Freitag, 20. Mai 2022

Räuber an der Ruhr

 Von wegen: Gute alte Zeit. Stefan Pätzold, Leiter des Stadtarchivs, und sein Historiker-Kollege, Dietrich Thier, erzählten ihren Zuhörern im Haus der Stadtgeschichte eine Räuberpistole, die das Leben um 1800 schrieb.

 Im 2. Jahrgang der 1. Mülheimer Zeitung machte im April 1797 eine Räuberbande Schlagzeilen, die von Düsseldorf kommend, den reformierten Pfarrer Johann Otto Pithan ausrauben wollte, aber nicht mit der Gegenwehr des Pfarrers und der tatkräftigen Unterstützung seiner Hausgenossen gerechnet hatte.

 Der Pfarrer hatte nicht nur eine Bibel auf dem Nachtisch, sondern auch ein Gewehr im Schlafzimmer, mit dem er das Feuer auf die Eindringe eröffnete. Auch seine Hausgenossen blieben nicht untätig. Sie riefen Gemeindemitglieder herbei und ließen sie die Glocken der Petrikirche läuten.

 Die Räuber kamen dennoch in den Besitz der irdischen Güter des Gottesmannes. Doch einer von ihnen ließ im Angesicht der anrückenden Gemeindemitglieder, die im Bettbezug des Pfarrers verstaute Diebesbeute fallen.

 Die Gangster kehrten an ihren Tatort zurück, um ihrer verlorenen Beute doch noch habhaft zu werden. Doch am Ende mussten sich der bürgerlichen Übermacht und herbeigerufenen Soldaten ergeben. Letztere eskortierten die glücklosen Diebe nach Bochum, wo sie dem Ermittlungsrichter vorgeführt wurden.

 Der Zufall wollte es, dass sich der 1745 in Mülheim geborene und 1770 als Arzt nach Bochum gekommene Karl Arnold Kortum damals im öffentlichen Dienst mit einer Verbesserung der Haftbedingungen befasste. Im Zuge seiner Untersuchung verordnete Kortum den Häftlingen eine Suppe aus Graupen, Kartoffeln und Hering. Die war nicht lecker, aber nahrhaft.

 

Die Rückschau auf die Räuberei an der Ruhr offenbarte harte Haftbedingungen. Im Gefängnis waren die Häftlinge in Ketten gelegt. Sie lagen nur auf einem Strohboden und mussten ihre Notdurft an Ort und Stelle verrichten. Da waren Krankheit und Tod im Gefängnis oft nur eine Frage der Zeit. Dass wusste auch Dr. Kortum und wollte das ändern.

 Dietrich Thier erklärte, dass auch das Räuberwesen im damals zu Westfalen gehörenden Mülheim, eine Folge der Französischen Revolution war. Weil viele vormals leibeigene Bauern jetzt ihre Freiheit gewonnen, aber ihren adeligen Leibherrn und damit auch die soziale Sicherheit der alten grundherrlichen Gütergemeinschaft verloren hatten, machten manche von ihnen aus der Not eine Untugend und versuchten ihren Lebensunterhalt als Räuber zu bestreiten. Denn eine industrielle Arbeitsplatz Alternative zur Landwirtschaft gab es damals noch nicht.


Meine Beiträge in NRZ und WAZ

Montag, 16. Mai 2022

Wenn Kunst hilft

 Kunst kann helfen. Das zeigte sich jetzt am Samstagnachmittag bei einer Kunstauktion, zu der die Arbeitsgemeinschaft der Mülheimer Künstlerinnen und Künstler ins Theater an der Ruhr im Raffelbergpark eingeladen hatte.


26 Mitglieder der AG Mülheimer Künstler hatten eines ihrer Werke für die Auktion zugunsten der kommunalen Flüchtlingshilfe in Mülheim zur Verfügung gestellt. Da die Zahl der mit-steigernden Kunstfreunde  mit 15 sehr überschaubar war, konnten der Mülheimer Fotograf und Ruhrpreisträger Heiner Schmitz und Schauspieler Leonhard Hugger am Ende nur 16 von 26 Arbeiten versteigern und so 6785 Euro für den guten Zweck einnehmen.

Kulturdezernentin Dr. Daniela Grube, die auch den kommunalen Krisenstab für Flüchtlingshilfe leitet, dankte den beteiligten Kunstschaffenden "für Ihren Bürgersinn und Ihre Großzügigkeit, die gerade in Corona-Zeiten, in denen viele freie Künstler um ihre materielle Existenz fürchten müssen, nicht selbstverständlich ist."

Grobe wies darauf hin, dass aktuell 1400 Menschen aus der vom russischen Angriffskrieg betroffenen Ukraine, als Flüchtlinge in Mülheim betreut und versorgt werden müssen. Darüber hinaus, so Grobe, müsse die Stadt weiterhin auch Flüchtlinge aus anderen Kriegs- und Krisengebieten, wie Afghanistan, Syrien, Irak und Iran aufnehmen.

Die Arbeitsgemeinschaft Mülheimer Künstler wird nun darüber beraten, ob und wie die noch nicht versteigerten Kunstwerke für die den guten Zweck der kommunalen Flüchtlingshilfe an die Frau oder an den Mann gebracht werden kann. Auskunft dazu bekommen interessierte Kunstfreund bei Heiner Schmitz per E-Mail an: schmitz@fh-dortmund.de

Meine MW-Beiträge


Sonntag, 15. Mai 2022

Ein Hauch von Broadway

 Wenn es gut läuft, sollten Kinder und Jugendliche in der Schule Gemeinschaft erleben und etwas lernen, das sie in ihrer persönlichen Entwicklung voranbringt. In der Gesamtschule Saarn läuft es gut. Das sieht und hört man bei den Generalproben für das Musical "Hairspray", das ab dem kommenden Wochenende mehrfach über die Bühne der Schulaula an der Ernst-Tommes-Straße gehen wird.


Wer sich im Schulsekretariat der Gesamtschule Saarn oder im Online-Vorverkauf auf ihrer Internetseite eine Eintrittskarte sichert, darf sich auf 150 Minuten voller Emotionen, starker Musik, nicht minder starken Tanzeinlagen und viel Spielwitz und Situationskomik freuen.

"Es ist toll, zu sehen, wie jeder hier seinen Einsatz bringt und dabei über sich selbst hinauswächst!" (Michael Rölver)

Schüler, Lehrer und Schulsozialarbeiter stehen gemeinsam auf der Bühne und verschmelzen unter der Regie der Lehrer Stefanie von der Marwitz und Sebastian Klein zu einem erstaunlich professionellen Ensemble, das zu begeistern weiß und die zweieinhalbstündige Handlung rund um Liebe, Rassismus, Toleranz und  Lebensträume, die man sich von den Widrigkeiten des Lebens nicht kaputtmachen lassen darf, wie im Flug vorbeirauschen lässt und dabei das Publikum unweigerlich in seinen Bann zieht.

"Musical macht mir Spaß. Das ist mein Hobby, das ich mir ausgesucht habe." (Lavina Leifermann)

Das bunte und mit Leidenschaft auftretende Schulensemble versteht es auf der Bühne des Schulforums mit professioneller Ton und Lichttechnik und mit Kulissen und Kostümen, Marke Eigenbau einen Hauch von Broadway zu verbreiten. Am Broadway hatte das von dem Quartett Marc Shaiman, Mark O'Donnell, Scott Whitman und Thomas Meehan kongenial kreierte Musical vor 20 Jahren seine Uraufführung. Auch wenn die Handlung im Baltimore des Jahres 1962 spielt, sorgt das aus insgesamt 130 Personen bestehende Saarner Gesamtschulensemble mit seiner inspirierenden Inszenierung dafür, dass die Geschichte auch im Mülheim des Jahres 2022 topaktuell über die Bühne kommt.

"Wir tanken hier alle sehr viel Selbstvertrauen." (Andreas Leitmann)

Die auf den ersten Blick überraschende Professionalität, in dem unter anderem auch der stellvertretende Schulleiter Michael Rölver als Wilbur Turnbladund, Schulsozialarbeiter Andreas Leitmann als seine pfundige Ehefrau Edna mitspielen, überrascht nicht, wenn man erfährt, dass es seit 15 Jahren an der Gesamtschule Saarn eine Musical-Klasse gibt, die seitdem in jedem Jahr eine neue Musicalproduktion auf die Bühne gebracht hat. Nur im vergangenen Corona-Jahr war das erstmalig nicht möglich. Und weil die Corona-Pandemie immer noch nicht vorbei ist, müssen die jeweils 190 Zuschauer, die im Auditorium des Schulforums Platz finden, während der kommenden Musicalführungen Maske tragen.

"Man lernt bei den Musical-Proben Selbstdisziplin und verliert seine Scheu, vor Menschen aufzutreten und zu sprechen." (Joshua Kastner)

Doch davon sollte man sich keinesfalls um ein Musical-Vergnügen  bringen lassen, dass Herz und Seele wärmt Zwischen zwei Akten lassen Regisseurin Stefanie von der Marwitz, Konrektor Michael Rölver, alias Wilbur Turnblad, Schulsozialarbeiter Andreas Leitmann, alias Edna Turnblad, und die angehenden Abiturienten Lavina Heifermann, alias Tracy Turnblad und Joshua Kastner, alias Link Larkin, keinen Zweifel daran, dass die ungezählten Probenstunden und das nicht minder arbeitsintensive Textlernen vergessen sind, wenn sie mit ihren Ensemble-Kollegen auf der Bühne Gemeinschaft, persönliches Wachstum und Selbstvertrauen pur erleben.

Gut zu wissen


Die "Hairspray"-Musical-Aufführungen im Forum der Gesamtschule Saarn an der Ernst-Tommes-Straße gehen am 13., 14., 19., 20. und am 21. Mai, jeweils um 19.30 Uhr sowie am 15. und am 22. Mai jeweils um 15 Uhr über die Bühne. Erwachsene zahlen 14 Euro Eintritt. Schüler sind für 5 Euro beim Musical-Spaß dabei. Weitere Informationen findet man im Internet unter: www.gesaarn.de, per E-Mail an: gesaarn@muelheim-ruhr.de oder telefonisch unter der Rufnummer: 0208/4554710

Meine MW.Beiträge

Samstag, 14. Mai 2022

Sag mir, wen du einlädst?

 Hans Werner Nierhaus hat mehreren Schülergenerationen des Otto-Pankok-Gymnasiums die Geschichte nahegebracht und in seinen Büchern die Mülheimer Geschichte(n) der Reformation und der beiden Weltkriege beleuchtet. Am 12. Mai wird er mit seinem eine Ausstellung eröffnen, die bis zum 16. Juni 2022 im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße das Goldene Buch der Stadt präsentieren wird.

Wer mit dem Leiter des Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold, seinem Stellvertreter, Jens Roepstorff und Hans Werner Nierhaus auf die Bild-und-Text-Tafeln der Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte schaut oder mit ihnen im 15 Kilo schweren Goldenen Buch durch dessen Pergamentseiten blättert, bekommt ein Kaleidoskop der Stadtgeschichte von 1914 bis 1999 vor Augen geführt. „Goldene Stadtbücher gab es zuerst im mittelalterlichen Italien, während sie in Deutschland zwischen 1880 und 1930 ihr Blütezeit erlebten“, erklärt Stefan Pätzold.

Im ersten Goldenen Buch Mülheims haben sich nicht nur berühmte und wichtige Gäste der Stadt eingetragen. Bis in die 1950er Jahre bemühte die Stadt auch Kaligraphen, um wichtige Stationen der Stadtgeschichte, wie etwa das Kriegsende 1945 und den nachfolgenden Wiederaufbau in kunstvolle Wortbild zu setzen. Apropos Schriftbild: Was beim Blättern im Goldenen Buch auffällt, ist die Tatsache, dass Schriftbild der Einträge mit voranschreitender Zeit immer laissez-fairer wird. Dem Übergang vom Füllfederhalter zum Kugelschreiber sei (Un)dank. Der kaligrafisch auffälligste Eintrag ist zweifellos der des Gouverneurs der japanischen Region Nagasaki, Isamu Takada, den die Wirtschaftsförderung im Dezember 1992 auch nach Mülheim führte.

Fangen wir ganz vorne an. Das 1914 vom Webereibesitzer Karl Roesch gestiftete Goldene Buch der Stadt macht mit einem vergoldeten Buchdeckel aus Silber seinem Namen schon auf den ersten Blick alle Ehre. Reliefs erzählen Mülheims Wirtschaftsgeschichte. Das Panorama der Gewerke reicht vom Kohlenkahn über die Broicher Papiermühle bis hin zum Zechenturm. Doch das zentralste und größte Relief zeigt einen mit Helm und Schwert gerüsteten Mann. Die damals 125.000 Mülheimer leben, wie das kaligrafisch gestaltete Deckblatt, verrät, in „eiserner Zeit“. Der erste Eintrag stammt von einem „Herrn Dietrich“, der einst als unbesoldeter Ehren-Beigeordneter der Stadt gedient hat und jetzt als Oberbürgermeister des sächsischen Nauenburg als Gast in seine alte Heimat zurückkehrt. Deutlich prominenter ist das schon Großadmiral Alfred Tirpitz, der sich im Sommer des letzten Kriegsjahres 1918 ins Goldene Buch einträgt, als er in der Stadthalle Ehrengast einer Tagung der deutsche Gardeverbände teilnimmt und man auch in Mülheim die Kriegspropaganda des im Felde unbesiegten deutschen Heeres glauben will.

Die vielleicht spannendste Geschichte des Goldenen Buches ist die, die man nicht sieht. „1934 gibt es eine fein säuberlich herausgetrennte Seite. Es wird von Zeitzeugen kolportiert und Indizien weisen darauf hin, dass sich hier Adolf Hitler eingetragen hat, als er nicht zum ersten und letzten Mal im Uhlenhorst seinen frühen Förderer, den langjährigen Bergbaumanager, Emil Kirdorf, auf dem Streithof im Uhlenhorst besuchte“, sagt Jens Roepstorff. Und Hans Werner Nierhaus ergänzt: „Gerade die Einträge der Jahre 1933 und 1934 zeigen den politischen Wandel der Zeit. Da trägt sich der Kreisleiter der NSDAP, Karl Kamphausen noch vor dem von den Nationalsozialisten zum Oberbürgermeister gemachten Eisenbahninspektor Wilhelm März ins Goldene Buch ein, wo jetzt auch davon berichtet wird, dass jüdische Unternehmen keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen und die Stadtverordneten nicht mehr von ihren Mitbürgern gewählt, sondern vom Regierungspräsidenten ernannt werden.“

Prominenter und erbaulicher sind da schon die Einträge des schwedischen Welt- und Vortragsreisenden Sven Hedin (1936) und des Physik-Nobelpreisträgers, Max Planck, der 1942 in der Stadthalle über „Sinn und Grenzen der exakten Naturwissenschaften“ spricht. Hedin hatte sechs Jahre zuvor an gleicher Stelle über seine Expeditionen nach Zentralasien berichtet. Nach dem Krieg wird Max Planck  zum Namensgeber des vormaligen Kaiser-Wilhelm-Institutes für Kohlenforschung am Kahlenberg. Aus dem Goldenen Buch erfährt man auch, dass der Dirigent Wilhelm Furtwängler im Kriegsjahr 1940 mit Bach, Brahms, Beethoven und den Berliner Philharmonikern in der Stadthalle gastiert hat.

Natürlich trägt sich auch der dortige Institutsdirektor Prof. Dr. Karl Ziegler 1963 nach der Verleihung des Chemie-Nobelpreises und der Mülheimer Ehrenbürgerschaft ins Goldene Buch der Stadt ein. Ein Foto der Ausstellung zeigt ihn, mit dem damaligen Oberbürgermeister, Heinrich Thörne, über das Goldene Buch gebeugt. Ein anderes Foto zeigt den damaligen Regierenden Bürgermeister und späteren Bundeskanzler, Willy Brandt, der sich als Teilnehmer eines kommunalpolitischen Bundeskongresses ins Goldene Buch der Stadt einträgt. Auch ein anderer Bundeskanzler, Ludwig Erhard, hat sich als Wahlkampfreisender im Bundestagswahljahr 1965 in Goldene Buch eingetragen. Davon kann sich der Ausstellungsbesucher aber kein Bild machen, ganz anders, als von dem 1987 in Mülheim zum Goldenen Schlitzohr gekürten Schriftsteller und Schauspieler Sir Peter Ustinov, der Mülheim mit seinem Eintrag, als „eine Stadt mit viel Herzenswärme und vielen Schlitzohren“ beschreibt. Man sieht es in der Ausstellung. Die städtischen Honoratioren, die Ustinov flankieren, haben angesichts seines augenzwinkernden Eintrags gut Lachen haben. Einen ernsten, aber schönen, weil Versöhnung stiftenden Moment hält das Goldene Buch im Oktober 1988 fest. 50 Jahre nach der Reichspogromnacht, in der auch Mülheims Synagoge am Viktoriaplatz, niedergebrannt wurde, besuchen 21 ehemalige jüdische Mülheimer, die nach 1933 vor der nationalsozialistischen Verfolgung in alle Welt fliehen mussten. 43 Jahre nach dem Kriegsende stellt sich Mülheim erstmals dem dunkelsten Kapitel seiner Stadtgeschichte.

Staatsbesuch für Frühaufsteher

Fotografisch festgehalten und im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37, prominent ausgestellt, ist auch der vielleicht prominenteste Eintrag im Goldenen Buch, der von Papst Johannes Paul II., der sich am 3. Mai 1987, flankiert von der damaligen Oberbürgermeisterin Eleonore Güllenstern, dem damaligen Oberstadtdirektor Heinz Hager und dem damaligen Ruhrbischof Dr. Franz Hengsbach am Flughafen Essen-Mülheim ins Goldene Buch der Stadt eintrug. „Anders als 1984, als Queen Elisabeth II. für einen Besuch bei der Britischen Rheinarmee auf dem Flughafen Essen/Mülheim gelandet war, wollte man es drei Jahre später beim dortigen Zwischenstopp des Papstes, das Goldene Buch der Stadt rechtzeitig zum Flughafen zu bringen“, weiß Archivar Jens Roepstorff zu erzählen. Und er zeigt auch noch einen Artikel dieser Zeitung aus dem September 1960, in dem von „Gästen aus dem Morgenland mit dunkler Hautfarbe“ berichtet wird. Gemeint sind die Spieler des damaligen Hockey-Olympia-Siegers Pakistan, der im damals wiedereröffneten Styrumer Ruhrstadion gegen den deutschen Hockeymeister HTC Uhlenhorst spielte und nicht nur den Fans auf der Straße, sondern auch dem Goldenen Buch der Stadt ein Autogramm gaben. Keine Sportmannschaft, sondern die Regierungsmannschaft des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau, trug sich am 4. September 1984 bei ihrer Mülheimer Kabinettssitzung ins Goldene Buch der Stadt eintrug. Launiger Kommentar des Landesvaters: „So können die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass alle ihre Minister lesen und schreiben können.“ Last, but not least: Die Ehre des letzten Eintrags in das erste Goldene Buch der Stadt gebührte 1999 dem Fotografen und Ruhrpreisträger Lubo Laco. Danach stiftete Tegelmann-Chef Erivan Haub das zweite Goldene Buch der Stadt und eröffnete es mit seinem Eintrag.


Meine Beiträge in NRZ & WAZ

Donnerstag, 12. Mai 2022

Vom Überleben des Herzenz

 30 Neuntklässler hören drei Stunden lang aufmerksam zu und stellen gezielt Fragen. Das mag so manche Lehrkraft angesichts ihrer Unterrichtserfahrungen nicht glauben. Und doch war es jetzt genau so, als der 88-jährige Hans von Frankenberg den 14- und 15-jährigen Schülern an seiner alten Schule, dem heutigen Otto-Pankok-Gymnasium aus seinen Kinder- und Jugendjahren im Mülheim und im Gotha der Kriegs- und Nachkriegszeit berichtet.

Es ist eine harte Kost, die er sich und seinen jungen Zuhörern zumutet. Aber die authentische und warmherzige Art, in der er über seine Kriegs- und Nachkriegserlebnisse berichtet, fordert die Jugendlichen, ohne sie zu überfordern. „Danke, dass Sie so offen mit uns gesprochen und auch ihre schmerzlichen Erinnerungen mit uns geteilt haben“, sagt eine Schülerin nach dem Zeitzeugengespräch mit dem Mann, der vor 70 Jahren dort gesessen hat, wo sie heute sitzen und für ihr Leben lernen. Einer ihrer Mitschüler sagt: „Ihr Lebensgeschichte zeigt mir, wie gut es uns heute geht und das wir alles dafür tun müssen, dass unser Land nicht wieder in einen Krieg versetzt wird.“

 Wenn man Hans von Frankenberg zuhört, wie er seine Jugend im Nazi-Deutschland und den schweren Nachkriegsjahren des Hungers und des Wiederaufbaus berichtet und aus seiner Autobiografie: „Vom Überleben des Herzens“ vorliest, merkt man schnell, dass er eine Lebensgeschichte wachruft, die sich kein Filmregisseur und kein Drehbuchautor so hätte ausdenken können.

Nach einer unbeschwerten Kindheit in einem am Kahlenberg gelegen großbürgerlichen Elternhaus, der Vater war technischer Direktor der Friedrich-Wilhelms-Hütte und damit Teil von Hitlers Rüstungsproduktion, brach der Krieg mit all seiner Brutalität in die heile Welt des bis dahin gut behüteten Jungen hinein. Der Vater kam 1940 bei einem dubiosen Autounfall ums Leben, nachdem er sich gegen einen Zweifronten-Krieg mit der Sowjetunion und den USA ausgesprochen hatte,

Hans musste während des Krieges unter anderem Klassenkameraden identifizieren, die bei einem Luftangriff getötet worden waren. Er musste einen Todesmarsch von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen mit ansehen, bei denen entkräftete Menschen vor seinen Augen erschossen wurden. Nach dem Krieg musste seine Mutter, er und der vier Jahre ältere Bruder Albrecht das Elternhaus am Kahlenberg für zehn Jahre verlassen und bei fremden Menschen Unterschlupf suchen, weil dort bis 1955 eine britische Offiziersfamilie einquartiert wurde.

Hans und seine Familie mussten sich nach dem Krieg mit Lebensmittelmarken und 1000 Kalorien pro Tag und Person von einem Care-Paket zum nächsten und von einer Schulspeisung zur nächsten hungern. „Unser Henkelmann war für uns wichtiger als unser Tornister“, sagt Frankenberg über seine traumatisierte Schüler-Generation, die von ebenfalls kriegstraumatisierten Lehrern unterrichtet wurden, die den Kindern viel über ihre Kriegserlebnisse, aber nichts über ihre Mitverantwortung und ihre Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus erzählten.

Wie nachhaltig die Verbrechen des NS-Regimes und Hitlers Eroberungskrieg das Ansehen Deutschlands zerstört hatten, merkten Hans und ein Freund, als sie wenige Jahre nach Kriegsende, eine Radtour durch die Niederlande abbrechen mussten, weil ihnen dort niemand ein Stück Brot, geschweige denn noch etwas anderes verkaufen wollte.

Auch die „seelische und körperliche Demütigung durch einen britischen Offizier, der mich brutal vergewaltigte“, war eine Folge dessen, was Hitler und seine viel zu vielen Helfershelfer 1933 und 1939 begonnen hatten. Schnell erkannten die Otto-Pankok-Schüler, die derzeit im Religions- und Philosophie-Unterricht die NS-Zeit besprechen, Parallelen zum aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine. Die sieht natürlich auch Hans von Frankenberg, der seine jungen Zuhörer wissen ließ: „Dass das, was meine Generation und ich vor 77 Jahren erleben mussten, heute wieder in der Ukraine geschieht, ist mir unerträglich.“

Die 30 Otto-Pankok-Schüler und ihre Lehrerinnen Kerstin Hahn, Anna Jatzkowski und Stefan Reinartz waren sich nach ihrer Begegnung und nach ihrem Austausch einig: „Was Herr von Frankenberg erlebt und erlitten hat, macht und dankbar und demütig. Es zeigt anschaulicher und authentischer, welche Folgen Diktatur und Krieg für Menschen haben, als es ein Geschichtsbuch oder ein Geschichtsunterricht überhaupt leisten könnte.“

Hans von Frankenberg schickte seine jungen Zuhörer und Gesprächspartner mit einem guten Rat nach Hause; „Bewahrt euch eure schönen Kindheitserinnerungen und nehmt sie mit in euer Erwachsenenleben. Bewahrt euch die Fähigkeit, auch in schweren Zeiten des Lebens das Schöne zu sehen und zu erkennen, dass sich im Leben immer wieder ein neues Tor auftut, durch das man weitergehen kann, egal, was auch geschieht.“


Meine MW-Beiträge

 

Sonntag, 8. Mai 2022

Denk ich an Tours

 Denk ich an Tours, denk ich an eine meiner schönsten Reise-Erlebnisse. Im Mai 1985 hatte ich die Gelegenheit Mülheims Partnerstadt an der Loire mit einer Gruppe junger Behindertensportler zu besuchen. Die fünf Tage im Mai bleiben mir unvergesslich. Selten habe ich in so kurzer Zeit so viel über französische Kultur, französische Geschichte, aber vor allem über französische Lebensart und französische Gastfreundschaft gelernt.

Der kurze aber intensive und eindrucksvolle Besuch in Tours, das in Person seines damaligen Bürgermeister Jean Royer mit Mülheim in Person seines damaligen Oberbürgermeister Heinrich Thöne einen Städtepartnerschaftsvertrag geschlossen hat, war mein ganz persönliches deutsch-französisches Freundschaftserlebnis. Viele meiner Mülheimer Mitbürger, die vor mir und nach mir, Tours besucht haben, werden vergleichbares erlebt haben und entsprechend berichten können.

Bis heute sind die Bürgerfahrten, die inzwischen nicht mehr von einem städtischen Amt, sondern vom 1995 gegründeten Förderverein der Mülheimer Städtepartner organisiert werden, ein Paradebeispiel für gelebte Völkerverständigung. Das gilt nicht nur, aber in besonderer Weise für die Städtepartnerschaft mit Tours. Es waren und sind Menschen, wie etwa Brigitte Mangen oder Eliane Lebret, die sich durch ihren persönlichen Einsatz um Mülheims zweitälteste Städtepartnerschaft bemüht und verdient gemacht hat.

Älter, als die Städtefreundschaft mit dem französischen Tours, in dem der Dichter Balzac geboren und die Kommunistische Partei Frankreichs gegründet wurde, ist nur die bereits 1953 mit einem Jugendaustausch begonnene Städtepartnerschaft mit dem nordenglischen Darlington, in dem anno 1825, mit der weltweit ersten Zugfahrt Eisenbahngeschichte geschrieben wurde. 

Der Städtepartnerschaftsvertrag den Mülheims Oberbürgermeister Heinrich Thöne und sein Tourainer Amtskollege, Jean Royer, unter Vermittlung des Weltstädtebundes, am 5. Mai 1962 in Tours, unterzeichneten, war auf kommunaler Ebene das, was auf internationaler Ebene der Elysee-Vertrag war, den der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle am 20. Januar 1963 in Paris unterzeichnet haben.

Der Städtepartnerschaftsvertrag zwischen Tours und Mülheim passte gut in eine Zeit der deutsch-französisch-europäischen Euphorie, die 1962 mit dem triumphalen Deutschland-Besuch des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulles zum Ausdruck kam. Doch nach drei Kriegen, einem Diktatfrieden und drei Besatzungszeiten im 19. und 20. Jahrhundert, war die deutsch-französische Freundschaft im Rahmen der zunächst westeuropäischen Integration, keine Selbstverständlichkeit, sondern ein politisches Wunder.

Auch der zwischenmenschlichen und lokalen Ebene haben viele Tourainer und Mülheimer aus allen Bereichen der jeweiligen Partnerstadt, die deutsch-französische Freundschaft zwischen Tours an der Loire und Mülheim an der Ruhr persönlich miterlebt und mitgestaltet. 




Mittwoch, 4. Mai 2022

Den Löffel weitergegeben


„Alles neu macht der Mai“, dichtete anno 1829 der Mülheimer Poet und Pädagoge Hermann Adam von Kamp. So ist es auch im Mai anno 2022 im Ratskeller. Nach 29 Jahren geben Janet und Jörg Thon die gastronomische Leitung des traditionsreichen Restaurants in die jüngeren Hände ihres Mitarbeiters Dennis Kleischmann, der am 5. Mai seinen 25. Geburtstag feiert.

„Wir wollen etwas kürzertreten und übergeben den Betrieb löffelfertig“, sagen die Thons. Und der Mülheimer Dennis Kleischmann, der 2021 als Quereinsteiger aus dem KFZ-Handwerk in die Gastronomie des Ratskellers kam, lässt keinen Zweifel daran, dass er den seit 1984 als Gasthaus mit deutscher Küche und rustikalem Ambiente betriebenen Ratskeller im Sinne der Thons fortführen wird. „Ich weiß, dass die Gäste anfangs erst mal skeptisch sein und genau hinschauen werden. Aber ich arbeite ja weiterhin mit den bewährten Angestellten, die bereits von den Thons eingestellt worden waren“, betont Kleischmann. Und er fügt hinzu: „Gemeinsam werden wir in bewährter Form unsere Gäste satt und glücklich machen.“

Wenn es die Corona-Lage und die Personalsituation erlauben, möchte Kleischmann den Ratskeller ab Herbst wieder an sechs Tagen in der Woche öffnen und den Dienstag als zweiten Ruhetag streichen.

Die Thons, die 1990 aus dem thüringischen Gera nach Mülheim kamen, hinterlassen ihrem Nachfolger auch etliche Reservierungen und den Catering-Auftrag für das Mülheim-Mittendrin-Fest, das am 7. Mai unter anderem auf dem Rathausmarkt über die Bühne gehen wird.

Mitnehmen wollen die Thons, die weiterhin die, 2005 von ihnen übernommene, Gastronomie des Bürgergartens an der Aktienstraße betreiben, ihre Gourmet-Bonus-Card. Diese Bonus-Karte für Stammgäste konnte bisher sowohl im Ratskeller und im Bürgergarten verwendet werden. Ab Mai ist sie nur noch im Bürgergarten gültig.

Der noch unverheiratete Dennis Kleischmann übernimmt mit dem Ratskeller ein traditionsreiches Haus, das vor den Thons von Norbert Bellenbaum betrieben wurde. 1911 im Rahmen des Rathausbaus als Ratstrinkstube eingerichtet, diente der Bierkeller im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzraum. Nach dem Krieg war hier zunächst das Veterinäramt und später das Aktenarchiv der Stadtverwaltung beheimatet. Ironie der Geschichte. Die Rampe im Hof, über die heute Gäste den Ratskeller ebenerdig betreten können, die etwa als Rollator- und Rollstuhlfahrer keine Treppen steigen oder in die Tiefe hinabgehen können, diente nach dem 2. Weltkrieg als Vorführrampe für Schweine und Rinder.

Hintergrund

Jörg Thon ist und bleibt Vorsitzender des örtlichen Gaststättenverbandes DEHOGA. Aktuell sind nach seinen Schätzungen 80 Mülheimer Gastronomen im Verband organisiert. Die Zahl der gastronomischen Betriebe in unserer Stadt schätzt er auf etwa 120. Zum Vergleich: 1912 gab es in Mülheim noch 250 Gaststätten. Es gab noch kein Radio und kein Fernsehen. Viele Wohnungen waren klein. So wurde das Gasthaus um die Ecke für viele Menschen zur zweiten Wohnstube. Hinzu kam: Die Menschen waren nicht so mobil wie heute und fuhren bestenfalls mit der Straßenbahn, verbrachten ihre Freizeit aber in der Regel nur in ihrer Stadt.


Meine Beiträge für NRZ und WAZ 



Montag, 2. Mai 2022

Alles Arbeit oder was?

 Nach einer zweijährigen Corona-Zwangspause ging der Deutsche Gewerkschaftsbund bei der Wiederaufnahme seiner Mai-Kundgebung zum Tag der Arbeit neue Wege. Die Teilnehmer starteten um 12.30 Uhr unter dem Motto: „Ge(mai)nsam“ am Rathausmarkt und marschierten von dort aus zur MüGa-Drehscheibe am Ringlokschuppen. Die Polizei zählte in der Spitze 400 Veranstaltungsteilnehmer.

Auf mitgeführten Transparenten waren unter anderem folgende Forderungen zu lesen: „Bezahlbarer Wohnraum statt Rüstung! Nein zum Krieg! Mehr Pflegepersonal für die Krankenhäuser in NRW! Erhalt der Volkshochschule Mülheim – Bürgerentscheid  endlich umsetzen!“ Eine Gruppe von Mitgliedern der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands skandierten während des Marsches zur Müga lautsprecherverstärkt: „Protest auf der Straße. Streik in der Fabrik. Das ist unsere Antwort auf eure Politik!“ Außerdem ließen sie vom Band das Arbeiterlied: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ hören.

Am Ringlokschuppen wurden den Teilnehmern der Mai-Kundgebung nicht nur die politische Kost der Gewerkschaften, sondern auch etwas für das leibliche Wohl aufgetischt, während der Nachwuchs auf einer Hüpfburg große Sprünge machen konnte. Neben dem DGB-Chef Filip Fischer, der die Veranstaltung schwungvoll moderierte, sprachen auch seine Stellvertreterin Katrin Schledorn, Oberbürgermeister Marc Buchholz, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Vallourec-Mannesmann-Werkes Steffen-Lutz Wardel, die NRW-Bezirksvorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, Gabriele Schmidt, die Jugendvertreter Lennert Garnhartner und Lisa Präkel, und last but not least NRW-Arbeits,- Sozial- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Über gut 80 Minuten waren politische Forderungen zu hören, es sei denn, man saß oder bewegte sich im hinteren Bereich der MüGa-Drehscheibe. Dort nahm die gesprächige Geselligkeit schnell einen Geräuschpegel an, der die politischen Inhalte fast ungehört ließen.

Dabei war es hörenswert, was auf der Drehscheibe besprochen wurde: Mehr gesellschaftliche Solidarität und soziale Gerechtigkeit, durch mehr Engagement in den Gewerkschaften. „Wer von euch nicht Gewerkschaftsmitglied ist, sollte vielleicht heute die Gelegenheit nutzen, bei uns einzutreten und aktiv zu werden“, unterstrichen Filip Fischer und Katrin Schledorn.

Sehr konkret wurde es, als die beiden Jugendvertreter Lennert Garnhartner und Lisa Präkel auf die Bühne kamen und davon berichteten, dass der jetzt auf 12 Euro pro Stunde steigende .Mindestlohn nicht für Arbeitnehmer unter 18 Jahren gelte. Außerdem seien junge Arbeitnehmer überproportional von befristeten und sozial prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Deshalb forderten sie unter anderem eine gesetzliche Ausbildungs- und Übernahmepflicht der Arbeitgeber und die Schaffung eines Investitionsfonds, der nach dem Prinzip: „Ausbilden oder zahlen!“ Investitionen in die Bildungsinfrastruktur und vor allem durch ein höheres BAFÖG in mehr soziale Bildungsgerechtigkeit ermöglichen könne.

Wie abhängig unsere Stadt immer noch von Großunternehmen ist, machte der Hinweis des stellvertretenden Vallourec-Betriebsratschefs, Steffen-Lutz Wardel, deutlich. Er wies darauf hin, dass mit einer drohenden Schließung des Stahl-Standortes nicht nur die 2600 Arbeitsplätze bei Vallourec, sondern insgesamt 10.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten, die direkt oder indirekt mit dem Werk zusammenhängen.

„Die Stahlindustrie gehört noch zu den Branchen, in denen es gutbezahlte Arbeitsplätze gibt. Außerdem wird es ohne eine starke Stahlindustrie auch keine Energiewende und keine Modernisierung etwa der Brückeninfrastruktur geben. Deshalb brauchen wir eine politische Lobby, die der Stahlindustrie Aufträge verschafft und sie von den steigenden Energiepreisen entlastet“, forderte Wardel. Oberbürgermeister Marc Buchholz versicherte, „dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Industriearbeitsplätze in unserer Stadt zu erhalten.“ Außerdem wies er darauf hin, dass in Mülheim während der vergangenen Monate einige 100 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor entstanden seien.

Verdi-Chefin Gabriele Schmidt forderte angesichts der kriegsbedingten Folgekosten, die Inflationsverluste der Arbeitnehmer durch deutliche Lohnerhöhungen auszugleichen, die Mehrwertsteuer zu senken, die Erbschaftssteuer zu erhöhen und Vermögenssteuern einzuführen.

Arbeitsminister Karl-Josef Laumann bekam viel Applaus, als er feststellte: „Da, wo es Flächen-Tarifverträge und starke Gewerkschaften gibt, gibt es auch gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Und dort, wo es beides nicht gibt, sind auch Löhne und Arbeitsbedingungen schlecht.“ Laumann ging auch auf die  Kritik ein, die Landesregierung tue nicht genug für die Personalausstattung in der Pflege. „Ich weiß, dass wir zu wenig Personal in der Pflege haben. Aber ich weise auch darauf hin, dass die von CDU und FDP getragene Landesregierung dafür gesorgt hat, das Schulgeld für Pflegeschüler abzuschaffen und eine bedarfsdeckende Zahl von Pflegeschulplätzen zu schaffen, so dass wir heute in Nordrhein-Westfalen 17.400 Pflegeschüler im ersten Lehrjahr haben.“

 Hintergrund:

Der Tag der Arbeit entstand am 1. Mai 1886, als Arbeiter  in den USA für die Einführung des Achtstundentages und für bessere Löhne streikten. Ihr Streik wurde blutig niedergeschlagen. Ab 1890 wurde der 1. Mai auch in Europa als Kampftag der Arbeiter gefeiert. Arbeiter, die an den Maikundgebungen teilnahmen, mussten um ihren Arbeitsplatz fürchten. Adolf Hitler machte den 1. Mai 1933 zum staatlichen Feiertag der Arbeit, zerschlug aber gleichzeitig die Freien Gewerkschaften. Am 1. Mai 1946 nahmen an der ersten Mülheimer Mai-Kundgebung nach dem Krieg 10.000 Menschen teil. Sie demonstrierten auf dem Sportplatz an der Südstraße auch für die Einführung des Achtstundentages. Damals bestand die Arbeitswoche aus sechs Arbeitstagen und 60 Arbeitsstunden.


