Heute
denken die christlichen Kirchen angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen über
die Aufgabe oder Umwidmung ihrer Gotteshäuser nach. Vor über 100 Jahren dagegen
planten die evangelische und die katholische Kirchengemeinde Mülheims neue
Gemeinden in Broich und Speldorf. Denn hier war die Bevölkerung infolge der
Industrialisierung enorm gewachsen.
Am
23.Dezember wurde in St.Michael an der Schumannstraße der erste Gottesdienst
gefeiert. Die Kirche war noch nicht ausgemalt. Einen Altar aus Holz hatte die
Nachbargemeinde Herz Jesu zur Verfügung gestellt.
Zur
Geschichte und zum Leben der Gemeinde hat Gerd Fölting eine Ausstellung
initiiert. Deren historischer Teil kann schon besichtigt werden. Das Mosaik der
vielen Gruppen, die zusammen die Gemeinde bilden, wächst im Jubiläumsjahr zum
2.Teil der Ausstellung.
Die Menschen, die hier eine Gemeinde gründen wollten, haben von Anfang an
finanzielle und personelle Probleme bewältigen müssen. Sie haben sich immer
wieder auf neue Rahmenbedingungen eingestellt und darauf besonnen, was für sie als
katholische Christen persönlich grundlegend und für den Stadtteil notwendig
war. Allen Widrigkeiten zum Trotz haben sie ihr Gemeindleben entfaltet. Dies
beschreibt Gerd Fölting als für ihn wichtigste Erkenntnis aus seiner
Auseinandersetzung mit der Gemeinde- und Kirchengeschichte in Speldorf. Er
erlebt heute eine zwar kleinere, aber
aktive Gemeinde, die Themen und Aufgaben aufgreift, die sich ihren Mitgliedern
aufdrängen.
Seit 1903
von Dechant Weyand und Pfarrer Coenen geplant, bremsten Insolvenzen von
Investoren, die ablehnende Haltung des nationalliberalen Oberbürgermeisters
Paul Lembke und kriegsbedingter Baustoffmangel den Kirchbau in Speldorf aus.
Für den weiteren Ausbau zurückgelegtes
Geld wurde in den 1920er Jahren von der Hyperinflation aufgefressen.
Deshalb würde entgegen der Planung das Kirchenschiff erheblich gekürzt und
der Kirchturm gestrichen. Nach der Ausgestaltung des Innenraums wurde
St.Michael erst 1927 offiziell eingeweiht. Pfarrhaus, Kindergarten,
Gemeindezentrum und Jugendheim entstanden erst schrittweise im Laufe der
nachfolgenden Jahrzehnte.
Die ersten Gemeindemitglieder von St. Michael, es waren bis zu 2000, arbeiteten
bei der Reichsbahn im Speldorfer Eisenbahnausbesserungswerk, in Lederfabriken,
in Gartenbaubetrieben und in Tonwerken.
Katholische Arbeiterschaft und Kleinbürgertum, die St. Michael trugen,
hatten nicht viel Geld, waren aber sehr einsatz- und spendenfreudig. In der
Zeit des Nationalsozialismus wurden katholische Jugendarbeit und
Religionsunterricht in Schulen verboten. Deshalb wichen sie heimlich ins
Pfarrhaus und in den Marienhof aus. Ein Schicksalsschlag für die Gemeinde war,
dass fünf ihrer sechs Jugendgruppenleiter im 2. Weltkrieg fielen. Nach dem
Krieg erwarb die Gemeinde von der Stadt die Baracken der Kindergärten der
NS-Volkswohlfahrt für ihren katholischen Gemeindekindergarten und für den
Wiederaufbau der kirchlichen Jugendarbeit.
Infolge der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wurde in
der Kirche St.Michael der Altarraum abgesenkt und der Altar in Richtung der
Gläubigen im Kirchenschiff verschoben. So wird deutlich, dass nach dem neuen Verständnis
von Gemeinde als dem Volk Gottes nicht der Priester allein in lateinischer
Sprache für die Gemeinde die Heilige Messe feiert, sondern mit ihr in deutscher
Sprache.
Hintergrund
Seit 2006 hat sich die etwa 3000 Gläubige zählende Gemeinde St. Michael mit
den anderen Gemeinden links der Ruhr zur Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt
zusammengeschlossen.. Der Pfarreientwicklungsprozess (2015-2018) hat den
langfristigen Erhalt der seit 2010 in Renovierung befindlichen Kirche St.Michael
an der Schumannstraße bestätigt. Gemeindemitglieder pflegen Projekt-Partnerschaften
mit der Ukraine und Tansania. Einige Gemeindemitglieder haben sich in der örtlichen
Flüchtlingshilfe engagiert.
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