Donnerstag, 5. Dezember 2019

Hoffentlich irrt Hegel

Besinnliche Momente kann man in diesem Advent auch im Haus der Stadtgeschichte erleben, wenn man sich dort an der Von-Graefe-Straße bis zum 23. Dezember die Zeit nimmt, eine bemerkenswerte Ausstellung über die Reichskanzler der Weimarer Republik anzuschauen. Zwar lässt uns der Philosoph Friedrich Hegel wissen: „Das einzige, was wir aus der Geschichte lernen, ist, dass der Mensch nichts aus der Geschichte lernt!“ Doch im Angesicht der Impressionen der ersten deutschen Demokratie, die in ihren 14 Jahren 16 Regierungen erlebte, ehe sie sich, mangels Demokraten, in einer Diktatur auflöste, möchte man inständig hoffen, dass sich Hegel geirrt hat. Dieser Wunsch bestärkte sich in mir, als ich jetzt im Rahmen besagter Ausstellung einen alarmierenden Vortrag des Historikers Bernd Braun hörte, der das Verfolgungsschicksal beleuchtete, dass die Familie des vormaligen sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller, ab 1933 im NS-Deutschland erleiden musste, weil die Nationalsozialisten ihren Vater, Sohn und Ehemann als „Erfüllungspolitiker“ und „Vaterlandsverräter“ ansahen. Hermann Müller führte (1928-1930) die letzte Regierung der Weimarer Republik, die noch eine parlamentarische Mehrheit hatte, ehe der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg, der 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennen sollte, mit seinen Notverordnungen die Macht übernahm. Eingedenk der Tatsache, dass die von Hermann Müller geführte Große Koalition 1930 an der Frage zerbrach, ob der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,25 % ansteigen solle oder nicht, mag man allen kleinkarierten Parteistrategen und allen politischen Maulhelden, die unsere parlamentarische Demokratie und ihr Fähigkeit zum Konsens und zum Kompromiss als Schwäche und Verrat am Volk diffamieren oder ihr Heil in der Flucht aus der Regierungsverantwortung sehen, einen Konklave-gleichen Dauerbesuch der Wanderausstellung über die Regierungschefs der ersten deutschen Demokratie und deren Katalog als Stundengebetbuch wünschen.

Dieser Text erschien am 5. Dezember 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

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