Meine Beiträge in NRZ und WAZ



Sonntag, 1. Mai 2022

Hilfe für die Helfer

In Mülheim soll ein neues Netzwerk entstehen, das pflegende Angehörige unterstützt. Am 5. Mai wollen die Leiterin des bei den PIA-Stadtdiensten angesiedelten Selbsthilfe- und Kontaktbüros, Sabine Dams, und Lisa Fischer vom örtlichen Betreuungsdienst Homeinstead den neuen Ankerpunkt für Betroffene mit einer um 17.30 Uhr beginnenden Informationsveranstaltung in der Heinrich-Thöne-Volks-Hochschule an der Aktienstraße 45 der interessierten Öffentlichkeit vorstellen. Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt Sabine Dams, worum es geht.

 

Sie leiten für die PIA-Stadtdienste ein neues Selbsthilfe-Kontaktbüro für pflegende Angehörige (Kops) Was will das Kops?

Sabine Dams: Menschen, die Angehörige pflegen, sind in einer sehr angespannten Lebenssituation, in der sie Entlastung brauchen. Die Entlastung möchten wir Ihnen verschaffen.

Wie soll das geschehen?

Sabine Dams: In dem wir Menschen aus vergleichbaren Lebenssituationen zusammenbringen, und so den Informationsaustausch unter den Betroffenen fördern, aber auch indem wir konkrete Unterstützung bei der Organisation und Koordination des häuslichen Pflegealltags anbieten wollen. Wir wollen nicht nur mit den pflegenden Angehörigen reden und sie dann ohne Unterstützung wieder nach Hause gehen lassen.

Warum ist ein solches Angebot notwendig?

Sabine Dams: Weil heute, laut IT NRW, 73 Prozent der knapp eine Million pflegebedürftigen Menschen in Nordrhein-Westfalen zuhause von Angehörigen gepflegt werden. Das Spektrum der betroffenen Menschen reicht durch alle Generationen und gesellschaftlichen Gruppen. Wir sprechen nicht nur von Ehepartnern und Kindern, die ihre Ehepartner oder Eltern pflegen, sondern auch von Enkelkindern oder Nachbarn, die sich regelmäßig um pflegebedürftige Großeltern und Nachbarn kümmern. Pflege beginnt nicht erst, wenn man den Waschlappen in die Hand nimmt. Wir wollen eben auch diese Zielgruppe der Menschen erreichen, die langsam in eine häusliche Pflegeverantwortung hineinwachsen und zunächst gar nicht daran denken, dass sie den Erfahrungsaustausch mit anderen pflegenden Angehörigen und die daraus resultierende Einsicht in den eigenen Unterstützungsbedarf gut gebrauchen können.

Was würde passieren, wenn diese privat pflegenden Menschen ausfallen würden?

Sabine Dams: Die ambulanten und stationären Strukturen der professionellen Pflege, die jetzt schon personell angespannt sind, würden augenblicklich kollabieren. Hinzu kommt aber die Tatsache, dass die meisten pflegebedürftigen Menschen in ihrem häuslichen und familiären Umfeld bleiben wollen und dort auch am besten aufgehoben sind.

Wie wird das neue Kontakt- und Selbsthilfe-Büro der PIA-Stadtdienste finanziert?

Sabine Dams: Hier springen das Land NRW und die Pflegekassen ein, die das grundsätzliche Problem sehr wohl erkannt haben. Denn Land und Pflegekassen wissen, dass wir auch in Mülheim schon jetzt keine ausreichende Zahl an Kurz- und Langzeit-Pflegeplätzen haben, um den tatsächliche Pflegebedarf hauptamtlich und institutionell zu stemmen.

Was muss politisch geschehen, um pflegende Angehörige zu unterstützen?

Sabine Dams: Auf der politischen Ebene passiert schon einiges. Ich denke dabei an die Mülheimer Dialogoffensive für menschenwürdige Pflege oder den auf Landesebene agierenden Verein WIR PFLEGEN, in dem sich auch der städtische Sozialplaner Jörg Marx engagiert. Entscheidend wird sein, dass wir Hausärzte und Krankenhäuser stärker als bisher in die Pflicht nehmen müssen, wenn es um die Unterstützung und Entlastung pflegender Angehöriger geht. (TE)

INFO

Die Auftaktveranstaltung des KOPS am 5. Mai steht in der VHS an der Aktienstraße unter dem Thema: „Was kostet mich die Pflege?“ Damit sollen sowohl die finanziellen als auch die seelischen und körperlichen Kosten der häuslichen Pflege von Angehörigen angesprochen werden. Auskunft und Anmeldung sind bei Sabine Dams per E-Mail an sabine.dams@pflegeselbsthilfe-muelheim.de oder unter Telefon 015209382325 möglich.


Meine Beiträge in NRZ & WAZ



Schöne Straße?!

  Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ...