Freitag, 14. November 2025

Närrischer November

 Ist denn schon wieder Karneval? Wer so fragt, zeigt, dass er den Karneval nicht kennt. Denn natürlich starten die Jecken am Elften im Elften in die Fünfte Jahreszeit. Die ELF ist den Narren heilig, weil sie zwischen den zehn Geboten und den zwölf Aposteln für die Narrenfreiheit steht. Und nach der Französischen Revolution von 1789 war die ELF für die Narren die Abkürzung für die Losung. "Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit!" Französisch: Fraternité, Liberté, Egalitè".

Auch in Mülheim an der Ruhr, in dem die historischen Ursprünge in den Fastnachtsspielen des Zisterzienserinnenklosters Saarn (1214-1808) zu finden sind, sind die Karnevalisten am Elften im Elften in die neue Session gestartet. Dabei wird das närrische Volk erstmals von einem Stadtprinzen angeführt, dessen Wiege in der Hauptstadt Uruguays, Montevideo, stand.

Mit der Prinzenproklamation, die diesmal im Autohaus Lueg an der Weseler Straße über die Bühne ging, ist aus dem 42-jährigen Betriebswirt Luca Leonardo Lungo Luperta Prinz Lucas Leonardo I. geworden. Wenn es nach seiner Tollität geht, soll es im Rat der Stadt bis zum Aschermittwoch keinen Parteienstreit, sondern nur sachorientierte Politik mit einem Schuss Selbstironie geben. So hat er es in seinem närrischen Regierungspogramm verkündet, das unter dem Sessionsmotto steht: "Dein Status ist uns ganz egal. Wir feiern mit dir Karneval!"

"Schon mein Großvater hat in Monevideo eine Karnevalsgesellschaft gegründet. Der Karneval wird in Uruguay, so wie in Brasilien vor allem mit Tanzen und Trommeln gefeiert", berichtet Prinz Lucas Leonardo I., der aus den Reihen der Jubiläumsgesellschaft MüKaGe kommt, beruflich für das Tanzhaus NRW tätig ist und seit 2017 in Deutschland lebt. Besonders freut sich der mölmsche Karnevalsprinz aus Lateinamerika, dass  er seine Proklamation mit seiner Mutter Heriberta feiern konnte, die zu diesem Anlass aus Montevideo angereist war. Zu den ersten Amtshandlungen des neuen Stadtprinzen gehören die Aufstellung des Narrenbaums am Kurt-Schumacher-Platz und der närrische Ritterschlag für seinen verdienten MüKaGe-Karnevalsfreund Detlef Klapper, der seit 47 Jahren im Mülheimer  Karneval aktiv ist und ihn als Prinzenführer durch die Session begleitet.


Mehr zum Mülheimer Karneval


 

Donnerstag, 13. November 2025

Bonhoeffer heute

 Beim Podiumsgespräch über den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in der Essener Marktkirche erzählten Generalvikar Klaus Pfeffer, Journalist und Biograph Uwe Schulz und Superintendentin Marion Greve, wie der 1945 hingerichtete Christ sie persönlich prägte und eine  Inspiration für zeitgemäßes Christsein sein kann.


„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag!“, zitiert derVorstandsvorsitzende der Bank im Bistum Essen, Peter Güllmann, die wohl berühmtesten Zeilen Dietrich Bonhoeffers. Underklärt bei dem  Podiumsgespräch in der Marktkirche in Essen auch, was ihm dieses Glaubensbekenntnis des 1945 von den Nationalsozialisten ermordeten evangelischen Theologen heute sagt: „Weil wir als Christen Gott vertrauen, können wir auch dem Leben vertrauen und aus der Liebe zum Guten handeln. Deshalb brauchen wir keine Angst vor dem Leben haben und können mit Mut leben. Wir brauchen uns nicht zurückziehen. Wir können uns Menschen zuwenden. Wir können der Angst widerstehen, weil wir trotzdem hoffen dürfen und weil wir wissen, dass Kirche nur dann Kirche ist, wenn sie für andere da ist.“

„Diese Kirche ist für einen Abend über Dietrich Bonhoeffer ein guter Ort, weil sie vom Zweiten Weltkrieg verwundet worden ist und mitten im Leben steht,“ sagt  Theologe  Jens Oboth. Der Dozent der katholischen Akademie ‎“Die Wolfsburg“ moderiert in der Essener Marktkirche  das Podiumsgespräch mit Superintendentin Marion Greve, Generalvikar Klaus Pfeffer und Moderator Uwe Schulz über den Theologen, der auch 80 Jahre nach seinem Tod katholische und evangelische Christen miteinander verbindet.

Für Generalvikar Klaus Pfeffer haben die Worte Bonhoeffers seit seiner Ausbildung in der Klinikseelsorge in den 80er Jahren eine besondere Bedeutung. “Dort wurde ich  mit Tod und Leid und auch mit meiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Seine Worte haben mich getroffen und nicht mehr losgelassen, weil sie nicht aus der Kirche, sondern aus dem Leben kommen und mir gezeigt haben, dass die Bibellektüre uns zeigen kann, wer Jesus Christus heute für uns und für mich ganz konkret sein kann.” Gerade in einer Zeit der Kirchenkrise machten Pfeffer  die Briefe Bonhoeffers  aus der Haft Mut undseien ein Trost, weil sie ihm zeigten, dass nicht alles von jedem  allein abhänge. Bonhoeffers Biografie und seine Erfahrungen als Studentenseelsorger in Berlin seien für  Pfeffer ein Beleg, „dass es die gute alte Kirche auch in den 1920er und 1930er Jahren nicht gegeben hat.“ Für den Essener Generalvikar ist Bonhoeffer auch heute noch  ein Vorbild, „weil auch er Ängste hatte, mit denen er sich auseinandergesetzt hat und dann ganz bewusst Risiken eingegangen und für christliche Werte eingetreten ist.“

Uwe Schulz, Hörfunk-Journalist und Bonhoeffer-Biograph, lernt den  Theologen, Widerstandskämpfer und Märtyrer  in einer existenziellen Lebenskrise mit Mitte 20 schätzen, vor allem als Seelsorger und redlichen theologischen Übersetzer des Alltags. „Er hat mir gezeigt: In der Bibel lesen heißt: Gott spricht mit dir. Mich beeindruckt,dass dieser Mann, der von den Nationalsozialisten existenziell zerstört worden ist, sich nicht hat zerstören lassen.“ Für ihn ist Bonhoeffer mit seinem Lebensbeispiel „so heilig, wie wir es als Gemeinschaft der Heiligen auch sein können.“ Denn, so fragt Schulz: „Was hindert uns daran, Gott in uns zu tragen und der Kirche eine individuelle Gestalt zu geben, in dem wir Hungrige sättigen, Trauernde trösten, Gefangene besuchen und Sünden vergeben und so Menschen von der Knechtschaft der Depression befreien.“ Er habe mit Bonhoeffer gelernt, Brücken über die Risse in seinem Leben zu bauen, weil er wisse: „ Egal, wie tief ich falle, kann ich immer mit der Gnade Gottes rechnen.“ Zu Gnade Gottes und der persönlichen Einsicht: „Gott hat auch Alice Weidel lieb“ gehört für Schulz aber auch die menschliche Bereitschaft zur Umkehr, deshalb betont er mit Blick auf Bonhoeffer: „Für eine Vereinnahmung durch den Trumpismus und Pseudo-Christen steht er nicht zur Verfügung.“

Für die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Essen, Marion Greve,  ist Bonhoeffer angesichts aktueller Sorgen in einer krisengeschüttelten Welt „ein Beispiel der Unerschrockenheit und der Lebenserfahrung, dass Kirche bei den Menschen sein muss.“ Er macht ihr Mut, „dass man auch hier und jetzt in unserer Ruhrgebietsgroßstadt mit allen ihren Problemen Christ sein und im sozialen Tun für Menschen da sein kann.“ Beeindruckend findet die Essener Superintendentin die Scharfsichtigkeit Bonhoeffers, der schon lange vor 1933 begriffen habe, „dass man nicht gleichzeitig Christ und Nationalsozialist sein kann.“ Insofern mahne Bonhoeffer alle Menschen,, zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Demokratie, der die andere Meinung auch mal stehen lassen könne und keine Angst vor Dialog und Kontroversen habe.“ Bonhoeffers Rat: „Lasst uns nicht mit Worten, sondern mit Taten lieben“, ist in ihren Augen eine zeitlose aktuelle Inspiration des Christseins.

Sonntag, 9. November 2025

Mülheim, ahoi

 Wenn wir heute an Schifffahrt auf der Ruhr denken, denken wir an die Weiße Flotte. Doch die fährt erst seit 1927 auf der Ruhr, zunächst mit sieben und heute noch mit vier Schiffen.

Doch ehe die Stadt und die Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft die Mülheimer Ruhrschifffahrtsgesellschaft gründeten und den Wasserbahnhof auf der Schleuseninsel errichteten gab es schon eine, allerdings gewerbliche, Schifffahrt auf der Ruhr. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurde vor allem Kohle über die Ruhr transportiert.  

Um 1770 wurde der Leinpfad an der Ruhr nicht als Spazierweg, sondern als Trampelpfad für die Pferde angelegt, mit denen man die Kohlenkähne (Ruhraaken) den Fluß aufwärts zogen. Dort, wo sich heute die Ruhranlagen erstrecken, passierten Mitte des 19. Jahrhunderts jährlich rund 5000 Schiffe mit rund 12 Millionen Zentnern Kohle den Fluss. Damals waren ein Viertel der erwerbstätigen Mülheimer mit der Mülheimer Ruhrschifffahrt beschäftigte.

Legendär war der Mülheimer Reeder und Bergwerksbesitzer Mathias Stinnes, unter dessen Flagge fast 70 Schiffe auf Ruhr und Rhein unterwegs waren. Auch Mitte des 19. Jahrhunderts gab es einen, allerdings nur kurzlebigen Versuch, neben der Transport- auch ein Ausflugsschifffahrt auf der Ruhr zu etablieren. 

Doch dafür war die Zeit noch nicht reif. Denn die alten Mölmschen verbanden mir der Ruhr Arbeit und Auskommen, aber keine Ausflüge und Freizeit. Erst als die Ruhrschifffahrt ab 1862 von der Eisenbahn abgehängt und die beiden Mülheimer Ruhrhäfen 1869 und 1880 zugeschüttet wurden, kamen Mülheims Bürgermeister Karl von Bock und der Verschönerungsverein, dort, wo bisher Werften und Kohlenmagazine gestanden hatten, die blühenden Landschaften der Ruhranlagen entstehen zu lassen. 

1927 sollte dann mit der Weißen Flotte auch der ab 1913 geplante und gebaute Rhein-Ruhr-Hafen mit seinem 12 Kilometer langen Schifffahrtskanal in Betrieb genommen werden. Mit einer eigenen Hafenbahn und einem jährlichen Umschlagsvolumen von mehr als einer Million Tonnen führt der 2,2 Quadratkilometer große Speldorfer Hafen heute auf einer Wasserfläche von 86.000 Quadratmetern die Schifffahrtstradition weiter die Tradition der 1794 und 1846 angelegten Ruhrhäfen fort. Außerdem ist er für 360 Unternehmen zum Standort und Gewerbegebiet geworden.

Montag, 27. Oktober 2025

Kaffeehauspolitik

In Cafes und Gasthäusern wird nicht nur gegessen, sondern auch diskutiert. Bis heute werden hier politische Karrieren geschmiedet. Während der bürgerlichen Revolution dienten die Cafés und Gasthäuser in Frankfurt am Main den Parlamentarischen Clubs der in der Paulskirche tagenden Nationalversammlung als Treffpunkte und Tagungsorte, um sich für die Plenardebatten zu positionieren.

So trafen sich im Casino am Roßmarkt die Liberalen. Sie stellten in der aus 587 Abgeordneten bestehenden Nationalversammlung die größte Fraktion. Ihr Ziel war die Errichtung einer parlamentarischen und konstitutionellen deutschen Monarchie nach britischem Vorbild. Sie saßen in der Mitte des Plenums.

Rechts von ihnen saßen die Konservativen, die sich im Steinernen Haus am Markt zwischen Römerberg und Dom und im Cafe Milani am Rossmarkt trafen. Sie verteidigten die absolute Macht der Monarchen des Deutschen Bundes und damit den politischen Status Quo. Auf der linken Seite des Plenums saßen die Demokraten, die sich unter anderem im Deutschen Hof, im Donnersberg am Mainufer und in der Westend Hall zwischen Taunus- und Main-Weser-Bahnhof trafen. Sie wollten die Monarchie durch eine parlamentarische und demokratische Republik ersetzen.

Die Abgeordneten des Paulskirchenparlaments, das 1849 eine liberale Reichsverfassung verabschiedete und dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone antrug, waren politisch selbstbewusste Wirtschafts- und Bildungsbürger, die infolge der Urbanisierung und Industrialisierung einen sozialen, aber keinen politischen Aufstieg erlebt hatten. Deshalb forderten sie: "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland, wie es Hoffmann von Fallersleben 1841 in seinem "Lied der Deutschen" gefordert hatte.

Diese Männer, Frauen waren damals noch von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen, trafen sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts, auch jenseits von Frankfurt am Main, in Cafes und Gasthäusern, um Zeitungen zu lesen und ihre politischen Ideen zu diskutieren. Auch die Essener und Mülheimer Demokraten und Liberalen hatten 1848/49 im Kettwiger Cafe Parlament einen Treffpunkt und Tagungsort, an dem sie auch ihre Zeitung, den Wächter an der Ruhr lesen konnten.

Doch weil die Liberalen und die Demokraten die Mehrheit und das Recht, nicht aber die militärische Macht auf ihrer Seite hatten, trugen am Ende die deutschen Monarchen und die Konservativen den politischen Sieg davon. Den Worten des späteren preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I. folgend: "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!", wurde die bürgerliche Revolution 1849 blutig niedergeschlagen.

Doch die Ideen von 1848/49 waren und blieben in der Welt, auch wenn diese Jahre später oft als "Tolle Jahre" politisch verharmlos und diskreditiert wurden. Immerhin gehörten 51 ehemalige Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung auch dem Reichstag des  1871 gegründeten Deutschen Kaiserreiches an. Doch die Idee einer liberalen deutschen Verfassung mit garantierten bürgerlichen Freiheiten und Grundrechten sollten erst 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung und 1949 mit dem Grundgesetz für die Bundespublik Deutschland Wirklichkeit werden.

Sonntag, 26. Oktober 2025

Apropos Stichwahl

 Mülheimer Stichwahlen haben es in sich. Das zeigte sich auch bei der jüngsten Stichwahl, mit der Oberbürgermeister Marc Buchholz knapp und im zweiten Anlauf im Amt bestätigt worden ist.  Wie schon die erste OB-Stichwahl im September 1999, zeigte diese Stichwahl: Bei einer Wahl kommt es auf jede Stimme an, die gut abgegeben und gezählt werden will.

Denn wie schon anno '99 stand das endgültige Wahlergebnis auch diesmal erst nach einer Nächzählung fest. Und wie vor 26 Jahren konnten sich die Sozialdemokraten auch diesmal nur kurzfristig als Wahlsieger fühlen und feiern. War am 26. September 1999 der sozialdemokratische Stadtverordnete Thomas Schröer mit 33 Stimmen Vorsprung zum Wahlsieger und damit zum Oberbürgermeister ausgerufen worden, so hatte Mülheims SPD-Chefin Nadia Khalaf am 28. September 2025 auch nur kurzfristig Freude an ihrem 67-Stimmenvorsprung, der ihr die Wahl zur dritten Mülheimer Oberbürgermeisterin verhieß.

Damals wie heute waren die Christdemokraten, 1999 mit ihrem Kandidaten Dr. Jens Baganz und 2025 mit dem Amtsinhaber Marc Buchholz die glücklichen Gewinner. Dabei fiel ihr, im zweiten Anlauf, amtlich festgestellter Vorsprung mit 2025 mit 201 Stimmen deutlicher aus als bei der ersten OB-Direktwahl, als der Jurist Jens  Baganz nach der Nachzählung am Ende mit einem Plus von 58 Stimmen als erster direktgewählter Oberbürgermeister Mülheims feststand. "Das war eine Achterbahn der Gefühle, die man niemandem wünscht", hat sich der inzwischen bei den Grünen politisch aktive Baganz vor der jüngsten Stichwahl an den Wahlkrimi des Jahres 1999 erinnert.

Mit der Direktwahl des Oberbürgermeister wurde das nordrhein-westfälische Kommunalwahlrecht demokratischer, weil die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger jetzt über die hauptamtliche Stadt- Rats- und Verwaltungsspitze mitbestimmen konnten, wie das außerhalb unseres 1946 von den Briten gegründeten Bundeslandes, bereits seit Jahrzehnten der Fall war.

Dass es bis 1999 eine vom Rat der Stadt gewählte Doppelspitze gab, die aus einem ehrenamtlichen Oberbürgermeister und einem hauptamtlichen Oberstadtdirektor gab und damit die Spitzen von Stadt, Rat und Verwaltung personell getrennt waren, war dem Vorbild der britischen Kommunalverfassung, die die britische Militärregierung im Rahmen ihrer Reeducation 1946 in ihrer Besatzungszone einführte, zu der auch Mülheim an der Ruhr gehörte.

Apropos Stichwahl. Stichwahlen kannten die Mülheimer auch schon zu Kaisers Zeiten. Auch damals wurde der Oberbürgermeister vom Stadtparlament gewählt, das sich aber auf der Basis eines steuerzensusbasierten und damit undemokratischen. Dreiklassenwahlrechtes gewählt wurde. Wie seit 1999 waren Mülheims Oberbürgermeister auch bis 1945 hauptamtliche Stadtoberhäupter, Ratsvorsitzende und Verwaltungschefs.

Doch wer zwischen 1871 und 1918 als Abgeordneter in den Deutschen Reichstag einziehen wollte, musste in seinem Wahlkreis die absolute Mehrheit der Stimmen gewinnen, die damals allerdings ausschließlich von den mit 21 Jahren volljährigen Männer abgegeben werden konnten. Das Frauenwahlrecht sollte erst 1918 mit der Weimarer Republik eingeführt werden. Man(n) staunt noch heute über diese späte Demokratisierung der Politik, die inzwischen Oberbürgermeisterinnen, Ministerinnen, Ministerpräsidentinnen und Bundeskanzlerinnen hervorgebracht hat. Denn ohne Frauen ist keine Stadt und kein Staat zu machen.

Das sah man(n) bis 1918 aber anders und sah sich mit dem allgemeinen und freien Reichstagswahlrecht schon an der Spitze des demokratischen Fortschritts. Dieses absolute Mehrheitswahlrecht, wie es heute noch in Frankreich praktiziert wird, führte im Mülheimer Wahlkreis der Kaiserzeit zu Stichwahlentscheiden, die in der Regel von nationalliberalen Kandidaten gewonnen wurden.

Nur bei der Reichstagswahl 1907 wurde mit dem Tischler Clemens Hengsbach ein Sozialdemokrat in den Reichstag gewählt. Kein Wunder. Denn erst ab 1906  erhielten Reichstagsabgeordnete Diäten. Bis dahin hatten sich nur gutbetuchte Wirtschafts- und Bildungsbürger die Ausübung eines Reichstagsmandates leisten können.

Sonntag, 21. September 2025

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Im Leben ist alles politisch, auch die Fotografie, zumal in Wahlkampfzeiten. Und so setzten die Mülheimer Fotografinnen und Fotografen Andreas Köhring, Marie Brüske, Frank Koch und Elisabeth Harbecke in diesen Tagen und Wochen des Mülheimer Kommunalwahlkampfes Kandidatinnen und Kandidaten für das Stadtparlament und für die Stadtspitze ins rechte Bild, je größer, desto besser.

Denn Wahlplakate wollen auch im schnellen Vorbeigehen und Vorbeifahren als Erinnerungsposten für den Wahltag unübersehbar sein. "Bei unseren Plakatfotos geht es weniger um politische Inhalte, als vielmehr um Sympathie, Reichweite und um den Wiedererkennungseffekt", sind sich die am Plakatstandort Klostermarkt befragten Foto-Profis mit Blick auf ihre Kunstwerke in Sachen Demokratie und Wahlwerbung einig.

Elisabeth Harbecke, die mit der Grünen (Umweltamtsleiterin) Ulrike Bresa erstmals eine OB-Kandidatin ins Bild gesetzt hat, ist überrascht, dass bei den Fotoshootings ihrer Kolleginnen und Kollegen auch eine Visagistin zum Einsatz gekommen ist. Sie selbst ist mit ihrer OB-Kandidatin durch die Innenstadt gegangen und ist am Torbogen in der Altstadt und am neu entstehenden Radweg auf der Kaiserstraße auf der Suche mach einer authentischen Foto-Location fündig geworden. Andreas Köhring und seine Kollegin Marie Brüske haben ihre OB-Kandidatin Nadia Khalaf von der SPD mit einer zuhörende Nachdenklichkeit ausstrahlenden Gesprächssituation im Stadtquartier Schloßstraße inszeniert.

Frank Koch verrät, dass er seinen OB-Kandidaten Peter Beitz und seine Mitbewerberinnen und Mitbewerber pragmatisch im Sinne einer individuellen Terminplanung zum Shooting in sein Fotostudio gebeten hat. Das Ziel ihres Wahlkampfes, das Rathaus bildet den computertechnisch geschaffenen Hintergrund ihres Gruppenportraits. Die Liberalen setzten auf ein Teamfoto ihrer Spitzenkandidatinnen und Kandidaten für den Rat. Im Instagram-Stil haben sie die Konterfeis ihrer Kandidaten und Kandidatinnen für das Stadtparlament mit deren farblich hervorgehobenen Namen versehen.

Unabhängig von der Frage, wer am Ende für wen, das politisch perfekte Bild abgibt, sind sich Köhring, Koch, Brüske und Harbecke am Ende der plakativen Bildbetrachtung in Wahlkampfzeiten darin einig, "dass uns Demokratie alle angeht und wir uns deshalb nicht nur mit Blick auf die Wahlplakate, ein Bild von den zur Wahl stehenden Kandidaten und Kandidatinnen machen sollten", um nach bestem Wissen und Gewissen eine gute Wahl für unsere Stadt und damit für uns alle treffen zu können.  

Freitag, 5. September 2025

Mülheimer Höhenflüge und Bruchlandungen

 Der größte Flughafen an Rhein und Ruhr liegt im Ruhrgebiet. Das war Mitte der 1930er Jahre Realität. In einer Zeit, in der das Fliegen noch der pure Luxus war, war der 1925 in Raadt eröffnete Flughafen Essen/Mülheim als Rhein-Ruhr-Flughafen Westdeutschlands wichtigster Flughafen. Von hier aus konnte man Ziele in Deutschland und Europa erreichen, wenn Geld kein Problem war. Doch auch für die Schönen und Reichen war das Fliegen damals so ein teurer Spaß, dass sich die Fluggäste vor ihrem Start ablichten ließen, um ihre Flugreise auch zu dokumentieren. Geld spielte auch für die Führer Nazi-Deutschlands keine Rolle. Zwischen 1933 und 1940 flogen deshalb auch Hermann Göring, Joseph Goebbels und Adolf Hitler hier ein, um ihre industriellen Unterstützer Kirdorf, Thyssen und Krupp zu besuchen, Ehrenbürgerschaften der Ruhrstädte entgegenzunehmen oder das NS-Parteivolk auf Linie zu bringen und zu halten.

Lieber erinnern wir uns heute daran, dass in den 1980er und 1990er Jahren so prominente Zeitgenossen, wie Queen Elisabeth II., Carl Gustaf XVI. von Schweden, Papst Johannes Paul II. und Bundespräsident Roman Herzog von Amtswegen in Essen/Mülheim gelandet sind.

Auch die Zeppelin-Landungen der Jahre 1931 und 1939 waren echte Publikumsmagneten. So steil der Aufstieg des Flughafens Essen/Mülheim vor dem Zweiten Weltkrieg war, so steil war auch sein nachfolgender Abstieg. Aus dem Militärflughafen, der auch mithilfe unmenschlicher Zwangsarbeit ausgebaut wurde, machte die britische Militärregierung ab 1945 einen LKW-Parkplatz. 

Luftverkehr gab es in Essen/Mülheim erst wieder ab 1950. Der 1925 gegründete AERO-Club und die 1955 von Theo Wüllenkemper und Inge Bachmann gegründete Westdeutsche Luftwerbung machten es möglich. Wie in den 1930er Jahren wurde der Flughafen  Essen/Mülheim in den 1950er Jahren wieder zum Ausbildungsflughafen. Auch heute werden in Essen/Mülheim Pilotinnen und Piloten ausgebildet. 65 Prozent aller Flugbewegungen in Raadt sind heute Ausbildungsflüge. Obwohl mit Theo Wüllenkemper (WDL) und Kurt Conle (LTU) zwei Mülheimer Unternehmer im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswundes auch ins Flugreisegeschäft einstiegen, muss die Nachkriegsgeschichte des Flughafens Essen/Mülheim als eine Geschichte der verpassten Chancen erzählt werden. Politische Grundsatzentscheidungen führten dazu, dass die ursprünglich kleineren Flughäfen der Landeshauptstadt Düsseldorf und des Bundeshauptstadt (Köln)Bonn zu Ungunsten von Essen/Mülheim ausgebaut wurden. In den 1950er Jahre vereitelten juristische und politische Wiederstände den Ausbau zum Forschungsflughafen. Essen/Mülheim war damals sowohl als Standort für das Luftfahrtbundesamt als auch als Sitz des heute in Köln ansässigen Deutschen Luft- und Raumfahrt-Zentrums im Gespräch. Neben den Flugschulen und dem AERO-Club sorgt heute vor allem die WDL, die seit 1972 Luftschiffe für Werbekunden und zu Rundenflügen aufsteigen lässt, dafür, dass der vor100 Jahren in Betrieb genommen worden ist, ein lebendiger Luftfahrtort bleibt und dank einer neuen Luftschiff- und Eventhalle auch zu einem beliebten Veranstaltungsort geworden ist. Mehr über den Flughafen Essen/Mülheim erfährt man unter anderem hier

Närrischer November

  Ist denn schon wieder Karneval? Wer so fragt, zeigt, dass er den Karneval nicht kennt. Denn natürlich starten die Jecken am Elften im Elft...