Hans Werner Nierhaus hat mehreren
Schülergenerationen des Otto-Pankok-Gymnasiums die Geschichte nahegebracht und
in seinen Büchern die Mülheimer Geschichte(n) der Reformation und der beiden
Weltkriege beleuchtet. Am 12. Mai wird er mit seinem eine Ausstellung
eröffnen, die bis zum 16. Juni 2022 im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße das Goldene Buch der Stadt präsentieren wird.
Wer mit dem Leiter des Stadtarchivs,
Dr. Stefan Pätzold, seinem Stellvertreter, Jens Roepstorff und Hans Werner
Nierhaus auf die Bild-und-Text-Tafeln der Ausstellung im Haus der
Stadtgeschichte schaut oder mit ihnen im 15 Kilo schweren Goldenen Buch durch
dessen Pergamentseiten blättert, bekommt ein Kaleidoskop der Stadtgeschichte
von 1914 bis 1999 vor Augen geführt. „Goldene Stadtbücher gab es zuerst im
mittelalterlichen Italien, während sie in Deutschland zwischen 1880 und 1930
ihr Blütezeit erlebten“, erklärt Stefan Pätzold.
Im ersten Goldenen Buch Mülheims haben
sich nicht nur berühmte und wichtige Gäste der Stadt eingetragen. Bis in die
1950er Jahre bemühte die Stadt auch Kaligraphen, um wichtige Stationen der
Stadtgeschichte, wie etwa das Kriegsende 1945 und den nachfolgenden
Wiederaufbau in kunstvolle Wortbild zu setzen. Apropos Schriftbild: Was beim
Blättern im Goldenen Buch auffällt, ist die Tatsache, dass Schriftbild der
Einträge mit voranschreitender Zeit immer laissez-fairer wird. Dem Übergang vom
Füllfederhalter zum Kugelschreiber sei (Un)dank. Der kaligrafisch auffälligste Eintrag
ist zweifellos der des Gouverneurs der japanischen Region Nagasaki, Isamu
Takada, den die Wirtschaftsförderung im Dezember 1992 auch nach Mülheim führte.
Fangen wir ganz vorne an. Das 1914
vom Webereibesitzer Karl Roesch gestiftete Goldene Buch der Stadt macht mit einem
vergoldeten Buchdeckel aus Silber seinem Namen schon auf den ersten Blick alle
Ehre. Reliefs erzählen Mülheims Wirtschaftsgeschichte. Das Panorama der Gewerke
reicht vom Kohlenkahn über die Broicher Papiermühle bis hin zum Zechenturm. Doch
das zentralste und größte Relief zeigt einen mit Helm und Schwert gerüsteten
Mann. Die damals 125.000 Mülheimer leben, wie das kaligrafisch gestaltete
Deckblatt, verrät, in „eiserner Zeit“. Der erste Eintrag stammt von einem „Herrn
Dietrich“, der einst als unbesoldeter Ehren-Beigeordneter der Stadt gedient hat
und jetzt als Oberbürgermeister des sächsischen Nauenburg als Gast in seine
alte Heimat zurückkehrt. Deutlich prominenter ist das schon Großadmiral Alfred
Tirpitz, der sich im Sommer des letzten Kriegsjahres 1918 ins Goldene Buch
einträgt, als er in der Stadthalle Ehrengast einer Tagung der deutsche
Gardeverbände teilnimmt und man auch in Mülheim die Kriegspropaganda des im
Felde unbesiegten deutschen Heeres glauben will.
Die vielleicht spannendste
Geschichte des Goldenen Buches ist die, die man nicht sieht. „1934 gibt es eine
fein säuberlich herausgetrennte Seite. Es wird von Zeitzeugen kolportiert und
Indizien weisen darauf hin, dass sich hier Adolf Hitler eingetragen hat, als er
nicht zum ersten und letzten Mal im Uhlenhorst seinen frühen Förderer, den
langjährigen Bergbaumanager, Emil Kirdorf, auf dem Streithof im Uhlenhorst
besuchte“, sagt Jens Roepstorff. Und Hans Werner Nierhaus ergänzt: „Gerade die
Einträge der Jahre 1933 und 1934 zeigen den politischen Wandel der Zeit. Da
trägt sich der Kreisleiter der NSDAP, Karl Kamphausen noch vor dem von den
Nationalsozialisten zum Oberbürgermeister gemachten Eisenbahninspektor Wilhelm
März ins Goldene Buch ein, wo jetzt auch davon berichtet wird, dass jüdische
Unternehmen keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen und die Stadtverordneten
nicht mehr von ihren Mitbürgern gewählt, sondern vom Regierungspräsidenten
ernannt werden.“
Prominenter und erbaulicher sind da
schon die Einträge des schwedischen Welt- und Vortragsreisenden Sven Hedin (1936)
und des Physik-Nobelpreisträgers, Max Planck, der 1942 in der Stadthalle über
„Sinn und Grenzen der exakten Naturwissenschaften“ spricht. Hedin hatte sechs
Jahre zuvor an gleicher Stelle über seine Expeditionen nach Zentralasien
berichtet. Nach dem Krieg wird Max Planck zum Namensgeber des vormaligen Kaiser-Wilhelm-Institutes
für Kohlenforschung am Kahlenberg. Aus dem Goldenen Buch erfährt man auch, dass
der Dirigent Wilhelm Furtwängler im Kriegsjahr 1940 mit Bach, Brahms, Beethoven
und den Berliner Philharmonikern in der Stadthalle gastiert hat.
Natürlich trägt sich auch der
dortige Institutsdirektor Prof. Dr. Karl Ziegler 1963 nach der Verleihung des Chemie-Nobelpreises
und der Mülheimer Ehrenbürgerschaft ins Goldene Buch der Stadt ein. Ein Foto
der Ausstellung zeigt ihn, mit dem damaligen Oberbürgermeister, Heinrich
Thörne, über das Goldene Buch gebeugt. Ein anderes Foto zeigt den damaligen
Regierenden Bürgermeister und späteren Bundeskanzler, Willy Brandt, der sich
als Teilnehmer eines kommunalpolitischen Bundeskongresses ins Goldene Buch der
Stadt einträgt. Auch ein anderer Bundeskanzler, Ludwig Erhard, hat sich als
Wahlkampfreisender im Bundestagswahljahr 1965 in Goldene Buch eingetragen.
Davon kann sich der Ausstellungsbesucher aber kein Bild machen, ganz anders,
als von dem 1987 in Mülheim zum Goldenen Schlitzohr gekürten Schriftsteller und
Schauspieler Sir Peter Ustinov, der Mülheim mit seinem Eintrag, als „eine Stadt
mit viel Herzenswärme und vielen Schlitzohren“ beschreibt. Man sieht es in der
Ausstellung. Die städtischen Honoratioren, die Ustinov flankieren, haben angesichts
seines augenzwinkernden Eintrags gut Lachen haben. Einen ernsten, aber schönen,
weil Versöhnung stiftenden Moment hält das Goldene Buch im Oktober 1988 fest. 50
Jahre nach der Reichspogromnacht, in der auch Mülheims Synagoge am
Viktoriaplatz, niedergebrannt wurde, besuchen 21 ehemalige jüdische Mülheimer,
die nach 1933 vor der nationalsozialistischen Verfolgung in alle Welt fliehen mussten.
43 Jahre nach dem Kriegsende stellt sich Mülheim erstmals dem dunkelsten
Kapitel seiner Stadtgeschichte.
Staatsbesuch für Frühaufsteher
Fotografisch festgehalten und im
Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37, prominent ausgestellt,
ist auch der vielleicht prominenteste Eintrag im Goldenen Buch, der von Papst
Johannes Paul II., der sich am 3. Mai 1987, flankiert von der damaligen
Oberbürgermeisterin Eleonore Güllenstern, dem damaligen Oberstadtdirektor Heinz
Hager und dem damaligen Ruhrbischof Dr. Franz Hengsbach am Flughafen
Essen-Mülheim ins Goldene Buch der Stadt eintrug. „Anders als 1984, als Queen
Elisabeth II. für einen Besuch bei der Britischen Rheinarmee auf dem Flughafen
Essen/Mülheim gelandet war, wollte man es drei Jahre später beim dortigen
Zwischenstopp des Papstes, das Goldene Buch der Stadt rechtzeitig zum Flughafen
zu bringen“, weiß Archivar Jens Roepstorff zu erzählen. Und er zeigt auch noch
einen Artikel dieser Zeitung aus dem September 1960, in dem von „Gästen aus dem
Morgenland mit dunkler Hautfarbe“ berichtet wird. Gemeint sind die Spieler des
damaligen Hockey-Olympia-Siegers Pakistan, der im damals wiedereröffneten Styrumer
Ruhrstadion gegen den deutschen Hockeymeister HTC Uhlenhorst spielte und nicht nur
den Fans auf der Straße, sondern auch dem Goldenen Buch der Stadt ein Autogramm
gaben. Keine Sportmannschaft, sondern die Regierungsmannschaft des damaligen
NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau, trug sich am 4. September 1984 bei ihrer
Mülheimer Kabinettssitzung ins Goldene Buch der Stadt eintrug. Launiger
Kommentar des Landesvaters: „So können die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass
alle ihre Minister lesen und schreiben können.“ Last, but not least: Die Ehre
des letzten Eintrags in das erste Goldene Buch der Stadt gebührte 1999 dem
Fotografen und Ruhrpreisträger Lubo Laco. Danach stiftete Tegelmann-Chef Erivan
Haub das zweite Goldene Buch der Stadt und eröffnete es mit seinem Eintrag.
Meine Beiträge in NRZ & WAZ