Dienstag, 30. November 2021

Corona fährt mit

Seit heute, 24. November, ist es amtlich. Mit Bus und Bahn fahren kann man jetzt nur noch, wenn man geimpft, getestet oder genesen ist. Doch wie klappt es mit der Einhaltung und der Kontrolle von 3G. Die Redaktion machte die Probe aufs Exempel und fuhr zwischen 11:30 Uhr und 16:30 Uhr mit Bussen und Bahnen quer durch die Stadt.

Unterwegs war sie mit den Straßenbahnlinien 102, 104 und 112 zwischen Hauptfriedhof Und Nordstraße beziehungsweise Hauptfriedhof und Styrum sowie zwischen Uhlenhorst und Oberdümpten. Außerdem bestiegen wir die Buslinien 131 und 752 zwischen Hauptbahnhof und Selbeck. Abgerundet wurde unsere Ruhrbahn-Tour durch Fahrten mit den Buslinien 124 und 122 zwischen Speldorf, Hauptbahnhof und Dümpten.


Resümee: Nur einmal, um 13:15 Uhr, wurden wir in der Buslinie 752 von zwei freundlichen Ticketkontrolleuren der Ruhrbahn kontrolliert. Die Frau und der Mann von der Ruhrbahn traten höflich und zurückhaltend auf, so dass man ihre regelmäßige Schulung in psychologischer Gesprächsführung spüren konnte. Die Kontrolleurin schlechte zwischendurch noch einen Streit zwischen zwei Schülerinnen, „Seid mal etwas freundlicher Zueinander!“, ehe sie sich von den streitbaren jungen Damen ihre Schülerfahrkarte und ihren Schülerausweis zeigen ließ. Außerdem erkundigte sie sich bei den beiden danach, ob sie auch in der Schule getestet worden seien, was beide bejahten.


Die älteren Fahrgäste jenseits des schulpflichtigen Alters zeigen alle viel Verständnis und ihre Personalausweise, Fahrkarten und 3G-Nachweise vor. 


Nach Auskunft der Ruhrbahn, waren in der Frühschicht zwei Prüferteams im Einsatz, die insgesamt 3000 Fahrgäste kontrollierten und dabei 73 Fahrgäste ohne 3G-Nachweis des Busses oder der Straßenbahn verweisen mussten.

Auch unter den Fahrgästen spielte das Thema Coronatests, Coronaimpfungen und 3G-Regeln nicht nur im öffentlichen Personennahverkehr eine große Rolle. Von Bußgeldern von bis zu 1000 Euro für die Fahgäste, die ohne 3G-Zertifikat mit Bus oder Bahn fahren, war dort zum Teil die Rede. Doch auf Anfrage erklärte Ruhrbahn-Sprecherin Sylvia Neumann. „Wir registrieren die Verstöße gegen die 3G- Regeln im öffentlichen Personennahverkehr und geben die Zahlen an die Stadt weiter. Bei einem Verstoß belassen es aber vorerst bei der Ermahnung und dem Verweis der regelwidrig handelnden Fahrgäste, die ohne 3G-Nachweis den Bus oder die Bahn sofort verlassen müssen.


Pro Schicht setzt die Ruhrbahn fünf Prüferteams ein. Sie bestehen in der Regel aus jeweils aus zwei bis drei Personen.


Aus den Rückmeldungen der am ersten 3G-Tag im ÖPNV eingesetzten Prüferteams konnte Ruhrbahn-Sprecherin Neumann kurz nach 16:00 Uhr im Gespräch mit dieser Zeitung feststellen:“ Alle kontrollierten Fahrgäste haben verständnisvoll reagiert. Es gab keine verbalen oder handgreiflichen Tätlichkeiten, mit denen sich die Kontrolleure hätten auseinandersetzen müssen.“


Außerdem, so Neumann,  hätten die Kontrolleure schon im Vorfeld der sehr kurzfristigen Einführung der 3G-Regel für Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr gelassen auf die zusätzliche Überprüfungsaufgabe reagiert. In der Praxis zeigte es sich tatsächlich, dass es kein großer zeitlicher Mehraufwand war, neben den Fahrkarten auch Personalausweise und 3G-Zertifikat der Passagiere zu kontrollieren.


Was während der Schülerverkehre am frühen Nachmittag auffiel, war die Tatsache, dass sich einige Schüler an die auch per Lautsprecher immer wiederholten Durchsagen zur Maskenpflicht an Bord nicht oder nur unzureichend daranhielten. Da wurden die Nasen- und  Mundschutzmasken auch schon mal unter der Nase und am Kinn getragen, um ungestört mit dem Sitznachbarn zu lamentieren und zu schwadronieren. Das kann gerade in den überfüllten Bus- und Bahnlinien zu den klassischen Stoßzeiten tatsächlich gefährlich werden und sollte vielleicht noch einmal zum Unterrichtsthema gemacht werden.


Tatsächlich ist es einem als Fahrgast schon nicht ganz wohl zumute, wenn man in Coronazeiten dicht an dicht beieinanderstehen und sitzen muss. Dabei zeigten sich die Fahrgäste geteilt, was Ihre Maskenpräferenz Betraf. Etwa je zur Hälfte trugen sie eine leichte OP Maske oder eine besser schützende, aber auch atemundruchlässige  FFP-2-Maske. Die einzigen, jetzt noch von Amts wegen in Bussen und Bahnen ohne Masken weiterfahren dürfen, sind die Bus und Bahnfahrer, die durch ihre Fahrerkabine oder zumindest durch eine Plexiglasscheibe in besonderer Weise geschützt sind. Tatsächlich kann einem schon mal kurzatmig werden, wenn man über Stunden mit einer FFP-2-Maske in Bus oder Bahn durch die Stadt fährt. Und man ist dankbar für jede Haltestelle, an der man aussteigen und verschnaufen kann. Wie am Vortag, wurden auch am 24. November regelmäßig an den Haltestellen die neuen 3G-Regeln im Öffentlichen Personennahverkehr durchgesagt. 

