Jetzt
begegneten Mutter und mir Sankt Nikolaus und ein Engel auf der Schloßstraße.
Zumindest gaben sie sich dafür aus. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich das
Gespann als ganz irdisches und jugendliches Paar, das als Werbemaskottchen auf
dem Weihnachtstreff eine Marktlücke füllte und sich damit wohl das nötige Kleingeld
für seine Weihnachtsgeschenke verdiente. „Wo ist denn Knecht Ruprecht?“, fragte
sich Mutter spontan im Angesicht der beiden freundlich erscheinenden jahreszeitlichen
Gestalten. Sie kommt noch aus der Generation, in der der Nikolaustag nicht nur
ein freudig, sondern auch ein bang erwarteter Tag der Bescherung war. Wenn man
Glück hatte und lieb gewesen war, wurde man von Sankt Nikolaus beschert. Wenn
man Pech hatte und hinter seinen moralischen Möglichkeiten zurückgeblieben war,
hatte man die Bescherung und machte eine unangenehme Bekanntschaft mit dem ruppigen
Begleiter des Heiligen Nikolaus und dessen Rute. Solche Rohrstockpädagogik ist
heute Gott sei Dank von gestern. Denn entgegen anders lautender vermeintlicher
Volksweisheiten, haben so manche Schläge noch allen geschadet, die sie erdulden
mussten. Auf der anderen Seite wäre so manchem Rambo, der sich in unserer
kleinen und großen Welt auf Kosten seiner Mitmenschen rücksichtslos durchs
Leben boxt, weil er Respekt für Schwäche hält, der handfeste Besuch des Knecht
Ruprecht als kleiner Denkanstoß und als Nachhilfe in Sachen Menschlichkeit
durchaus zu wünschen.
Dieser Text erschien am 3. Dezember 2019 in der NRZ
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