Besinnliche Momente kann man in diesem Advent auch im Haus
der Stadtgeschichte erleben, wenn man sich dort an der Von-Graefe-Straße bis
zum 23. Dezember die Zeit nimmt, eine bemerkenswerte Ausstellung über die
Reichskanzler der Weimarer Republik anzuschauen. Zwar lässt uns der Philosoph Friedrich
Hegel wissen: „Das einzige, was wir aus der Geschichte lernen, ist, dass der
Mensch nichts aus der Geschichte lernt!“ Doch im Angesicht der Impressionen der
ersten deutschen Demokratie, die in ihren 14 Jahren 16 Regierungen erlebte, ehe
sie sich, mangels Demokraten, in einer Diktatur auflöste, möchte man inständig
hoffen, dass sich Hegel geirrt hat. Dieser Wunsch bestärkte sich in mir, als
ich jetzt im Rahmen besagter Ausstellung einen alarmierenden Vortrag des Historikers
Bernd Braun hörte, der das Verfolgungsschicksal beleuchtete, dass die Familie
des vormaligen sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller, ab 1933 im
NS-Deutschland erleiden musste, weil die Nationalsozialisten ihren Vater, Sohn
und Ehemann als „Erfüllungspolitiker“ und „Vaterlandsverräter“ ansahen. Hermann
Müller führte (1928-1930) die letzte Regierung der Weimarer Republik, die noch
eine parlamentarische Mehrheit hatte, ehe der greise Reichspräsident Paul von
Hindenburg, der 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennen sollte, mit seinen
Notverordnungen die Macht übernahm. Eingedenk der Tatsache, dass die von
Hermann Müller geführte Große Koalition 1930 an der Frage zerbrach, ob der
Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,25 % ansteigen solle oder nicht, mag
man allen kleinkarierten Parteistrategen und allen politischen Maulhelden, die unsere
parlamentarische Demokratie und ihr Fähigkeit zum Konsens und zum Kompromiss
als Schwäche und Verrat am Volk diffamieren oder ihr Heil in der Flucht aus der
Regierungsverantwortung sehen, einen Konklave-gleichen Dauerbesuch der
Wanderausstellung über die Regierungschefs der ersten deutschen Demokratie und
deren Katalog als Stundengebetbuch wünschen.
Dieser Text erschien am 5. Dezember 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Ein Mini-Malta an der Ruhr
Wo heute der Nachwuchs bei der Arbeiterwohlfahrt seine Freizeit verbringt, schoben im alten Wachhaus der Wraxham Baracks von 1945 bis 1994 S...
-
Jan Sensky vor seinem Dienswagen Wenn Sie ein altes Möbel- oder Kleidungstück oder auch Geschirr zu Hause stehen haben, die noch gut zu ...
-
Der 30. und 31. Januar ist in meinem Kalender rot angestrichen", erzählt Familienforscherin Bärbel Essers. Dass das so ist, hat mit der...
-
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.” Auch dieses Volkslied dürfte die Schildberger Sing- und Spielschar ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen