamt hat alles Priorität, was in die Lebensqualität und das soziale Zusammenleben der Menschen investiert wird. Wir sollten nicht in Panik verfallen, sondern die Stärken unserer Stadt nutzen, um die Folgen von Altersarmut abzumildern.
Frage: An welche Stärken denken Sie?
Antwort: Ich denke daran, dass es in Mülheim nicht nur arme, sondern auch viele nicht nur im materiellen Sinne vermögende Menschen gibt, die bereit sind, ihr Vermögen weiterzugeben, einzusetzen und mit Menschen zu teilen, die Hilfe brauchen.
Frage: Eine Solidaritätsabgabe für reiche Mülheimer?
Antwort: Nein. Ich denke dabei an soziale Netzwerkarbeit, die wir in den Stadtteilen bereits mit Erfolg begonnen haben. Denn bei Altersarmut geht es nicht nur um Geld, sondern um Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe. Wir müssen verhindern, dass sich arme Alte aus der Öffentlichkeit zurückziehen und sozial isolieren.
Frage: Wie kann Netzwerkarbeit da helfen?
Antwort: Indem wir etwa durch Quartierswerkstätten Menschen gewinnen und zusammenbringen. Die zum Beispiel bereit sind, als lokale Netzwerker, Bürger- oder Seniorenlotsen kostenlose Freizeitaktivitäten zu organisieren oder Freikarten für Kulturveranstaltungen einzuwerben. Vor Ort ansprechbar sein, um Betroffnen Wege zu Hilfeleistungen zu zeigen oder auch selbst konkrete Nachbarschaftshilfe vom kostenlosen Fahrdienst bis zum Einkauf zu leisten.
Frage: Reicht das Vertrauen auf bürgerschaftliches Engagement, um die Stadt von den Folgen der Altersarmut zu entlasten?
Antwort: Nein. Parallel stärken wir natürlich auch die bereits vorhandenen und wohlwollend zusammenarbeitenden hauptamtlichen Netzwerke aus Wohlfahrtverbänden, Pflegediensten, Pflegestützpunkten und Seniorentagesstätten, die als lokale Anlaufstellen und Ankerpunkte künftig noch wichtiger werden, als sie heute schon sind. Darüber hinaus sind wir natürlich auch mit den Wohnungsbaugesellschaften im Gespräch.
Antwort: Etwa wenn es um den absehbaren Mehrbedarf an barrierefreien und bezahlbaren Wohnungen geht. Übrigens nicht nur für alte Menschen.
Sozialplaner Jörg Marx glaubt, dass die Stadt keinen Einfluss auf die strukturellen Ursachen von Altersarmut hat, sie aber im Alltagsleben vor Ort zumindest abmildern und Betroffenen mehr Teilhabe verschaffen kann
Dieser Text erschien am 7. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Frage: Wie kann die Stadt Altersarmut verhindern oder bewältigen?
Antwort: Bei den strukturellen Ursachen der Altersarmut, wie Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlte Beschäftigung, haben wir als Kommune keinen Einfluss und können aufgrund unserer Zahlen nur lediglich feststellen, wer in zehn oder 20 Jahren auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird.
Frage: Ist die finanzielle Überforderung der Kommunen durch wachsende Altersarmut nicht programmiert?
Antwort: Bei den finanziellen Folgen von Altersarmut geht es um eine gesamtgesellschaftliche Frage, nämlich um die Verteilungsgerechtigkeit. Und hier werden die Städte verstärkt darum kämpfen müssen, dass Bund und Länder ihre finanzielle und soziale Verantwortung wahrnehmen. Dass der Bund die Kosten der Grundsicherung übernimmt und die Kommunen damit entlastet, geht schon in die richtige Richtung.
Frage: Kann die Stadt also nur auf Bund und Land hoffen?
Antwort: Nein. Sie muss agieren und darf den Folgen der Altersarmut nicht nur hinterherlaufen. Natürlich muss auch die Stadt angesichts knapper Finanzen ihre Prioritätensetzung überdenken. Für das Sozialamt hat alles Priorität, was in die Lebensqualität und das soziale Zusammenleben der Menschen investiert wird. Wir sollten nicht in Panik verfallen, sondern die Stärken unserer Stadt nutzen, um die Folgen von Altersarmut abzumildern.
Frage: An welche Stärken denken Sie?
Antwort: Ich denke daran, dass es in Mülheim nicht nur arme, sondern auch viele nicht nur im materiellen Sinne vermögende Menschen gibt, die bereit sind, ihr Vermögen weiterzugeben, einzusetzen und mit Menschen zu teilen, die Hilfe brauchen.
Frage: Eine Solidaritätsabgabe für reiche Mülheimer?
Antwort: Nein. Ich denke dabei an soziale Netzwerkarbeit, die wir in den Stadtteilen bereits mit Erfolg begonnen haben. Denn bei Altersarmut geht es nicht nur um Geld, sondern um Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe. Wir müssen verhindern, dass sich arme Alte aus der Öffentlichkeit zurückziehen und sozial isolieren.
Frage: Wie kann Netzwerkarbeit da helfen?
Antwort: Indem wir etwa durch Quartierswerkstätten Menschen gewinnen und zusammenbringen. Die zum Beispiel bereit sind, als lokale Netzwerker, Bürger- oder Seniorenlotsen kostenlose Freizeitaktivitäten zu organisieren oder Freikarten für Kulturveranstaltungen einzuwerben. Vor Ort ansprechbar sein, um Betroffnen Wege zu Hilfeleistungen zu zeigen oder auch selbst konkrete Nachbarschaftshilfe vom kostenlosen Fahrdienst bis zum Einkauf zu leisten.
Frage: Reicht das Vertrauen auf bürgerschaftliches Engagement, um die Stadt von den Folgen der Altersarmut zu entlasten?
Antwort: Nein. Parallel stärken wir natürlich auch die bereits vorhandenen und wohlwollend zusammenarbeitenden hauptamtlichen Netzwerke aus Wohlfahrtverbänden, Pflegediensten, Pflegestützpunkten und Seniorentagesstätten, die als lokale Anlaufstellen und Ankerpunkte künftig noch wichtiger werden, als sie heute schon sind. Darüber hinaus sind wir natürlich auch mit den Wohnungsbaugesellschaften im Gespräch.
Antwort: Etwa wenn es um den absehbaren Mehrbedarf an barrierefreien und bezahlbaren Wohnungen geht. Übrigens nicht nur für alte Menschen.
Sozialplaner Jörg Marx glaubt, dass die Stadt keinen Einfluss auf die strukturellen Ursachen von Altersarmut hat, sie aber im Alltagsleben vor Ort zumindest abmildern und Betroffenen mehr Teilhabe verschaffen kann
Dieser Text erschien am 7. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Dienstag, 21. Oktober 2014
Altersarmut: Das verdrängte Problem: Sozialexperten fordern besser bezahlte und sozialversicherte Arbeitsplätze und mehr altengerechte Wohnungen, die nicht nur barrierefrei, sondern auch bezahlbar sind
„Wir brauchen wieder mehr und besser bezahlte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, wenn wir keine massenhafte Altersarmut bekommen wollen.“, sagt die Geschäftsführerin der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Henrike Greven. Ihre Mahnung, die sie mit einem Appell an die Verantwortung der Unternehmen verbindet, ist aktueller und dringlicher, als es vielen auf den ersten Blick erscheinen mag.
Mülheim ist eine vergleichsweise alte Stadt, in der schon heute fast jeder Dritte über 60 ist. Tendenz steigend. 2013 waren schon 2527 Mülheimer auf eine Grundsicherung im Alter angewiesen, weil ihre Rente nicht ausreicht, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten. Kostenpunkt für Stadt:und Bund 13,8 Millionen Euro. Obwohl die Zahl der Grundsicherungsempfänger seit 2010 bereits um 7,6 Prozent zugenommen hat, könnte sie noch einmal sehr viel deutlicher ansteigen, wenn Prognosen des Bundesarbeitsministeriums und der Rentenversicherungsträger zutreffen.
Das Bundesarbeitsministerium hatte bereits 2012 festgestellt, dass ab 2030 mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein könnte, weil dann das Rentenniveau von derzeit 51 Prozent auf 43 Prozent des letzten Monatsgehaltes abgesenkt werden soll. Betroffen wären danach alle, die während ihres Berufslebens im Durchschnitt ein monatliches Bruttogehalt von nicht mehr als 2500 Euro pro Monat verdient haben. Und bei einer Provinzial-Umfrage in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, äußerten 40 Prozent der insgesamt 1000 Befragten die Befürchtung, dass ihnen Altersarmut drohe, weil sie nicht privat vorsorgen können.
Was würde es für eine zunehmend älter werdende Stadt wie Mülheim bedeuten, wenn ab 2030 mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen wäre?
Wer sozialpolitisch engagierte Mülheimer danach fragt, stößt auf Problembewusstsein, aber auch auf Ratlosigkeit. „Das ist eine beängstigende Perspektive und wird alle Bereiche betreffen, egal ob es um Konsum, Freizeit, Kultur oder Gesundheit geht“, sagt Caritas-Geschäftsführerin Regine Arntz.
Mülheim ist eine vergleichsweise alte Stadt, in der schon heute fast jeder Dritte über 60 ist. Tendenz steigend. 2013 waren schon 2527 Mülheimer auf eine Grundsicherung im Alter angewiesen, weil ihre Rente nicht ausreicht, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten. Kostenpunkt für Stadt:und Bund 13,8 Millionen Euro. Obwohl die Zahl der Grundsicherungsempfänger seit 2010 bereits um 7,6 Prozent zugenommen hat, könnte sie noch einmal sehr viel deutlicher ansteigen, wenn Prognosen des Bundesarbeitsministeriums und der Rentenversicherungsträger zutreffen.
Das Bundesarbeitsministerium hatte bereits 2012 festgestellt, dass ab 2030 mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein könnte, weil dann das Rentenniveau von derzeit 51 Prozent auf 43 Prozent des letzten Monatsgehaltes abgesenkt werden soll. Betroffen wären danach alle, die während ihres Berufslebens im Durchschnitt ein monatliches Bruttogehalt von nicht mehr als 2500 Euro pro Monat verdient haben. Und bei einer Provinzial-Umfrage in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, äußerten 40 Prozent der insgesamt 1000 Befragten die Befürchtung, dass ihnen Altersarmut drohe, weil sie nicht privat vorsorgen können.
Was würde es für eine zunehmend älter werdende Stadt wie Mülheim bedeuten, wenn ab 2030 mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen wäre?
Wer sozialpolitisch engagierte Mülheimer danach fragt, stößt auf Problembewusstsein, aber auch auf Ratlosigkeit. „Das ist eine beängstigende Perspektive und wird alle Bereiche betreffen, egal ob es um Konsum, Freizeit, Kultur oder Gesundheit geht“, sagt Caritas-Geschäftsführerin Regine Arntz.
Für ihren Kollegen Lothar Fink von der Arbeiterwohlfahrt gibt es gegen die drohende Massenarmut im Alter nur eine vorbeugende Maßnahme: „Die Leute müssen wieder besser bezahlt werden.“
Awo-Chef Fink wundert es nicht, wenn viele Arbeitnehmer heute nicht privat für ihr Alter vorsorgen, „weil selbst mittlere Einkommen durch Familien und Erziehungskosten schon jetzt so belastet werden, dass es dafür nicht mehr reicht.“ Auch Dietmar Schmidt vom Sozialverband VDK stellt fest, dass sich auch immer mehr Junge nicht nur, aber auch mit Blick auf eine drohende Armut im Alter beim VDK beraten lassen.
Eduard Roncari von Sozialverband Deutschland und der gerade wiedergewählte Vorsitzende des Seniorenbeirates, Helmut Storm, sind davon überzeugt, dass eine schon jetzt klamme Stadt wie Mülheim die durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitslosigkeit geförderte Altersarmut und ihre Folgekosten im Rentenalter nicht alleine tragen können und zunehmend auf Bundes- und Landeshilfen angewiesen sein werden. „Das kann die Stadt nicht schaffen“, sagt Storm und wagt gar nicht darüber nachzudenken, „was es für das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt bedeuten könnte, wenn sich eine immer größere Bevölkerungsgruppe auf der sozialen Verliererseite sieht.“
Für Elke Domann-Jurkiewicz, die die Awo-Seniorentagesstätte an der Bahnstraße leitet, ist, Altersarmut schon heute ein Thema. Sie schätzt, dass ein Drittel ihrer Gäste Probleme hat etwa mit einen kleinen Witwenrente über den Monat zu kommen. Mit Blick auf aktuelle und künftige Altersarmut sieht sie die Bereitstellung von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum als die größte Herausforderung des sozialen und demografischen Wandels, den Mülheim meistern muss. Und wenn zum Wohnen im Alter auch noch die stationäre Pflege kommt, werden, wie man auch bei den Mülheimer Seniorendiensten und dem Altenheimbetreiber Contilia einräumt, die in diesem Bereich von der Stadt zu tragenden Kosten weiter ansteigen.
Dieser Text erschien am 5. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Sonntag, 19. Oktober 2014
So gesehen: Zur Feier des Tages
Feiertag und Sonnenschein! Was will man mehr? Ein Eis! Doch mein Liebings-Gelatiere wünscht mir an der Eingangstür zu seinem Eiscafé am Rathausmarkt ein schönes langes Wochenende statt guten Appetit, wohlgemerkt nicht mündlich und persönlich, sondern schriftlich per Aushang.
Schon wollte ich den Kaffee auf haben, aber dann dachte ich an das sympathische Gelatiere-Ehepaar aus Italien und seine reizenden Kinder.
Warum sollten die freundlichen Mitbürger aus Bella Italia nicht auch wie jeder deutsche Otto-Normalverbraucher den Tag der Deutschen Einheit für ein langes Wochenende nutzen, um die Einheit der Bella Familia zu pflegen und zu stärken. Wie ließe es sich besser vorleben, dass man in der deutschen Gesellschaft angekommen ist, als dadurch, dass man den Nationalfeiertag mal beim Wort nimmt und konkret oder im übertragenen Sinne das Leben feiert, statt auch an diesem Tag zu arbeiten.
Und das nächste Eis kommt bestimmt, entweder an der nächsten Straßenecke oder spätestens in der nächsten Woche an gewohnter Stelle beim Lieblings-Gelatiere. Und bis dahin tut es ja auch eine Tasse Kaffee aus der heimischen Kaffeemaschine und ein Stück Kuchen. Zur Feier des Tages.
Schon wollte ich den Kaffee auf haben, aber dann dachte ich an das sympathische Gelatiere-Ehepaar aus Italien und seine reizenden Kinder.
Warum sollten die freundlichen Mitbürger aus Bella Italia nicht auch wie jeder deutsche Otto-Normalverbraucher den Tag der Deutschen Einheit für ein langes Wochenende nutzen, um die Einheit der Bella Familia zu pflegen und zu stärken. Wie ließe es sich besser vorleben, dass man in der deutschen Gesellschaft angekommen ist, als dadurch, dass man den Nationalfeiertag mal beim Wort nimmt und konkret oder im übertragenen Sinne das Leben feiert, statt auch an diesem Tag zu arbeiten.
Und das nächste Eis kommt bestimmt, entweder an der nächsten Straßenecke oder spätestens in der nächsten Woche an gewohnter Stelle beim Lieblings-Gelatiere. Und bis dahin tut es ja auch eine Tasse Kaffee aus der heimischen Kaffeemaschine und ein Stück Kuchen. Zur Feier des Tages.
Von wegen zur Feier des Tages. Nicht nur, dass mir am Feiertag das Eis bei meinem Lieblings-Gelatiere verwehrt blieb. Meine Pechsträhne hielt an. Von der verschlossen vorgefundenen Eisdiele zurückgekehrt, musste ich feststellen, dass die heimische Kaffeemaschine streikte und der Streuselkuchen, auf den ich mich gefreut hatte, von meiner Mutter bereits unvorsichtigerweise im Tiefkühlfach zwischengelagert worden.
So hatte ich mir das mit dem Eis zum Tag der Einheit eigentlich nicht vorgestellt.
So blieb mir am Nachmittag des Feiertages nur der Rückgriff auf eine Tasse Nescafé und eine Packung Butterkekse zurückgreifen. Immerhin besser als eine Nulldiät zum Nationalfeiertag.
Doch kulinarische Festtagslaune wollte da nicht recht aufkommen. Für die sorgte erst eine köstliche Pizza am Abend, die aus dem Ofen eines italienischen Pizzabäckers kam, der meine angeknackste Festtagslaune wieder aufmöbelte, in dem er gewissermaßen kulinarisch für seinen eismachenden Landmann in die Bresche gesprungen war.
Wieder mal wurde mir klar: Man soll eben auch einen Festtag nicht vor dem Abend loben. Und auf lange Sicht ist ohnehin jeder Tag ein Festtag, an dem man feststellen kann, dass der Ofen noch nicht aus ist und immer noch etwas Gutes auf den Tisch kommt.
Diese Glossen erschienen am 4. und 6. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
So hatte ich mir das mit dem Eis zum Tag der Einheit eigentlich nicht vorgestellt.
So blieb mir am Nachmittag des Feiertages nur der Rückgriff auf eine Tasse Nescafé und eine Packung Butterkekse zurückgreifen. Immerhin besser als eine Nulldiät zum Nationalfeiertag.
Doch kulinarische Festtagslaune wollte da nicht recht aufkommen. Für die sorgte erst eine köstliche Pizza am Abend, die aus dem Ofen eines italienischen Pizzabäckers kam, der meine angeknackste Festtagslaune wieder aufmöbelte, in dem er gewissermaßen kulinarisch für seinen eismachenden Landmann in die Bresche gesprungen war.
Wieder mal wurde mir klar: Man soll eben auch einen Festtag nicht vor dem Abend loben. Und auf lange Sicht ist ohnehin jeder Tag ein Festtag, an dem man feststellen kann, dass der Ofen noch nicht aus ist und immer noch etwas Gutes auf den Tisch kommt.
Diese Glossen erschienen am 4. und 6. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Donnerstag, 16. Oktober 2014
Warum sich Paul Heidrich für Behinderte in Bulgarien engagiert und deshalb jetzt dafür ausgezeichnet worden ist
Der Mülheimer
Caritas-Vorstand und Katholikenrat Paul Heidrich wurde jetzt bei einem
Informationsbesuch in Bulgarien vom Vorsitzenden der bulgarischen Bischofskonferenz,
Christo Proykov, mit der Verdienstmedaille der Diözese Sofia ausgezeichnet.
Damit würdigte der Bischof Heidrichs langjähriges Engagement für die
Verbesserung der Lebensbedingungen behinderter Menschen in Bulgarien. Als der
ehemalige CDU-Stadtrat und Sozialausschussvorsitzende des Landschaftverbandes
Rheinland im Jahr 2000 einen Fernsehbericht über die Vernachlässigung und
Verwahrlosung behinderter Frauen im ost-bulgarischen Malko Scharkovo sah, war
das für ihn der Anstoß den Verein zur Förderung von Einrichtungen
für Behinderte im Ausland ins Leben zu rufen. Der rund 70 Mitglieder zählende
Verein hat inzwischen an vielen Stellen in Bulgarien segensreich gewirkt. Die
Lebens- und Arbeitsbedingungen im Betreuungszentrum von Malko Scharkovo konnten
Mit Hilfe von Spenden und Fördermitteln auf einen modernen und menschenwürdigen
Standard gebracht und 2007 eine Außenwohngruppe in Boljarovo eingerichtet werden. Mit seinen Mitstreitern
sorgte Heidrich auch dafür, dass sich bulgarische Betreuungskräfte in
Deutschland fortbilden konnten. Zuletzt stellte der Verein Gelder für eine von
der Caritas Sofia betriebene Tagesstätte für Menschen mit Behinderung und für
die Planung einer weiteren Außenwohngruppe zur in der Gemeinde Tundsha zur Verfügung.
Die Tagesstätte St. Franziskus wurde im September 2013 dort eröffnet und
betreut zurzeit 20 Menschen mit Behinderung. Heidrich und sein Verein setzten
sich bei den politischen Entscheidungsträgern in Bulgarien auch für die
Einrichtung beschützender Werkstätten und dafür ein, dass Einrichtungen für
Menschen mit Behinderung nicht auf der grünen Mitte, sondern in Ortszentren
entstehen. Aus seinem jüngsten Besuch in Bulgarien bringt Heidrich, trotz aller
Fortschritte, die Überzeugung mit, dass das ärmste Land der Europäischen Union
weiterhin der Unterstützung durch Caritas International bedürfte. Er schätzt,
dass der Verein mit seinen Spenden und der finanziellen Unterstützung, etwa
durch den Landschaftsverband Rheinland und die Aktion Menschen in den
vergangenen 14 Jahren insgesamt rund 600.000 Euro für die Behindertenarbeit in
Bulgarien bereitstellen konnte.
Weitere
Auskünfte zur Arbeit seines Vereins gibt Paul Heidrich unter der Rufnummer:
0208/460267.Dieser Text erschien am 27. September 2014 im Neuen Ruhr Wort
Sonntag, 12. Oktober 2014
So gesehen: Schenken macht glücklich
Irren ist bekanntlich menschlich. Manchmal macht ein Irrtum auch klug, weil er ungewollt zu ganz neuen Einsichten führt. Wo wären wir heute, wenn Christoph Kolumbus nicht anno 1492 einen neuen Seeweg nach Indien gesucht und Amerika gefunden hätte?
Ganz so groß war meine gestrige Entdeckung nicht, aber umso wohltuender. „Heute bekommt man doch nichts mehr geschenkt, sondern muss für alles bezahlen.“ So dachte ich bis gestern, ehe ich gleich dreimal etwas geschenkt bekam, erst einige Kopien, dann einen USB-Stick für den Computer und dann noch eine Zeitschrift.
Wie schön, wenn man sich so angenehm irrt und ganz nebenbei begreift, dass wir jeden Tag das größte Geschenk bekommen, das es gibt, unser Leben.
Und dieses großartige Geschenk, das man sich mit keinem Geld der Welt verdienen kann, sollte uns dazu verleiten, auch mal etwas zu verschenken. Es muss ja nichts Großes oder Teures sein. Etwas Zeit und Zuwendung, ein freundliches und aufmunterndes Wort oder ein Lächeln tun es ja auch.
Und so kann manches Geschenk am Ende unseren Alltag auf der Basis der Gegenseitigkeit viel mehr bereichern, als die heutzutage extrem niedrig verzinsten Spareinlagen es je könnten.
Ganz so groß war meine gestrige Entdeckung nicht, aber umso wohltuender. „Heute bekommt man doch nichts mehr geschenkt, sondern muss für alles bezahlen.“ So dachte ich bis gestern, ehe ich gleich dreimal etwas geschenkt bekam, erst einige Kopien, dann einen USB-Stick für den Computer und dann noch eine Zeitschrift.
Wie schön, wenn man sich so angenehm irrt und ganz nebenbei begreift, dass wir jeden Tag das größte Geschenk bekommen, das es gibt, unser Leben.
Und dieses großartige Geschenk, das man sich mit keinem Geld der Welt verdienen kann, sollte uns dazu verleiten, auch mal etwas zu verschenken. Es muss ja nichts Großes oder Teures sein. Etwas Zeit und Zuwendung, ein freundliches und aufmunterndes Wort oder ein Lächeln tun es ja auch.
Und so kann manches Geschenk am Ende unseren Alltag auf der Basis der Gegenseitigkeit viel mehr bereichern, als die heutzutage extrem niedrig verzinsten Spareinlagen es je könnten.
Dieser Text erschien am 1. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Samstag, 11. Oktober 2014
Sturmerprobt und für gut befunden: Ein Gespräch über den Einsatz der Rot-Kreuz-Helfer beim Pfingstorkan Ela
105 Helfer
des Roten Kreuzes sorgten in den beiden Wochen nach dem Pfingstorkan dafür,
dass die Feuerwehr genug Kraft und Freiraum hatte, um die Sturmschäden zu
beseitigen.
Umgestürzte Bäume zersägen und abtransportieren oder vollgelaufene Keller leerpumpen. Das war in den zwei Wochen nach dem Orkan vom Pfingstmontag Alltag für 3600 Feuerwehrleute aus Mülheim und dem Regierungsbezirk Detmold. An rund 50 Prozent der 45.000 Mülheimer Bäume musste Hand angelegt werden. Rund 2000-mal mussten Feuerwehrleute ausrücken, um Sturmschäden zu beseitigen. So schätzt man bei der Stadt.
Auch das Deutsche Rote Kreuz war mit 105 ehrenamtlichen Helfern im Einsatz. „Das war der längste Einsatz in der Geschichte unseres Kreisverbandes“, blickt Kreisbereitschaftsleiter Martin Meier auf die stürmischen Tage vom 9. bis zum 21. Juni zurück. Insgesamt 3200 Dienststunden haben die Rot-Kreuz-Helfer in dieser Zeit unentgeltlich abgeleistet. Das taten sie meistens vor Arbeitsbeginn und nach Feierabend oder in ihrem Urlaub.
„Ich habe geahnt, dass da viel Arbeit auf uns zukommt, weil man auf vielen Straßen kaum noch durchkam“, erinnert sich Meier an den ersten Lagebericht im Krisenstab. Nach einem Gespräch mit Feuerwehrchef Burkhard Klein stand fest, welche Aufgaben das Rote Kreuz übernehmen würde. „Wir mussten die Feuerwehr im Rettungsdienst entlasten, damit ihre Leute die Hände fürs Sägen und Pumpen freihatten. Und wir sollten die Verpflegung der Einsatzkräfte sicherstellen“, berichtet Meier.
Schon am späten Abend des Pfingstmontags ging es los. Sechs Rot-Kreuz-Helfer bereiteten in der Küche der Leitstelle an der Heinrichstraße Gulasch und Nudeln für 120 Feuerwehrleute zu. Von dort aus musste die Erstverpflegung der Einsatzkräfte zur Feuerwache an der Duisburger Straße gebracht werden. Und das war erst der Anfang. Zeitgleich rückten die mit jeweils zwei Helfern besetzten acht Rettungsfahrzeuge des Roten Kreuzes aus, die sonst nur am Wochenende die Feuerwehr im Rettungsdienst entlasten. Hinzu kamen zwei Lotsenfahrzeuge, mit denen das DRK den auswärtigen Einsatzkräften den Weg zum jeweiligen Ort des Geschehens wies.
Doch die größte Schlacht, die für die Helfer des Roten Kreuzes an der Sturmfront zu schlagen war, war die in der Küche und am Buffet. „Am ersten Tag nach dem Sturm mussten wir bereits 300 und am dritten Tag schon 800 Einsatzkräfte versorgen“, erinnert sich der stellvertretende Zugführer Andreas Hahn. Neben dem Nachschub für das leibliche Wohl der Feuerwehrleute, musste er auch den Einsatz der eignen Helfer koordinieren und immer wieder abklären, „wer wann konnte“, damit täglich drei Mahlzeiten für die Feuerwehrleute auf den Tisch kommen konnten. „Das war schon eine ganz schöne Hausnummer“, erinnert sich Hahn nicht ganz ohne Stolz an den Tag Drei nach dem Pfingststurm, als 15 DRK-Helfer zwischen 5.45 Uhr und 7.30 Uhr dafür sorgten, dass 800 Feuerwehrleute vor ihrem Einsatz ein Frühstück in der Stadthalle bekamen.
„Toll, dass ihr da seid und das alles möglich macht. So etwas sind wir von anderen Einsätzen gar nicht gewöhnt“, schildert der 21-jährige Berufsschüler und DRK-Helfer Daniel Regalado die dankbaren Reaktionen der Feuerwehrleute. Allein Regalado investierte 400 unbezahlte Arbeitsstunden, damit die Feuerwehrmänner nicht vom Fleisch fielen. „Man hat den Leuten angesehen, wie anstrengend ihre Arbeit ist“, erinnert sich Andreas Hahn. Seine eigenen unbezahlten Arbeitstage, die um 5 Uhr begannen und gegen 21 Uhr endeten, kommentiert er lakonisch. „Man denkt nicht darüber nach. Man macht einfach, was zu tun ist.“
Was für die 105 DRK-Helfer vom 9. Bis 21. Juni im Betreuungsdienst zu tun war, trainieren sie regelmäßig bei Katastrophenübungen, bei denen zuletzt Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenvereins sich als Trainingspartner vom Betreuungsdienst des DRKs in der Max-Kölges-Schule verpflegen ließen. „Dass das, was wir regelmäßig besprechen und trainieren, jetzt in der Praxis so reibungslos funktioniert hat, zeigt, dass wir als Helfergemeinschaft ein eingespieltes Team sind, in dem sich jeder auf den anderen verlassen kann“, freut sich Kreisbereitschaftsleiter Martin Meier. Und Daniel Regalado glaubt: „Das liegt auch daran, dass viele DRK-Helfer nicht nur beim Roten Kreuz zusammenarbeiten, sondern auch privat miteinander befreundet sind.
Doch aller ehrenamtliche Einsatz an den vier Versorgungsstationen, die das Rote Kreuz, nach dem Sturm an den Feuerwachen in Speldorf und Heißen, an der Gustav-Heinemann-Schule in Dümpten und an der Mintarder Straße in Saarn für die Einsatzkräfte der Feuerwehr mit Buffet, Tischen, Stühlen, Geschirr und Bestecken eingerichtet hatte, hätte nichts gefruchtet, wenn nicht Wolfgang Scharrenberg und seine Frau Silvia still und effektiv im Hintergrund immer wieder für Nachschub gesorgt hätten.
„Ich habe es gerne gemacht, weil ich gesehen habe, dass es wichtig war und einfach Sinn machte“, erklärt Scharrenberg sein Engagement, das ihn zwischen dem 9. und 21. Juni oft nur vier Stunden in der Nacht schlafen ließ. Denn auch während seines ehrenamtlichen Einsatzes, arbeitete er weiter hauptberuflich als kaufmännischer Angestellter im Einzelhandel. Täglich war der 65-Jährige mit seiner besseren Hälfte, die er vor 40 Jahren beim DRK kennengelernt hat, als Einkäufer und Lieferservice unterwegs, um am Ende unter anderem 10.200 Brötchen, 2600 Stück Kuchen, 1000 Liter Erbsensuppe, 3200 Frikadellen, 2500 Bockwürste, 250 Kilo Aufschnitt und 80 Pfund Kaffee an den hart arbeitenden Mann und die Frau von der Feuerwehr zu bringen. Nur ein Wehrmutstropfen bleibt für Martin Meier: „Schade, dass viele Arbeitgeber sich schwer tun, Mitarbeiter für ehrenamtliches Engagement freizustellen“, beklagt der Kreisbereitschaftsleiter nach dem erfolgreichen Unwettereinsatz.
Dieser Beitrag erschien im September 2014 im DRK-Magazin
Umgestürzte Bäume zersägen und abtransportieren oder vollgelaufene Keller leerpumpen. Das war in den zwei Wochen nach dem Orkan vom Pfingstmontag Alltag für 3600 Feuerwehrleute aus Mülheim und dem Regierungsbezirk Detmold. An rund 50 Prozent der 45.000 Mülheimer Bäume musste Hand angelegt werden. Rund 2000-mal mussten Feuerwehrleute ausrücken, um Sturmschäden zu beseitigen. So schätzt man bei der Stadt.
Auch das Deutsche Rote Kreuz war mit 105 ehrenamtlichen Helfern im Einsatz. „Das war der längste Einsatz in der Geschichte unseres Kreisverbandes“, blickt Kreisbereitschaftsleiter Martin Meier auf die stürmischen Tage vom 9. bis zum 21. Juni zurück. Insgesamt 3200 Dienststunden haben die Rot-Kreuz-Helfer in dieser Zeit unentgeltlich abgeleistet. Das taten sie meistens vor Arbeitsbeginn und nach Feierabend oder in ihrem Urlaub.
„Ich habe geahnt, dass da viel Arbeit auf uns zukommt, weil man auf vielen Straßen kaum noch durchkam“, erinnert sich Meier an den ersten Lagebericht im Krisenstab. Nach einem Gespräch mit Feuerwehrchef Burkhard Klein stand fest, welche Aufgaben das Rote Kreuz übernehmen würde. „Wir mussten die Feuerwehr im Rettungsdienst entlasten, damit ihre Leute die Hände fürs Sägen und Pumpen freihatten. Und wir sollten die Verpflegung der Einsatzkräfte sicherstellen“, berichtet Meier.
Schon am späten Abend des Pfingstmontags ging es los. Sechs Rot-Kreuz-Helfer bereiteten in der Küche der Leitstelle an der Heinrichstraße Gulasch und Nudeln für 120 Feuerwehrleute zu. Von dort aus musste die Erstverpflegung der Einsatzkräfte zur Feuerwache an der Duisburger Straße gebracht werden. Und das war erst der Anfang. Zeitgleich rückten die mit jeweils zwei Helfern besetzten acht Rettungsfahrzeuge des Roten Kreuzes aus, die sonst nur am Wochenende die Feuerwehr im Rettungsdienst entlasten. Hinzu kamen zwei Lotsenfahrzeuge, mit denen das DRK den auswärtigen Einsatzkräften den Weg zum jeweiligen Ort des Geschehens wies.
Doch die größte Schlacht, die für die Helfer des Roten Kreuzes an der Sturmfront zu schlagen war, war die in der Küche und am Buffet. „Am ersten Tag nach dem Sturm mussten wir bereits 300 und am dritten Tag schon 800 Einsatzkräfte versorgen“, erinnert sich der stellvertretende Zugführer Andreas Hahn. Neben dem Nachschub für das leibliche Wohl der Feuerwehrleute, musste er auch den Einsatz der eignen Helfer koordinieren und immer wieder abklären, „wer wann konnte“, damit täglich drei Mahlzeiten für die Feuerwehrleute auf den Tisch kommen konnten. „Das war schon eine ganz schöne Hausnummer“, erinnert sich Hahn nicht ganz ohne Stolz an den Tag Drei nach dem Pfingststurm, als 15 DRK-Helfer zwischen 5.45 Uhr und 7.30 Uhr dafür sorgten, dass 800 Feuerwehrleute vor ihrem Einsatz ein Frühstück in der Stadthalle bekamen.
„Toll, dass ihr da seid und das alles möglich macht. So etwas sind wir von anderen Einsätzen gar nicht gewöhnt“, schildert der 21-jährige Berufsschüler und DRK-Helfer Daniel Regalado die dankbaren Reaktionen der Feuerwehrleute. Allein Regalado investierte 400 unbezahlte Arbeitsstunden, damit die Feuerwehrmänner nicht vom Fleisch fielen. „Man hat den Leuten angesehen, wie anstrengend ihre Arbeit ist“, erinnert sich Andreas Hahn. Seine eigenen unbezahlten Arbeitstage, die um 5 Uhr begannen und gegen 21 Uhr endeten, kommentiert er lakonisch. „Man denkt nicht darüber nach. Man macht einfach, was zu tun ist.“
Was für die 105 DRK-Helfer vom 9. Bis 21. Juni im Betreuungsdienst zu tun war, trainieren sie regelmäßig bei Katastrophenübungen, bei denen zuletzt Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenvereins sich als Trainingspartner vom Betreuungsdienst des DRKs in der Max-Kölges-Schule verpflegen ließen. „Dass das, was wir regelmäßig besprechen und trainieren, jetzt in der Praxis so reibungslos funktioniert hat, zeigt, dass wir als Helfergemeinschaft ein eingespieltes Team sind, in dem sich jeder auf den anderen verlassen kann“, freut sich Kreisbereitschaftsleiter Martin Meier. Und Daniel Regalado glaubt: „Das liegt auch daran, dass viele DRK-Helfer nicht nur beim Roten Kreuz zusammenarbeiten, sondern auch privat miteinander befreundet sind.
Doch aller ehrenamtliche Einsatz an den vier Versorgungsstationen, die das Rote Kreuz, nach dem Sturm an den Feuerwachen in Speldorf und Heißen, an der Gustav-Heinemann-Schule in Dümpten und an der Mintarder Straße in Saarn für die Einsatzkräfte der Feuerwehr mit Buffet, Tischen, Stühlen, Geschirr und Bestecken eingerichtet hatte, hätte nichts gefruchtet, wenn nicht Wolfgang Scharrenberg und seine Frau Silvia still und effektiv im Hintergrund immer wieder für Nachschub gesorgt hätten.
„Ich habe es gerne gemacht, weil ich gesehen habe, dass es wichtig war und einfach Sinn machte“, erklärt Scharrenberg sein Engagement, das ihn zwischen dem 9. und 21. Juni oft nur vier Stunden in der Nacht schlafen ließ. Denn auch während seines ehrenamtlichen Einsatzes, arbeitete er weiter hauptberuflich als kaufmännischer Angestellter im Einzelhandel. Täglich war der 65-Jährige mit seiner besseren Hälfte, die er vor 40 Jahren beim DRK kennengelernt hat, als Einkäufer und Lieferservice unterwegs, um am Ende unter anderem 10.200 Brötchen, 2600 Stück Kuchen, 1000 Liter Erbsensuppe, 3200 Frikadellen, 2500 Bockwürste, 250 Kilo Aufschnitt und 80 Pfund Kaffee an den hart arbeitenden Mann und die Frau von der Feuerwehr zu bringen. Nur ein Wehrmutstropfen bleibt für Martin Meier: „Schade, dass viele Arbeitgeber sich schwer tun, Mitarbeiter für ehrenamtliches Engagement freizustellen“, beklagt der Kreisbereitschaftsleiter nach dem erfolgreichen Unwettereinsatz.
Dieser Beitrag erschien im September 2014 im DRK-Magazin
Freitag, 10. Oktober 2014
Wie nah sind sich die Religionen? Eine Umfrage zum christlich-muslimischen Dialog
Am Tag der Deutschen Einheit, öffnen die islamischen Gemeinden ihre Moscheen, um mit interessierten Mülheimern aller Religionen ins Gespräch zu kommen. Doch wie ist es um den christlich-muslimischen Dialog im Alltag bestellt? Auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage stößt man unter anderem auf das Bündnis der Religionen für den Frieden, das 2006 ins Leben gerufen wurde. Ulrike Welting, evangelische Pfarrerin am Berufskolleg Stadtmitte, Markus Zaja aus der katholischen Gemeinde St. Mariae Geburt und Sayed Siam von der Hamza-Moschee berichten von einer interreligiösen Stadtrundfahrt, von einer Nacht der offenen Gotteshäuser, von gegenseitigen Einladungen zu religiösen Festen, von einer interreligiösen Veranstaltung zum Thema Frieden, die im letzten Dezember an der Friedenstreppe zum Kirchenhügel stattfand oder von einer im November geplanten Lesung in der Buchhandlung Fehst.
Doch: Von aktuellen Begegnungen und Kontakten auf der Gemeindeebene können sie nicht berichten. „Das ist problematisch, liegt aber daran, dass die meisten Gemeinden zu viel mit sich selbst zu tun haben“, sagt Zaja. „Da haben wir Nachholbedarf“, räumt auch der katholische Stadtdechant Michael Janßen ein. Dabei sieht er auf der Stadtebene ein friedliches Zusammenleben der Religionen und auf allen Seiten „eine große Offenheit für den Dialog, der zum Beispiel bei den Neujahrsempfängen gepflegt wird.“ Er selbst ist schon von islamischen Gemeinden zum Fastenbrechen eingeladen worden. Und der ehemalige Vorsitzende des Integrationsrates, Enver Sen, sieht es als gutes Zeichen, dass die Vorbeter der islamischen Gemeinden von der katholischen Kirche zu ihrem Barbaramahl eingeladen werden.
„Gerade in dieser Zeit muss da etwas gemacht werden, um für mehr Verständigung zwischen den Religionen zu sorgen“, bekennt sich der stellvertretende Gemeindevorsitzende der Ulu Moschee, Ahmed Gassa, zu einer Intensivierung des Dialogs und der Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften. Auch Najim Mokadem von der Hamza Moschee und Gemeindevorstand Emre Kürklü vom Türkischen Kulturzentrum an der Neustadtstraße sind für solche Kontakte offen, die sie nur aus personellen und organisatorischen Gründen nicht zustande kommen sehen. Auch der katholische Pfarrer Manfred von Schwartzenberg (St. Barbara) und die evangelische Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski aus der Lukasgemeinde können sich an frühere Kontakte und Begegnungen mit islamischen Gemeinden in Styrum und Eppinghofen erinnern, die aber in dem Moment einschliefen, als ihre jeweiligen Organisatoren Mülheim verließen. Immerhin wurde der Styrumer Pfarrer Michael Manz im Juni mit einer Gemeindegruppe von der Moschee an der Feldstraße zum Fastenbrechen eingeladen und führte ein Kennenlerngespräch mit einem Styrumer Hodscha.
Pfarrerin Alexandra Cordes aus der evangelischen Gemeinde Speldorf weiß von einem Frauengesprächskreis zu berichten, in dem sich regelmäßig christliche und muslimische Frauen trafen. Er lief aber Ende 2013 nach sechs Jahren aus, „weil man sich inzwischen so gut kennengelernt hatte, dass längst private Verbindungen entstanden waren, die den Gesprächskreis überflüssig gemacht hatten.“ Zwar denken Cordes und ihre Gemeinde über ein Nachfolgeprojekt nach, haben aber noch nichts Konkretes geplant.
Pfarrer Helmut Kämpgen und Pastor Michael Clemens aus Eppinghofen berichten von einer interreligiösen Jahresabschlussfeier, die immer vor Weihnachten in der Max-Kölges-Schule an der Bruchstraße stattfindet. Sie hat, wie Kämpgen sagt, „viele Berührungsängste abgebaut und gezeigt, dass es nicht nur Gegensätze, sondern auch viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Christentum und dem Islam gibt.“
Dieser Text erschien am 2. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Doch: Von aktuellen Begegnungen und Kontakten auf der Gemeindeebene können sie nicht berichten. „Das ist problematisch, liegt aber daran, dass die meisten Gemeinden zu viel mit sich selbst zu tun haben“, sagt Zaja. „Da haben wir Nachholbedarf“, räumt auch der katholische Stadtdechant Michael Janßen ein. Dabei sieht er auf der Stadtebene ein friedliches Zusammenleben der Religionen und auf allen Seiten „eine große Offenheit für den Dialog, der zum Beispiel bei den Neujahrsempfängen gepflegt wird.“ Er selbst ist schon von islamischen Gemeinden zum Fastenbrechen eingeladen worden. Und der ehemalige Vorsitzende des Integrationsrates, Enver Sen, sieht es als gutes Zeichen, dass die Vorbeter der islamischen Gemeinden von der katholischen Kirche zu ihrem Barbaramahl eingeladen werden.
„Gerade in dieser Zeit muss da etwas gemacht werden, um für mehr Verständigung zwischen den Religionen zu sorgen“, bekennt sich der stellvertretende Gemeindevorsitzende der Ulu Moschee, Ahmed Gassa, zu einer Intensivierung des Dialogs und der Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften. Auch Najim Mokadem von der Hamza Moschee und Gemeindevorstand Emre Kürklü vom Türkischen Kulturzentrum an der Neustadtstraße sind für solche Kontakte offen, die sie nur aus personellen und organisatorischen Gründen nicht zustande kommen sehen. Auch der katholische Pfarrer Manfred von Schwartzenberg (St. Barbara) und die evangelische Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski aus der Lukasgemeinde können sich an frühere Kontakte und Begegnungen mit islamischen Gemeinden in Styrum und Eppinghofen erinnern, die aber in dem Moment einschliefen, als ihre jeweiligen Organisatoren Mülheim verließen. Immerhin wurde der Styrumer Pfarrer Michael Manz im Juni mit einer Gemeindegruppe von der Moschee an der Feldstraße zum Fastenbrechen eingeladen und führte ein Kennenlerngespräch mit einem Styrumer Hodscha.
Pfarrerin Alexandra Cordes aus der evangelischen Gemeinde Speldorf weiß von einem Frauengesprächskreis zu berichten, in dem sich regelmäßig christliche und muslimische Frauen trafen. Er lief aber Ende 2013 nach sechs Jahren aus, „weil man sich inzwischen so gut kennengelernt hatte, dass längst private Verbindungen entstanden waren, die den Gesprächskreis überflüssig gemacht hatten.“ Zwar denken Cordes und ihre Gemeinde über ein Nachfolgeprojekt nach, haben aber noch nichts Konkretes geplant.
Pfarrer Helmut Kämpgen und Pastor Michael Clemens aus Eppinghofen berichten von einer interreligiösen Jahresabschlussfeier, die immer vor Weihnachten in der Max-Kölges-Schule an der Bruchstraße stattfindet. Sie hat, wie Kämpgen sagt, „viele Berührungsängste abgebaut und gezeigt, dass es nicht nur Gegensätze, sondern auch viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Christentum und dem Islam gibt.“
Dieser Text erschien am 2. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Mittwoch, 8. Oktober 2014
Die gesetzliche Betreuung zwischen professionellem Anspruch und finanzieller Wirklichkeit
Zuviel Arbeit für zu wenig Geld. Mit diesem Problem wollen die Mülheimer Betreuungsvereine heute den Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordneten Arno Klare und zu einem späteren Zeitpunkt auch seine CDU-Kollegin Astrid Timmermann-Fechter konfrontieren. Es geht um eine Novellierung des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes.
„Dieses Gesetz hat die Vergütung einer Betreuerstunde 2005 auf pauschal auf 44 Euro festgelegt. Seitdem sind die Personalkosten allerdings um 15 Prozent gestiegen, so dass wir heute unseren hauptamtlichen Betreuern 52 Euro pro Stunde bezahlen müssen“, erklärt Dagmar Auberg. Die 55-jährige Sozialpädagogin leitet den Betreuungsfachdienst des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer (SKFM) seit 1996 und hat zu dem heutigen Gespräch eingeladen.
Wenn es nach Auberg und ihren Kollegen aus den anderen Betreuungsvereinen ginge, würde der Bundestag 2015 eine entsprechende Anhebung und Dynamisierung der Betreuungsvergütung beschließen. „Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird, weil der Druck aus den in der Betreuungsarbeit tätigen Wohlfahrtsverbänden in den letzten vier Jahren massiv zugenommen hat“, sagt Auberg. Zweifel hat sie aber an der Zustimmung des Bundesrates, weil die Länder die Betreuervergütung am Ende bezahlen müssen.
Auch wenn die Mülheimer Betreuungsvereine die Kluft zwischen Vergütung und Lohnzahlung bisher durch Mehrarbeit ausgeglichen haben, macht Auberg deutlich, dass die Mehrbelastung der hauptamtlichen Betreuer keine Dauerlösung sein kann und in einigen Städten auch schon zur Aufgabe von Betreuungsvereinen geführt hat.
So weit soll es nicht nur in Mülheim nicht kommen. „Wir dürfen nicht in die Zeiten des alten Vormundschaftsrechtes zurückfallen, als ein Betreuer 200 Klienten betreute, allerdings nur vom Schreibtisch aus und nach Aktenlage.“
Mit dem neuen Betreuungsrecht wurde die Betreuung der sehr oft psychisch kranken oder alkohol- und drogenabhängigen Klienten zu einer persönlichen Begleitung. „Wir sprechen hier von sehr betreuungsintensiven Klienten, die zu über 90 Prozent auf Sozialleistungen angewiesen sind“, erklärt Auberg. Oft geht es nicht nur um Begleitung zu Ämtern, das Beantragen von Sozialleistungen oder Schuldenmanagement, sondern auch um die Abwendung von Obdachlosigkeit. „Es wird immer schwerer, für unsere Klienten Wohnraum zu finden“, weiß Auberg.
Rund 88 Prozent der Klienten brauchen eine Betreuung, die länger als ein Jahr dauert.
Und hier verschärft sich das Problem. Denn im zweiten Betreuungsjahr entfällt die an der Schwere der Betreuungsfälle orientierte Staffelung der vergüteten Betreuungsstunden auf pauschal 3,5 Stunden pro Monat und Klient. „Wir haben auch einige besonders schwere Fälle, die auch schon mal 25 Stunden pro Monat brauchen. Und dann wird es wirklich schwierig, weil die anderen Klienten ja auch betreut werden wollen“. erklärt Auberg
„Dieses Gesetz hat die Vergütung einer Betreuerstunde 2005 auf pauschal auf 44 Euro festgelegt. Seitdem sind die Personalkosten allerdings um 15 Prozent gestiegen, so dass wir heute unseren hauptamtlichen Betreuern 52 Euro pro Stunde bezahlen müssen“, erklärt Dagmar Auberg. Die 55-jährige Sozialpädagogin leitet den Betreuungsfachdienst des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer (SKFM) seit 1996 und hat zu dem heutigen Gespräch eingeladen.
Wenn es nach Auberg und ihren Kollegen aus den anderen Betreuungsvereinen ginge, würde der Bundestag 2015 eine entsprechende Anhebung und Dynamisierung der Betreuungsvergütung beschließen. „Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird, weil der Druck aus den in der Betreuungsarbeit tätigen Wohlfahrtsverbänden in den letzten vier Jahren massiv zugenommen hat“, sagt Auberg. Zweifel hat sie aber an der Zustimmung des Bundesrates, weil die Länder die Betreuervergütung am Ende bezahlen müssen.
Auch wenn die Mülheimer Betreuungsvereine die Kluft zwischen Vergütung und Lohnzahlung bisher durch Mehrarbeit ausgeglichen haben, macht Auberg deutlich, dass die Mehrbelastung der hauptamtlichen Betreuer keine Dauerlösung sein kann und in einigen Städten auch schon zur Aufgabe von Betreuungsvereinen geführt hat.
So weit soll es nicht nur in Mülheim nicht kommen. „Wir dürfen nicht in die Zeiten des alten Vormundschaftsrechtes zurückfallen, als ein Betreuer 200 Klienten betreute, allerdings nur vom Schreibtisch aus und nach Aktenlage.“
Mit dem neuen Betreuungsrecht wurde die Betreuung der sehr oft psychisch kranken oder alkohol- und drogenabhängigen Klienten zu einer persönlichen Begleitung. „Wir sprechen hier von sehr betreuungsintensiven Klienten, die zu über 90 Prozent auf Sozialleistungen angewiesen sind“, erklärt Auberg. Oft geht es nicht nur um Begleitung zu Ämtern, das Beantragen von Sozialleistungen oder Schuldenmanagement, sondern auch um die Abwendung von Obdachlosigkeit. „Es wird immer schwerer, für unsere Klienten Wohnraum zu finden“, weiß Auberg.
Rund 88 Prozent der Klienten brauchen eine Betreuung, die länger als ein Jahr dauert.
Und hier verschärft sich das Problem. Denn im zweiten Betreuungsjahr entfällt die an der Schwere der Betreuungsfälle orientierte Staffelung der vergüteten Betreuungsstunden auf pauschal 3,5 Stunden pro Monat und Klient. „Wir haben auch einige besonders schwere Fälle, die auch schon mal 25 Stunden pro Monat brauchen. Und dann wird es wirklich schwierig, weil die anderen Klienten ja auch betreut werden wollen“. erklärt Auberg
Neben dem SKFM sind in Mülheim der Ev. Betreuungsverein, die Betreuungsstelle der Stadt und der zum Arbeitersamariterbund gehörende Verein Escor in der Erwachsenenbetreuung tätig.
Die meisten hauptamtlichen Betreuer sind studierte Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter.
Zwei Vollzeitbetreuer kümmern sich beim SKFM um je 50, zwei Teilzeit-Betreuer um je 25 Klienten. Ihre Fallzahlen stiegen damit seit 2005 um 10 Prozent.
55 ehrenamtliche Betreuer kümmern sich beim SKFM um je einen leichten Betreuungsfall, in der Regel aus der eigenen Familie.
Die meisten hauptamtlichen Betreuer sind studierte Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter.
Zwei Vollzeitbetreuer kümmern sich beim SKFM um je 50, zwei Teilzeit-Betreuer um je 25 Klienten. Ihre Fallzahlen stiegen damit seit 2005 um 10 Prozent.
55 ehrenamtliche Betreuer kümmern sich beim SKFM um je einen leichten Betreuungsfall, in der Regel aus der eigenen Familie.
Die gesetzliche Betreuung darf kein Zuschussgeschäft werden
Als überzeugend und nachvollziehbar sieht der Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Arno Klare die Forderung der Betreuungsvereine, die Vergütung einer Betreuerstunde von derzeit 44 auf 52 Euro anzuheben und anschließend eine dynamische Anpassung an die Lohnkostenentwicklung festzuschreiben. Klare hatte sich, wie berichtet, am Mittwoch auf Einladung des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer mit den Vertretern der örtlichen Betreuungsvereine getroffen, um mit ihnen das Problem der aktuellen Lücke zwischen der gesetzlichen Vergütung und der tatsächlichen tariflichen Entlohnung der hauptamtlichen Betreuer zu besprechen. „Schon heute schreiben weit mehr als die Hälfte der 820 deutschen Betreuungsvereine eher eine rote als eine schwarze Null. Und man kann den dahinter stehenden Wohlfahrtsverbänden nicht zumuten, dass sie für ihre Betreuungsarbeit, die an Intensität zugenommen hat, auch noch Geld zuschießen“, beschreibt der Abgeordnete die Situation.
Er weist darauf hin, dass sich SPD und Union bereits in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatten, die finanziellen Rahmenbedingungen der Betreuungsvereine zu verbessern, ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen.
Klare geht davon aus, dass die grundsätzliche Forderung der Betreuungsvereine im Bundestag und auch im Bundesrat eine Mehrheit finden wird, weil Bund und Länder kein Interesse daran hätten, dass die Betreuungsvereine ihre Arbeit aufgeben und der Staat dann nicht nur auf den Kosten, sondern auch auf der Arbeit sitzen bleiben würde.
Er weist darauf hin, dass sich SPD und Union bereits in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatten, die finanziellen Rahmenbedingungen der Betreuungsvereine zu verbessern, ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen.
Klare geht davon aus, dass die grundsätzliche Forderung der Betreuungsvereine im Bundestag und auch im Bundesrat eine Mehrheit finden wird, weil Bund und Länder kein Interesse daran hätten, dass die Betreuungsvereine ihre Arbeit aufgeben und der Staat dann nicht nur auf den Kosten, sondern auch auf der Arbeit sitzen bleiben würde.
Diese Texte erschienen am 1. und 4. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Samstag, 4. Oktober 2014
Der Mensch kommt vor der Diagnose: Mit neuen Angeboten zur geriatrischen Versorgung stellen sich das Evangelische Krankenhaus und der niedergelassene Geriater Andreas Schöpf auf die Herausforderung des demografischen Wandeels ein
„Ich kann schon wieder 30 bis 40 Meter gehen. Ich mache Fortschritte, wenn es auch nur Trippelschritte sind“, sagt Günther Drensler und strahlt über das ganze Gesicht. Der 89-Jährige gehört zu den fünf Patienten, die zurzeit in der neuen geriatrischen Tagesklinik des Evangelischen Krankenhauses behandelt werden.
Heute stehen unter anderem Bewegungstherapie und Gedächtnistraining auf seinem Programm. „Ich habe elf Grunderkrankungen und war im Juli total platt, nachdem ich meine Frau 16 Jahre lang gepflegt habe“, schildert er seine Krankengeschichte, die er nicht weiter auswalzen möchte.
Damit ist Drensler ein typischer geriatrischer Patient. Die ärztliche Leiterin der geriatrischen Tagesklinik, Arina Skorokhodova, und ihr niedergelassener Kollege Andreas Schöpf haben es mit multimorbiden Patienten zu tun, die altersbedingt durch eine ganze Reihe von Erkrankungen in ihrer Selbstständigkeit und Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind. Die Bandbreite reicht von Demenz und Schlaganfall über Depression und Parkinson bis zu Durchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Diabetes oder Arthrose.
Wenn sie es etwa mit einem Patienten zu tun haben, der über Gangstörungen klagt, müssen sie erst einmal klären, ob die eigentliche Ursache dafür in einer Gelenkerkrankung oder in einer Durchblutungsstörung zu finden ist. Schöpf erinnert sich an einen Patienten, der körperlich massiv abbaute und immer wieder über Schwindel und Appetitlosigkeit klagte. Erst nach vielen Gesprächen und Nachforschungen im persönlichen Umfeld stellte sich heraus, dass es sich um psychosomatische Beschwerden handelte, die durch den familiären Streit um die häusliche Pflegesituation entstanden war.
„Gerade bei geriatrischen Patienten darf man sich nicht auf die Diagnose einer einzelnen Erkrankung fixieren, sondern muss den ganzen Menschen mit seiner Lebensgeschichte kennenlernen“, weiß Schöpf, der früher die geriatrische Abteilung des Evangelischen Krankenhauses geleitet hat.
Seine ehemalige Kollegin Skorokhodova weiß wie er aus ihrer Praxis in der Tagesklinik, dass eine zentrale Herausforderung der Geriatrie darin besteht, die unterschiedlichen Medikamente, die mehrfach erkrankte Senioren einnehmen, individuell zu dosieren, zu reduzieren oder auch ganz abzusetzen, um kontraproduktive Wechselwirkungen für Anatomie und Stoffwechsel des alten Menschens zu vermeiden.
„Das ist ein großer Vorteil der Tagesklinik, dass wir die Patienten regelmäßig sehen, und die Ergebnisse der Medikamentengabe und der Therapien kontrollieren können, um sie den aktuellen Bedürfnissen der Patienten anzupassen“, unterstreicht Skorokhodova.
Der leitende Pfleger der Tagesklinik, Christian Wintgen, der die Therapiepläne der Patienten koordiniert, sie auch zu Hause rund um das Thema Hilfsmittel berät oder zu ärztlichen Untersuchungen begleitet, stellt immer wieder fest, „dass es für die Patienten ein riesiger Motivationsschub ist, wenn sie nach den Therapien in der Tagesklinik wieder nach Hause in ihre gewohntes Umfeld zurückkehren können.“
Auch wenn in der Tagesklinik neben Skorokhodova und Wintgen auch Bewegungstherapeuten, Sprachtherapeuten und Krankengymnasten arbeiten, nimmt sich Pfleger Wintgen zwischen Arztgesprächen, Untersuchungen oder Einzel- und Gruppentherapien immer wieder Zeit, für ganz individuelle Trainingseinheiten, die die erreichten Fortschritte der Patienten stabilisieren sollen. Trainiert werden dabei Dinge, die jungen und gesunden Menschen selbstverständlich erscheinen, aber nach einem Schlaganfall oder nach einem Oberschenkelhalsbruch neu gelernt werden müssen. Wie steht man aus einem Sessel auf oder wie räumt man einen Küchenschrank ein und aus? Deshalb werden in der Tagesklinik nicht nur Liegen, Sitzbälle, Sprossenwände oder aus Kunststoffplatten zusammengelegte Huckelstrecken, sondern auch eine Küchenzeile und eine Werkbank als therapeutische Instrumente eingesetzt. „Auch Kochtraining oder Malen und Basteln stehen bei uns auf dem Therapieplan“, betont Wintgen und weist auf eine Tafel hin, auf der jeder Patient seinen persönlichen Tagesablauf ablesen kann. „Die Vielzahl der Therapien, die man hier bekommt, könnte ein Hausarzt mit seinen Helfern gar nicht leisten“, glaubt Patient Günther Drensler. Doch die geriatrische Tagesklinik, die er morgens um neun Uhr betritt und gegen 15.30 Uhr wieder verlässt, um nach Hause gefahren zu werden, hat für ihn eine noch ganz andere therapeutische Wirkung. „Man bekommt sozialen Kontakt und kann sich mit anderen Menschen austauschen“, freut sich Drensler. Nach drei Wochen in der Tagesklinik möchte er „nicht nur besser gehen, sondern auch selbstständiger leben können.“
Weil man diese Selbstständigkeit „am besten im häuslichen Umfeld der Patienten trainieren kann“, machen der niedergelassene Geriater Schöpf und sein Therapeutenteam auch Hausbesuche. Bei denen können dann auch gleich Stolperfallen von der Teppichkante bis zum schlecht beleuchteten Badezimmer aus dem Weg geräumt werden.
Egal wie die ambulante und mit den Hausärzten vernetzte geriatrische Versorgung geleistet wird: In jedem Fall vermeidet oder verkürzt sie die für viele ältere und eingeschränkte Patienten traumatische Erfahrung einer stationären Behandlung.
Mülheim gehört zu den ältesten Städten der Republik. Ende 2013 waren, laut Stadtforschung, 6,4 Prozent der insgesamt rund 167?000 Mülheimer älter als 80 Jahre, 11,8 Prozent waren zwischen 70 und 80 Jahre alt und 11,9 waren zwischen 60 und 70 Jahre alt.
In ihrer Bevölkerungsprognose geht die Stadtforschung davon aus, dass die Zahl der Über-80-jährigen Mülheimer bis zum Jahr 2025 um 19,4 Prozent ansteigen wird.
Die Zahl der Geriater , also der Ärzte, die sich mit altersspezifischen Erkrankungen beschäftigen ist sehr überschaubar. Im Evangelischen Krankenhaus gibt es drei und im St. Marien-Hospital, das mit dem Geriatriezentrum Haus Berge in Essen zusammenarbeitet, einen.
Außerdem hat der Neurologe Andreas Schöpf, der über eine Qualifikation als Geriater verfügt, vor 15 Monaten an der Hölterstraße ein Praxiszentrum Neurogeriatrie eröffnet, das geriatrisch veränderte Patienten ambulant betreut. Zudem hat er ein Zentrum für ambulante geriatrische Komplexbehandlung ins Leben gerufen.
In der geriatrischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses, die 2008 eingerichtet wurde, werden zurzeit 1000 Patienten pro Jahr behandelt.
In der Tagesklinik des Evangelischen Krankenhauses, die Anfang September ihren Betrieb aufgenommen hat, gibt es derzeit fünf Behandlungsplätze. Ab 2015 sollen es zehn sein.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein gibt es in ihrem Bezirk derzeit nur 19 niedergelassene Geriater.
Dieser Text erschien am 12. September 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Heute stehen unter anderem Bewegungstherapie und Gedächtnistraining auf seinem Programm. „Ich habe elf Grunderkrankungen und war im Juli total platt, nachdem ich meine Frau 16 Jahre lang gepflegt habe“, schildert er seine Krankengeschichte, die er nicht weiter auswalzen möchte.
Damit ist Drensler ein typischer geriatrischer Patient. Die ärztliche Leiterin der geriatrischen Tagesklinik, Arina Skorokhodova, und ihr niedergelassener Kollege Andreas Schöpf haben es mit multimorbiden Patienten zu tun, die altersbedingt durch eine ganze Reihe von Erkrankungen in ihrer Selbstständigkeit und Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind. Die Bandbreite reicht von Demenz und Schlaganfall über Depression und Parkinson bis zu Durchblutungsstörungen, Bluthochdruck, Diabetes oder Arthrose.
Wenn sie es etwa mit einem Patienten zu tun haben, der über Gangstörungen klagt, müssen sie erst einmal klären, ob die eigentliche Ursache dafür in einer Gelenkerkrankung oder in einer Durchblutungsstörung zu finden ist. Schöpf erinnert sich an einen Patienten, der körperlich massiv abbaute und immer wieder über Schwindel und Appetitlosigkeit klagte. Erst nach vielen Gesprächen und Nachforschungen im persönlichen Umfeld stellte sich heraus, dass es sich um psychosomatische Beschwerden handelte, die durch den familiären Streit um die häusliche Pflegesituation entstanden war.
„Gerade bei geriatrischen Patienten darf man sich nicht auf die Diagnose einer einzelnen Erkrankung fixieren, sondern muss den ganzen Menschen mit seiner Lebensgeschichte kennenlernen“, weiß Schöpf, der früher die geriatrische Abteilung des Evangelischen Krankenhauses geleitet hat.
Seine ehemalige Kollegin Skorokhodova weiß wie er aus ihrer Praxis in der Tagesklinik, dass eine zentrale Herausforderung der Geriatrie darin besteht, die unterschiedlichen Medikamente, die mehrfach erkrankte Senioren einnehmen, individuell zu dosieren, zu reduzieren oder auch ganz abzusetzen, um kontraproduktive Wechselwirkungen für Anatomie und Stoffwechsel des alten Menschens zu vermeiden.
„Das ist ein großer Vorteil der Tagesklinik, dass wir die Patienten regelmäßig sehen, und die Ergebnisse der Medikamentengabe und der Therapien kontrollieren können, um sie den aktuellen Bedürfnissen der Patienten anzupassen“, unterstreicht Skorokhodova.
Der leitende Pfleger der Tagesklinik, Christian Wintgen, der die Therapiepläne der Patienten koordiniert, sie auch zu Hause rund um das Thema Hilfsmittel berät oder zu ärztlichen Untersuchungen begleitet, stellt immer wieder fest, „dass es für die Patienten ein riesiger Motivationsschub ist, wenn sie nach den Therapien in der Tagesklinik wieder nach Hause in ihre gewohntes Umfeld zurückkehren können.“
Auch wenn in der Tagesklinik neben Skorokhodova und Wintgen auch Bewegungstherapeuten, Sprachtherapeuten und Krankengymnasten arbeiten, nimmt sich Pfleger Wintgen zwischen Arztgesprächen, Untersuchungen oder Einzel- und Gruppentherapien immer wieder Zeit, für ganz individuelle Trainingseinheiten, die die erreichten Fortschritte der Patienten stabilisieren sollen. Trainiert werden dabei Dinge, die jungen und gesunden Menschen selbstverständlich erscheinen, aber nach einem Schlaganfall oder nach einem Oberschenkelhalsbruch neu gelernt werden müssen. Wie steht man aus einem Sessel auf oder wie räumt man einen Küchenschrank ein und aus? Deshalb werden in der Tagesklinik nicht nur Liegen, Sitzbälle, Sprossenwände oder aus Kunststoffplatten zusammengelegte Huckelstrecken, sondern auch eine Küchenzeile und eine Werkbank als therapeutische Instrumente eingesetzt. „Auch Kochtraining oder Malen und Basteln stehen bei uns auf dem Therapieplan“, betont Wintgen und weist auf eine Tafel hin, auf der jeder Patient seinen persönlichen Tagesablauf ablesen kann. „Die Vielzahl der Therapien, die man hier bekommt, könnte ein Hausarzt mit seinen Helfern gar nicht leisten“, glaubt Patient Günther Drensler. Doch die geriatrische Tagesklinik, die er morgens um neun Uhr betritt und gegen 15.30 Uhr wieder verlässt, um nach Hause gefahren zu werden, hat für ihn eine noch ganz andere therapeutische Wirkung. „Man bekommt sozialen Kontakt und kann sich mit anderen Menschen austauschen“, freut sich Drensler. Nach drei Wochen in der Tagesklinik möchte er „nicht nur besser gehen, sondern auch selbstständiger leben können.“
Weil man diese Selbstständigkeit „am besten im häuslichen Umfeld der Patienten trainieren kann“, machen der niedergelassene Geriater Schöpf und sein Therapeutenteam auch Hausbesuche. Bei denen können dann auch gleich Stolperfallen von der Teppichkante bis zum schlecht beleuchteten Badezimmer aus dem Weg geräumt werden.
Egal wie die ambulante und mit den Hausärzten vernetzte geriatrische Versorgung geleistet wird: In jedem Fall vermeidet oder verkürzt sie die für viele ältere und eingeschränkte Patienten traumatische Erfahrung einer stationären Behandlung.
Zahlen und Fakten
Mülheim gehört zu den ältesten Städten der Republik. Ende 2013 waren, laut Stadtforschung, 6,4 Prozent der insgesamt rund 167?000 Mülheimer älter als 80 Jahre, 11,8 Prozent waren zwischen 70 und 80 Jahre alt und 11,9 waren zwischen 60 und 70 Jahre alt.
In ihrer Bevölkerungsprognose geht die Stadtforschung davon aus, dass die Zahl der Über-80-jährigen Mülheimer bis zum Jahr 2025 um 19,4 Prozent ansteigen wird.
Die Zahl der Geriater , also der Ärzte, die sich mit altersspezifischen Erkrankungen beschäftigen ist sehr überschaubar. Im Evangelischen Krankenhaus gibt es drei und im St. Marien-Hospital, das mit dem Geriatriezentrum Haus Berge in Essen zusammenarbeitet, einen.
Außerdem hat der Neurologe Andreas Schöpf, der über eine Qualifikation als Geriater verfügt, vor 15 Monaten an der Hölterstraße ein Praxiszentrum Neurogeriatrie eröffnet, das geriatrisch veränderte Patienten ambulant betreut. Zudem hat er ein Zentrum für ambulante geriatrische Komplexbehandlung ins Leben gerufen.
In der geriatrischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses, die 2008 eingerichtet wurde, werden zurzeit 1000 Patienten pro Jahr behandelt.
In der Tagesklinik des Evangelischen Krankenhauses, die Anfang September ihren Betrieb aufgenommen hat, gibt es derzeit fünf Behandlungsplätze. Ab 2015 sollen es zehn sein.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein gibt es in ihrem Bezirk derzeit nur 19 niedergelassene Geriater.
Dieser Text erschien am 12. September 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Freitag, 3. Oktober 2014
Flucht in die Freiheit: Von Magdeburg nach Mülheim: Ein Geschichte zum Tag der Deutschen Einheit
Heute
leben im Hildegardishaus Flüchtlinge. Vor 25 Jahren war das auch schon so.
Damals kamen die Flüchtlinge allerdings nicht aus anderen Ländern, sondern aus
Deutschland. Sie kamen aus der DDR, die damals noch existierte, samt Mauer und
Schießbefehl.
Im September 1989 kamen auch der damals 22-jährige Dirk Schäfer und sein drei Jahre jüngerer Bruder Andreas nach Mülheim. Sie kamen aus Magdeburg und hatten eine abenteuerliche Flucht hinter sich. „Wir wollten uns nicht mehr einschränken und alles vorschreiben lassen“, beschreibt Schäfer sein wichtigstes Fluchtmotiv.
Er beschreibt sich als unpolitischen, aber freiheitsliebenden Menschen, der sich auch von Widerständen nicht aufhalten lässt, um sein Leben zu leben und voranzukommen. „Eigentlich ging es mir ganz gut in der DDR. Ich hatte ein Ausbildung als Hotelfachmann gemacht, verdiente ganz gut, kam durch meinen Beruf auch an Devisen und hatte sogar ein eigenes Auto“, erinnert sich Schäfer. Sogar reisen konnte er, wenn auch nicht nach Westen, so doch nach Ungarn, Polen, in die Tschechoslowakei, in die Sowjetunion oder nach Kuba.
Doch damit war es 1987 vorbei, als sein Stiefvater, der die Vereinsgaststätte des 1. FC Magdeburg betrieben hatte, bei der „Republikflucht“ über die Ostsee geschnappt und in Bautzen inhaftiert wurde. Plötzlich wurde Schäfer, der in Magdeburg und Berlin auch schon Erich Honecker bewirtet hatte, von der DDR-Staatssicherheit verhört. „Was haben Sie gewusst? Konnten Sie die Flucht nicht verhindern? Überlegen Sie genau, was Sie machen? Wir haben sie im Auge. Das war wie in einem schlechten Krimi mit umgedrehter Schreibtischlampe“, erinnert sich Schäfer.
Jetzt wuchs in ihm das Gefühl: „Hier bewegt sich nichts mehr. Ich will hier raus.“ Doch es sollten noch einmal zwei Jahre vergehen, bis aus der Idee die Tat wurde. Am 17. September 1989 war es soweit. Über eine Tante hatten sie erfahren, dass der Stiefvater dank seiner australischen Verwandten von der australischen Regierung freigekauft worden und inzwischen in Mülheim gelandet sei. Jetzt kannten die Brüder ihr Ziel. Sie setzten sich in Magdeburg in den Zug und fuhren nach Dresden. Ihr einziges Gepäckstück war eine kleine Gelenktasche mit Devisen, um flüssig zu sein und Grenzer gnädig zu stimmen.
Von Dresden aus schlugen sie sich über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei. Im Taxi fuhren sie zunächst weiter nach Prag und dann im Zug nach Bratislava. Dort begann der schwierigste Teil der Flucht. Mit der Unterhose bekleidet, das Täschchen mit den Devisen in Händen gingen sie in das vielleicht 14 oder 15 Grad kalte Wasser der Donau, um ans ungarische Ufer zu schwimmen. Obwohl das nur einige 100 Meter entfernt war, sollte die Flussüberquerung zu einem lebengefährlichen Manöver werden und insgesamt fünf Stunden dauern. „Denn die Strömung war so stark, das wir uns über weite Strecken nur treiben lassen konnten, die uns etwa zehn Kilometer weit forttrug. Hätten wir versucht, gegen die Strömung zu schwimmen, wir hätten es nicht überlebt,“ist er sich rückblickend sicher. Doch gegen 22 Uhr erreichten sie das rettende Ufer Ungarns. „Fragen Sie mich nicht nach Ortsnamen. Wenn sie auf der Flucht sind, denken Sie an alles, aber nicht an die Namen der Orte, die sie durchqueren.“
Schäfer weiß nur noch, dass sein Bruder und er irgendwann in ihren Unterhosen und mit ihrer Gelenktasche vor einem Gasthaus standen, das geschlossen war, in dem aber noch Licht brannte. Die Gastleute machten ihnen auf. Sie gaben ihnen zu essen und etwas anzuziehen, ohne dafür etwas haben zu wollen. Im Gegenteil: Der Gastwirt bestand darauf, sie zum Bahnhof zu bringen und ihre Fahrkarte zur österreichischen Grenze zu bezahlen.
Obwohl Ungarn damals bereits seine Grenzen zu Österreich geöffnet hatte, wählten die Brüder für den Grenzübertritt den Schutz der Dunkelheit. Kurz nach 1 Uhr erreichten sie erschöpft das österreichische Nickelsdorf. Kurz hinter der Grenze stießen sie auf eine Zeltstation des Roten Kreuzes. Hier wärmten sie sich kurz auf und wurden später von einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft nach Wien gebracht, wo sie zwei Tage Gäste der Botschaft waren, bis sie in den Zug nach Münster stiegen. „Ich habe während der Fahrt kein Auge zugemacht, wollte alles sehen, was am Zugfenster vorbeiflog. Vor allem am alten Gevatter Rhein vorbeizufahren, war für mich ein atemberaubendes Glücksgefühl.“
Ihr Zug fuhr damals auch durch Mülheim. Doch die Schäfers durften nicht aussteigen, sondern mussten weiter nach Münster und von dort aus ins Auffanglager Schöppingen, um sich dort offiziell registrieren zu lassen. Erst einen Tag später wurden sie dort von ihrem Stiefvater abgeholt und fuhren mit ihm nach Mülheim.
Im September 1989 kamen auch der damals 22-jährige Dirk Schäfer und sein drei Jahre jüngerer Bruder Andreas nach Mülheim. Sie kamen aus Magdeburg und hatten eine abenteuerliche Flucht hinter sich. „Wir wollten uns nicht mehr einschränken und alles vorschreiben lassen“, beschreibt Schäfer sein wichtigstes Fluchtmotiv.
Er beschreibt sich als unpolitischen, aber freiheitsliebenden Menschen, der sich auch von Widerständen nicht aufhalten lässt, um sein Leben zu leben und voranzukommen. „Eigentlich ging es mir ganz gut in der DDR. Ich hatte ein Ausbildung als Hotelfachmann gemacht, verdiente ganz gut, kam durch meinen Beruf auch an Devisen und hatte sogar ein eigenes Auto“, erinnert sich Schäfer. Sogar reisen konnte er, wenn auch nicht nach Westen, so doch nach Ungarn, Polen, in die Tschechoslowakei, in die Sowjetunion oder nach Kuba.
Doch damit war es 1987 vorbei, als sein Stiefvater, der die Vereinsgaststätte des 1. FC Magdeburg betrieben hatte, bei der „Republikflucht“ über die Ostsee geschnappt und in Bautzen inhaftiert wurde. Plötzlich wurde Schäfer, der in Magdeburg und Berlin auch schon Erich Honecker bewirtet hatte, von der DDR-Staatssicherheit verhört. „Was haben Sie gewusst? Konnten Sie die Flucht nicht verhindern? Überlegen Sie genau, was Sie machen? Wir haben sie im Auge. Das war wie in einem schlechten Krimi mit umgedrehter Schreibtischlampe“, erinnert sich Schäfer.
Jetzt wuchs in ihm das Gefühl: „Hier bewegt sich nichts mehr. Ich will hier raus.“ Doch es sollten noch einmal zwei Jahre vergehen, bis aus der Idee die Tat wurde. Am 17. September 1989 war es soweit. Über eine Tante hatten sie erfahren, dass der Stiefvater dank seiner australischen Verwandten von der australischen Regierung freigekauft worden und inzwischen in Mülheim gelandet sei. Jetzt kannten die Brüder ihr Ziel. Sie setzten sich in Magdeburg in den Zug und fuhren nach Dresden. Ihr einziges Gepäckstück war eine kleine Gelenktasche mit Devisen, um flüssig zu sein und Grenzer gnädig zu stimmen.
Von Dresden aus schlugen sie sich über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei. Im Taxi fuhren sie zunächst weiter nach Prag und dann im Zug nach Bratislava. Dort begann der schwierigste Teil der Flucht. Mit der Unterhose bekleidet, das Täschchen mit den Devisen in Händen gingen sie in das vielleicht 14 oder 15 Grad kalte Wasser der Donau, um ans ungarische Ufer zu schwimmen. Obwohl das nur einige 100 Meter entfernt war, sollte die Flussüberquerung zu einem lebengefährlichen Manöver werden und insgesamt fünf Stunden dauern. „Denn die Strömung war so stark, das wir uns über weite Strecken nur treiben lassen konnten, die uns etwa zehn Kilometer weit forttrug. Hätten wir versucht, gegen die Strömung zu schwimmen, wir hätten es nicht überlebt,“ist er sich rückblickend sicher. Doch gegen 22 Uhr erreichten sie das rettende Ufer Ungarns. „Fragen Sie mich nicht nach Ortsnamen. Wenn sie auf der Flucht sind, denken Sie an alles, aber nicht an die Namen der Orte, die sie durchqueren.“
Schäfer weiß nur noch, dass sein Bruder und er irgendwann in ihren Unterhosen und mit ihrer Gelenktasche vor einem Gasthaus standen, das geschlossen war, in dem aber noch Licht brannte. Die Gastleute machten ihnen auf. Sie gaben ihnen zu essen und etwas anzuziehen, ohne dafür etwas haben zu wollen. Im Gegenteil: Der Gastwirt bestand darauf, sie zum Bahnhof zu bringen und ihre Fahrkarte zur österreichischen Grenze zu bezahlen.
Obwohl Ungarn damals bereits seine Grenzen zu Österreich geöffnet hatte, wählten die Brüder für den Grenzübertritt den Schutz der Dunkelheit. Kurz nach 1 Uhr erreichten sie erschöpft das österreichische Nickelsdorf. Kurz hinter der Grenze stießen sie auf eine Zeltstation des Roten Kreuzes. Hier wärmten sie sich kurz auf und wurden später von einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft nach Wien gebracht, wo sie zwei Tage Gäste der Botschaft waren, bis sie in den Zug nach Münster stiegen. „Ich habe während der Fahrt kein Auge zugemacht, wollte alles sehen, was am Zugfenster vorbeiflog. Vor allem am alten Gevatter Rhein vorbeizufahren, war für mich ein atemberaubendes Glücksgefühl.“
Ihr Zug fuhr damals auch durch Mülheim. Doch die Schäfers durften nicht aussteigen, sondern mussten weiter nach Münster und von dort aus ins Auffanglager Schöppingen, um sich dort offiziell registrieren zu lassen. Erst einen Tag später wurden sie dort von ihrem Stiefvater abgeholt und fuhren mit ihm nach Mülheim.
Als
Dirk und Andreas Schäfer
am 23. September 1989 Mülheim erreichten, staunte Dirk Schäfer vor allem über die
vielen Autos auf den Straßen und eine gastronomische Vielfalt von Pizza bis
Döner, die er aus der DDR nicht kannte. „Mir fiel aber auch auf, dass hier
viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern lebten und viele mit einem
traurigen Gesicht durch die Gegend liefen.“ Er selbst war alles andere als
traurig, sondern froh darüber, in der Freiheit angekommen zu sein und voller
Tatendrang. Seine 100 Mark Begrüßungsgeld investierte er in Wolldecken und eine
Matratze, um in der Wohnung seines Vater am Dickswall schlafen zu können. Der
gelernte Hotel- und Gastronomiefachmann ging von einer Gaststätte zur nächsten
und schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Mülheim fand er seine erste
Arbeitsstelle in der Mausefalle. Einen Monat später sollte er in Dümpten seine
erste eigene Wohnung beziehen.
„Wir waren erst wie gelähmt und konnten es gar nicht glauben“, erinnert sich Schäfer an 9. November 1989, als er mit seinem Stiefvater und seinem Bruder die Fernsehbilder aus Berlin sah. Die drei stießen mit einem Cognac auf den Fall der Mauer an. Der Mann, der im September 1989 von Magdeburg nach Mülheim geflohen war, sollte sich in der Mausefalle vom Kellner zum Geschäftsführer hocharbeiten, bevor er erst als Gastronomiefachmann und später als selbstständiger Unternehmer mit einem Hausmeisterservice und einem Maklerbüro beruflich zu neuen Ufern aufbrechen sollte. „Ich bin ein unruhiger Geist und muss immer etwas unternehmen“, sagt der 47-Jährige über sich selbst und lacht.
„Wir waren erst wie gelähmt und konnten es gar nicht glauben“, erinnert sich Schäfer an 9. November 1989, als er mit seinem Stiefvater und seinem Bruder die Fernsehbilder aus Berlin sah. Die drei stießen mit einem Cognac auf den Fall der Mauer an. Der Mann, der im September 1989 von Magdeburg nach Mülheim geflohen war, sollte sich in der Mausefalle vom Kellner zum Geschäftsführer hocharbeiten, bevor er erst als Gastronomiefachmann und später als selbstständiger Unternehmer mit einem Hausmeisterservice und einem Maklerbüro beruflich zu neuen Ufern aufbrechen sollte. „Ich bin ein unruhiger Geist und muss immer etwas unternehmen“, sagt der 47-Jährige über sich selbst und lacht.
Dieser Text erschien am 23. September 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
Donnerstag, 2. Oktober 2014
20 Jahre Wohnstift Uhlenhorst: Ein Heim, das Heimat sein will
Wenn eine Fee zum Tag der offenen Tür gekommen wäre, mit dem das zum Evangelischen Krankenhaus gehörende Wohnstift Uhlenhorst am 28. September seinen 20. Geburtstag gefeiert hat, hätten Einrichtungsleiterin Schwester Gudrun Gross und Altenpflegerin Claudia Neumann sofort gewusst, welchen Wunsch sie ihnen erfüllen sollte. „Mehr Personal und mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Altenpflege.“ Als sie vor 20 Jahren ihren Dienst im neuen Altenheim am Broicher Waldweg antraten, galten ein Drittel der 105 Bewohner als schwerstpflegebedürftig. Heute sind es mehr als 50 Prozent.
Angesichts von 41 Pflegekräften sieht auch Pflegedienstleiter Eric Hörnemann „keinen nennenswerten Anstieg der Personalausstattung bei gleichzeitig erheblich gestiegenen Anforderungen, die Pflegekräfte heute zu bewältigen haben.“
Gerne erinnert sich Neumann an Spaziergänge oder Spielemachmittage, die früher zu ihrem Arbeitsalltag mit den Heimbewohnern gehörten. Solche Betreuungsaufgaben muss sie heute den Mitarbeitern des Sozialdienstes und den ehrenamtlichen Helfern des Hauses überlassen, um Zeit für die Pflege von schwerstkranken Bewohnern mit Pflegedokumentation, Medikamentenabgabe und Ärztegespräche zu haben. „Das hat meinen Beruf nicht gerade befriedigender gemacht“, räumt Neumann ein.
Auch Volkmar Spira, der als Stiftungsdirektor des Evangelischen Krankenhauses 1994 den Bau des Wohnstiftes managte, sieht heute eine unheilvolle Entwicklung, weil das 1995 mit der Pflegeversicherung eingeführte Pflegestufensystem mit seinen Zeit- und Budgetvorgaben die Wirklichkeit des Pflegealltags nicht abbilde und darüber hinaus für mehr Bürokratie gesorgt habe. „Wenn es so weiter geht, blutet die Pflege aus, weil Pflegekräfte in diesem Finanzierungssystem nicht mehr das leisten können, was sie für die Menschen leisten wollen.“
Dass inzwischen ein gutes Drittel der Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben wie Pflegedokumentation verbracht wird, sehen Neumann und Hörnemann als kontraproduktiv an. Dass der Pflegebedarf sich nicht nur im Wohnstift Uhlenhorst massiv erhöht hat, macht Einrichtungsleiterin Gross auch daran fest, „dass viele Menschen heute viel später ins Altenheim kommen und dann oft auch schwere Krankheiten, wie einen Schlaganfall oder Krebs mitbringen.“ Hinzu kommt, dass der Anteil der demenziel veränderten Bewohner, die aufgrund ihrer geistigen Verwirrung sehr betreuungsintensiv sind, inzwischen auf über 50 Prozent angestiegen ist. Waren früher 10 bis 15 Jahre im Wohnstift keine Seltenheit, so liegt die durchschnittliche Verweildauer der Bewohner heute zwischen zwei Tagen und zwei Jahren.
Obwohl auch sie gesundheitliche Probleme hat, gehört die seit zwei Jahren im Wohnstift lebende Ilse Bohnes zu den fitteren Bewohnern. „Inzwischen ist das hier zu meinem Zuhause geworden, in dem ich mich wohlfühle“, sagt die 83-Jährige, die früher in Winkhausen lebte und nur zur Wassergymnastik in das öffentliche Schwimmbad des Wohnstiftes kam. „Dadurch war mir das Haus schon vertraut“, erinnert sich Bohnes. Ausschlaggebend für ihren Einzug war, „dass ich hier mein eigenes Apartment habe, in dem ich morgens frühstücken kann.“ Als das Wohnstift im Oktober 1994 eröffnet wurde, titelte die NRZ: „Wie ein Hotel wirkt das Altenheim im Uhlenhorst“ und zitierte eine der ersten Bewohnerinnen mit dem Satz: „Ich fühle mich hier wie im Urlaub.“
Der Eindruck eines Hotels drängt sich auch heute dem Besucher auf, wenn er in die Apartments der Bewohner schaut, an gemütlichen Sitzecken und Speisebereichen vorbei geht oder einen Blick ins Cafe, ins Schwimmbad oder in den Veranstaltungssaal wirft. Hier gehen Gottesdienste, Konzerte, Vorträge, Theateraufführungen, Lesungen oder auch Karnevalsveranstaltungen über die Bühne, die das Haus bewusst nach außen in die Stadt hinein öffnen.
Heute kann Volkmar Spira darüber lachen, wenn er sich an die Überzeugungsarbeit erinnert, die er zusammen mit dem damaligen Kuratoriumsvorsitzenden Rolf Schaberg bei einigen Anwohnern leisten musste, die sich gegen ein Altenheim in ihrer Nachbarschaft wehrten, „weil sie fürchteten, dass dann zu viele Bäume gefällt und der Wert ihrer Grundstücke gemindert werden könnte, wenn plötzlich alte Menschen auf der Straße stehen.“
Das real existierende Altenheim beseitigte die anfänglichen Vorbehalte rasch. Selbst aus Japan kamen Besucher, um zu sehen, wie ein Altenheim ausschließlich auf Einzelapartments setzt, in denen die Bewohner auch dann wohnen bleiben, wenn sie schwer pflegebedürftig werden. „Das hat sich in all den Jahren bewährt und dafür gesorgt, dass Bewohner im Pflegefall kein Gefühl des Abstiegs erleben müssen.“
Angesichts von 41 Pflegekräften sieht auch Pflegedienstleiter Eric Hörnemann „keinen nennenswerten Anstieg der Personalausstattung bei gleichzeitig erheblich gestiegenen Anforderungen, die Pflegekräfte heute zu bewältigen haben.“
Gerne erinnert sich Neumann an Spaziergänge oder Spielemachmittage, die früher zu ihrem Arbeitsalltag mit den Heimbewohnern gehörten. Solche Betreuungsaufgaben muss sie heute den Mitarbeitern des Sozialdienstes und den ehrenamtlichen Helfern des Hauses überlassen, um Zeit für die Pflege von schwerstkranken Bewohnern mit Pflegedokumentation, Medikamentenabgabe und Ärztegespräche zu haben. „Das hat meinen Beruf nicht gerade befriedigender gemacht“, räumt Neumann ein.
Auch Volkmar Spira, der als Stiftungsdirektor des Evangelischen Krankenhauses 1994 den Bau des Wohnstiftes managte, sieht heute eine unheilvolle Entwicklung, weil das 1995 mit der Pflegeversicherung eingeführte Pflegestufensystem mit seinen Zeit- und Budgetvorgaben die Wirklichkeit des Pflegealltags nicht abbilde und darüber hinaus für mehr Bürokratie gesorgt habe. „Wenn es so weiter geht, blutet die Pflege aus, weil Pflegekräfte in diesem Finanzierungssystem nicht mehr das leisten können, was sie für die Menschen leisten wollen.“
Dass inzwischen ein gutes Drittel der Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben wie Pflegedokumentation verbracht wird, sehen Neumann und Hörnemann als kontraproduktiv an. Dass der Pflegebedarf sich nicht nur im Wohnstift Uhlenhorst massiv erhöht hat, macht Einrichtungsleiterin Gross auch daran fest, „dass viele Menschen heute viel später ins Altenheim kommen und dann oft auch schwere Krankheiten, wie einen Schlaganfall oder Krebs mitbringen.“ Hinzu kommt, dass der Anteil der demenziel veränderten Bewohner, die aufgrund ihrer geistigen Verwirrung sehr betreuungsintensiv sind, inzwischen auf über 50 Prozent angestiegen ist. Waren früher 10 bis 15 Jahre im Wohnstift keine Seltenheit, so liegt die durchschnittliche Verweildauer der Bewohner heute zwischen zwei Tagen und zwei Jahren.
Obwohl auch sie gesundheitliche Probleme hat, gehört die seit zwei Jahren im Wohnstift lebende Ilse Bohnes zu den fitteren Bewohnern. „Inzwischen ist das hier zu meinem Zuhause geworden, in dem ich mich wohlfühle“, sagt die 83-Jährige, die früher in Winkhausen lebte und nur zur Wassergymnastik in das öffentliche Schwimmbad des Wohnstiftes kam. „Dadurch war mir das Haus schon vertraut“, erinnert sich Bohnes. Ausschlaggebend für ihren Einzug war, „dass ich hier mein eigenes Apartment habe, in dem ich morgens frühstücken kann.“ Als das Wohnstift im Oktober 1994 eröffnet wurde, titelte die NRZ: „Wie ein Hotel wirkt das Altenheim im Uhlenhorst“ und zitierte eine der ersten Bewohnerinnen mit dem Satz: „Ich fühle mich hier wie im Urlaub.“
Der Eindruck eines Hotels drängt sich auch heute dem Besucher auf, wenn er in die Apartments der Bewohner schaut, an gemütlichen Sitzecken und Speisebereichen vorbei geht oder einen Blick ins Cafe, ins Schwimmbad oder in den Veranstaltungssaal wirft. Hier gehen Gottesdienste, Konzerte, Vorträge, Theateraufführungen, Lesungen oder auch Karnevalsveranstaltungen über die Bühne, die das Haus bewusst nach außen in die Stadt hinein öffnen.
Heute kann Volkmar Spira darüber lachen, wenn er sich an die Überzeugungsarbeit erinnert, die er zusammen mit dem damaligen Kuratoriumsvorsitzenden Rolf Schaberg bei einigen Anwohnern leisten musste, die sich gegen ein Altenheim in ihrer Nachbarschaft wehrten, „weil sie fürchteten, dass dann zu viele Bäume gefällt und der Wert ihrer Grundstücke gemindert werden könnte, wenn plötzlich alte Menschen auf der Straße stehen.“
Das real existierende Altenheim beseitigte die anfänglichen Vorbehalte rasch. Selbst aus Japan kamen Besucher, um zu sehen, wie ein Altenheim ausschließlich auf Einzelapartments setzt, in denen die Bewohner auch dann wohnen bleiben, wenn sie schwer pflegebedürftig werden. „Das hat sich in all den Jahren bewährt und dafür gesorgt, dass Bewohner im Pflegefall kein Gefühl des Abstiegs erleben müssen.“
Der von 1992 bis 1994 realisierte Bau des Wohnstiftes Uhlenhorst kostete damals 30 Millionen Mark. Das Land NRW förderte den Bau mit 8,5 Millionen Mark. Die Stiftung Wohlfahrtspflege stellte 900?000 Mark bereit. Das Evangelische Krankenhaus brachte 11 Millionen Mark als Eigenmittel ein, von denen 4 Millionen Mark aus privaten Spenden und dem Erbe des ehemaligen FWH-Direktors und Kuratoriumsmitgliedes Alexander Wiedenhoff stammte, nach dem heute der Veranstaltungssaal des Wohnstiftes benannt ist.
Realisiert wurde der pavillonartige und barrierefreie Bau von den Architekten Aribert Riege, Thomas Riege und Johannes Rickert.
1994 bewegte sich die Monatsmiete für das Leben im Wohnstift, je nach Pflegebedarf, zwischen 3900 und 5400 Mark. Heute bewegen sich die von der Pflegeversicherung und zum Teil auch vom Sozialamt bezuschussten monatlichen Pflegesätze, je nach Pflegestufe zwischen 2631 und 4526 Euro. Von 105 Bewohnern haben aktuell 51 Pflegestufe 1, 29 Pflegestufe 2 und 25 Pflegestufe 3. 75 Prozent der Bewohner sind derzeit Selbstzahler, also nicht auf finanzielle Hilfe der Stadt angewiesen. Für die Aufnahme gibt es keine finanziellen Voraussetzungen. Anders, als vor 20 Jahren, als 600 Interessenten auf der Warteliste des neuen Wohnstiftes Uhlenhorst standen, gibt es heute in Mülheim mit 1883 Altenheimplätzen keinen akuten Mangel an stationären Altenpflegeplätzen
Realisiert wurde der pavillonartige und barrierefreie Bau von den Architekten Aribert Riege, Thomas Riege und Johannes Rickert.
1994 bewegte sich die Monatsmiete für das Leben im Wohnstift, je nach Pflegebedarf, zwischen 3900 und 5400 Mark. Heute bewegen sich die von der Pflegeversicherung und zum Teil auch vom Sozialamt bezuschussten monatlichen Pflegesätze, je nach Pflegestufe zwischen 2631 und 4526 Euro. Von 105 Bewohnern haben aktuell 51 Pflegestufe 1, 29 Pflegestufe 2 und 25 Pflegestufe 3. 75 Prozent der Bewohner sind derzeit Selbstzahler, also nicht auf finanzielle Hilfe der Stadt angewiesen. Für die Aufnahme gibt es keine finanziellen Voraussetzungen. Anders, als vor 20 Jahren, als 600 Interessenten auf der Warteliste des neuen Wohnstiftes Uhlenhorst standen, gibt es heute in Mülheim mit 1883 Altenheimplätzen keinen akuten Mangel an stationären Altenpflegeplätzen
Dieser Text erschien am 27. September 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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