 

INFO: Die 2017 gegründete Ruhrbahn befördert jährlich 142 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Nach Angaben des Verkehrsunternehmens, dessen örtliche Vorläufer bereits seit 1897 in Essen und Mülheim unterwegs sind, ist die Zahl in der aktuellen Corona-Welle im Vergleich zum normalen Vor-Corona-Fahrgast-Aufkommen um etwa zehn Prozent gesunken. Weitere Informationen zum Thema Ruhrbahn und 3G-RRegeln im Öffentlichen Personennahverkehr bietet die Internetseite der Ruhrbahn: www.ruhrbahn.de


NRZ/WAZ, 26.11.2021

Sonntag, 28. November 2021

Verkehrsregeln fürs Leben

Als ich jetzt für diese Zeitung eine Reportage-Reise mit den Mülheimer Bussen und Bahnen machte, um mitzuerleben, wie Damen und Herrn der Ruhrbahn die Fahrgäste nicht nur nach ihren Fahrkarten, sondern auch nach ihren Impfzertifikat fragten, kam mir der Gedanke, dass es schade ist, dass es seit gut 50 Jahren  unserem öffentlichen Personennahverkehr keine Schaffnerinnen und Schaffner mehr verkehren. Jene dienstbaren Mitfahrer, die nicht die Straße, sondern die Fahrgäste im Blick hatten, konnten diese nicht nur vor dem Sündenfall des Schwarzfahrens bewahren, sondern sie auch jenseits des Beförderungstarifs in der Spur halten konnten. Ich glaube: Bei der Ruhrbahn gibt es Leute, die meine Wehmut teilen. Denn in der Warteschleife der Ruhrbahn-Telefonzentrale kann man ein Lied hören, in dem eine „liebe kleine Schaffnerin“ und ihr Fahrgast miteinander turteln. Wer weiß, wie viele Männer und Frauen, als Schaffner(in) oder Fahrgast, im gemeinsamen öffentlichen Nahverkehr auf einen gemeinsamen Lebensweg gekommen sind. Kein Wunder: Denn im zwischenmenschlichen Verkehr der Geschlechter und auf der gesamten Lebensreise kommt es  auf dieselben Tugenden an: Vorsicht, vor den Trittbrett- und Geisterfahrern, nicht aus dem Takt kommen und sein Ziel im Auge behalten, damit am Ende den Anschluss hält und an sein Ziel kommt, statt in eine Sackgasse oder auf einen Holzweg zu landen.


NRZ, 26.11.2021

Samstag, 27. November 2021

Corona stoppt den Karneval

 Das Corona-Virus ist leider stärker als der Bazillus Carnevalensis. Aufgrund der extrem angestiegenen Infektionszahlen haben die Vorstandsmitglieder des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval in einer Krisensitzung am 22. November die für den 24. November geplante Ritterkür des Ex-Prinzen, Ex-HA-Präsidenten und langjährigen Leiters des Rosenmontagszuges, Ulrich Pütz und auch die Verleihung der Spitzen Feder an Dr, Heinrich-Wilhelm Esser (Doc Esser) im Rahmen des am 27. November geplanten Prinzenballs abgesagt.


"Die Enttäuschung ist bei allen Karnevalisten groß und bei den Tollitäten, die wir am 11.11. im Saarner Autohaus Wolf proklamieren konnten, ist sie besonders groß. Aber das Infektionsrisiko ist angesichts der aktuellen Corona-Welle für uns nicht mehr beherrschbar. Deshalb wäre eine Durchführung der beliebten Veranstaltungen in der Stadthalle, auf die wir lange hingearbeitet haben, nicht verantwortbar gewesen", erklärt HA-Präsident und Ex-Prinz Markus Uferkamp im Gespräch mit der Mülheimer Woche.

Finanziell und moralisch schwierig


Obwohl die Mülheimer Stadtmarketing- und Tourismus-Gesellschaft MST als Stadthallenvermieterin auf rechtlich mögliche Regressansprüche wegen der entgangenen Mieteinnahmen verzichtet hat, sieht sich Mülheims Chefkarnevalist bereits ersten Regressansprüchen ausgesetzt. Da die Karnevalisten aufgrund des Veranstaltungsausfalls auch einen erheblichen Einnahmenausfall haben, können sie die mit Unterhaltungskünstlern vertraglich vereinbarten Gagen für deren Prinzenball-Auftritt nicht bezahlen. "Hier müssen wir sehen, wie wir weiterkommen. Aber ich befürchte, dass wir nicht alle Kosten, die wir unter ganz anderen Bedingungen vertraglich vereinbart hatten, aus den Beinen bekommen. Denn wir haben den Prinzenball aus unserer eigenen Verantwortung heraus und nicht aufgrund einer rechtlich vorliegenden Verordnung abgesagt", erklärt Uferkamp. Die Rechtslage könnte sich aber noch einmal zugunsten der Karnevalisten drehen, wenn das Land kurzfristig einen Lockdown für Ungeimpfte verhängen sollte.

Und wie geht es mit dem Karneval weiter? "Das weiß ich im Moment auch nicht, obwohl wir vorerst alle Veranstaltungen weiter vorbereiten, die ab Januar 2022 stattfinden sollen", betont der HA-Präsident. Feststeht, dass die jetzt ausgefallenen Veranstaltungen Ritterkür und Prinzenball, inklusive Verleihung der Spitzen Feder an Doc Esser im November 2022 über die Bühne gehen sollen. Ob aber die am 9. Januar 2022 im Dümptener Autohaus Extra geplante Proklamation der Kindertollitäten stattfinden kann, ist angesichts der aktuellen Pandemie-Lage mehr als ungewiss. "Wir entscheiden zeitnah und lagebezogen", betont Markus Uferkamp.

Wie gefährlich die aktuelle Infektionssituation ist, hat Uferkamp die Nachricht vor Augen geführt, dass es auch unter den mölmschen Karnevalisten inzwischen Corona-Infizierte gibt, die sich mit zwei Impfungen eigentlich auf der sicheren Seite gesehen hatten.

MW, 23.11.2021

Freitag, 26. November 2021

Heiliges Blech

 In einer Zeit, in der sich alles in unserem Land schnell verändert, gibt es doch eine Konstante. Das Auto ist und bleibt des Deutschen liebstes Kind, auch und gerade, wenn er aus Mülheim kommt. Das sieht man in unserer Stadt. So mancher lässt vielleicht Frau und Kinder im Regen stehen, aber nicht sein geliebtes Auto. Da müssen zur Not auch schon mal ein oder zwei Garagen her. Und wenn die Garagen nicht mehr ausreichen, weil auch Kind und Kegel nicht mehr ohne Auto leben können und ein dritter Wagen angeschafft worden ist, dann wird der motorisierte Vierräderer auf den Bürgersteig geparkt. Es wäre ja auch zu schlimm, wenn dem geliebten Vehikel, dass unvorsichtiger Weise am Fahrbahnrand abgestellt würde, ein Blechschaden zustoßen könnte, weil die Straßen ja heutzutage so voll und die Autos kaum noch durch die beidseitig beparkten und viel zu engen Straßen. Da müssen Fußgänger schon mal solidarisch auf die Fahrbahn ausweichen und ein Opfer bringen, indem sie sich in potenzielle und punktuelle Lebensgefahr bringen. Etwa Solidarität wird man ja wohl noch einfordern können, als steuer- und Spritpreise- zahlender Autofahrer, um den einen oder anderen teuren Kratzer am Heiligen Blech abzuwenden. Wir lamentieren über Mord und Totschlag in aller Welt, über Klimawandel, über Staus und den schlechten Zustand unserer Straßen oder über das teure Zuschussgeschäft leerer Busse und Bahnen. Aber die jährlich zig Verkehrstoten nehmen wir als Naturgesetz der motorisierten Mobilität hin. 

Und wenn wir erst mal einsteigen, den Schlüssel umdrehen und aufs Gaspedal treten, sind wir scheinbar aller Sorgen ledig, wenn wir die freie Fahrt des freien Bürgers genießen und nach dem Prinzip leben: Ich fahre, also bin ich. Nach mir die Sintflut. 


NRZ, 22.11.2021

Freitag, 19. November 2021

Gut erklärt

 Klimawandel. Das Wort ist in aller Munde. Aber was ist das? Und was bedeutet es für unser Leben? Das zu verstehen und überzeugend zu erklären, fällt selbst Politikern und Diplomaten schwer. Der UN-Klima-Gipfel in Glasgow zeigt es. Umso aktueller und bemerkenswerter ist jetzt die gerade erst im Haus Ruhrnatur auf der Schleuseninsel installierte Klimastation.

Mit zwei Globen und einem interaktivem Computer-Monitor können sich Besucher im Haus Ruhrnatur der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft RWW ein Bild vom Klimawandel machen und ausprobieren, wie man den Anstieg der Temperatur begrenzen und damit das Leben auf unserem, im Weltall-Maßstab, kleinen blauen Planeten lebenswert erhalten kann.
 

Ungewöhnliche Perspektive

Zwei, von RWW-Drohnen, aufgenommene Kurzfilme, die uns die vom Starkregen-Hochwasser überschwemmte Schleuseninsel und ihre so beeinträchtigte Flora und Fauna von oben zeigen, machen die aktuellen Folgen des Klimawandels ebenso anschaulich, wie die aufheizbaren Globen. "Wir könnten mit unserer Klimastation nicht aktueller sein", freut sich Christa Schrangmann, die mit ihrer Kollegin Stefanie Krohn die umweltpädagogische Arbeit im 1992 eröffneten Haus Ruhrnatur verantwortet.

Schragmann lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Anschaulichkeit, Plausibilität und Attraktion der neuen Klimastation im ersten Obergeschoss des Haus Ruhrnatur nicht nur den Ideen des Ruhrnatur-Teams Schragmann und Krohn, sondern vor allem auch der technischen Umsetzung durch die Nürnberger Fachfirma Hüttinger zu danken ist. Das vor 100 Jahren von Emanuel Hüttinger als Ingenieurbüro gegründete Unternehmen ist heute auf interaktive Ausstellungs- und Präsentationstechnik für Museen und Wissenschaftszentren spezialisiert.

Interaktives Planspiel

Und so kann man mithilfe der interaktiven Klimastation im Haus Ruhrnatur genau sehen und auch fühlen, was es bedeutet, wenn man zum Beispiel weniger oder mehr CO2 in die Atmosphäre pustet oder wenn man mit dem Fleischkonsum auch den von Rindern und Schweinen verursachten Ausstoß des klimaschädlichen Methangases reduziert.

Ironie der Geschichte: Dass das Haus Ruhrnatur der RWW bis auf weiteres nur auf einem Umweg über die Kassenbergbrücke erreichbar ist eine unmittelbare Folge des Klimawandels, der mit seinem Starkregen und Hochwasser die Schleuseninsel verwüstet und damit zu einem Umwelt-Rekonvaleszenten gemacht hat, der jetzt nach einer schweren schockartigen Krankheit erst mithilfe langwieriger Operationen wieder fit gemacht und auf die Beine gestellt werden kann.

Das Haus Ruhrnatur der RWW auf der Schleuseninsel, das in seinem ersten Leben, ab 1922, ein Bootshaus und eine Bootswerkstatt war, ist sonntags bis dienstags von 10 bis 18 Uhr für Besucher geöffnet und unter: www.haus-ruhrnatur.de im Internet zu finden. Eine Anmeldung für Gruppenführungen ist unter der Rufnummer: 02084433380 möglich.


MW/LK, 17.11.2021

Dienstag, 16. November 2021

Um Ankunft wird gebeten

 Als Inhaber einer Monatskarte bin ich regelmäßiger Fahrgast der Ruhrbahn. Doch am Samstagabend beförderte sie mich nicht von A nach B, sondern machte mir Beine.


Nachdem ich in jüngster Vergangenheit auch schon Mal an der Haltestelle Mendener Brücke vom Fahrer der Buslinie 753 link liegen bzw. stehen gelassen wurde, glänzte die Linie jetzt durch gänzliche Abwesenheit und zwang mich zu vorgerückter und entsprechend dunkler Stunde zu Fuß den Heimweg anzutreten.

Insofern leistete die Ruhrbahn, nach dem sie mit ihrem nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal abschreckenden Service meinen Blutdruck in die Höhe schnellen ließ, mit meiner erzwungenen Bewegung an der frischen Luft einen Beitrag zu meiner Gesunderhaltung. Doch für die Zukunft, liebe Ruhrbahner, würde es mich als ihr zahlender Fahrgast noch glücklicher und gesünder machen, wenn Sie ihre in Aussicht gestellte Transportdienstleistung zur jeweils angezeigten Zeit auch tatsächlich ausführen und mir die Entscheidung, wann ich zu Fuß gehen will, selbst überlassen würden.

NRZ, 15.11.2021 

Montag, 15. November 2021

Ein Pastor geht, um zu bleiben

 1993 kam der Norddeutsche Ekkehart Vetter aus Stade als Pastor In die Evangelisch freikirchliche Christusgemeinde. Jetzt wurde er von seiner Gemeinde In den Ruhestand verabschiedet.

"Ich bleibe aber in der Gemeinde und werde künftig ehrenamtlich statt hauptamtlich mitarbeiten. Doch jetzt gönnen meine Frau Sabine, die ebenfalls in der Gemeinde mitarbeitet, und ich uns erst mal  eine Ruhe- und Reise-Pause!", sagt der Pastor a.D. Im Gespräch Mit der Mülheimer Woche.

Generationsübergreifend

Dass die an der Uhlandstraße im Dichterviertel ansässige Gemeinde unter seiner Führung neue Mitglieder hinzugewonnen hat und heute wieder eine generationsübergreifende und internationale Gemeinde vom Kind bis zum Senior ist, führt Vetter nicht nur auf sein eigenes Engagement zurück. "Da steckt immer ein ganzes Team hinter, das sich einbringt. 

Also Pastor hat er immer wieder die Erfahrung gemacht, "dass sich Gemeindemitglieder gerne engagieren, wenn sie erkennen, dass eine Sache Für sie persönlich wichtig wichtig Ist und es sich deshalb für sie lohnt, Zeit und Arbeit zu investieren." Das gelte sowohl für die Gestaltung von Gottesdiensten, wie auch für die geistlichen Connect-Freundeskreise der Gemeinde, als auch für Entwicklungshilfeprojekte, Eltern-Kind-Gruppen und für die Flüchtlingsarbeit der Gemeinde. Letztere reichte von der Sprachschule bis zum Kirchenasyl.

Immer wieder hat die freikirchliche Gemeinde an der Uhlandstraße auch ihre Türen geöffnet und ihrem schönen Gemeindesaal, der ein bisschen an einen Theater- und Kinosaal erinnert zum Beispiel für Konzerte zu öffnen. 

Aufgeschlossen bleiben

Mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft der aktuell 250 Mitglieder zählenden und rein spendenfinanzierten Christusgemeinde sagt Vetter: "Wir sind im Kern eine sehr bürgerliche großfamiliäre Gemeinde, die bisher nur einen Ausschnitt der Gesellschaft erreicht. Auch wenn wir auf diesem Weg schon Fortschritte gemacht haben, müssen wir weiter daran arbeiten, dass sich die gesamte gesellschaftliche Spannbreite in unserer Gemeinde widerspiegelt. Das auch schon die Urchristen Vor dieser Gesellschaftlichen Integrationsaufgabe standen, macht Vetter mit einem Wort des Apostel Paulus deutlich: "Ob Männer, Frauen, Griechen oder Juden. Wer ihr auch seid! Ihr seid alle eins in Christus!"

Dass Ekkehart Vetter mit seinem beruflichen Lebensbeispiel als Pastor auch in die eigene Familie hinein gewirkt hat, zeigt die Tatsache, dass drei seiner sechs Kinder inzwischen beruflich in der freikirchlich-evangelischen Gemeinde und Entwicklungshilfearbeit tätig sind. Für den sichtbar in sich ruhenden Gottesmann und Familienmenschen Eckhard Vetter steht außer Frage, dass kirchliche Gemeindearbeit nur dann gesellschaftlich anschlussfähig bleibt, wenn Sie sich immer wieder vorurteilsfrei den sozialen und seelsorgerischen Aufgaben der Gegenwart öffne.

Wie sich die Corona-Pandemie langfristig auf das Gemeindeleben auswirkt, wagt Vetter noch nicht zu beurteilen. "Einige Gemeindemitglieder haben sich zurückgezogen", so Vetter, "und sind nicht mehr so präsent. Auf der anderen Seite haben wir durch unsere bereits früh begonnenen Livestreaming-Gottesdienste auch neue Mitglieder gewonnen, die sich gesagt haben: 'Ich möchte jetzt doch mal das Original kennenlernen!'" 

Mit Vetters Pensionierung übernimmt sein Nachfolger Clemens Pust, der bereits seit 15 Jahren zum Leitungsteam der Gemeinde gehört, seine Nachfolge als Pastor. Gleichzeitig hat die Christusgemeinde mit Ramanan Sivasothy einen hauptamtlichen Mitarbeiter für die Bereiche Jugendarbeit und Musik eingestellt.


MW/LK 15.11.2021

Sonntag, 14. November 2021

Wir sind noch zu retten

 

„Ich bin grundsätzlich optimistisch, was die Zukunft der Menschheit betrifft, weil die Menschen leben wollen!“ Das war die zentrale Botschaft, die die Umweltaktivistin Dr. Monika Griefahn am Sonntag (7. November) als Kanzelrednerin in der Petrikirche vermittelte.

Die 1954 in Mülheim geborene und in Holthausen aufgewachsene Sozialdemokratin nutzte ihre Kanzelrede für ein engagiertes Pladoyer zugunsten einer ökologisch nachhaltigen Kreislaufwirtschaft: „Wir müssen dazu kommen, dass wir Dinge nicht mehr besitzen, sondern nur noch nutzen und sie, wenn wir nicht mehr brauchen, nicht einfach auf den Müll werfen, sondern an die Hersteller zurückgeben, von denen wir sie erworben haben, so dass diese die knappen Rohstoffe wiederverwenden können und damit auch selbst ein Interesse an einer funktionierenden Kreislaufwirtschafen haben“, sagte die Sozialdemokratin, die im vergangenen Jahr als SPD-Kandidatin versucht hatte, Oberbürgermeisterin ihrer ersten Heimatstadt zu werden. Die Natur, so Griefahn, mache es uns vor. Sie kenne keinen Müll, sondern verwerte alles, angefangen beim Herbstlaub und dem vermodernden Apfel, immer wieder weiter.

Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann bei Lüneburg, bleibt aber weiter eng mit Mülheim verbunden, weil ihre Tochter einen Mülheimer geheiratet hat. Die ehemalige niedersächsische Umweltministerin, die auch dem Deutschen Bundestag angehört hat. machte in ihrer Kanzelrede deutlich, dass Umwelt- und Klimaschutz in der Kommunalpolitik beginne, wenn es zum Beispiel um Stadtplanung (Stichwort: Flächenverbrauch), Energiewende (Stichwort: Photovoltaik-Dächer) und Mobilitätswende (Stichwort: Öffentlicher Personennahverkehr, Geh- und Radwege) gehe.

Die seit ihrer Jugend in der Evangelischen Kirche aktive und als Studentin von der Evangelischen Kirche geförderte Sozialwissenschaftlerin unterstrich in ihrer Kanzelrede, „dass der Schutz der Erde und unserer Lebensgrundlagen nicht nur im Christentum, sondern auch im Judentum und im Islam zu den elementaren Geboten gehören.“

Pfarrer Justus Cohen hatte in seiner Begrüßung und in seinen Dankesworten daran erinnert, dass Monika Griefahn schon als Jugendliche bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aktiv gewesen sei und später zu den Mitgründern und Aktivistinnen von Greenpeace Deutschland gehört habe. Cohen würdigte ihr Engagement als einen Beitrag dazu, „dass das Wort der Frohen Botschaft von der Bewahrung der Schöpfung Fleisch geworden ist.“ Griefahn, so Cohen, lebe „uns vor, dass aus Wissen auch Handeln werden kann und werden muss.“

Griefahn erinnerte sich an die Wurzeln ihres Engagements, indem sie berichtete: „Als Kind litt ich aufgrund der damals schlechten Luft im Ruhrgebiet unter ständigem Husten. Deshalb musste ich schon als Fünfjährige in ein Kinderheim an die Nordsee verschickt werden, um mich dort an der frischen Luft zu erholen. Schon damals habe ich mich gefragt, warum ich nicht auch zuhause an der Ruhr frische Luft haben kann.“

 

Dass die 1961 vom damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt verkündete Utopie: „Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden!“ inzwischen Wirklichkeit geworden sei, wertete Griefan als Hoffnungszeichen, dass auch heute ein noch unvorstellbarer Fortschritt in Sachen Klima- und Umweltschutz möglich sei. Im Gespräch mit dieser Zeitung machte Monika Griefahn deutlich, dass sie die Zukzunft ihres politischen Engagements als Umwelt- und Menschenschützerin außerhalb der Parteipolitik sieht.

INFO: Aufgrund der Corona-Pandemie konnten nur 54 Gottesdienstbesucher persönlich in der Petrikirche die Kanzelrede Monika Griefahns verfolgen. Die technisch versierten Gemeindemitglieder Jost Schenk und Matthias Turck sorgten aber im Seitenschiff der Kirche dafür, dass der Gottesdienst und mit ihm die Kanzelrede via Internet auf der Homepage der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde (www.vek-muelheim.de) live übertragen werden konnte. Wer mehr über Monika Griefahn und ihr vielseitiges Engagement erfahren möchte, kann dies auf ihrer Internetseite: www.monika-griefahn.de

 NRZ/WAZ 08.11.2021

Botschafterin der Frohen Botschaft

 Am 6./7. November wählen die katholischen Christen ihre Kirchenvorstände und Pfarrgemeinderäte! Deshalb sprach diese Zeitung mit der Leiterin der Styrumer Gemeinde St. Mariae Rosenkranz, Sigrid Geiger (58) darüber, warum sie sich in der Kirche engagiert und darüber, was für die Stadtkirche zur Wahl und zur Entscheidung steht.

Viele Menschen verlassen die katholische Kirche. Sie engagieren sich in dieser Kirche.

Geiger: Abgesehen davon, dass die Kirche mein Arbeitgeber ist, sehe ich meine Arbeit als meinen Traumberuf, in dem ich mich verwirklichen kann, weil mir die Menschen in dieser Gemeinde am Herzen liegen und ich sie mit dem Evangelium Jesu Christi und der Liebe Gottes in Berührung bringen.

Viele Menschen halten den christlichen Glauben für überholt.

Geiger: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man an Gott glaubt, eine besondere Kraftquelle hat, mit der man die Höhen und Tiefen des Lebens besser durchstehen kann.

Worum geht es bei den Kirchen-Wahlen am Wochenende?

Geiger: Für die drei Mülheimer Pfarrgemeinden St. Barbara, St. Mariä Himmelfahrt und St. Mariae Geburt werden jeweils ein Kirchenvorstand und ein Pfarrgemeinderat gewählt. Der Kirchenvorstand ist die offizielle Vertretung seiner Pfarrgemeinde. Seine Mitglieder entscheiden über alle finanziellen, wirtschaftlichen, rechtlichen, personellen und bautechnischen Fragen, die die Pfarrgemeinde betreffen. Die Mitglieder des Pfarrgemeinderates beraten und gestalten das Gemeindeleben in pastoralen und sozialen Fragen.

Was ist diesmal anders?

Geiger: Es werden nur noch drei Pfarrgemeinderäte und keine Gemeinderäte mehr gewählt. Stattdessen können sich in den Gemeinden pastorale Teams bilden, in denen alle interessierten Gemeindemitglieder, je nach ihrer persönlichen Neigung, mitarbeiten können, um dem Gemeindeleben neue Impulse zu geben.

Was bedeutet das zum Beispiel für Ihre Gemeinde, die eine von fünf Gemeinden der Pfarrei St. Barbara ist?

Geiger: Wir wählen auf Gemeindeebene. Das heißt:Jede Gemeinde (St. Barbara, St. Engelbert, St, Mariae Rosenkranz, Christ König und die Kroatische Gemeinde wählen jeweils zwei Vertreter in den neuen Pfarrgemeinderat, der weitere sachkundige Gemeindemitglieder berufen kann. Gleichzeitig werden sechs der zwölf Kirchenvorstände für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Der Kirchenvorstand einer Pfarrgemeinde wird jeweils nur zur Hälfte neu gewählt, um eine größere Kontinuität in der Leitung der Pfarrgemeinde herzustellen.

Wie wirkt sich der seit 2015 laufende Pfarreientwicklungsprozess aus?

Geiger: In kann nur so viel sagen. Wir werden mit weniger Geld und mit weniger Gebäuden auskommen müssen. Die Finanzzuweisungen des Bistums werden weiter zurückgehen. Die Pfarrgemeinden werden immer enger zusammenrücken und vieles gemeinsam machen. Wichtig ist, Sicht, dass es vor Ort kirchliche Orte gibt, an denen Menschen, die auch ihren Alltag miteinander verbringen, auch ihren Glauben teilen können. Ob man das dann noch Kirche oder Gemeindezentrum nennt, ist zweitrangig. Im Zukunftsbild unserer Kirche ist die Nähe zu den Menschen als Ziel verankert. Nähe kann man nicht erreichen, wenn man alles zentralisiert.

Sehen Sie sich in dieser Entwicklung als Gemeindeleiterin als Lückenbüßerin in einer Kirche, die Frauen bisher die Priesterweihe verweigert?

Geiger: Ich glaube, dass die katholische Kirche über kurz oder lang Frauen zu Priesterinnen weihen wird, weil sie einen akuten Priestermangel hat und weil sie gesellschaftlich anschlussfähig sein muss. Wir würden als Kirche glaubwürdiger und könnten Menschen auch besser ansprechen und mitnehmen, wenn wir auch Frauen zum Priesteramt zuließen. Auch theologisch ist das rein männliche Priesteramt, das mit den Machtstrukturen der Kirche entstanden ist, nicht haltbar. Denn Gott hat den Menschen als Frau und Mann geschaffen. Und als getaufte Christen sind wir alle zu priesterlichem Handeln berufen. Schon heute haben wir uns als Kirche, unter dem Eindruck der Missbrauchsfälle auf einen synodalen Weg begeben, auf dem, unter Einbeziehung der Laien,  in Arbeitskreisen, wie „Frauen in der Kirche“, „Umgang mit Macht“ oder „Leben der Priester“, die strukturellen Gründe beleuchtet werden, die die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche möglich gemacht haben. 


ZUR PERSON: Die vierfache Mutter Sigrid Geiger (58) kam 2010 als Gemeindereferentin in die Styrumer Gemeinde St. Mariae Rosenkranz, die sie seit 2013 leitet. Damit gehört die 58-Jährige zu einer wachsenden Gruppe von derzeit rund 30 Frauen im Bistum Essen. Als Gemeindeleiterin vertritt Geiger ihre Gemeinde in allen städtischen und kirchlichen Gremien. Sie arbeitet als geistliche Begleiterin und Seelsorgerin, gestaltet Wortgottesdienste, begleitet und betreut die ehrenamtlich Mitarbeitenden der Gemeinde und stellt zusammen mit den Pastören der Nord- Pfarrei St. Barbara deren Dienstpläne auf, wenn es um das Feiern von Gottesdiensten, Taufen, Trauungen und Beerdigungen geht. Damit steht Geiger in der langen Tradition jener Frauen, die in der christlichen Urkirche den Glauben verkündet und die Gemeinden geleitet und später auch als Kirchenlehrerin theologisch inspiriert haben.


NRZ/WAZ, 06.11.2021

Freitag, 12. November 2021

Elfter im Elften

 Der 11.11. ist nicht nur der Sankt-Martins-Tag, sondern auch der erste Tag der Fünften Jahreszeit. Der Elfte im Elften als Sessionsauftakt geht auch auf den Todestag des heiligen Martin von Tours zurück, gestorben 397. Da der Bischof aus unserer französischen Partnerstadt, der auch Namenspatron einer Mülheimer Grundschule ist, unter anderem Schutzheiliger der Winzer und Wirte ist. Von wegen: „Schnaps, das war sein letztes Wort!“ Hinzu kommt, dass die 11 nicht nur als Schnapszahl gilt, sondern es auch 11 Apostel waren, die Jesus nicht verrieten und die ausgeschriebene Elf auch für die Losung der Französischen Revolution von 1789: „Gleichheit, Freiheit Brüderlichkeit“ (französisch: „Égalité, liberté, fraternité » In den 1950er Jahren weckten die mölmschen Karnevalisten ihren Hoppeditz auf dem Rathausmarkt, ehe sie in den 1960er Jahren mit ihrer Prinzenproklamation in den Festsaal der Stadthalle eingezogen. Mülheims erster Stadtprinz war 1958 der Brauer Erich Ibing, Erst ab Mitte der 1960er Jahre gönnten sich die mölmschen Jecken dann auch eine Stadtprinzessin und einen Kinderprinzen. Anders, als in der Karnevalshochburg Köln, beginnt die Session in Mülheim aber nicht schon am 11.11. um 11.11 Uhr, sondern erst mit der Prinzenproklamation um 19.30 Uhr. Aus finanziellen Gründen proklamieren die mölmschen Jecken ihre närrischen Regenten diesmal nicht im Festsaal der Stadthalle, sondern im Autohaus Wolf an der Düsseldorfer Straße 261 in Saarn. Zwei Tage nach der Prinzenproklamation und dem Hoppediz Erwachen, diesmal mit den Tollitäten Kevin und Tamara (Bongartz) unter dem Sessionsmotto: „Kunterbunte Mölmsche Welt, wir machen sie wie’s uns gefällt“ stellen die Jecken am 13. November um 11.11 Uhr mit Musik und Tanz am Kurt-Schumacher-Platz ihren Narrenbaum mit den Wappen der aktuell zwölf Karnevalsgesellschaften auf.


NRZ/WAZ, 10.11.2021

Donnerstag, 11. November 2021

Ein Exportschlager kommt zurück

Von Saarn nach England und wieder zurück. So lässt sich die Geschichte der Kirmesorgel zusammenfassen, die die Gebrüder Wellershaus anno 1906 in ihrer Orgelwerkstatt an der Düsseldorfer Straße gebaut haben und die Schausteller Albert Ritter bei der Saarner Kirmes der interessierten Öffentlichkeit vorstellen wird.

Schon vor 30 Jahren, so lange gehört Ritter auch schon zur Gemeinschaft der Saarner Schausteller, erstand er bei einem historischen Jahrmarkt einen Orgelwagen, Baujahr 1919. Nur eine entsprechende Kirmesorgel fehlte ihm.  Auf sie wurde er durch einen Schaustellerkollegen gestoßen, der sich, ebenso wie Ritter, „für das Kulturgut Kirmesorgel“ begeistern kann.
Das Angebot, dem Ritter nicht widerstehen konnte, führte ihn im Juni 2015 in den Stall eines englischen Geflügelzüchters, der ihm dort auf der Wellershausorgel „Das ist die Berliner Luft“ und „Puppchen, du bist mein Augenstern“ intonieren konnte.

Inzwischen hat sich Ritter 48 weitere Liederbücher besorgt, die wie eine Lochpappe aussehen und von der Orgelwalze wie von einem Orchester in 56 Tonstufen zum Klingen gebracht werden. „Radetzky-Marsch“ oder „Schneewalzer“ gefällig?

„Die bis zum Ende der 50er-Jahre in Saarn gebauten Wellerhaus-Orgel wurden nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch nach USA verkauft“, weiß Ritter vom englischen Vorbesitzer und von seinem historisch bewanderten Schausteller- und Kirmes-Orgel-Fan Henning Ballmann. Die Firma Wellerhaus war zuletzt, noch bis in die frühen 80er-Jahre, als Musikalien- Instrumentengeschäft in Saarn ansässig.
Der englische Vorbesitzer der Saarner Wellerhaus-Orgel – der dort lebt, wo Fernseh-Inspector Barnaby seine Mordfälle löste, nämlich in Wallingford in der Grafschaft Oxfordshire – erzählte Ritter auch, dass die Kirmesorgel früher als Konzert- und Tanzorgel auf einem  Grachtenschiff in Amsterdam für Musik sorgte.

Davor, so lässt ein altes, verwaschenes Foto aus den 20er-Jahren vermuten, muss das gute Stück einem rheinischen Schausteller gehört haben. Er war wohl auch ihr erster Besitzer, der die Orgel 1906 in Saarn erworben haben dürfte.

Dass sich Albert Ritter für die alte Kirmesorgel aus Saarn begeistert, überrascht nicht, da er bereits die fünfte Schausteller-Generation seiner Familie repräsentiert. Und die sechste Generation ist bereits in der fahrenden Familienfirma aktiv. 

Heute wird in Ritters Kirmesgastronomie  eingekehrt. Die Vorfahren waren ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst mit einer Schaubude und später auch mit einem mobilen Kino unterwegs. 

Doch Mitte der 70er-Jahre war die Zeit den Kinematographen sowie des stärksten Mannes der Welt und der Frau ohne Unterleib abgelaufen. Ritters Eltern wechselten deshalb vom traditionellen Schaustellergewerbe in die zünftige Kirmes-Gastronomie, mit der Familie Ritter heute an jährlich 120 Kirmestagen in ganz Nordrhein-Westfalen für Gemütlichkeit auf dem Jahrmarkt sorgt.
Mit Blick auf seine Wellerhaus-Orgel ist Albert Ritter davon überzeugt: „Kirmes- und Konzertorgeln sind ein Kulturgut, dessen Erhaltung absolut förderungsbedürftig und  förderungswürdig wäre. Deshalb hat der 62-jährige Schausteller und Orgelbesitzer für den 9. Juli  andere Schausteller und Orgelbesitzer aus ganz Deutschland zu einem Orgeltreffen zur Saarner Kirmes eingeladen, die diesmal nicht auf dem Saarner Kirmesplatz, sondern vom 8. bis zum 11. Juli auf dem Stadthallen-Parkplatz über die Bühne gehen wird. Albert  Ritter, Vorsitzender des Schaustellerverbandes Essen-Mülheim, rechnet dort mit insgesamt rund 80 Kollgen, die alle zusammen auf sonniges Kirmes-Wetter hoffen.

NRZ, 07.06.2016

Sehr verdient

„Sie haben als Christ, wie Nikolaus Groß erkannt, dass die Frohe Botschaft Jesu eine politische Konsequenz hat, nämlich den Einsatz für Menschen, die unsere Hilfe brauchen.“ So würdigte Stadtdechant, Michael Janßen, den aktuellen Träger der Nikolaus-Groß-Medaille, Paul Heidrich. Der 67-jährige Familienvater und langjährige CDU-Kommunalpolitiker erhielt die Auszeichnung der Stadtkirche im Rahmen eines Abendgottesdienstes am Tag der Deutschen Einheit.

Dieser Gottesdienst wurde mit 80 geladenen Gästen in der Pfarrkirche St. Barbara am Schildberg in Dümpten gefeiert. Unter ihnen war auch Thomas Groß, Enkel des 1898 in Hattingen geborenen und 1945 in Berlin ermordeten katholischen Arbeiterführers, Journalisten, siebenfachen Familienvaters und Widerstandskämpfers. Michael Janßen würdigte den 2001 vom damaligen Papst Johannes Paul II. selig gesprochenen Nikolaus Groß, „als einen tiefgläubigen Menschen, der seinem Gewissen gefolgt und deshalb mit einem unsterblichen Charisma begnadet ist.“

Die katholische Kirche hatte die Ermordung von Nikolaus Groß durch das NS-Regime nicht verhindern können. Seine Frau Elisabeth, die ihre sieben Kinder alleine großziehen musste, war 1945 Mitgründerin der CDU und der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD).


Seit 2009 zeichnet die Stadtkirche Menschen, wie Paul Heidrich aus, „die sich um Kirche und Gesellschaft verdient gemacht haben.“

Vor Heidrich hatten unter anderem der heutige Ehrenstadtdechant Manfred von Schwartzeberg, der Musiker Markus Emanuel Zaja, die langjährige Elisabeth-Ordens- und Kinderkrankenschwester Ingeborg und der langjährige Vorsitzende des Stadtkatholikenrates, Wolfgang Feldmann, die undotierte Nikolaus-Groß-Medaille verliehen bekommen.


Als Laudator zollte Oberbürgermeister Marc Buchholz seinem christdemokratischen Parteifreund und katholischen Glaubensbruder „Respekt für deine beeindruckendes Lebensleistung, die aus der Kraftquelle des christlichen Glaubens schöpft.“. Mülheims seit einem Jahr amtierender Oberbürgermeister ließ Heidrichs beeindruckende Biografie und sein vielseitiges Engagement in Politik und Kirche Revue passieren. Er habe sich schon früh in seiner Heimatgemeinde St. Engelbert und als Christdemokrat in der Kommunalpolitik engagiert.

„Eine halbe Ewigkeit“ (1974-2009) habe er sich als Ratsmitglied und als Abgeordneter der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes Rheinland in der Sozial- und Schulpolitik kenntnisreich „für Menschen, die unsere Hilfe brauchen“, stark gemacht.


Auf stadtkirchlicher Ebene engagiert sich Paul Heidrich als Katholikenrat sowie als Vorstand der Caritas und der Caritas-Stiftung.

Als Vater eines behinderten Sohnes setzt er sich seit Jahrzehnten für Menschen mit Handicap ein, zum Beispiel im Eltern- und Betreuerbeirat der Theodor-Fliedner-Stiftung, im Förderverein des Fliedner Dorfes in Selbeck und im Verein zur Förderung behinderter Menschen im Ausland, mit dem er sei über 20 Jahren die Modernisierung der Behindertenarbeit in Bulgarien vorangetrieben hat.

Aktuell setzt sich das Vorstandsmitglied der örtlichen Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) als stellvertretender Vorsitzender des Seniorenbeirates für die Belange der Generation 60 plus ein, die ein Drittel der Bürgerschaft stellt. Hierbei geht es ihm unter anderem um eine barrierearme und damit altersgerechte kommunale Infrastruktur, ob bei der Nahversorgung, im Nahverkehr oder in der häuslichen Pflege.


Heidrich, der im Rahmen des Gottesdienstes die Lesung und die Fürbitten vortrug, dankte vor allem  seiner Frau Anna Barbara und seinen beiden Kindern. Sie hätten sein ehrenamtliches soziales und politisches Engagement immer mitgetragen und so überhaupt erst möglich gemacht.

Der amtierende Stadtkatholikenratsvorsitzende Rolf Völker wies im Gottesdienst darauf hin, dass die Nikolaus-Groß-Medaille künftig nicht mehr beim, seit 2019 ökumenisch gestalteten Jahresempfang der christlichen Kirchen im Altenhof, sondern im Rahmen des Neujahrsempfangs der Pfarrgemeinde St. Barbara verliehen werden soll. Die Barbarianer haben dem seligen Nikolaus Groß unter anderem ein seit 1998 vielfach aufgeführtes Musical, einen örtlichen Weg und die Kapelle ihrer Gemeindekirche am Schildberg im Stadtteil Dümpten gewidmet.


04.10.2021

Mittwoch, 10. November 2021

Außer man tut es

Der Förderverein, den Paul Heidrich und Manfred Rixecker vor viereinhalb Jahren aus der Taufe gehoben und für den sie inzwischen 70 Mitglieder gewonnen haben, bringen die Menschen mit Behinderung, die im Selbecker Dorf der Theodor-Fliedner-Stiftung zuhause und behütet sind, voran. 


Auf dem Platz vor dem Dorfrathaus übergaben Rixecker, dessen Bruder im Fliedner-Dorf gelebt hat und Heidrich, dessen Sohn dort zuhause ist, übergaben jetzt ein Fahrzeug, dass die Fliedner-Mitarbeiter Friedhelm Thissen und Andreas Hesse, stellvertretend für ihre Kollegen und die aktuell 162 Bewohner des Wohnbereiches für Menschen mit Behinderung in Empfang nahmen. "Mit dem neuen, sehr behindertenfreundlich, weil barrierearm konfigurierten Fahrzeug können wir seinen in die Jahre gekommenen Vorgänger ersetzen und zum Beispiel für Arzt- und Einkaufsfahrten oder auch für Ausflüge nutzen," freut sich Thissen, der den Wohnbereich für Menschen mit Behinderung leitet.

Für ein Stück vom Glück


Mit seinem für den Sozialen Dienst verantwortlichen Kollegen Hesse ist sich Thissen darüber einig, "dass uns der Förderverein mit seinem segensreichen Engagement dafür sorgen können, dass die Dorfbewohner mit Behinderung im Geiste der UN-Menschenrechtskonvention all das tun und erleben können, was wir als nicht-behinderte Menschen im Rahmen unserer sozialen Teilhabe auch erleben.

Es sind nicht die riesigen Summen, sondern das von Herzen kommende und deshalb auch viele Spender, Stifter und Sposnoren überzeugende Engagement, mit dem der Förderverein den Selbecker Dörflern zum Beispiel Pizza und Eis für alle, ein Gartenzaunkonzert der Friends of Dixieland, ein Menschenkicker-Turnier oder einen Tagesausflug ins Dortmunder Fußballmuseum des DFBs ermöglichen.

"Wir unterstützen mit unseren Spenden die Theodor Fliedner Stiftung, ohne sie aus ihrer finanziellen Verantwortung zu entlassen, in dem wir ihr immer nur Zuschüsse gewähren.", betont Rixecker. So stellte der Förderverein jetzt 7500 der 12.000 Euro bereit, die notwendig waren, um das neue Fahrzeug für den individuellen Bewohner-Fahrdienst anzuschaffen. Das gilt auch für alle anderen Aktivitäten und Projekte, die der Förderverein des 1992 eröffneten und von insgesamt rund 600 Menschen bewohnten Fliedner-Dorfes mit seinen Finanzspritzen möglich macht.

Der Fördervereinsvorsitzende, Manfred Rixecker und sein Stellvertreter, Paul Heidrich, wünschen sich als Mitglieder der Generation U80 jüngere Menschen, die sich im Förderverein engagieren und damit ihr Anliegen fortführen, indem sie es zu ihrem machen.

Wer die Fliedner-Freunde materiell und ideell unterstützen kann und will, erreicht Manfred Rixecker unter seinen Rufnummern: 0208/96 00 745 oder per E-Mail an: manfred.rixecker@web.de


MW/LK, 09.11.2021

Schöne Straße?!

  Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ...