Weihnachten verbindet Christen über alle Konfessionen hinweg
als das Fest der Geburt Jesu, das im christlichen Glauben für den Beginn der
Frohen Botschaft von einem neuen heilsgeschichtlichen Bund zwischen Gott und
den Menschen steht. Stadtdechant Michael Janßen und Superintendent Gerald
Hillebrand äußern sich am Vorabend des christlichen Hochfestes über die
Perspektiven für die Ökumene in Mülheim.
Warum haben die beiden christlichen Stadtkirchen am 2.
Dezember erstmals zum Ökumenischen Neujahrsempfang in den Altenhof eingeladen?
Hillebrand: Weil der Advent, mit dem das neue Kirchenjahr
beginnt, uns als Festzeit des kommenden Gottes uns als evangelische und
katholische Christen in gleichweise betrifft und bewegt. Deshalb machte ein ökumenischer
Neujahrsempfang auch Sinn.
Janßen: Und er ist als ein starkes Zeichen der Ökumene in
der Öffentlichkeit auch wahrgenommen und begrüßt worden. Ein solcher Empfang und
die Tatsache, dass eine Oberkirchenrätin und ein Generalvikar eine
Dialog-Predigt halten, wäre vor 60 Jahren noch undenkbar gewesen.
Wo und wie wird Ökumene in Mülheim gelebt?
Hillebrand: Ich denke da zum Beispiel an die ökumenischen
Schulgottesdienste und an die Vereinbarung über ökumenisch-konfessionell-kooperativen
Religionsunterricht an Schulen, an denen es keine ausreichend großen
katholischen und evangelischen Schülergruppen für einen konfessionellen Religionsunterricht
gibt. Auf dem Kirchenhügel und am Steigerweg werden ökumenische Kirchenfeste
gefeiert. Links der Ruhr gibt es eine ökumenische Trauerbegleitung und die
Tradition eines ökumenischen Gottesdienstes am 4. Advent und am Pfingstmontag.
Viele Kirchenchöre sind heute ökumenisch zusammengesetzt und in der vom
evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr organisierten Notfallseelsorge engagieren
sich seit 2014 katholische und evangelische Gemeindemitglieder als
ehrenamtliche Mitarbeiter. Die Telefonseelsorge ist ebenso ökumenisch organisiert
wie die Gottesdienste für Demenzkranke und ihre Angehörigen auf dem
Kirchenhügel.
Janßen: Mir gefällt besonders gut der ökumenische Beginn der
Osternacht auf dem Kirchenhügel. Dort gibt es auch ein ökumenisches
Familienzentrum. Auch in der Krankenhausseelsorge wird eine gute ökumenische
Zusammenarbeit gepflegt. Wir haben ein ökumenisches Friedensgebet, ein
gemeinsames Pogromgedenken und viele ökumenische Gesprächsgruppen uns
Bibelkreise.
Aber wir haben immer noch eine katholische und eine
evangelische Ladenkirche.
Janßen: Das hat aber keine theologischen, sondern rein
praktische und finanzielle Gründe. Grundsätzlich wäre auch eine ökumenische
Ladenkirche für mich denkbar.
Hillebrand: Während die katholische Ladenkirche am
Kohlenkamp rein mit ehrenamtlichen Mitarbeitern organisiert wird, arbeiten wir
in unserer Ladenkirche, die auch Kircheneintrittsstelle ist, zusätzlich auch
mit hauptamtlich Mitarbeitenden.
Was ist in Sachen Ökumene mit Blick in die Zukunft denk-
und machbar?
Hillebrand: Eine gemeinsame Nutzung von Kirchen und
Gemeindezentren ist denkbar. Hier betreten wir aber noch Neuland und die
Entscheidung liegt in jedem Fall bei den Gemeinden, die Eigentümer der Gebäude
sind.
Janßen: Der Altenberger Dom ist ein Beispiel, dass Kirchen
auch ökumenisch genutzt werden können. Wenn der demografische Wandel und die
Säkularisierung unserer Gesellschaft die Zahl der Christen weiter schrumpfen
lassen sollte, könnten wir mit einer ökumenischen „Haus- und Wohngemeinschaft“
dafür sorgen, dass in jedem Stadtteil zumindest eine christliche Kirche
verbleibt, die dann auch nicht nur als Gottesdienstraum, sondern auch als
Gemeindezentrum gemeinsam genutzt werden kann. Ich will auch künftig in jedem
Stadtteil einen Kirchturm sehen.
Werden wir in absehbarer Zeit so etwas wie gemeinsame
ökumenische christliche Kirche erleben?
Hillebrand: Ich bin jetzt 63. Ich werde das nicht mehr
erleben. Da müsste sich schon ganz viel ganz schnell tun. Aber wir können
weitere Fortschritte in Richtung Ökumene machen. Ich denke dabei an eine
gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft der christlichen Konfessionen beim
Abendmahl und bei der Kommunion. Wir müssen unsere unterschiedlichen
Traditionen nicht zwingend aufgeben, wenn wir sie unter einem gemeinsamen Dach
und auf der Basis gleichberechtigter Akzeptanz leben.
Janßen: Auch wenn es nach wie vor konfessionelle
Unterschiede im Kirchenverständnis gibt, kann genau das funktionieren, wenn wir
dem Leitbild einer christlichen Einheit in Vielfalt und einer christlichen
Vielfalt in der Einheit folgen, die von einer versöhnten Verschiedenheit
ausgeht.
Warum braucht auch eine zunehmend multikulturelle,
pluralistische und säkularisierte Stadtgesellschaft christliche Stadtkirchen
und deren ökumenische Zusammenarbeit?
Hillebrand: Weil wir als Kirchen christliche Werte wie Nächstenliebe,
Solidarität, Menschenwürde und Gerechtigkeit vertreten, die unsere Gesellschaft
prägen, auch wenn nicht alle ihre Mitglieder Christen sind. Als christliche
Kirchen müssen wir auch jenen eine Stimme geben, die in unserer Gesellschaft am
Rand stehen, und deshalb oft nicht gehört werden. Und auch heute schätzen viele
Eltern Kindertagesstätten, in denen noch christliche Feste gefeiert werden,
ohne dass sie dabei nach der Konfession fragen.
Janßen: Gerade in einer zunehmend säkularen und
multikulturellen Stadtgesellschaft werden wir als christliche Kirchen nur noch gemeinsam
gehört. Und das erwarten die Menschen auch von uns, dass wir im Geiste der Frohen
Botschaft, die aktueller denn je ist, Stellung gegen Rassismus, Antisemitismus,
Ausgrenzung, Ausbeutung und Diskriminierung beziehen. Auch heute suchen
Menschen nach einem Sinn in ihrem Leben. Und da kann die christliche Botschaft
wichtige Antworten geben, weshalb sich christliche Schulen auch in Zeiten von
Kirchenaustritten großer Beliebtheit erfreuen.
Hintergrund:
Mitte des 16. Jahrhunderts wurde St. Peter auf dem
Kirchenhügel zur reformierten Petrikirche. Bis dahin hatte es nur eine
christlich-katholische Konfession gegeben. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts
kehrte mit den Jesuiten katholisches Leben auf den Kirchenhügel zurück. 1786
wurde dort die erste Marienkirche errichtet, der 1872 und 1929 zwei weitere,
jeweils größere Marienkirchen folgten. Bis dahin blieben allein das Kloster
Saarn und das Schloss Styrum katholische Enklaven im protestantischen Mülheim. Allerdings
kritisierte schon der 1769 in Mülheim gestorbene pietistische Mystiker, Dichter
und Menschenfreund Gerhard Tersteegen den amtskirchlichen Konfessionalismus seiner
Zeit als Widerspruch Frohen Botschaft Jesu Christi. Erst durch die
Industrialisierung und die mit ihr verbundene Zuwanderung von Arbeitskräften wuchs
der katholische Bevölkerungsanteil der Stadt. In den 1920er Jahren waren
bereits ein Drittel der Mülheimer katholisch. In den 1970er Jahren waren etwa
gleich viele, jeweils gut 60.000 Mülheimer, katholisch und evangelisch. 1973
erreichte Mülheim mit 193.000 Einwohnern seinen höchsten Bevölkerungsstand.
Heute leben etwa 172.000 Menschen in der Stadt. Der evangelischen und
katholischen Stadtkirche gehören inzwischen jeweils weniger als 50.000 Mülheimer
an. Kirchenaustritte und Überalterung lassen die Zahl der christlichen
Kirchenmitglieder und damit auch die Finanzkraft der Stadtkirchen tendenziell
weiter schrumpfen, auch wenn die aktuelle vergleichsweise gute Beschäftigungslage
die Kirchensteuern auf einem immer noch hohen Niveau hält, müssen sich die
beiden christlichen Stadtkirchen auf massive Finanzkraftverluste einstellen,
wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente gehen. Beide
Stadtkirchen versuchen sich bereits seit einigen Jahren mit Gemeindefusionen,
kostensparende Strukturreformen und mit der Aufgabe oder Umwidmung von
Kirchengebäuden auf die absehbare Entwicklung einzustellen.
Dieser Text erschien am 22.12.2019 in NRZ & WAZ